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berwiegend skeptisch beur- teilt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie die beiden Neuordnungsgeset- ze zur Gesetzlichen Krankenversiche- rung. „Entgegen der Auffassung der Krankenkassen begünstigt die dritte Stufe der Gesundheitsreform die pharmazeutische Industrie nicht. Die wirtschaftliche Entwicklung der Arz- neimittelhersteller auf dem deutschen Markt bleibt schwierig“, kommentier- te der BPI-Vorsitzende Prof. Dr. med.Hans Rüdiger Vogel die Gesetzes- initiative der Bundesregierung. Unge- wiß sei beispielsweise, wie sich die er- höhten Arzneimittelzuzahlungen auf die Umsätze der Pharmaindustrie auswirkten. Zudem sei die gewählte Zuzahlungsmethodik, die sich nach der Packungsgröße richte, problema- tisch. Der BPI fordert statt dessen ei- ne einheitliche prozentuale Selbstbe- teiligung. Vorteil: Der Versicherte könne unmittelbar von der Zuzah- lung auf den Preis schließen, und die Kassen beteiligten sich finanziell auch an preiswerten Medikamenten.
Positiv beurteilt der BPI die im 2. NOG geregelte Ablösung des Arz- neimittelbudgets durch Richtgrößen.
Obwohl die Richtgrößen nichts ande- res seien als die Aufsplittung eines ge- meinsamen Arzneimittelbudgets in viele Einzelbudgets, hätten sie den Vorteil, daß der einzelne Arzt die
„Budget-Verantwortung“ trage und ein natürliches Interesse daran habe, wirtschaftlich zu verordnen. Deshalb seien die von den Krankenkassen pro- gnostizierten Ausgabensteigerungen
nicht einleuchtend. Vogel warnt je- doch vor allzu komplizierten Kon- struktionen. Der Arzt brauche einfa- che Werkzeuge, um die Richtgrößen zu handhaben.
Sorge bereiten dem BPI die mit dem 2. NOG möglichen Strukturver- träge zwischen Ärzten und Kranken- kassen. „Hoffentlich ist dem Gesetz- geber bewußt, welches Kuckucksei er sich mit dem Paragraphen 73a ins Nest gelegt hat“, so Vogel. Er ermög- liche es Kassen und Ärzten, Vereinba- rungen zu treffen, die sich beispiels- weise in Form kombinierter Budgets zu Lasten Dritter auswirkten. Hier sei von den partnerschaftlichen Lösungen im Gesundheitswesen, die Bundesgesundheitsminister Seeho- fer propagiere, wenig zu erkennen.
Während Pharmaindustrie und Apo- theker außen vor blieben, nehme die Macht von Kassenärztlichen Vereini- gungen und Krankenkassen zu.
Neues Machtzentrum Bundesausschuß?
Das neue Machtzentrum liegt nach Ansicht von Vogel im Bundes- ausschuß der Ärzte und Krankenkas- sen, dessen Kompetenzen der Gesetz- geber erheblich erweitert habe. Das Gremium, das paritätisch mit je neun Vertretern der KBV und der Kran- kenkassen sowie mit zwei neutralen stellvertretenden Vorsitzenden und einem neutralen Vorsitzenden besetzt ist, bildet unter anderem die Festbe- tragsgruppen und erläßt Arzneimit-
telrichtlinien. Vogel fürchtet, daß die Richtlinienkompetenz des Ausschus- ses künftig so erweitert wird, daß er die Verordnung bestimmter Arznei- mittel ausschließen kann. Bislang fiel diese Aufgabe in die Zuständigkeit des Bundesgesundheitsministeriums.
Der BPI fordert deshalb, beim Bun- desausschuß einen medizinisch-phar- mazeutischen Beirat einzurichten, der mit Vertretern der Apotheker und der Pharmaverbände besetzt ist.
Karl Jung, neuer Vorsitzender des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und ehemaliger Staatssekretär im Bundesarbeitsmini- sterium, sieht diese Notwendigkeit nicht. Den Interessen der pharmazeu- tischen Industrie werde durch die ge- setzlich vorgeschriebene Anhörung angemessen Rechnung getragen. Er räumte jedoch ein, daß Arzneimittel einen Großteil der künftigen Arbeit des Bundesausschusses ausmachen werden. Die Bildung von Festbetrags- gruppen werde fortgeführt. Ebenso sei eine Neufassung der Arzneimittel- richtlinien sowie eine Neuauflage der Preisvergleichsliste von 1995 geplant.
Hier werde jedoch noch überlegt, wie eine zeitnahe Information der Ärzte gewährleistet werden könne.
Als realitätsfern bezeichnete Jung die Befürchtung, daß im Bun- desausschuß ein neues Machtzentrum entstehe. Dennoch steht nach seiner Auffassung das gesamte Spektrum der vertragsärztlichen Versorgung für Richtlinien des Ausschusses offen.
Wichtigstes Element der Reform- gesetzgebung sei, daß das 2. NOG die ständige Überprüfung des ver- tragsärztlichen Leistungsspektrums ermögliche. Das bedeutet, daß sich die Kompetenz des Bundesausschus- ses nicht mehr ausschließlich auf die Zulassung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden beschränkt.
Die Erweiterung des Gesetzestextes zur Beurteilung neuer Methoden um den Zusatz „in der jeweiligen Thera- pierichtung“ hatte Ängste der medizi- nischen Fachgesellschaften geschürt, die befürchten, daß damit der Zulas- sung fragwürdiger Methoden Tür und Tor geöffnet sei. Eine „Binnenbeur- teilung“ sei nicht beabsichtigt, be- schwichtigte Jung. Das gehe aus der Begründung des Änderungsantrags hervor. Heike Korzilius A-1480 (28) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997
P O L I T I K AKTUELL