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Archiv "Sowjetunion: Klatsch um eine „Magierin“" (18.09.1980)

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BLICK ÜBER DIE GRENZEN

SOWJETUNION

Klatsch

um eine „Magierin"

Eine überaus seltsame Auseinan- dersetzung spielte sich im Som- mer in der sowjetischen Presse ab.

Sie begann ausgerechnet wäh- rend der Olympischen Spiele, und so fiel der Vorgang auch aufmerk- samen Korrespondenten auf, die eigentlich nur wegen der Spiele in die Sowjetunion gereist waren. Es begann mit Gerüchten: Staats- und Parteichef Breschnew, so hör- te man vor Beginn der Spiele, sei ganz wieder auf der Höhe — in den Monaten zuvor hatte es ja man- cherlei Rätselraten um seinen Ge- sundheitszustand gegeben. Seine Gesundung käme, so lauteten die Gerüchte, daher, daß er in seinem Sommersitz am Schwarzen Meer in die Hände einer Heilpraktikerin gefallen sei, die den 73jährigen mit paramedizinischen Maßnah- men betreue.

Die Sensation war perfekt, als in der Gewerkschaftszeitung „Trud"

diese Gerüchte sozusagen amtlich bestätigt wurden: Es erschien ein Aufsatz über diese Magierin, die Georgierin Dshuna Davitashvili, in der ihre Heilkünste geschildert und auf das höchste gelobt wur- den. Selbst der Gesundheitsmini- ster — ein Chirurg — soll einen zwar gewundenen, aber immerhin aner- kennenden Beitrag zu dieser Dis- kussion geleistet haben. Alles war- tete dann gespannt auf Bresch- new, der dann auch in offenbar bestem Gesundheitszustand im Olympiastadion erschien.

Inzwischen aber haben die sowje- tischen Intellektuellen die Gewerk- schafter zurückgepfiffen: Nach den Spielen äußerte sich die re- nommierte „Literaturnaia Gazeta"

und nannte die Davitashvili eine Scharlatanin. Zwei Medizinerkom- missionen hätten ihre „biologi- schen Kraftfelder" als Schwindel entlarvt. Die Jugendorganisation zog etwas vorsichtiger nach: In der „Komsomolskaia Pravda"

wurden die Besserungen, die die Patienten der Georgierin aufzu- weisen haben, als Suggestionsef- fekte bezeichnet. Immerhin: noch einen Monat später trat der Partei- chef beim kasachstanischen Par- teijubiläum in gutem Gesundheits- zustand auf. Italienische Journali- sten meinen übrigens herausge- funden zu haben, daß Breschnew der (übrigens jungen und recht at- traktiven) „Heilpraktikerin" eine Datscha in unmittelbarer Nähe sei- nes Sommersitzes verschafft ha- be . . . bt

ITALIEN

Initiator der

„psichiatria aperta"

gestorben

Professor Franco Basaglia ist am 29. August in Venedig gestorben, nur 54 Jahre alt. Sein Name ist das Synonym für die „Reform" der ita- lienischen Psychiatrie, für etwas, was in Deutschland den ebenso hochtrabenden wie nichts- oder vielsagenden Titel „Demokrati- sche Psychiatrie" erhalten hat. Ba- saglia, politisch links angesiedelt, drückte sich pragmatischer aus:

Er sprach von der „Psichiatria aperta", der offenen Psychiatrie.

Über dieses „Reform-Werk" hat das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT ausführlich berichtet: nach einer Studienfahrt vom Gradeser Fort- bildungskongreß der Bundesärz- tekammer in Heft 44/1979, Seite 2872 ff. In Triest hatte Basaglia Ambulatorien an die Stelle des vornehmlich von Zwangseinge- wiesenen und Verwahrten be- wohnten Irrenhauses gesetzt, des- sen Patienten größtenteils in die Freiheit entlassen worden waren.

Ein Gesetz übertrug diesen „Vor- schlag, nicht Modell" (Basaglia) kurzerhand auf ganz Italien, ohne daß allerdings dafür gesorgt wer- den konnte, daß die unbedingt er- forderlichen ambulanten Struktu- ren zuvor vorhanden waren. Als daraufhin vor allem in den Groß- städten katastrophale Verhältnis- se eintraten, berief die Region La-

tium (zu der auch Rom gehört) Ba- saglia zum Direktor ihrer psychia- trischen Einrichtungen. Dieses Amt hat er nicht mehr antreten können.

Zum letzten Mal ist er in Deutsch- land beim "Gesundheitstag", der Gegenveranstaltung der „außer- parlamentarischen Opposition"

zum Deutschen Ärztetag, im Mai 1980 in Berlin, aufgetreten — wie Teilnehmer berichten, schon von Krankheit gezeichnet. In Italien sind Krankengeschichten von Pro- minenten nicht tabu, und deshalb ist es wohl berechtigt, auch hier wiederzugeben, was geschehen ist:

Wie die Zeitungen berichteten, diagnostizierte zunächst ein Allge- meinarzt Erschöpfungszustände, die bis zu Gedächtnisstörungen führten. Als dies sich als nicht the- rapierbar herausstellte, fanden Krankenhausärzte in Verona eine Sinusitis, die bis zur Hirnhaut aus- strahlte, und verordneten massiv Antibiotika. Eine dritte Untersu- chung im besonders renommier- ten Krankenhaus in Brescia brach- te die endgültige und dann schon infauste Diagnose: Gehirntumor.

Man mag diese Krankengeschich- te als Warnung davor verstehen, ausgerechnet in diesem Bereich der Medizin Experimente zu ver- anstalten, die die empfindlichen Zusammenhänge zwischen den Fachgebieten gewaltsam stören.

Wichtiger aber ist dies: Wenn es überhaupt eine Chance gab, die italienische Psychiatrie einigerma- ßen heil über den Husarenritt der Politiker hinwegzubringen, die ein jahrelang entwickeltes, auf die speziellen Verhältnisse der Pro- vinz Triest zugeschnittenes Modell kurzerhand auf dem Papier verall- gemeinerten, dabei aber die aus den zugemachten „Manicomi"

hinausgeworfenen Patienten völ- lig allein ließen — die Persönlich- keit Basaglias, "sein Engagement, sein Temperament, seine Bered- samkeit und seine Erfahrungen hätten vielleicht diese Chance ge- boten, so umstritten er auch war.

Walter Burkart

2222 Heft 38 vom 18. September 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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