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Archiv "Frankreich: Die Misere der „Securité sociale“" (17.10.1991)

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Frankreich:

Die Misere der „Securit6 sociale"

In Frankreich sind 99,9 Prozent der Bevölkerung sozialversichert.

Verschiedene Berufsgruppen haben ihre eigenen Krankenkassen, aber fast alle sind im Dachverband der Sozialversicherung, der 1946 gegrün- deten „Securite sociale", zusammen- gefaßt. Die Krankenversicherung er- stattet dem Versicherten im allge- meinen 70 Prozent der Kosten. Die Kosten für den Krankenhausaufent- halt werden nach dem siebten Tag zu 100 Prozent vergütet. Allerdings muß der Kranke 30 Francs pro Tag aus eigener Tasche bezahlen.

Die Securite sociale steckt seit Jahren in den roten Zahlen. Die De- fizite werden jeweils vom Staat be- zahlt. Der Gesetzgeber hat zwar im- mer wieder versucht, Ordnung in die Finanzen zu bringen, aber die Bemü- hungen brachten keinen Erfolg. Ur- sache: Die Gesundheitskosten gehen zumeist rascher als die Inflation in die Höhe, die Leistungen der Kassen werden in immer stärkerem Maße in Anspruch genommen Jeder Franzo- se hat im Vorjahr rund 9500 Francs für seine Gesundheit ausgegeben.

Dazu kommt das Problem der Arbeitslosigkeit. Man zählt in Frank- reich zur Zeit offiziell 2,6 Millionen Arbeitslose. Aber 100 000 Arbeitslo- se kosten die Securite sociale unab- hängig von der Arbeitslosenunter- stützung vier Milliarden Francs im Jahr. Die Arbeitslosen haben An- spruch auf die Leistungen der Sozial- versicherung, solange sie Arbeitslo- senunterstützung beziehen, aber sie bezahlen keine Beiträge. Darauf ist ein Teil der Fehlbeträge zurückzu- führen. Die Ausgaben der Kranken- versicherung kommen in erster Linie den nicht Aktiven zugute, vor allem den alten Leuten, die mehr medizini- sche Versorgung benötigen; allein die wachsende Zahl der über 70jäh- rigen dürfte die Ausgaben der Kran- kenversicherung bis zum Jahr 2000 um 30 Milliarden Francs pro Jahr ansteigen lassen.

Die Ausgaben der Securite soci- ale erhöhten sich von 15,9 Prozent

des Bruttosozialproduktes im Jahr 1950 auf 31 Prozent im Jahr 1985.

Die Regierung ging einer durchgrei- fenden Reform stets aus dem Weg, da sie weder mit den Arbeitgebern noch mit den Gewerkschaften in Konflikt kommen wollte. Doch wäh- rend das verfügbare Einkommen der Bürger zwischen 1959 und 1984 um etwa 4,2 Prozent pro Jahr anstieg, er- höhte sich die soziale Beitragslei- stung zur gleichen Zeit um sieben Prozent, wobei der Arbeitgeber 62 Prozent des Beitrages zahlte. Ar- beitslosigkeit und Altersversicherung beanspruchen allein 54 Prozent aller sozialen Leistungen (1981: 46 Pro- zent).

Tiefgreifende Reform

ist erforderlich

Die Regierung hat kürzlich eine Studienkommission eingesetzt, die zu dem Ergebnis gekommen ist, daß eine tiefgreifende Reform dringend erforderlich ist. Dabei wurde festge- stellt, daß die Subvention des Staates für die Securite sociale 4,1 Prozent erreicht—wesentlich weniger als in an- deren Ländern. Es gab bisher einen naheliegenden Ausweg. Man erhöh- te einfach die Beiträge. Das ist heute nicht mehr möglich. Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Soziallei- stungen der Arbeitgeber in Frank- reich bedeutend. Sie erreichen 12,9 Prozent des Bruttosozialprodukts ge- genüber 5 Prozent in den USA und 3,5 Prozent in Großbritannien.

Bei jeder Prüfung der Situation muß man indessen davon ausgehen, daß die Securite sociale aus dem All- tag der Franzosen nicht mehr wegzu- denken ist. Meinungsumfragen ha- ben ergeben, daß sie den Franzosen mehr Sorgen bereitet als selbst die Arbeitslosigkeit, die bisher ihr vor- dringlichstes Problem war.

Mehr als 70 Prozent der Kassen- Ausgaben kommen von den langwie- rigen Krankheiten wie Tuberkulose, Krebs oder AIDS, deren Kosten zu

100 Prozent übernommen werden.

Es wurde vorgeschlagen, in das ge- genwärtige System eine Art Sicher- heitsventil einzubauen. Die Ausga- ben für die Behandlungs- und Hei- lungskosten eines Sozialversicherten, der an einer langwierigen Krankheit leidet, sollen einen bestimmten Pro- zentsatz seines Einkommens nicht überschreiten. Statt daß diese Ko- sten voll von den Kassen übernom- men werden, soll geprüft werden, ob sie für die Familie tragbar sind. Da- mit wird unterstellt, daß Wohlhaben- de die Kosten einer langwierigen Krankheit selbst tragen können und die Krankenversicherung nicht in Anspruch zu nehmen brauchen.

Ein anderer Vorschlag geht da- hin, die Leistungen der Krankenver- sicherung den Minderbemittelten zur Verfügung zu stellen, während sich die Bessergestellten an die Pri- vatversicherung wenden müßten.

Oder aber, daß die Kassen den Bes- serverdienenden nur ein Mindest- maß an Leistungen gewähren. Jene, die einen zusätzlichen Gesundheits- schutz wollen, sollten sich an die Pri- vatversicherung wenden.

Diese Vorschläge wurden aus- führlich diskutiert, aber es war den Verantwortlichen sehr wohl bewußt, daß nur eine grundlegende Reform der Finanzierung der Securite soci- ale einen Ausweg aus dem Dilemma bringen kann. Nun wurde vom Parla- ment ein Gesetz verabschiedet, wo- nach ein allgemeiner Solidaritätsbei- trag zur Sozialversicherung in Höhe von 1,1 Prozent aller Einkommen er- hoben werden soll. Aber nur jene ha- ben Beiträge zur „Contribution soci- ale generalise" zu leisten, die von der Einkommenssteuer erfaßt werden.

Ist also auf diesem Weg das Fi- nanzierungsproblem der Securite so- ciale definitiv gelöst? Man sollte die Frage positiv beantworten können.

Das ist jedoch nicht der Fall. Die neue Contribution ist zwar ein Aus- weg aus der gegenwärtigen Krise,

aber sie ist keine definitive Lösung.

Der Trend geht dahin, den gesamten Dachverband der Securite sociale unter staatliche Kontrolle zu

stellen

und die stets wachsenden Fehlbeträ- ge vom Staatsbudget zu überneh- men.

Joseph Hermann, Nizza Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991 (41) A-3507

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