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Archiv "Brillenabgabe beim Augenarzt: Kontroverse über ein überraschendes Urteil" (11.05.2007)

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A1284 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007

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arf ein niedergelassener Au- genarzt über seine Praxis Brillen abgeben und anpassen? Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat diese Frage in einem Urteil vom 21. Dezember 2006 bejaht, indem es eine anders lautende Entscheidung des Landgerichts Hannover vom Mai desselben Jahres aufgehoben hat. In dem Urteil steckt Brisanz: Es geht letztlich um die Frage, inwieweit damit der Kommerzialisierung des Arztberufs Vorschub geleistet wird.

Zur Vorgeschichte: Ein niederge- lassener Augenarzt aus dem nieder- sächsischen Laatzen hält in seiner Praxis ein Sortiment von circa 60 Musterbrillenfassungen eines Opti- kerunternehmens vor. Er bietet sei- nen Patienten an, sich eine Brille aus diesem Sortiment auszusuchen. Der Arzt oder seine Helferin misst den Abstand zwischen Brillenscharnier und Ohrmuschel und leitet das Er- gebnis dieser Messung zusammen mit der augenärztlichen Verordnung und weiteren Werten an den koope- rierenden Optiker weiter. Dieser fer- tigt die Brille an und sendet sie di- rekt an den Patienten – auf Wunsch aber auch in die Arztpraxis, wo der Sitz der Brille kontrolliert und gege- benenfalls korrigiert wird.

Gegen dieses Vorgehen hat die Wettbewerbszentrale – eine unab- hängige Institution der deutschen Wirtschaft mit Sitz in Bad Homburg – vor dem Landgericht Hannover ge- klagt. Der Arzt verstoße gegen die (Muster-)Berufsordnung, indem er ei- nerseits Patienten an ein bestimmtes Optikerunternehmen verweise und andererseits Waren und Produkte ab- gebe. Die Abgabe eines Produkts sei nur zulässig, wenn dessen Besonder- heit ein notwendiger Bestandteil der

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Hierzu heißt es in der Urteilsbegrün- dung: „Einer Beweisauf- nahme darüber bedarf es nicht, weil es sich um eine allgemeinkun- dige Tatsache . . . handelt. Der Mehr- heit der Senatsmitglieder ist die Richtigkeit des Vortrags . . . auch aus eigener Erfahrung bekannt.“ Weiter heißt es: „Mit der vom Beklagten angebotenen Versorgungsmöglich- keit lässt sich sicherstellen, dass mit großer Sicherheit die vom Augen- arzt vorgenommene Sehschärfenbe- stimmung bei der Anfertigung der Brille zugrunde gelegt wird.“

Auch die Argumentation, bei der Anpassung einer Brille handele es sich um eine Dienstleistung, die dem Augenoptikerhandwerk zuzurechnen sei, ließ das OLG nicht gelten. Dies gehöre auch zum beruflichen Be- reich eines Augenarztes – ebenso wie die Brillenglasberatung.

Gründe für eine Revision gegen dieses Urteil sieht das OLG Celle nicht. Es bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts- hofs (BGH) zu ähnlichen Fällen – beispielsweise zur Abgabe von Hör- geräten in der Arztpraxis aus den Jah- ren 2000 und 2001. Hierbei war der sogenannte verkürzte Versorgungs- weg als rechtens erklärt worden.

Ob das Urteil des OLG Celle aber Bestand haben wird, ist noch nicht entschieden. Zurzeit läuft eine Be- schwerde der Wettbewerbszentrale gegen die Nichtzulassung der Revi- sion vor dem BGH. Doch schon die ersten Reaktionen auf die OLG-Ent- scheidung zeigen, wie umstritten das Urteil ist.

Der Berufsverband der Augenärz- te Deutschlands e.V. (BVA) ließ kurz nach der Urteilsverkündung in einer Pressemitteilung wissen, dass die Pa- tienten nunmehr die Wahl hätten, ih- re Brille entweder beim Augenarzt oder beim Optiker zu erwerben. We- nig später musste der BVA die Veröf- fentlichung zurückziehen, weil ihm aufgrund einer einstweiligen Verfü- gung des Landgerichts Nürnberg- ärztlichen Therapie sei. Das Landge-

richt Hannover folgte der Klage und untersagte dem Augenarzt, weiter so zu verfahren.

Allerdings hatte der Einspruch des Arztes vor dem OLG Erfolg. Die Celler Richter stellten ihrem Urteil einen Leitsatz voran, wonach ein Augenarzt grundsätzlich nicht un- lauter handelt, wenn er im Einzelfall einem Patienten, der nach dem Er- gebnis der von ihm durchgeführten Untersuchung eine Brille benötigt, ermöglicht, sich aus einem in der Praxis vorhandenen Bestand von Musterbrillenfassungen eines Augen- optikerunternehmens ein Brillenge- stell auszusuchen.

Subjektive Refraktionen In der Urteilsbegründung führt das OLG Celle aus, dass die Vermitt- lung eines Brillenliefervertrags durch einen Augenarzt nicht allgemein verboten werden kann. Nach dem ärztlichen Berufsrecht läge nur dann ein Verstoß vor, wenn ein hin- reichender Grund fehlte oder wenn es sich bei der Vermittlung um eine gewerbliche Dienstleistung handel- te, die nicht notwendig Bestandteil der ärztlichen Therapie sei.

Der beklagte Augenarzt aus Laat- zen hatte nach Angaben des Ge- richts vorgebracht, dass häufig der Augenoptiker eine eigene subjekti- ve Refraktionsbestimmung durch- führe, auf deren Basis dann die Brille angefertigt würde. In diesen Fällen bestünde die Gefahr, dass der Optiker ein Brillenglas auswähle, welches in medizinischer Hinsicht hinter der für den Patienten optimalen Therapie der Fehlsichtigkeit zurückbleibe.

Dies könne zu vermeidbaren Kom- plikationen führen.

BRILLENABGABE BEIM AUGENARZT

Kontroverse über ein überraschendes Urteil

Das Oberlandesgericht Celle gibt einem Augenarzt recht, der über seine Praxis Brillen abgibt und diese anpasst. In dem Urteil steckt Brisanz.

Foto:Klaus Fröhlich

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A1286 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007

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Fürth die Verbreitung in dieser Form untersagt wurde. Eine zweite Fas- sung lehnte sich dann in der Formu- lierung enger an das Celler Urteil an.

Sehr skeptisch bewertet auch der Berufsordnungsausschuss der Bun- desärztekammer die OLG-Entschei- dung. Das Gremium bezweifelt, dass sich das Urteil auf die Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs zum verkürzten Versorgungswerk stützen könne. Zwar habe sich der BGH ge- gen ein generelles Verbot dieser Ver- sorgungsform ausgesprochen, aber anders als das OLG Celle darauf ver- zichtet, im entgegengesetzten Sinne Gründe für eine generelle Abgabe durch den Arzt zu benennen.

Das OLG-Urteil sehe eine gene- relle Abgabe als zulässig an, weil es nach den Ausführungen des Ge- richts allgemein bekannt sei, dass Optiker von der Verordnung abwi- chen und dies zum Schaden für den Patienten gereichen könne. Die Ent- scheidung suggeriere sogar, dass der Augenarzt verpflichtet sei, seine Pa- tienten vor den Gefahren einer Bril- lenabgabe durch den Optiker durch eine eigene Abgabe zu schützen.

Dazu Dr. jur. Gerhard Nösser, Fachdezernent der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer: „Es ist nicht zulässig, eine bei einer Versorgung durch Dritte angeblich bestehende Gefahr, die ohne eingehende Fun- dierung oder Auseinandersetzung mit ihrem Ausmaß behauptet wird, zur Grundlage einer generellen Ver- sorgung des Patienten durch den Arzt zu machen.“ Wenn der Arzt das Risiko einer eigenen Refraktionsbestimmung durch den Optiker vermeiden wolle, wäre es ausreichend, dem Patienten bei gegebenem Anlass davon abzu- raten oder im Fall von abweichen- den Ergebnissen ihm eine erneute Konsultation beim Arzt zu empfehlen.

„Die Entscheidung kann auch des- halb keinen Bestand haben“, führt der Berufsordnungsausschuss aus,

„weil sie mit ihrem bedingungslosen Eröffnen einer Brillenabgabe in der Arztpraxis auf andere Fälle der Ab- gabe von Produkten oder der Verwei- sung an bestimmte Leistungserbrin- ger übertragen werden würde, was einer Kommerzialisierung des Arzt- berufs Vorschub leisten würde.“ I Josef Maus

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ind, mach was mit Zukunft, geh in die Pflege“ – so oder so ähnlich könnten künftig die weisen Ratschläge besorgter Eltern klingen. Nicht nur, weil die „Alten“

in Sorge um die berufliche Zukunft ihrer Kinder sind. Sondern auch, weil sie wissen, dass auch sie eines Tages auf professionelle Pflege angewiesen sein werden. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird seriösen Prognosen zufolge bis zum Jahr 2020 um 50 Prozent zunehmen.

Zugleich werden immer weniger Menschen ihre Angehörigen zu Hause pflegen, wie nun eine Studie im Auftrag der wirtschaftsliberalen

„Initiative Neue Soziale Marktwirt- schaft“ (INSM) ergab.

Kinderlosigkeit und Singleda- sein würden dazu führen, dass auf jeden Pflegebedürftigen immer we- niger Angehörige kämen, so Prof.

Reinhold Schnabel von der Univer- sität Duisburg-Essen. Er hat das Gutachten für die INSM erstellt und sagt: „Politik und Betroffene müs- sen sich deshalb darauf einstellen, dass die Pflege wesentlich stärker als bisher durch professionelle Pfle- gekräfte erfolgen wird.“ Die Ausga- ben für professionelle Pflege wür- den in der Folge enorm zunehmen.

Schnabel rechnet mit einem jähr- lichem Kostenanstieg von drei Pro- zent. Bis zum Jahr 2020 werde der Pflegemarkt auf 37 Milliarden Euro anwachsen. Im Jahr 2030 würden dort bereits 48 Milliarden Euro und 2050, so die Studie, rund 72 Milliar- den Euro umgesetzt.

Während dies bei den Pflege- und vor allem bei den Finanzpolitikern der Großen Koalition die Haare er- grauen lässt, dürfte sich der flexible Nachwuchs in der beruflichen Ori- entierungsphase freuen. Arbeiten derzeit rund 545 000 Menschen im Pflegesektor, könnte deren Zahl bis

2030 auf mehr als eine Million ansteigen. „Der Pflegemarkt“, so Schnabel, „wird boomen.“

Finanzierungslücke wächst Gleichzeitig werde die Pflegelücke, also die Differenz zwischen den notwendigen Ausgaben für die Pfle- ge und den Leistungen der gesetz- lichen Pflegeversicherung, größer werden. Der Studie zufolge be- trägt diese derzeit acht Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2030 werden die Ausgaben schätzungsweise auf 48 Milliarden Euro steigen. Davon werde die gesetzliche Pflegeversi- cherung aber nur etwa 32 Milliarden Euro übernehmen, so Schnabel.

„Die Pflegelücke wird durch mehr private Selbstbeteiligung und die Kommunen, also durch Sozialhilfe, geschlossen werden müssen.“ Zu- gleich werde das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflegeversicherung nur gehalten werden können, wenn die Beitragssätze auf drei bis 5,5 Prozent stiegen.

Um das zu vermeiden, sucht die Große Koalition angestrengt nach Reformwegen (DÄ, Heft 18/2007).

Medienberichten zufolge wollen Bundesjustizministerin Brigitte Zy- pries (SPD) und Bundesinnenminis- ter Wolfgang Schäuble (CDU) nun anhand eines Gutachtens prüfen, in- wieweit die diskutierten Reform- optionen mit der Verfassung ver- einbar sind. Dabei soll vor allem analysiert werden, ob es zulässig ist, die privaten Pflegekassen an der Reform zu beteiligen. Die SPD will einen Risikostrukturausgleich zwi- schen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung einführen. Eini- ge Rechtsexperten halten Finanz- transfers aus der privaten Pflegever- sicherung jedoch für verfassungs-

widrig. I

Timo Blöß

PFLEGE

Markt mit Zukunft

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich bis zum Jahr

2020 verdoppeln. Was die Pflegekassen belastet, könnte

einer Studie zufolge über eine Millionen Jobs schaffen.

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