DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
DIE ÜBERSICHT
Schluckstörungen
aus neurologischer Sicht
Jean-Pierre Mand Hans Schliack
Anatomie
Am Kau- und Schluckakt sind zahlreiche Muskeln des Kiefers, der Zunge, des Zungengrundes, des Pha- rynx und des Larynx beteiligt. Sie werden jeweils von den ipsilateral im Hirnstamm gelegenen Kerngebieten von Hirnnerven innerviert. Supranu- kleär werden sie gesteuert von korti- kalen Efferenzen (willkürlich) und auch vom Hirnstamm aus (Basalgan- glien), die nicht willkürlicher Kon- trolle unterliegen. Neben der Moto- rik ist für den geordneten Schluckab- lauf die sensible Kontrolle von we- sentlicher Bedeutung. Hierfür sind verantwortlich der N. trigeminus für die Sensibilität im engeren Sinne so- wie der N. fazialis und der N. glosso- pharyngeus für die Geschmackskon- trolle. Im Osophagus selbst regelt ein spezielles neurales Netzwerk au- tonom die ösophageale Peristaltik.
Vereinfacht kann man den Schluck- vorgang in drei Phasen gliedern: Die orale, die pharyngeale und die öso- phageale Phase (Abbildung 1).
Die vorwiegend willkürliche ora- le Phase wird kortikal ausgelöst und vom Hirnstamm aus reguliert, die ösophageale Phase unterliegt zum Teil auch der Kontrolle vom Hirn- stamm aus, zum Teil läuft sie auto- nom wie die Magen-Darmperistaltik ab. Im Pharynx überwiegen vom Hirnstamm regulierte, über den N.
glossopharyngeus und N. vagus ver- laufende motorische Aktivitäten. Al- lerdings sind hier auch noch kortikal- willkürliche Einflüsse möglich. Eine Schluckstörung kann also durch Er-
Schluckstörungen (Dysphagien) beruhen nicht selten auf neurolo- gisch bedingten Funktionsstörun- gen. Pathophysiologisch sind sie sehr vielseitig; entsprechend un- terschiedlich ist ihr klinisches Er- scheinungsbild. Besonders die gut behandelbaren Erkrankungen (zum Beispiel die bulbäre Myas- thenie) dürfen nicht übersehen werden. In der vorliegenden Übersicht werden die wichtigsten neurologischen Erkrankungen so- wie ihre klinische Diagnostik be- schrieben.
krankungen des Kortex, des Hirn- stammes, der kaudalen Hirnnerven, der neuromuskulären Synapsen und der Muskulatur selbst verursacht werden. Darüber hinaus kann sie durch den beiderseitigen Ausfall der sensiblen Kontrolle schwer gestört werden. Neurologische Funktions- störungen betreffen ganz überwie- gend die orale und die pharyngeale Schluckphase.
Kortikale
Schluckstörungen
Vaskuläre Erkrankungen: Hirn- infarkte gehören zu den häufigsten Ursachen von Schluckstörungen. Bei einseitigen Hemisphäreninfarkten (A. cerebri media) ist der Schluck-
1 Neurologische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Jean-Pierre Mann) der Ruhr-Universität Bochum
vorgang in der Regel nicht wesent- lich beeinträchtigt, da die Kollateral- versorgung des Hirnstammes erhal- ten bleibt. Durch eine Apraxie kann das willkürliche Schlucken gestört werden. Durch Beteiligung der Mund- und Zungenmotilität (zentra- le Fazialisparese, Hypoglossuspare- se) kann die Bewegung der Speisen im Mund (orale Phase) gestört wer- den. Bei ausgedehnten Mediainfark- ten oder in die Basalganglien rei- chenden Infarktzonen können auch bei nur eine Hemisphäre betreffen- den Infarkten unter Umständen er- hebliche Schluckstörungen entste- hen. Lakunäre multiple Infarkte sind oft bilateral lokalisiert und führen, wenn sie bis an die kortiko-bulbären Verbindungen heranreichen, zum Bild der „Pseudobulbärparalyse".
Apraxien und Agnosien
Apraxien und Agnosien im Ge- folge von vaskulären, tumorösen oder traumatischen Hirnläsionen (dominante Hemisphäre bei den Apraxien, Läsion der thalamoparie- talen Projektionen bei den Agnosien, auch bei Betroffensein der nicht-do- minanten Hemisphäre) können auch ohne begleitende Aphasie auftreten und zu differentialdiagnostischen Schwierigkeiten führen, wenn an sie als Ursache einer Schluckstörung nicht gedacht wird. Die Zungen- und Schluckmuskulatur sind bei Apra- xien und Agnosien ungestört, und erst die gezielte neuropsychologische Untersuchung deckt entsprechende Defizite auf. Insbesondere die buc- cofaziale und buccolinguale Apraxie kann leicht als „psychogene Dyspha- gie" verkannt werden. Durch gedul- dige und konsequente Übungsbe- A1-3318 (42) Dt. Ärztebl. 89, Heft 41, 9. Oktober 1992
orale Phase pharyngeale Phase
handlung können insbesondere post- traumatische und vaskuläre Apra- xien gut gebessert werden.
Dementielle Erkrankungen als Symptom einer neurologischen Krankheit (Huntingtonsche Chorea, Morbus Parkinson, normotensiver Hydrozephalus) oder als eigenstän- dige Erkrankung (Demenz vom Alz- heimer-Typ) können zu Schluckstö- rungen führen. Bei der Demenz vom Alzheimer-Typ oder bei der Multiin- farktdemenz ist vorwiegend die orale Phase des Schluckaktes betroffen.
Die Behandlung muß sich hier auf pflegerische und supportive Maß- nahmen (Magensonde, perkutane Entero-Gastrostomie „PEG") be- schränken.
Basalganglien
Schluckstörungen sind beim Morbus Parkinson relativ häufig. Im Zuge der allgemeinen Hypokinese sieht man nicht nur eine Verzö- gerung beim Ingangkommen des Schluckaktes. Auch unphysiologi- sche Bewegungen der Epiglottis und eine verminderte Ösophagusmotili- tät sind zu beobachten (1, 2). Die Behandlung mit L-Dopa und ande- ren, beim Morbus Parkinson wirksa- men Substanzen führt in der Regel zu einer guten Besserung der Schluckstörungen. Auch beim Torti- collis spasmodicus sind Schluckstö- rungen nicht ungewöhnlich Riski et al. (8) fanden mit videofluoroskopi- scher Technik bei 51 Prozent von 43 untersuchten Patienten eine Beein- trächtigung des Schluckaktes, spezi- ell in der oropharyngealen Phase.
Gelegentlich können Schluckstörun- gen nach Therapie des Torticollis mit Botulinum-Toxin auftreten (11).
Im Erwachsenenalter beginnende fo- kale Dystonien werden heute als mil- dere Ausdrucksform einer generali- sierten idiopathischen Torsionsdy- stonie aufgefaßt, sofern sie nicht zur Gruppe sekundärer dystoner Bewe- gungsabläufe zählen (tardive Dysto- nie, „Zungenschlundsyndrom" nach Neuroleptika).
Diese medikamentös bedingten Schluckstörungen können nach Ga- be von Neuroleptika, Benzodiazepi- nen oder anderen sedierend wirken-
Abbildung 1: Die drei Phasen des nor- malen Schluckaktes:
Orale, pharyngeale und ösophageale Phase. (1) Zunge, (2) weicher Gaumen, (3) Os hyoidium, (4) Epi- glottis, (5) Stimmbän- der, (6) Schilddrü- senknorpel, (7) Cri- coid, (8) Pharyngo- ösophagealer Sphinkter, (9) Tra- chea, (10) Osopha- gus (aus: Groher, M.
E., Ed.: „Dysphagia:
Diagnosis and Mana- gement" Butterworth, 1984)
den Pharmaka auftreten, und zwar nicht nur bei neurologisch vorge- schädigten Patienten. Sie sind durch Dosisreduzierung oder Absetzen nicht immer reversibel („tardive Dys- kine sien").
Treten die dystonen Bewegun- gen isoliert im lingualen, palatinalen oder pharyngealen Bereich auf, spricht man von einer lingualen, pa- latinalen oder pharyngealen Dysto- nie. Sie sind zumeist Teil generali- sierter oder segmentaler Dystonien, können jedoch selten isoliert auftre- ten (13). Auch diese Schluckstörun- gen werden meistens als „psycho- gen" verkannt. Bei Schluckstörungen im Rahmen einer tardiven Dysto- nie (Zungenschlundsyndrom), nach Neuroleptikagabe und bei der Hun- tingtonschen Chorea ist vor allem die frühe, orobuccale Phase betroffen.
Von den selteneren neurologischen Erkrankungen sind noch zu nennen:
die spinozerebellären Systemdege- nerationen, die olivopontozerebellä- re Atrophie, die progressive supra- nukleäre Paralyse (Steele-Richard- son-Olszewski) und der palatinale Myoklonus.
Hirnstamminfarkte führen zur Pseudobulbärparalyse oder, wenn sie
im unteren Hirnstamm lokalisiert sind, zur akuten Bulbärparalyse. Je nach Lokalisation können auch in- trazerebrale Blutungen zu Schluck- störungen führen. Die vaskulären Dysphagien — auch bei Hirnstammin- farkten — eignen sich besonders gut für eine gezielte und langfristige Re- habilitationsbehandlung. Die Pro- gnose, zumindest für eine partielle Wiederherstellung, ist nicht ungün- stig und der Erfolg einer konsequen- ten Rehabilitation oft erstaunlich
Bulbärparalyse
Zu den eindrucksvollsten, be- kanntesten und wohl auch häufigsten Schluckstörungen gehört die chro- nisch progrediente Bulbärparalyse im Rahmen motorischer System- erkrankungen. Die Schluckstörun- gen („Verschlucken", Gefahr von Schluckpneumonien) sind praktisch immer begleitet von artikulatori- schen Sprachstörungen. Wegen der gelähmten Kehlkopfmuskulatur und Schwäche der Atemmuskulatur kön- nen die Kranken nicht oder nur kraftlos abhusten. Da das peripher- motorische Neuron betroffen ist, Dt. Ärztebl. 89, Heft 41, 9. Oktober 1992 (45) A1-3321
Nerv Afferenzen
Tabelle 1: Vermittlung wichtiger Afferenzen beim Schlucken
■ N. trigeminus (N. lingualis)
Sensibilität vordere zwei Drittel der Zun- ge (Tastempfindung, Thermosensibilität)
■ N. facialis Geschmacksempfindung vordere zwei Drittel der Zunge
Geschmacksempfindung hinteres Drittel der Zunge; Afferenzen aus Tonsille, wei- chem Gaumen, Pharynx
• glossopharyngeus
■ N. vagus
(N. laryngeus sup.)
Pharynx, Larynx, Ösophagus
Nerv Efferenzen
Tabelle 2: Vermittlung wichtiger Efferenzen beim Schlucken
■ N. trigeminus (V 3) Kaumuskulatur
■ N. facialis (VII) Mund- und Lippenmuskulatur
■ N. glossopharyngeus (IX)
Pharynxmuskulatur
■ N. vagus (X) Gaumen-, Pharynx- und Larynxmuskula- tur, Ösophagus
■ N. hypoglossus Zungenmuskulatur kommt es zu sichtbaren Atrophien
besonders der Zungenmuskulatur mit Faszikulationen. In der Regel tritt die Bulbärparalyse im Rahmen einer myatrophischen Lateralsklero- se auf. Gelegentlich beginnt diese Erkrankung aber bulbär, selten über Jahre hinweg isoliert (bei Frauen häufiger als bei Männern). Da diese Schluckstörungen immer progre- dient verlaufen, ist bei sich abzeich- nender Verschlechterung die pro- phylaktische Versorgung zum Bei- spiel mit einer perkutanen Enteroga- strostomie (PEG) zu erwägen.
Erkrankungen der peripheren Hirnnerven
An der Innervation der Kau- und Schluckmuskulatur sind die Hirnner- ven V, VII, IX und X sowie XII betei- ligt (siehe Tabelle 1 und 2). Jedwede Läsion dieser Hirnnerven auf ihrem Weg vom Ursprungsgebiet im Hirn- stamm durch die Foramina der knö- chernen Schädelbasis zum Zielmus- kel kann zu entsprechenden Störun- gen führen. Die schmerzbedingten Schluckstörungen (Trigeminusneu- ralgie, Glossopharyngeus-Neuralgie) sollen hier nicht weiter besprochen werden, dürfen aber differentialdia- gnostisch nicht unberücksichtigt blei- ben (9). Umschriebene Läsionen kau- daler Hirnnerven (N. IX—XII) kön- nen zu ausgeprägten Schluckstörun- gen führen. Am Foramen jugulare werden der N. glossopharyngeus, N.
vagus und N. accessorius gemeinsam durch Tumoren, Gefäßprozesse oder Traumen geschädigt (Foramen-jugu-
trophysiologisch zu unterscheiden (5). Als besondere Verlaufsform sind rezidivierende multiple, meist symmetrische Hirnnervenlähmungen beschrieben worden, die teilweise gut auf eine Kortisontherapie an- sprechen (4). Differentialdiagno- stisch ist bei unsystematisch-multi- plen Hirnnervenläsionen immer an eine basale Meningitis (Tbc, Lues, Pilze), Tumoren oder Schädelbasis oder eine Meningeosis blastomatosa zu denken. Besondere differential- diagnostische Schwierigkeiten kön- nen die rein sensiblen kranialen Po- lyneuropatien verursachen, da ihre Symptome nur durch eine sehr sorg- fältige und gezielte klinische Unter- suchung (mangelnde Temperatur- kontrolle im Mund, mangelnde Kon- trolle des Schluckaktes, Verschluk- ken) zu erfassen sind. Die daraus re- sultierenden Störungen können, da sie rein sensibel sind, leicht als psy- chosomatische Erkrankungen ver- kannt werden (5). Sie verlaufen sehr langsam, schleichend. Ihre Ursache bleibt meistens ungeklärt. Deshalb ist eine ätiologisch begründbare The- rapie nicht möglich.
Multiple Sklerose
Bei entsprechender Lokalisation der Demyelinisierungsherde im Hirn- stamm und Beteiligung der kortiko- bulbären Bahnen oder der entspre- chenden Hirnnervenkerne (N. glosso- pharyngeus, N. vagus, N. hypoglossus) können auch bei der multiplen Sklero- se Dysphagien entstehen.
lare-Syndrom). Bei Ausdehnung des Prozesses weiter nach hinten kann zu- sätzlich der N. hypoglossus betroffen sein (Collet-Sicard-Syndrom). Auf diese Läsionen kaudaler Hirnnerven wurde in einer früheren Übersicht in dieser Zeitschrift näher eingegangen (6). Einseitige Prozesse beeinträchti- gen den Schluckvorgang oft bemer- kenswert wenig.
Kraniale
Polyneuropathien
Kraniale Polyneuropathien sind eigenständige Erkrankungen mit mehr oder weniger symmetrischen Hirnnervenläsionen („Polyneuritis cranialis"), bei denen die Neuropa- thie auf die Hirnnerven beschränkt bleibt. Sie sind von Hirnnervenbetei- ligungen bekannter Polyneuropa- thien einschließlich des Guillain- Barr6-Syndroms klinisch und elek-
A1-3322 (46) Dt. Ärztebl. 89, Heft 41, 9. Oktober 1992
Infektionskrankheiten
An die Poliomyelitis mit bulbä- rer Beteiligung sei hier nur erinnert.
Enzephalitiden oder Meningoenze- phalitiden viraler oder bakterieller Atiologie, die Toxoplasmose, die tu- berkulöse Meningitis, Diphtherie, Tetanus und Lues können ebenfalls - je nach Lokalisation der Entzün- dung - zu Schluckstörungen führen.
Tumoren
Neben Tumoren und Metasta- sen der Schädelbasis (Foramen-jugu- lare-Syndrom, siehe vorn) können auch primäre Hirnstammgliome und Tumoren im Kleinhirnbrückenwin- kel durch Druck auf den Hirnstamm zu Schluckstörungen führen. Ent- sprechendes gilt für supratentorielle Tumoren, die zu Hirndruck führen oder die Basalganglien infiltrieren.
Angeborene Anomalien im Bereich der hinteren Schädelgrube (Arnold- Chiari-Mißbildung) oder die Syrin- gobulbie sind gelegentlich mit Schluckstörungen verbunden. Je nach Lokalisation und Art des Tu- mors kann in manchen Fällen durch neurochirurgische Intervention oder Strahlentherapie eine Besserung er- reicht werden.
Myasthenia gravis
An eine Myasthenie muß bei jedem Patienten mit Kau- und Schluckstörungen und einer Dyspho- nie (heisere, beim Sprechen undeut- licher werdende Artikulation) ge- dacht werden. Bei der sich primär an der Kau- und Schluckmuskulatur manifestierenden Myasthenie (bul- bäre Myasthenie) ist eine Beteili- gung der Augen oder Rumpf- oder Extremitätenmuskulatur nicht obli- gat. Die Dysphagie kann erstes und lange Zeit isoliertes Krankheitssym- ptom sein. Typischerweise nimmt die Schluckstörung im Laufe des Tages oder während des Essens zu. Man- che Patienten können überhaupt nur morgens nach der Nachtruhe Flüs- sigkeit oder etwas Brei zu sich neh- men. Diagnostisch wegweisend ist - neben dem Nachweis der Azetylcho- linrezeptorenantikörper - der Tensi- lon-Test: Nach intravenöser Tensi- lon-Injektion (2 bis 10 mg intrave-
nös) bessern sich Sprechen und Schlucken für zirka fünf Minuten eindrucksvoll. Zur Dauertherapie wird dann langfristig Mestinon gege- ben, unter Umständen in Kombinati- on mit einer Immunsuppression.
Weitere Erkrankungen, die über eine Störung der neuromuskulären Synapse zu Schluckstörungen führen können, sind der Botulismus (Botuli- num-Toxin) und das Eaton-Lam- bert-Syndrom im Zusammenhang mit einem kleinzelligen Lungenkar- zinom. Selten wird an medikamentös induzierte Störungen der neuromus- kulären Übertragung durch amino- glykosidhaltige Antibiotika zu den- ken sein (12).
Myopathien
Im Erwachsenenalter sind die progressivem Muskeldystrophien am häufigsten mit einer Beteiligung der Gesichts-, Kau- und Schluckmusku- latur Ursache einer Dysphagie. Bei der myotonen Dystrophie (Cursch- mann-Steinert) setzt schon recht früh die Beteiligung der Kaumuskeln und der pharyngealen Muskulatur ein (7). Von den mitochrondrialen Myopathien können einzelne For- men als oculopharyngeale Muskeldy- strophien klinisch auf die Augen-, Kau- und Schluckmuskulatur be- grenzt sein. Entzündliche Myopa- thien (Polymyositis, Dermatomyosi- tis) sowie die im Rahmen von Kolla- genosen (Lupus erythematodes) auf- tretenden Myopathien dürfen wegen der effektiven Behandlungsmöglich- keit nicht übersehen werden. Ent- sprechendes gilt für die bei Hypo-/
Hyperthyreosen auftretenden Myo- pathien. Mit einer speziellen histolo- gischen und enzymchemischen Un- tersuchung sollte möglichst präzise der der Myopathie zugrundeliegende Enzymdefekt identifiziert werden, da in Zukunft zumindest bei einigen der mitochrondrialen Myopathien eine kausale Behandlung durch Er- satz des defekten Enzyms möglich sein wird.
Diagnostik
Mit Hilfe der Ultraschallsono- graphie und Videofluorographie kann man außer der Beeinträchti- gung der Zungenmotilität verschie-
dene Störungen des Schluckaktes (verlangsamter pharyngealer Trans- port, verlangsamte Osophagusmotili- tät, ösophagealer Reflux, verzögert ablaufende Schluckreflexe, nasaler Reflux) nachweisen (10).
Psychogene Schluckstörungen können im Rahmen weiterer, zum Beispiel gastrointestinaler Sympto- me als Ausdruck einer Konversions- neurose durchaus zu differentialdia- gnostischen Schwierigkeiten führen (Globus hystericus). Von Patienten mit diesem Globus-Gefühl wird zwar das Schlucken ängstlich gemieden, der eigentliche Schluckakt verläuft aber ungestört.
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Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -3318-3324 [Heft 41]
Anschrift für die Verfassen
Prof. Dr. med. Hans Schliack Am Ortfelde 95
W-3005 Isernhagen 2 (NB) A1-3324 (48) Dt. Ärztebl. 89, Heft 41, 9. Oktober 1992