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Archiv "Rentenversicherung — Erosion des Vertrauens" (14.05.1982)

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Rentenversicherung - Erosion des Vertrauens

ln der Gesetzlichen Rentenversi- cherung werden die strukturellen Umschichtungsprozesse, die auf Kosten der hohen bzw. gehobe- nen Anwartschaften gehen und zugunsten der älteren Arbeitneh- mer und kleineren Verdiener ein- geleitet worden sind, in den Re- form- und Anpassungsgesetzen immer deutlicher. Die Bestrebun- gen z. B. sind,

~ die Altersgrenze immer weiter zurückzuverlegen bzw. die Le- bensarbeitszeit immer mehr zu verkürzen und

~ dadurch die Mindereinnahmen {bei der sinkenden Zahl der "Akti- ven") durch die geringere Bewer- tung der Ausbildungs-Ausfallzei- ten auszugleichen, was vornehm- lich auf Kosten der Akademiker geht.

Diese beiden Strömungen verhal- ten sich wie kommunizierende Röhren. Es schickt sich in diesem Zusammenhang gut, wenn der Beitrag von 18,5 auf 18 Prozent

"zurückgeschminkt" wird, denn

was dem einen gegeben wird, wird vom anderen geholt.

Die Zurückverlegung der Alters- grenze hat zum Ziel, mit der Zurru- hesetzung der älteren Arbeitneh- mer den Arbeitsmarkt für jüngere Arbeitskräfte frei zu machen und die Arbeitslosigkeit, wahrschein- lich ein Begleiter durch die gan- zen achtziger Jahre hindurch, ab- zumildern. Diese vordergründige Überlegung vergißt die hinter- gründige Folge, daß dadurch die Zahl der Rentner vermehrt und die Zahl der Beitragszahler gesenkt

wird. Eine Arbeitsgruppe unter Fe-

derführung des Bundesarbeitsmi- nisteriums untersucht derzeit "alle vorliegenden Vorschläge zur Ver- kürzung der Lebensarbeitszeit".

Solche Erleichterungen für den Arbeitsmarkt sind recht schnell in

Gang gesetzt, aber die Folgen zei- gen sich später um so dringlicher und sind kaum wieder rückgängig zu machen.

Mieses Spiel mit den Ausbildungs-Ausfallzeiten Ein unangenehmes Spiel wird mit den Ausbildungsausfallzeiten ge- trieben. Es war, wie Dr. Reinhold Schulze, der Vorstandsvorsitzen- de der Bundesanstalt für Ange- stellte {BfA) in einem Pressesemi- nar mit Journalisten durchdisku- tierte, ein spektakulärer Vorgang, als mit dem 20. Rentenanpas- sungsgesetz {RAG) die Bewertung der Ausbildungsausfallzeiten auf 100 Prozent des Durchschnittsent- gelts aller Versicherten begrenzt wurde. Das Bundesverfassungs- gericht hat zum Erstaunen der Kommentatoren in der Fachpresse die Vereinbarkeit der Regelung mit dem Grundgesetz festgestellt.

Diese Schraube wird jetzt weiter gedreht: Nunmehr ist im Referen- tenentwurf des RAG '83 eine wei- tere Begrenzung der Ausbildungs- ausfallzeiten vorgesehen, und zwar auf 75 Prozent des Durch- schnittsentgelts aller Versicher- ten. Schulze: "Das wird einen Sturm der Entrüstung auslösen.

Viele, insbesondere diejenigen, die aufgrunddes Rentenreformge- setzes von 1972 Beiträge nachent- richtet haben oder die als Selb- ständige sich zur Pflichtversiche- rung auf Antrag entschlossen ha- ben, werden in ihrem Vertrauen in die bestehenden Gesetze tief er- schüttert sein. Dieser Vertrauens- verlust wird vielleicht schwerer wiegen als der mit der Neurege- lung verbundene materielle Ver- lust für die Betroffenen."

Dieser materielle Verlust wird für den "Normalakademiker" {Ausbil- dungsausfallzeiten für drei Jahre

Die Information:

Bericht und Meinung THEMEN DER ZEIT

Schulausbildung und fünf Jahre Hochschulstudium) eine monatli- che Renteneinbuße von etwa 60 DM ausmachen, wobei Fälle mit Zurechnungszeiten nicht berück- sichtigt sind.

Die Formulierer und Macher der derzeitigen Gesetze in der Kran- ken- und Rentenversicherung of- fenbaren ein seltsames Gehabe:

Die Anfang der siebziger Jahre Umworbenen, deren Geld für den Aufbau des optimistischen Ren- tenweltbildes gut genug war, sind heute die Besitzer von "Privile- gien", ein Ausdruck, der aus dem linken Parteijargon zurück in die Regierungsvorlagen gedrungen ist. "Privilegien" sind Relikte aus der Feudalzeit, die in den Sozial- bewegungen die Proletarier in den letzten 200 Jahren den "Besitzen-

den" und Herrenkammern gewalt-

sam entwunden haben. Der Unter- schied ist nur, daß diese "Privile-

gien" den Eigentümern ein paar

Jahre vorher per Gesetz, massiver Regierungswerbung und hochoffi- ziell übertragen worden sind. Es knistert nach Klassenkampf in den Papieren, und es ist aufschluß- reich zu lesen, wohin die Reise gehen wird.

ln den Diskussionen wird regie- rungsseitig eingewandt, daß die Ausbildungszeiten deshalb gerin- ger bewertet wurden, um die An- sprüche der gestiegenen Zahl der Studenten später nicht ins Uferlo- se steigen zu lassen; berücksich- tigt werden müsse dabei auch die demographische Entwicklung, d. h. die Halbierung der Kinder- zahl seit 20 Jahren. Diese Argu- mente schlagen nicht durch: Die sinkende Zahl der Wohnbevölke- rung und die steigende Zahl der Studenten war eine Entwicklung, die zur Zeit der Reformgesetze der Ära Brandt vor der Tür stand und in ihrer Auswirkung in den achtzi- ger Jahren abzusehen war. Diese Leute, die diese "Privilegien" be- kämpfen, meinte kürzlich erbittert ein Kenner der Materie, führen sich selbst auf wie die alten Feu- dalherren, die einst ihren Unterta- Ausgabe AlB DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 19 vom 14. Mai 1982 25

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Immer früher in Rente

Durchschnittsalter bei Beginn des Rentenbezugs*

1980 1970

60,6

/

Jahre f

r

Jahre 59!) 1970 Arbeiterinnen

61,6

Männliche Angestellte

1970 62,8

Jahre

Jahre

*Afters - Erwerbs- u

Weibliche An estellte

nd Berufsunfähigkeitsrenten

1980

Arbeiter

1980

Jahre Die Information:

Bericht und Meinung Das durch-

schnittliche Al- ter für den Ren- tenbeginn ist in den letzten Jah- ren beträchtlich gesunken. Be- sonders bei den Arbeitern macht sich der leichte- re Weg in den Ruhestand be- merkbar. Ihr

durchschnittli- ches Alter bei

Rentenbeginn lag 1980 um gut drei Jahre nied- riger als 1970

nen je nach wirtschaftlicher Situa- tion das Auf und Ab der Abgaben aufzwangen. Es taucht in dieser Diskussion der interessante Vor- schlag auf, diese Macher und For- mulierer der Rentengesetze müß- ten ihre eigene Altersversorgung dem unterwerfen, was sie planten.

In dieses Bild gehört auch die an- dere Qualifizierung der Zurech- nungszeiten, die laut Referenten- entwurf nur noch aus den Bei- tragszeiten bestimmt werden sol- len. Sind in den zur Bewertung heranzuziehenden Beitragszeiten Zeiten der ersten fünf Kalender- jahre enthalten, so können Nach- teile wegen der im Entwurf vorge- sehenen niedrigeren Bewertung dieser Zeiten eintreten. Deshalb ist folgendes vorgesehen: Ist eine Zu- rechnungszeit von mindestens 15 Jahren anrechenbar, soll die Min- destbewertung der Pflichtbeiträge der ersten fünf Kalenderjahre von 75 Prozent auf 96 Prozent angeho- ben werden. Eine Anhebung ist al- so dann nicht möglich, wenn nur eine Zurechnungszeit von 14 Jah- ren und 11 Monaten und weniger anrechenbar ist. Das kann dazu führen, daß zwei Versicherte mit nahezu gleicher Anzahl von Versi- cherungsjahren und gleich hohen Beiträgen unterschiedlich hohe Renten erhalten.

Diese dargestellten Regelungen sollen teilweise rückwirkend (!) in Kraft treten. Sie bringen, wie laut Schulze die ersten überschlägigen Berechnungen der BfA-Mathema- tiker zeigen, der Rentenversiche- rung eine Ersparnis von jährlich 2 Milliarden DM. Ob diese „Erspar-

nisse" die Erosion des Vertrauens aufwiegen, ist fraglich. Schulze sagt weitere „Opfer" für Rentner und Beitragszahler voraus.

Milliardenkosten

bei vorverlegtem Rentenbeginn Die Verschiebung des Rentenbe- ginns vom 65. Lebensjahr auf ein früheres Lebensalter (vorgezoge- nes Altersruhegeld auf das 60. Le- bensjahr, relativ leichte Erlangung der Erwerbsunfähigkeitsrente, vorzeitiges Ausscheiden älterer Arbeitnehmer aus der Erwerbstä- tigkeit durch Arbeitslosenruhe- geld nach Absprache zwischen Ar- beitgeber und Betrieb) führte zu

„exorbitant hohen Mehrausga- ben" (Dr. Schulze) in der Renten- versicherung. Diese Mehrausga- ben lassen sich wegen der Verzah- nung der einzelnen Leistungsar- ten nur schwer quantifizieren, dürften aber mit einer zweistelli- gen Milliardensumme pro Jahr, vermutet Dr. Schulze, nicht zu hoch geschätzt sein. Allein die Mehrausgaben durch die Vorver- legung des Rentenalters vom 62.

auf das 60. Lebensjahr hat die Bundesregierung für die Jahre 1982 bis 1985 mit jährlich 1,1 Mil- liarden DM geschätzt. Schulze:

„Die Vorverlegung des Rentenbe- ginns vor das 65. Lebensjahr, d. h.

die Zunahme der Zahl der 60- bis 64jährigen Rentner auf der einen Seite, führt auf der anderen Seite auf dem Arbeitsmarkt zu einer Ab- nahme des Erwerbspersonen- potentials. Die aufgrund der de- mographischen Entwicklung in ei-

Rentenversicherung

ner Prognose des Instituts für Ar- beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahre 1977 ange- nommenen Zahlen der deutschen Arbeitnehmer zwischen 60 und 65 Jahren müssen nunmehr drastisch nach unten korrigiert werden. Bei den Männern sind die Erwerbs- quoten der 60- bis 65jährigen von 69,4 Prozent in 1970 auf 32,2 Pro- zent in 1979 gesunken. Bei den Frauen ist diese Entwicklung noch krasser. Hier ist die Erwerbsquote der 60- bis 65jährigen von 22,3 v. H. in 1970 auf 11,6 v. H. in 1979 gesunken. Der ab 1980 zu erwar- tende demographische Anstieg der 60- bis 65jährigen Erwerbstäti- gen (geburtenstarke Jahrgänge nach dem Ersten Weltkrieg) wird nahezu kompensiert durch die vorgezogene Verrentung. Bei die- ser Entwicklung ... ist es mehr als erstaunlich, daß eine weitere Herabsetzung der Lebensarbeits- zeit diskutiert wird. Sie ist nur ver- ständlich vor dem Hintergrund ei- ner hohen Arbeitslosigkeit."

Fachleute, wie Prof. Meinhold, die Transfer-Enquete-Kommission und der Sozialbeirat warnen vor den gewerkschaftlichen Plänen.

Der Einräumung von versiche- rungsmathematischen Abschlä- gen bei vorgezogener Altersgren- ze auf das 55. Lebensjahr setzen Dr. Schulze und der BfA-Chefma- thematiker Kaltenbach entgegen, daß das gesamte Renteninstru- mentarium geändert werden müß- te, wenn versicherungsmathemati- sche Abschläge vorgenommen werden. Ferner: Bei Vorverlegung der Altersgrenze müßte die Rente vorzeitig gezahlt werden, während die versicherungsmathematischen Abschläge erst in einem Zeitraum von 25 Jahren einen Ausgleich herbeiführen, nämlich dann, wenn der letzte Rentner nach altem Recht ausgestorben ist. Die Ren- tenversicherungsträger müßten die Mehrkosten gewissermaßen

„vorfinanzieren". Schulze vermu- tet, daß eine Vorverlegung der Al- tersgrenze auf das 58. Lebensjahr die Rentenversicherer 4,7 Milliar- den DM im Jahr kosten würde.

Dr. Ekkhard Häussermann 26 Heft 19 vom 14. Mai 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

Referenzen

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