[96] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 48⏐⏐28. November 2008
S C H L U S S P U N K T
W
illiam Shakespeare lässt im „Wintermärchen“einen alten Schäfer sagen: „Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und 23, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, als die Alten ärgern, als stehlen und prügeln.“
Zuweilen scheint es davon allerdings Ausnahmen zu geben. Der mittlerweile 17-jährige Magnus Carlsen aus Norwegen hat nämlich zu all dem gar keine Zeit; sein erklärtes Ziel ist es, Schachweltmeister zu werden. Ju- gendliche Hirngespinste? Wohl nein. Kasparow hält den WM-Titel bei Magnus für wahrscheinlich, der Inder Anand, der gerade in Bonn gegen den Russen Kramnik um die Schach-WM spielte, kann sich sogar einen anderen künftigen Weltmeister als Carlsen gar nicht vorstellen.
Hymnisch wurde er bereits von der „Washington Post“
als „Mozart des Schachs“ gepriesen. Magnus schätzt so- wohl Anand als auch Kramnik sehr, aber noch viel mehr hat es ihm sein Vorbild Napoleon Bonaparte angetan;
dies allerdings nicht wegen dessen lausiger Schachküns- te, sondern „wegen seines Kriegsgenius“.
Schon als Dreikäsehoch verblüffte Magnus alle mit seinem außerordentlichen Gedächtnis, welches er ne- ben seinem Konzentrationsvermögen als seine Haupt- stärke betrachtet. Doch der unerbittliche Zahn der Zeit nagt bereits an diesem. Magnus: „Mein Erinnerungsver- mögen nimmt schon ab – eine Folge des Älterwerdens.
Ja, wirklich!“ Nun, solange es noch zum Schachwelt- meister reicht, hält sich der Schaden wohl in Grenzen.
Das wird er aller Voraussicht nach werden, doch zu- mindest ebenso wahrscheinlich wird er für alle Zeiten gegen einen deutschen Arzt ein negatives Ergebnis be- halten. Im August spielte Magnus im Internet ein Uh- rensimultan an 25 Brettern, um dem serbischen Groß- meister Dušan Popovi´c eine Nierentransplantation zu ermöglichen – insgesamt kamen 12 000 Dollar zusam- men. Nur ein einziges Mal musste sich Magnus geschla- gen geben, und zwar dem Bad Kissinger Augenarzt Dr. med. Hans-Joachim Hofstetter. Vielleicht nicht ganz so überraschend, schließlich ist Dr. Hofstetter auch
Fernschachgroßmeister, und – noch ungleich wichtiger – er hat schon einmal das Deutsche Ärzteturnier gewon- nen, leidet also offenbar nicht an der vom berühmtesten Schach spielenden Arzt, Dr. med Siegbert Tarrasch, so beklagten „Amaurosis scacchistica“ (Schachblindheit) – irgendwie würde dies bei einem Augenarzt auch ver- wundern. Und er überraschte seinen kleinen großen Gegner mit einer selten gespielten Opfervariante im
„Offenen Spanier“. Schließlich diese Stellung:
Mit welch mutigem Schlag entschied Dr. Hofstetter als Schwarzer die Auseinandersetzung für sich, indem er – weiterhin opferfreudig – seinen Materialnachteil, nur scheinbar paradox, sogar ins Gegenteil verkehrte?
Gib, auf dass dir gegeben werde!
ÄRZTESCHACH
Ein Augenarzt mit Durchblick
Dr. med. Helmut Pfleger
Foto:Dagobert Kohlmeyer
Nach dem Qualitätsopfer 1. ..
.T e3xf3!
war Magnus Carlsen
verloren.Sowohl 2.gxf3 Dxd2 als auch 2. Dxf2 Txf2 wären
völlig hoffnungslos.Magnus versuchte noch am besten 2. Sxf3,
landete aber nach 2. ..
.Txf3! 3.Le2 (3.gxf3 Lxf3+ mit Matt
bzw.3 .Dxf2 Txf2) Dxf1+ 4.Txf1
Txf1+ 5.Lxf1 c5!
in einem
verlorenen Endspiel,bei dem sich zum Bauern weniger auch noch die schlechtere Stellung gesellte.
Lösung: