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Archiv "Misere: Leidenspfad des Medizinstudiums" (26.09.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

KUREN und „KUREN"

Ein Thema, das auch den 77. Deut- schen Ärztetag beschäftigte, schneidet der folgende Brief unmißverständlich an: Unzuträglichkeiten bei Kur- und Heilverfahren

Fordernde Patienten

Die Beantragung eines Heilverfah- rens oder einer offenen Badekur wird von vielen Patienten geradezu gefordert. Das Umgekehrte wäre normal, indem der behandelnde Arzt aus gegebener Veranlassung heraus die Durchführung einer sol- chen Maßnahme vorschlägt. Der Patient ist vielfach der Meinung, so etwas stünde ihm zu, er habe ein Anrecht darauf. Inspiriert oder ge- fördert wird diese Meinung durch entsprechende Auslassungen der Kostenträger. Groteske Höhepunk- te sind Veröffentlichungen in der Presse: „Finanzieren Sie Ihren Ur- laub mit Mitteln der Krankenkas- se." Und zum Schluß heißt es selbstverständlich: „Sprechen Sie mit Ihrem Arzt darüber." Lehnt es der Arzt ab, ist er der böse Mann.

Aber wohin führt das Ganze?

Erst dieser Tage sagte mir eine junge Patientin: „Verschreiben Sie mir eine Kur, damit ich mich mal richtig ausschlafen kann." Hier wird von seiten dieser Versicher- ten und im Falle der Gewährung auch von den Kostenträgern be- denken- oder auch gewissenlos mit Millionenbeträgen umgegangen.

Das Volksvermögen wird empfind- lich geschwächt.

Ich denke, man versteht mich rich- tig. Der Rheumatiker soll selbstver- ständlich in sein Thermalbad, der Asthmatiker in den Salinenkurort oder an die Nordsee, der Leber- kranke in den entsprechenen Ba- deort fahren. Sicher ist für viele eine lege artis durchgeführte hy- drotherapeutische Kur von Nutzen.

Doch ein großes Heer von „Kurwil- ligen" gibt offen zu, daß es sich ei- nen zusätzlichen Urlaub oder eine zusätzliche finanzielle Urlaubshilfe

BRIEFE AN DIE REDAKTION

verschaffen will. Wie dann solche

„Kuren" aussehen, ist hinreichend bekannt.

In einer Zeit großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten, Sorge um Le- bensstandard und Geldwertstabili- tät sollte man auch auf dem ange- sprochenen Gebiet zu Konzentra- tionen kommen und nicht leichtfer- tig mit riesigen Geldsummen um- gehen.

Es stünde den Sozialversiche- rungsträgern, den Gewerkschaften, den politischen Parteien gut, mehr auf die Verantwortung des Men- schen für seine Gesundheit im All- tag und vor allem in seiner Freizeit hinzuweisen. Man sollte jedem ar- beitenden Menschen zweimal im Jahr einen ausreichenden Urlaub gewähren und ihn immer wieder darauf aufmerksam machen, wie er diesen gestalten sollte. Der Arzt wiederum sollte nicht mit unsachli- chen Forderungen konfrontiert werden, zumal jeder Krankenkas- senbeamte zum Versicherten sagt:

Gehen Sie nur zu Ihrem Arzt, der wird das schon machen. Hier wer- den die Weichen falsch gestellt.

Wir alle müssen mehr Verantwor- tung für das Ganze, für unser Volksvermögen, zeigen. Und Volks- vermögen ist nicht nur Geld, son- dern ist in erster Linie der Mensch.

Dieser Mensch aber sollte nicht länger aufgerufen werden zur Inak- tivität, zur Trägheit, zur Verantwor- tungslosigkeit. Alle angesproche- nen Denominationen müßten mit dazu beitragen, dem arbeitenden Bürger zur aktiven Gesundheit zu verhelfen. Dies erreicht man kaum durch Riesensummen verschlin- gende, fragwürdige Heilverfahren und Kuren. Dadurch eingespartes Geld könnte leicht auf soziale Ein- richtungen, die unter Geldmangel leiden, umverteilt werden. Und der Arzt muß von einem unleidlichen Entscheidungszwang befreit wer- den.

Dr. med. Eckhard Schierwagen Arzt für Allgemeinmedizin 4 Düsseldorf

Witzelstraße 19

Niederlassungsfreiheit

derzeit bereitet, beamtete Lehrer aufs Land zu bringen, sollte be- kannt sein); vieles erscheint viel- leicht geregelter, einfacher. Aber es handelte sich hierbei um einen trügerischen Schein. Die freie Arzt- wahl hätte keinen Raum mehr. Für das Tun und Lassen des Arztes könnte der Beifall des lenkenden Vorgesetzten unter Umständen wichtiger sein als die Zufriedenheit des Patienten, das Charisma ärztli- cher Dienstleistung ermangelte der Verwurzelung in einer örtlichen und sachlichen Bindung, der An- reiz, durch mehr Leistung zu einem höheren Einkommen zu gelangen, fehlte. Vorteile oder scheinbare Vorteile dieser „Verbeamtung" wä- ren zwangsläufig mit Nachteilen für den Arzt und seine Patienten ver- bunden; im ganzen ergäbe sich weniger Freiheit ohne (sichere) Verbesserung der Versorgung.

Wird aber ein solcher Strukturwan- del vermieden, so kann der mit ihm bezweckte Erfolg auch nicht durch eine Dienstverpflichtung mit oder ohne zeitliche Beschränkung er- reicht werden.

Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt;

„Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden außer im Rahmen einer herkömmlichen all- gemeinen, für alle gleichen öffentli- chen Dienstleistungspflicht."

Eine solche öffentliche Dienstlei- s-tungspflicht für Ärzte besteht nicht und sollte auch nicht begründet werden.

(Der vorstehend veröffentlichte Aufsatz wurde bereits um die Jah-

reswende geschrieben; sein Ab- druck konnte wegen der Überfülle der zur Veröffentlichung im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT anstehenden Manuskripte jedoch erst jetzt erfol- gen. Die Darstellung hat nach un- serer Auffassung aber an Aktualität und Bedeutung nicht verloren. DÄ) Anschrift des Verfassers:

Dr. W. Lenssen Präsident des Verwaltungsgerichts 78 Freiburg im Breisgau Dreisamstraße 9

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 39 vom 26. September 1974 2813

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

BRIEFE AN DIE REDAKTION

MISERE

Die Sorgen, die derzeit viele Medizin- studenten bedrängen, schildert diese Zuschrift aus der Fachschaft Medizin Münster. Der Verfasser ist Mitglied der Sozialliberalen Initiative. Dies, so schreibt er, charakterisiere eine Gei- steshaltung und nicht unbedingt eine Parteizugehörigkeit.

Leidenspfad des Medizinstudiums

Ich freue mich, daß in Ihrer Zeit- schrift im Rahmen der Information zum 77. Deutschen Ärztetag ein so weiter Raum für die momentane Misere im Medizinstudium einge- nommen wurde. Sehr gut übrigens das Referat von Herrn Dr. Oden- bach, das die ungerechte Situation, in der sich zum Beispiel die Stu- denten der sogenannten Über- gangsregelung befinden, ganz klar schildert. ... Es ist nun leider so, daß bisher nur fachinterne Blätter auf die Probleme der Medizinstu- denten aufmerksam gemacht ha- ben, die breite Öffentlichkeit aber nicht informiert wird. Als Mitarbei- ter der Fachschaft Medizin in Mün- ster habe ich dem „Spiegel" einen Bericht über die neue Approba- tionsordnung, deren Unzulänglich- keiten und vor allem die daraus erwachsenen Benachteiligungen für die Studenten geschrieben. Die- ser Bericht wurde mir ohne ein Wort der Erklärung wieder zurück- geschickt. Ähnlich erging es uns bei dem Versuch, andere Publika- tionsmittel für unsere Probleme zu interessieren. Es paßt einfach nicht ins Konzept einer Zeitschrift wie

„Der Spiegel", die das Klischee vom bösen, geldgierigen, sich nicht um das Wohl des Patienten küm- mernden Mediziners aufstellt, daß hier den angehenden Ärzten selbst Unrecht geschieht, daß die Reform des Studiums, von Blättern dieses Schlages ständig gefordert, nur eine Pseudoreform ist, zu deren buchstabengetreuer Durchführung noch dazu nichts vorbereitet ist.

Denn eine echte Studienreform wä- ren vierwöchige ganztägige Block- praktika, die praktische Tätigkeit und Theorie integrieren und die das betreffende Fach mit einer

Endklausur abschließen. Das Prak- tische Jahr bräuchte dann nicht mehr durchgeführt werden. Diese, wie ich meine, echte Reform gibt es an der Universität Münster be- reits an der Medizinischen Polikli- nik und der Frauenklinik. Diese Re- formen aber sind durch das Zu- sammenarbeiten von Hochschul- professoren, Klinikärzten und Me- dizinstudenten entstanden — nicht von Politikern und Verwaltungsbe- amten, die von der Materie — ge- linde gesagt — wenig verstehen.

Dennoch, die Herren in Bonn — par- don, inklusive Frau Katharina Focke

— wollen wider besseres Wissen (denn in Privatgesprächen geben sie alle zu, daß die Übergangsrege- lung zur neuen AO Nonsens ist) nichts mehr ändern. Der lapida- re Satz von Katharina Focke: „Ich lasse mir meinen Reformgedanken nicht kaputtmachen!" Reformge- danke??? Eine Regierung, die sich sozialliberal nennt, läßt hier in ge- nau einem Jahr folgende soziale Ungerechtigkeiten zu:

O

Für die Studenten, die das Me- dizinstudium im Jahre 1970 aufge- nommen haben, verlängert sich das Studium durch das Internats- jahr um ein Jahr; statt sechs Jahre haben wir dann sieben Jahre (!) studiert — denn wir haben bis zum Abschluß der klinischen Semester mindestens elf, oft aber wegen des relativ schwierigen Physikums zwölf Semester bereits studiert.

Wegen der katastrophalen Woh- nungslage an den meisten Univer- sitätsstädten müssen die meisten Studenten für acht Monate (später zwölf Monate) zwei „Buden" finan- zieren. (Anmerkung: in Münster ko- stet bereits ein einfaches Zimmer zur Untermiete 200 DM)

9 Während wir in der Zeit des In- ternatsjahres ähnlich wie Medizi- nalassistenten eingesetzt werden, bekommen wir keinerlei Vergütung, es besteht auch kein Rechtsschutz.

Das Ausmaß dieser Ungerechtig- keiten wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß nur 24 Prozent

aller Medizinstudenten BAFöG- Empfänger [das sind die Bezieher von Unterhaltsmitteln nach dem Bundesausbildungsförderungsge- setz, das das „Honnefer Modell"

abgelöst hat. Die Redaktion.] sind und etwa 50 Prozent der höheren klinischen Semester bereits verhei- ratet sind. Alle diese Probleme sind zumindest von den Fachschaf- ten des Landes Nordrhein-Westfa- lens (Anmerkung: die anderen Me- dizinerfachschaften scheinen zu schlafen. Letztens fragte zum Bei- spiel die Fachschaft Würzburg bei der Fachschaft Köln an, was es denn nun mit dem Internatsjahr auf sich habe?) oft genug dem ent- sprechenden Ausschuß in Bonn zu- geleitet worden. Soweit es sich da- bei um SPD- und FDP-Abgeordne- te handelte, sind alle diese Gründe als nichtig hingestellt worden. Be- sonders die Herren von der FDP haben mich als Liberalen sehr ent- täuscht!

Sehr für unsere Interessen einge- setzt hat sich dagegen Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (CDU) und natürlich der Marburger Bund.

Man muß befürchten, daß der Grund für die Weigerung, das In- ternatsjahr zu ändern, einfach fol- gender ist: es ist den Herren in Bonn einfach ein zu komplizierter Vorgang, ein bereits verabschiede- tes Bundesgesetz wieder zu än- dern ... Unser Fehler war wahr- scheinlich, daß wir nicht wie die anderen Studenten, denen gegen- über wir jetzt „Privilegien" fordern, randalierend den Universitätsbe- trieb gelähmt haben, sondern gear- beitet und Prüfungen gemacht ha- ben. Und — wie ich meine Kommi- litonen einschätze — werden wir wieder stillhalten und den „Lei- denspfad des Medizinstudiums" bis zum bitteren Ende gehen, ein- schließlich Internatsjahr. Und wenn wir approbiert sind, was hält dann die sozialistische Politik für neue Hürden für uns bereit?

Rolf Brandt, cand. med.

3501 Guntershausen Grifto Weg 3

2814

Heft 39

vom

26. September 1974

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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