Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 38⏐⏐21. September 2007 A2565
T H E M E N D E R Z E I T
D
ie Medizintechnik hat sich zu einem Innovationsmotor der Gesundheitswirtschaft entwickelt.Eine Reihe neuer medizinischer Technologien und Verfahren, zum Beispiel aus der Bio-, Nano- und Telemedizin, drängt auf den Markt.
Das Geld für den medizinischen Fortschritt ist jedoch knapp. Gleich- wohl sollen Innovationen allen Pati- enten zugute kommen. In Deutsch- land entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) darüber, welche medizinischen Innovationen in den Leistungskatalog der gesetz- lichen Krankenversicherung aufge- nommen werden, indem er prüft, ob diese für eine ausreichende, zweck- mäßige und wirtschaftliche Versor- gung erforderlich sind. Anders als bei medikamentösen Therapien sind Methoden zur Messung und Bewer- tung der Effektivität medizintechni- scher Verfahren und Produkte noch längst nicht etabliert (Kasten). Wel- chen Stellenwert die Bewertung von Innovationen der Medizintechnolo- gie im Rahmen der Versorgungsfor- schung hat, diskutierten Experten bei einer Tagung der Clearingstelle Ver- sorgungsforschung in Essen (www.
versorgungsforschung.nrw.de).
Kurze Produktzyklen
„Die Medizintechnikindustrie emp- findet den Bereich Versorgungsfor- schung als Neuland“, sagte Joachim M. Schmitt, Bundesverband Medi- zintechnologie. Entsprechend groß sei die Verunsicherung, denn die mangelnde Planungssicherheit in ei- nem zunehmend restriktiven Umfeld werfe eine Reihe von Fragen auf, un- ter anderem die der Finanzierung von Innovationen im Krankenhausbe- reich. Hierfür müssten künftig mehr Mittel zur Verfügung gestellt wer- den, forderte Schnitt. Bei den schnel- len Produktlebenszyklen in der Bran- che müsse darüber hinaus geklärt
werden, wie Versorgungsforschung zu realisieren sei. „Für die Industrie ist wesentlich: Welche Verfahren und Kriterien sind bei der Bewertung des Nutzens entscheidend, und welcher Grad von Evidenz reicht aus für eine Bewertung“, so Schmitt. Der Nutzen einer Therapie sei überdies stark ab- hängig von der Perspektive des Be- trachters – Patient, Arzt oder Kran-
kenkasse. Statt einer langfristigen Nutzenbetrachtung stünden häufig die kurzfristigen Kosten im Vorder- grund, kritisierte Schmitt. Er forderte eine einfachere Einführung von In- novationen in das Gesundheitssys- tem und mehr Versorgungsfor- schung, „um die Gesamtkosten einer Therapie besser darstellen und so- wohl die individuellen Vorteile für den Patienten als auch die Vorteile für die Volkswirtschaft langfristig er- mitteln zu können“.
Diskrepante Regelung
„Eine gesunde Skepsis gegenüber In- novationen ist durchaus angebracht“, betonte dagegen Priv.-Doz. Dr. Mat- thias Perleth, G-BA. Als gesetzlich legitimierte Instanz stelle der G-BA einen Filter zur Verfügung, um die Versichertengemeinschaft vor poten- ziell gefährlichen oder ineffizienten Verfahren zu schützen. An der unter-
schiedlichen Handhabung von Inno- vationen im ambulanten und sta- tionären Sektor solle sich auch künf- tig nichts ändern, betonte Perleth.
Im stationären Sektor gilt das Prinzip des Verbotsvorbehalts. Da- nach sind diagnostische und thera- peutische Neuerungen abrechnungs- fähige Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, solange der G-BA nicht aufgrund klinischer Studien zu dem Ergebnis kommt, dass die Ver- fahren weniger nutzen oder sogar mehr schaden als vergleichbare Dia- gnose- und Behandlungsmethoden.
Dagegen gilt im ambulanten Sektor der Erlaubnisvorbehalt: Vertrags- ärztliche Leistungen müssen durch den G-BA als wirksam und wirt- schaftlich anerkannt sein. Diese „dis-
krepante Regelung“ sei politisch ge- wollt, erklärte Perleth. Der Verbots- vorbehalt im stationären Sektor wer- de als „Einfallstor für Innovationen“
beibehalten. „Das Krankenhaus ist die Einrichtung, die aufgrund ihrer Expertise und ihres Know-hows mit Innovationen umgehen kann.“ Im Unterschied zum ambulanten Be- reich müssen die Krankenhäuser den Nutzen einer Innovation gegenüber dem G-BA nicht nachweisen. Nach Perleth ist der Erlaubnisvorbehalt zwar sinnvoll, birgt jedoch die Ge- fahr der Verschleppung, wohingegen der Verbotsvorbehalt im stationären Sektor ein effektives Innovationsma- nagement verhindert. Ansätze, die Abgrenzung von ambulanter und sta- tionärer Versorgung bei der Einfüh- rung von Innovationen durchlässiger zu machen, sieht er in der sektorüber- greifenden Qualitätssicherung. I Heike E. Krüger-Brand
ANFORDERUNGEN AN MEDIZINPRODUKTE
Für das „Inverkehrbringen von Medizinprodukten“
ist eine CE-Kennzeichnung erforderlich, welche die Sicherheit und Funktionstauglichkeit eines Pro- dukts nachweist, sowie eine klinische Bewertung, welche die Eignung des Produkts für die vorgese- hene Zweckbestimmung (Funktionstauglichkeit) bestätigt. Diese muss für jede Produktart durchge- führt werden – vom einfachen Zungenspatel bis zum Implantat oder CT-Gerät. Vor allem bei Pro- dukten mit höherem Risiko, wie Medizinprodukten der Klasse III, spielt die klinische Prüfung eine im-
mer größere Rolle. Allerdings umfasst diese häufig nur eine kurze Studiendauer von einem halben bis zu einem Jahr, und die Patientenzahlen sind rela- tiv gering, sodass die Daten hinsichtlich Nutzen, Nebenwirkungen und Langzeiteffekten entspre- chend wenig aussagekräftig sind. Darauf verwies die Gesundheitsexpertin Dr. Tanja Ulle, Carem GmbH. Ulle: „Die Entwicklung klarer methodischer Empfehlungen für die Bewertung von Kosten und Nutzen für die verschiedenen Kategorien von Me- dizintechnologie ist daher dringend notwendig.“