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11 November 2 01 7 CHF 8.– www .null 41.ch

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Unabhängige Monatszeitschrift für die Zentralschweiz mit Kulturkalender N

O

11 November 2 01 7 CHF 8.– www .null 41.ch

BOA BLEIBT

IM GEDÄCHTNIS UND IM EXIL

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Info-Tage 2017 24./25.11. hslu.ch/infotage-design-kunst

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E DI T OR I A L

In einem Nachruf auf die Boa zitiert Kaspar Surber in der «Woz» den Basler Musikjournalisten Xaver Zimmermann: «(Die Boa) gehört zu den Clubs mit dem besten und innovativsten Programm.» Seit zehn Jahren ist sie Geschichte. Der als Ersatz geplante Südpol wurde nie als solcher wahrgenommen, konnte sich aber als eigenständiges Kulturhaus etablieren. Dem Boa-Groove am nächsten kommt das Neubad, auch wenn der Schwerpunkt da eher auf Co-Working denn auf Revolution liegt.

Hans Stutz schreibt in unserer November-Ausgabe über die politische Boa, ihre Anfänge als Abschlussprojekt von Jugendarbeitern in Ausbildung, ihren stets schweren Stand im offiziellen Luzern, die verpennte Bedrohung durch eine angrenzende Überbauung – die ihr schliesslich den Todesstoss versetzte. Der Boa-Spirit aber lebt weiter:

sei es musikalisch wie im Boa-im-Exil-Kollektiv, sei es ideell wie beim langjährigen Wegbegleiter Orpheo Carcano. Für uns schreibt er, welche Art Kulturhaus heute in Luzern fehlt und warum.

Das 1967 gegründete Kleintheater gibt es noch immer. In dieser Spielzeit feiert es sein 50-Jahr-Jubiläum. Gründer und Kabarettist Emil Steinberger besuchte uns auf der Redaktion und stellte sich unseren Fragen – mit Gesten statt Worten.

Grund zur Freude hat der Künstler Peter Roesch, der am 19. November den Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern 2017 entgegennehmen darf. Niklaus Oberholzer würdigt den eigensinnigen Künstler, der stets zwischen Freiheit und Ausgewogenheit pendelt.

Einiges neu macht der November bei uns: Wir begrüssen herzlich die Autorin Anaïs Meier und die Illustratorin Sarah Elena Müller, die die Literaturkolumne «Meier/Müller bi de Lüt» bespielen.

Ebenfalls frisch ist die letzte Seite: Luca Bartulovic´ erzählt in «Ein Hund mit Migrationshintergrund» von Abenteuern in der Ferne und kulturellen Unterschieden.

Nun träumen Sie von der Ferne – aber bleiben Sie uns erhalten und werfen Sie sich trotz des November-Blues rein ins Kultur-Getümmel.

Boah, Boa!

Ivan Schnyder

schnyder@kulturmagazin.ch

Boa Aussensicht. Bild: Ellen Bühler

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2 Kulturlandschaft 52 HSLU Musik / Stattkino

54 LSO / Luzerner Theater / Romerohaus 56 Kleintheater

58 Neubad / Südpol 66 Haus für Kunst Uri

68 Historisches Museum / Natur Museum

70 Kunsthalle Luzern / Museum Bellpark / Kunsthaus Zug 20 PINK PANORAMA

Lesbischwules Filmfestival im Stattkino 22 PETER ROESCH

Kunst- und Kulturpreisträger der Stadt Luzern 2017

24 GOTTHARDSTRECKE Gehört sie ins Unesco-Welterbe?

KOLUMNEN

6 Doppelter Fokus: Grosse Alpabfahrt in Kerns 8 Meier/Müller bi de Lüt: Sehnsuchtsort

Zentralschweiz (1)

9 Lechts und Rinks: Den Freisinn verstehen (Lektion I)

28 Gefundenes Fressen: Fertigfondue 48 041 – Das Freundebuch: Wittmer & Koenig 49 40 Jahre IG Kultur: Angepisst

78 Käptn Steffis Rätsel

79 Comic: Ein Hund mit Migrationshintergrund SERVICE

29 Bau. Archithese

30 Kunst. Krienser Heimspiel 37 Musik. Experimenteller Pop 39 Kino. Heuchlerische Filmszene 42 Bühne. Fake News im Theater 45 Wort. Junge Literatur im Neubadkeller 76 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz

77 Ausschreibungen, Namen, Preise KULTURKALENDER

51 Kinderkulturkalender 53 Veranstaltungen 71 Ausstellungen Titelbild:

Randy Tischler

Das letzte Konzert in der Boa-Bar

INHALT

18 SAG JETZT NICHTS, EMIL

Gesten zum Kleintheater-Jubiläum

Bilder: Franca Pedrazzetti / Micle Gnos, Backstage die letzten Tage in der Boa

AB SEITE 10 MUSIK & POLITIK

Boa: das Vermächtnis

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SC HÖN G E S E H E N

G U T E N TAG

AU F G E L I S T E T

Der Gemeinderat Adligenswil hat Ende September das Wiedererwägungsgesuch der Kulturkommission zum Wie- dereintritt in die Regionalkonferenz Kultur RKK abgelehnt.

Bei einem Jahresüberschuss ist der Verzicht von Fr. 30 000.–

(knapp über Fr. 5.– pro Einwohnerin und Einwohner) eine Geringschätzung gegenüber den Kulturschaffenden vor Ort und gegenüber des Solidaritätsfonds.

Bild und Transparent: Stephan Wittmer

GUTEN TAG,

PRÄMIENVERBILLIGUNG

Der Kanton gibt’s, der Kanton nimmt’s. Nun müs- sen im Kanton Luzern also rund 8000 Personen provisorisch ausbezahlte Prämienverbilligungen zurücküberweisen – Geld, das sie nicht haben, sonst hätten sie ja keine Prämienverbilligungen gekriegt. Diese scheinen dem Kanton, der sich wohl am liebsten von Staatsaufgaben befreien würde, ein besonders ungeliebtes Stiefkind zu sein. Wur- den die Verbilligungen in der Vergangenheit doch jährlich gekürzt – heuer nachträglich massiv. Die Einkommensgrenze, die zum Anspruch berech- tigt, schob man Jahr für Jahr nach unten. Dank dir, liebe Prämienverbilligung, hat’s der Kanton Luzern gar in «Die Zeit» geschafft. Das Zeugnis, das der Regierung im Artikel ausgestellt wird, ist verheerend. Auch vor Ort geschehen Zeichen und Wunder: Die Krankenkasse Concordia übernimmt die Kosten der bei ihr versicherten Betroffenen freiwillig, die CVP, die im Parlament zusammen mit den anderen bürgerlichen Parteien sämtliche Abbaumassnahmen durchwinkte, forderte in ei- nem dringlichen Postulat, dass es künftig keine Rückzahlungen in der Prämienverbilligung mehr geben darf. Immerhin ein handfester Lichtblick:

Die SP lanciert eine Initiative gegen deine Zusam- menstreichung. Damit an dir nicht mehr nach Lust und Laune herumgeschnippselt werden darf. In diesem Sinne: Operation tot, Patient gelungen.

Bisher unversehrt, 041 – Die Krankenkassenrevue

GUTEN TAG,

MALL OF SWITZERLAND

Am 8. November geht bei dir der Laden auf und bei uns der Laden runter. Dein Hauptinvestor heisst Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan und ist Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate.

In seinem Land wird laut Amnesty International regelmässig die Meinungsfreiheit verletzt und es herrsche ein Klima der Angst. Er ist ausserdem Verwaltungsratspräsident des VAE-Staatsfonds Abu Dhabi Investment Authority, der 450 Millionen Franken in dich hineinbuttert. Unser Regierungs- rat, der mit seiner rein männlichen Besetzung auch etwas an abudhabische Zustände gemahnt, beantragte am 5. September beim Kantonsrat einen (bereits genehmigten) Sonderkredit von 14,5 Millionen Franken für eine Verlängerung der 1er-Buslinie bis just vor deine Betonfüsse. Der letzte Baustein in einer Reihe von Politika, die bis ins vorige Jahrzehnt zurückreichen. Die Zuger Beratungsfirma Creafactory war damals für das Lobbying verantwortlich: «Die Herausforderung bestand darin, ein lokales kostspieliges Projekt so zu ‹verkaufen›, dass der Nutzen für den ganzen Kanton sichtbar wurde – und dies insbesondere in einer Zeit, in der ein Sparpaket dem andern folgt.» Zwischen 2004 und 2008 hast du drei kommunale Abstimmungen gewonnen. Die SP- lerin Silvana Beeler erinnert sich gegenüber der

«Woz»: «Ich wurde von einem Werbeprofi zu einem Gespräch eingeladen. Er sprach von einer drohenden Dreckkampagne gegen mich, in der Privates ausgeschlachtet werden sollte. Es war ein Einschüchterungsversuch.» Wir freuen uns sehr, Mall of Switzerland, dass Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan hier seine Ölmillionen und Meinungsfreiheitsverletzungen deponieren darf.

Machtlos, 041 – Majalat Althaqafa

Die Probleme des kleinen Man- nes und wer schuld ist:

Problem: Flüchtlinge

Schuld: Das linksgrünversiffte Saupack!

Problem: Das linksgrünversiffte Saupack Schuld: Die Verweichlichung der Jugend!

Problem: Die Verweichlichung der Jugend Schuld: Das Schulsystem!

Problem: Das Schulsystem Schuld: Bundesbern!

Problem: Bundesbern

Schuld: Illuminati, Bilderberger und die 77 Hottentotten!

Problem: Illuminati, Bilderberger und die 77 Hottentotten

Schuld: Das eigene Weltbild!

Problem: Das eigene Weltbild

Schuld: Flüchtlinge und das linksgrünver- siffte Saupack!

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D O P P E L T E R F O K U S

Die beiden Luzerner Fotografen Patrick Blank und Mischa Christen zeigen zwei Blicke auf einen Zentralschweizer Anlass, den «041 – Das Kulturmagazin» nicht besuchen würde.

Grosse Alpabfahrt in Kerns, 30. September 2017 Bild oben Mischa Christen, rechte Seite Patrick Blank

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M E I E R / M Ü L L E R B I D E L Ü T

In der Schweiz aufzuwachsen ist schrecklich. Wenn man sich darüber beklagt, wird man jedoch sofort zu- rechtgewiesen. Man solle froh sein, denn die Schweiz sei ein reiches und schönes Land.

Aber alles Geld der Schweiz kann die Langeweile, die ein Teenager hier aushalten muss, nicht gutmachen.

Am schlimmsten ist es, wenn man im Berner Mittel- land aufwächst. Das Berner Mittelland ist der brutalste Ort für Jugendliche, jedenfalls für solche mit Niveau und einem Gespür für Ästhetik.

Es ist der dümmste und hässlichste Flecken Erde, den die Schweiz zu bieten hat. Der hässlichste, weil alles grau ist. Grau, weil dies die Farbe des Nebels ist, der über allem schwebt, und dumm, weil sich die Erde widerstandslos und ohne aufzubegehren von den Mittelländer Bauern in gähnend langweilige Formen pressen lässt.

Zum Glück hatte ich eine Brieffreundin im Thüringer Wald, der ich einmal wöchentlich über mindestens vier A4-Seiten mein Leid klagen konnte. Sie hatte im Kinder- und Jugendmagazin «TREFF» eine Annonce geschaltet: Eine gelangweilte Elfjährige mit den Inte- ressen Schlafen, Fressen und Rumliegen suche ähnlich gelangweilte Jugendliche zwischen elf und sechzehn.

Das war 1995, als Freundschaften frustrierter Teenager tatsächlich noch über Chiffre-Nummern geschlossen wurden. Ich war gerade elf Jahre alt geworden und hoffte, endlich jemanden gefunden zu haben, die meine geistige Reife und das damit einhergehende Leid teilte.

Ihr Name war C. H.1 Sie wohnte in einem kleinen Kaff eine halbe Stunde von Rudolstadt entfernt. Rudolstadt liegt zwischen Erfurt und Weimar. In C. H.s Briefen, auch sie schrieb einmal wöchentlich, wurde offensichtlich, dass der Thüringer Wald genauso weltvergessen sein musste wie das Berner Mittelland. Als wir mit dreizehn noch immer beste Brieffreundinnen waren,2 beschlossen wir, einander zu besuchen.

Als C. H. schrieb, sie freue sich, endlich die Schweizer Berge zu sehen, das sei sicher voll abgefahren, wenn man hinter dem Haus skifahren könne, geschah etwas in mir. Aus irgendeinem Grund schaffte ich es nicht, ihr

Sehnsuchtsort Zentralschweiz (1)

die Illusion von meinem Aufwachsen in einer Schweizer Märchenwelt zu nehmen. Es war also klar, dass ich diejenige war, die den ersten Besuch tätigen würde.

Die Reise in den Thüringer Wald gestaltete sich aben- teuerlich, damals waren das grosse Distanzen. Mit der Postkutsche dauerte die Reise eine ganze Woche. Zum Glück gab es 1997 bereits Züge. Da ich von meinem bis zu C. H.s Wohnort sieben Stunden unterwegs war und fünf Mal umsteigen musste, mieteten meine Eltern ein mobiles Telefon. Kaum war ich in den Zug eingestiegen, stieg das Telefon aus.

Im zweiten Teil von Sehnsuchtsort Zentralschweiz: zwei Reisen, die das Weltbild einer Jugendlichen nachhaltig zerstörten – der Thüringer Wald und die Zentralschweiz. Ausserdem: der Grund, warum der Name von C.H. nicht genannt werden darf!3

Aber zuerst eine Illustration von Sarah Elena Müller mit dem Titel «Jugend in der Ostschweiz».

Text: Anaïs Meier, Illustration: Sarah Elena Müller

1 Weiter unten im Text wird ersichtlich werden, warum ich ihren Namen unmöglich ausschreiben darf. (Und nein, die Initialen sind kein Witz.) 2 Ich hatte noch mindestens zehn andere, viele tendenziell unsympathisch, die aber in exotischen Orten wie Trinidad und Tobago oder Vancouver wohnten (nur die Briefmarken zu sammeln wäre einfacher gewesen).

3 Sie ist heute berühmt!

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Statistik weist auf einen anderen Faktor hin, der deutlich wichtiger ist: Das Wachstum der Beschäftigung konzentrierte sich auf die Zentren und die Hauptverkehrsachsen von Luzern in Richtung Zug/Zürich und Bern/Basel. Eine zentrale Lage und eine gute Erschliessung durch Strasse und Schiene sind offenbar das wirksamere Mittel, um Arbeitsplätze zu schaffen, als es rekordtiefe Unternehmenssteuern sind.

Blättert man im statistischen Jahrbuch zudem nach, in welchen Branchen die Zahl der Arbeitsplätze besonders stark gewach- sen sind, stösst man auf zwei Bereiche: Der eine ist der Immobiliensektor, wo sich im Baugewerbe und im Grundstückshandel ein grosser Jobzuwachs zeigte. Der andere ist der öffentliche Sektor, wo im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich fast 3000 neue Stellen entstanden sind. Auf tieferem Niveau erzielte der Kultur- und Eventbereich übrigens ein noch höheres Wachstum: Hier nahm die Zahl der Vollzeitjobs zwischen 2011 und 2014 um 305 oder um 14 Prozent zu.

Den FDP-Kantonsräten ist in ihren Leser- briefen also ein ganz besonderes Kunststück gelungen: Sie haben für die Steuerstrategie mit Arbeitsplätzen geworben, die sie im Grunde genommen eigentlich lieber abbauen möchten.

L E C H T S U N D R I N K S

Text: Christoph Fellmann, Illustration: Raphael Muntwyler

Den Freisinn verstehen (Lektion I)

Am 8. September fand in Luzern der Akti- onstag gegen das kantonale Abbauprogramm bei Bildung, Sicherheit, Sozialem, Integration und Kultur statt. Am gleichen Tag erschienen in der «Luzerner Zeitung» vier assortierte Leserbriefe von Kantonsräten der FDP. Die vier freisinnigen Herren betonten alle, wie gut die Tiefsteuerstrategie des parteilosen Finanzdirektors Marcel Schwerzmann doch funktioniere. Am 12. September stimmte auch die FDP dem Abbaubudget für 2017 zu, genauso wie die CVP und die SVP.

Ein Argument, das in der Leserbriefakti- on mehrmals angeführt wurde, war dieses:

«Viele Unternehmen kamen nach Luzern und brachten Arbeitsplätze», so Kantonsrat Franz Räber, Emmenbrücke. Und Georg Dubach, Triengen, ergänzte: «Die Aussage, die Steuer- strategie funktioniere nicht, überrascht mich immer wieder. (...) Es entstanden 8000 neue Vollzeitstellen.» Und siehe da, die Zahl war sogar abgerundet: Zwischen 2011, dem Jahr, als die Tiefsteuerstrategie beschlossen wurde, und 2014 nahm die Zahl der Vollzeitstellen im Kanton Luzern um 4,6 Prozent oder 8081 Stellen zu. Quelle: Lustat Statistik Luzern.

Ist die Tiefsteuerstrategie also tatsächlich eine Erfolgsgeschichte, zumindest, was die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft? Ein tieferer Blick in die Statistik zeigt, dass dem nicht so ist: Schon zwischen 2008 und 2011 war die Zahl der Vollzeitstellen in Luzern um

4,4 Prozent gewachsen – und das ganz ohne Tiefsteuerstrategie und obwohl die Wirtschaft damals noch mit den Folgen der Finanzkrise kämpfte. Das gleiche Bild in der statistischen Periode zuvor: 2008 gab es sogar 6,3 Prozent mehr Jobs als 2005.

Als der «Tages-Anzeiger» vor zwei Jah- ren das Luzerner Wirtschaftsdepartement fragte, welche grossen Arbeitgeber mit wie vielen Arbeitsplätzen seit 2011 in den Kanton gezogen seien, erhielt er die Antwort: Es waren 15 Firmen mit 790 Arbeitsplätzen.

Dafür waren allein 2013, im ersten Jahr der Tiefsteuerstrategie, nicht weniger als 724 Briefkastenfirmen nach Luzern gekommen – also Unternehmen, die keine Arbeitsplätze schaffen, die die Steuerabgaben (und die ihrer Kunden) offshore optimieren, die dafür der Luzerner Staatsanwaltschaft einen «massiv höheren Aufwand» wegen Wirtschaftsde- likten bescherten, wie der Oberstaatsanwalt damals erklärte.

Selbst angenommen, alle 15 zugezoge- nen Firmen seien ausschliesslich wegen der tiefen Steuern nach Luzern gekommen: Die Arbeitsplätze, die sie mitbrachten, trugen nur zu knapp einem Zehntel zum Beschäfti- gungswachstum in Luzern bei. Neun Zehntel der neuen Arbeitsplätze wurden von ansäs- sigen Firmen geschaffen, wozu die tiefen Unternehmenssteuern als einer von vielen Faktoren beigetragen haben dürften. Die

Hat die Luzerner Tiefsteuerstrategie tatsächlich 8000 Arbeitsplätze geschaffen, wie es Kantonsräte der

FDP insinuieren? Die Antwort zeigt, wie frei Freisinnige mit Fakten umgehen.

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B OA B E W E GT

Vor zehn Jahren musste die Boa schliessen. Was vor über dreissig Jahren begann, bewegt noch heute. Ein Abriss über die bewegte Geschichte des Kulturzentrums – und was davon geblieben ist.

Von Hans Stutz

Und das ist diese Unruhe,

dieser hellblaue Elch!

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B OA B E W E GT

I

n dieser schwarzgrauen Nacht, genau am 5. November 2007 frühmorgens, hing der Elchkopf noch über dem Eingang zur Boa-Bar. Belegt ist auch: Als der montägliche Arbeitstag den Stadtlärm anschwellen liess, war Davix' einst blauer Kleister-Elch weg.

Gelegentlich sollte er später wieder kurzzeitig auftauchen. Doch das Konzertzentrum Boa blieb geschlossen, für immer. Monate später gestand eine «Elchentführerin, anonym»: Sie seien lange nach dem letzten Konzert «hilflos überdreht und ziemlich betrunken» herum- gestanden. «Diese Situation verlangte nach einem letzten subversiven Akt.» Subversiv?

Widerspenstig gegen wen? Und wann war das denn? Bei welcher Grosswetterlage der städtischen Politik?

Immerhin gehört es zur Oral History, dass die Boa «erkämpft worden», ja sogar einmal «besetzt gewesen» sei, am ersten Juniwochenende 1988 nämlich. Nur: Diese kleine – gemäss Einschätzung der Organisie- renden «illegale, aber legitime» – Aneignung eines leeren Fabrikgebäudes dauerte, samt anschliessender Reinigung, nicht einmal 24 Stunden. Sie aktivierte gegen eintausend Interessierte, die schon kurz nach Mitter- nacht alles Bier, alle Weine und Schnäpse weggeputzt hatten, sodass die Organisieren- den «keine einzige Alkoholleiche» beklagen konnten.

Borstiger Charme der Unruhe

Doch die Boa war immer ein Zwitterding ge- wesen, einerseits eben kultureller Freiraum, angestossen von ein paar Jugendarbeitern in Ausbildung, die ein Abschlussprojekt um- setzten, erkämpft von vielen Kulturbewegten (auch) auf der Strasse und nächtelang rausch- haft verteidigt in der Boa-Bar, geführt von der konsequent demokratischen Bargruppe.

Andererseits ein politisches Zugeständnis der städtischen Bürgerlichen, verwaltet von der AG Boa, später IKU Boa, gegründet hinter- rücks – wider die ersten Boa-Aktivisten – von der IG Kultur, mit unverzüglicher Ori- entierung des Stadtrates, damit dieser nicht böse werde. Dieser Verein wurde der Träger des Boa-Betriebs bis zum traurigen Ende.

Der borstige Charme der Unruhe lebte weiter im Selbstverständnis der Bargruppe.

Sie veranstaltete ab Herbst 1988 – lange vor der offiziellen Eröffnung – in der illegalen, aber geduldeten «Strafbar» Konzerte, Video- aufführungen und anderes. Sie sah sich als

Fest im alten Foyer. Bild: Georg Anderhub, ©Stiftung Fotodok

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B OA B E W E GT

die einzig wahre Vertreterin des Boa-Geistes, sie wollte Autonomie, «Freiraum für Expe- rimente und spontane Aktionen». Sie warf den IKU-Boa-Leuten vor, diese machten aus der Boa «ein bürokratisch verwaltetes Thea- terzentrum». Ein Vorwurf, den die Südpol- Betreibenden knapp zwanzig Jahre später ähnlich auch hören mussten.

Und doch war es ein Aufbruch, der die Stadt – sowohl politisch wie kulturell – von intellektueller Enge wie der freisinnig do- minierten Klientelwirtschaft befreite. Le- benslustig vorgelebt von Franz Kurzmeyer, offiziell Stadtpräsident FDP. Er politisierte

lange Zeit gegen die Anfeindungen seines Herkunftmilieus und seiner Parteifreunde.

Auch wenn die Bürgerlichen noch nicht wissen konnten, dass dreissig Jahre später ihre Dominanz in der städtischen Politik futsch war.

Geburt des Kulturkompromisses Die Bewegten und Bewegenden von 1968 und 1980 (Zürcher Bewegung/Wir sind die Kulturleichen der Stadt) hatten Mitte der 1980er-Jahre kaum Auftrittsorte – ausser ab Frühling 1981 das Musikzentrum Sedel («... sonst sehen wir uns in der Altstadt die Schaufenster genauer an»). Beat Bieri, da- mals Redaktor und Bandmusiker, heute Filmemacher, schrieb 1985 zutreffend, es gebe wohl keine andere Schweizer Stadt,

«in der es solche Schwierigkeiten bereitet, zu vernünftigen Bedingungen einen Saal für Rock- und auch Jazzkonzerte zu finden wie in Luzern.»

Aus eigener Kraft hätten die unzufrie- denen Musiker, Kulturschaffenden und -konsumenten den Mangel nicht ändern können. Doch «tout Luzern» (Bürgerliche Politiker, Hoteliers, Kunstgesellschaft und Musikfestwöchler) wollte ab Mitte 1980er- Jahre ein grosses neues Haus für die Musik- festwochen / IMF (heute Lucerne Festival).

Und alle kulturellen Strömungen hatten, so die gängige und zutreffende Einschätzung,

«Veto-power»: Die Kraft, durch Referenden grosse Pläne scheitern zu lassen, wie es 1985 bzw. 1987 die Promoter einer riesigen und dezentralen Landesausstellung 1991 in allen Zentralschweizer Kantonen hatten erleben dürfen.

Oder anders ausgedrückt: Für den teuren Neubau eines neuen Kunst- und Kongress- hauses mussten die «Nicht-Etablierten»

einbezogen werden. Für die neuen experi- mentellen Kulturformen (Alternativkultur) sollte, so die Empfehlung eines Expertenbe- richts, «die Boa-Liegenschaft erschlossen werden». Dies neben der Schüür und dem

Kulturpanorama. Und so geschah es. Erst viele Jahre später nannte man dieses Ergeb- nis «Kulturkompromiss». Eines aber blieb:

KKL und Lucerne Festival wurden finanziell gehätschelt, der Boa-Betriebskredit reichte gerade, um den Betrieb nicht gleich einstellen zu müssen.

Grösste Bedrohung verpennt

Die Boa war eine kulturpolitische Notwendig- keit, aber sie blieb unbeliebt, schon bevor das noble KKL fertig erstellt war. Von Anwohnern bekämpft mit Anzeigen und Beschwerden, mit juristischen Eingaben gepiesackt von einer rechtsfreisinnigen Anwaltskanzlei.

(Nein, nicht Kurt Bieder!). Von rechten Stadt- parlamentariern argwöhnisch beäugt, da sie links und Anlass jeden nächtlichen Furzes im Quartier sei. Doch das Heraufziehen der grössten Bedrohung verpennten sowohl die Stadtregierung wie das Parlament (alle Fraktionen!) wie alle Boa-Engagierten: die Umzonung einer angrenzenden Baupar- zelle von der Gewerbe- in eine Wohn- und Geschäftszone (mit tatkräftigem Support des Anwaltes Kurt Bieder / ab Herbst 2000 Baudirektor FDP). Das Resultat: Ab 2002 standen drei Wohnblöcke, finanziert von Grossgrundbesitzer Jost Schumacher, mit über 100 Eigentumswohnungen. Später schützte das Bundesgericht eine Lärmklage von Anwohnenden. Die Akzeptanz der Boa

war weiter geschwunden, ein Baukredit ab- gelehnt in einer Referendums-Abstimmung («Partybunker»), gesammelt von der rechts- nationalistischen Chance 21 , unterstützt von mindestens einem Boa-Gewerbetreibenden, ebenfalls Musiker.

November 2007, das Kulturzentrum im Umbau zum Briefverteilungszentrum: Doch damit enden «weder das Bedürfnis nach Freiräumen noch die damit verbundenen Konflikte», so die Herausgeber des Erinne- rungsbuches «ein BOA Teil». Am sichtbarsten in der «Aktion Freiraum» und der gegen sie gerichteten unzimperlichen Polizeirepression (ebenfalls 2007), um den schönen Schein ei- nes Fussballmafia-Events im KKL internatio- nal zu wahren. Der Geist der Boa-Bargruppe – wie auch von Boanova – lebt weiter in «Boa im Exil» (siehe Artikel Seite 14) oder blühte kurzzeitig im besetzten Haus Gundula. Und auch – wenn auch sozialverträglich domesti- ziert – im Neubad. Und wenn nicht domes- tiziert, dann prügelt der «LZ»-Chefredaktor persönlich einen Pfui-Kommentar in den Computer. Und wenn auch, die Unruhe bleibt! So gesittet, ja brav, wie in den ver- gangenen dreissig Jahren agieren (jugend- liche) Subkulturen nicht auf Dauer, selbst in Gesellschaften, die sozialen Ausgleich anstreben und kulturelle Vielfalt fördern.

Und wer weiss, wann sich Jusos und Junge Grüne wieder mit linker und radikaler Kritik auseinandersetzen müssen?

Von rechten Stadtparlamentariern argwöhnisch beäugt, da sie links und Anlass jeden nächtlichen Furzes im Quartier sei.

Mehr Bilder: www.fotodok.swiss/wiki/Kulturzentrum_Boa

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B OA B E W E GT

Boa-Demo, August 1988. Bild: Georg Anderhub, ©Stiftung Fotodok

Interpretenfestival, Jahr und Fotograf unbekannt.

Demo «Boa bleibt», 2003. Bilder: Jeanine Überschlag

Altes Foyer, 1989–94. Bild: Stephan Wicki

(14)

N

ach der letzten Veranstaltung in der Boa liegen sich frühmorgens die verbliebenen Besucher in den Armen. Teils weinend nehmen sie Abschied von einem Ort, der für sie mehr war als nur ein Kulturzen- trum. Hier haben sie lange Jahre gefeiert, diskutiert und auch für dieses Haus gekämpft – bis zuletzt. Spätestens als an diesem Morgen Baumaschinen vor dem Gebäude auffahren, ist das letzte Kapitel der Boa besiegelt. Doch es gibt einen Epilog: Mitglieder der IKU Boa und der ehemaligen Betriebsgruppe gründen mit «Boa im Exil»

ein Kollektiv, das mit unzähligen Konzerten den Geist des alternativen Kulturhauses auch zehn Jahre nach dessen Ende weiterträgt.

Eugen Scheuch, ehemaliger Programmator der Boa, musste an diesem 5. November vor zehn Jahren mit wenig Schlaf auskommen. Am Abend stand in der Bar 59 das erste Konzert unter dem Label Boa im Exil auf dem Programm. Mit der amerikanischen Blues-Folk-Combo Califone gastierte eine Band, die alle Attribute vereinte, die das Musikprogramm der Boa musikalisch ausmachte:

reife, experimentelle, ernsthafte Rockmusik abseits ausgetretener Pfade. Dieser Abend war der Startschuss für eine Konzertreihe, die sich das programmatische Erbe der Boa weiter auf die Fahne schrieb: Qualität und Innovation.

Doch Boa im Exil war kein Selbstläufer: «Kurz vor dem Ende der Boa war bei uns die Luft draussen. Und doch hatten wir das Gefühl, es konnte nicht sein, dass alles an einen Ort gebunden ist. Es musste weiterge- hen», erklärt Scheuch, der Boa im Exil zusammen mit

Die Boa ist zwar Geschichte, doch ihr Geist lebt weiter.

Es sind schätzungsweise 100 Konzerte, die das Boa-im- Exil-Kollektiv in den letzten zehn Jahren organisiert hat: im Uferlos, Sedel, Neubad, in der Jazzkantine oder an Orten, die es nicht mehr gibt, wie dem La Fourmi oder dem Frigorex-Areal.

Von Stefan Zihlmann

Durch

Raum und Zeit

The Keatons in der Boa-Bar, zwischen 1994–1996. Bild: Joe Stefano

Foyer in den letzten Tagen. Bild: Stefanie Simonet

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B OA G E H T W E I T E R

ehemaligen Boa-Aktivisten gründete. Die weiteren Mitglieder sind der ehemalige IKU-Boa-Co-Präsident Tom Burri, Andreas Gschwend, Christoph Kopp und die beiden Techniker Daniel Jutzi und Manuel Holliger.

Nebst Idealismus gibt es auch einen durch und durch pragmatischen Grund, dass Boa im Exil ins Leben gerufen wurde: Die IKU Boa hatte immer noch Budget von der Boa übrig. Und technisches Equipment. Daraus machte Jutzi einen Material-Pool. Dies ermöglichte Konzerte an Orten durchzuführen, die keine eigene Soundanlage besassen, Konzerte in Zwischennutzungen wie dem Frigorex-Areal oder in der kleinen Bar im Romp an der Steinenstrasse.

Grosse Kiste dank offener Rechnung

Viele Konzerte fanden an Orten statt, die es heute nicht mehr gibt, wie zum Beispiel das La Fourmi. Dessen Betreiber Dàire O’ Dùnlaing wusste nur zu gut, wie es ist, wenn die Anwohner wegen

Nachtruhestörung die Polizei rufen.

So insistierte er an diesem Abend, dem 15. November 2008, mehrmals bei Scheuch, dass um 22 Uhr Schluss sein müsse. Auf dem Programm stand die amerikanische Folk-Pop Band She- arwater. Als das Konzert begann, war das La Fourmi nahezu ausverkauft, die Stimmung ausgelassen. O’ Dùnlaing liess sich davon anstecken und sein irisches Temperament flammte auf.

Als Shearwater um Punkt 22 Uhr die Bühne verliessen, stürmte er in den Backstage und rief der Band zu:

«Hey Motherfuckers, go back on Stage!» Etwas perplex ging dann die Band nochmals auf die Bühne und spielte eine Zugabe.

Am selben Abend spielte im Südpol Bohren & der Club of Gore. Der Südpol hatte gerade seine Pforten geöffnet und Animositäten seitens der Alternativkultur gegenüber dem Südpol gehörten noch zum herrschenden Ton. Ironie der Geschichte: Eben diese Bohren & der Club of Gore spielen diesen November im Rahmen des Boa-im-Exil-Jubiläums in der Zwischenbühne Horw.

Auch wenn nicht mehr dieselben finanziellen Mittel zur Verfügung standen wie zu Boa-Zeiten, für eine grosse Kiste reichte es dennoch. Nämlich im März 2009, als nahezu 500 Besucher das Konzert von Animal Collective in der Schüür besuchten. Eine offene Rechnung aus Boa- Tagen machte es möglich, dass diese Band, die dazumal gerade den Zenit ihrer Karriere erreichte, nach Luzern kam. Zwei Jahre zuvor hatte das Tour-Management das schon bestätigte Konzert in der Boa abgesagt, aber versprochen, bei der nächsten Tournee nach Luzern zu kommen. Und dieses Versprechen wurde auch eingelöst

und dies zu einer Gage, die weit unter dem damaligen Wert lag.

Befragt man die Boa-im-Exil-Leute nach ihren schönsten Erinnerungen der letzten zehn Jahre, werden ein Ort und eine Band unisono genannt: das Konzert von O’Death im Frigorex 2011. Hier kam zusammen, was Boa im Exil ausmacht: Aussergewöhnliche Bands spielen an aussergewöhnlichen Orten. Kurz darauf wurde das Areal abgerissen.

Weite stilistische Bandbreite

Danach wurde es still um das Boa-im-Exil-Kollektiv.

Scheuch war nach Prag gezogen und eröffnete dort den Pilot Klub, wo er weiterhin Konzerte organisierte. Im Sommer 2015 schloss der Klub und Scheuch kam aus seinem selbst gewählten tschechischen Exil zurück. Ein Jahr später reaktivierte er das Label Boa im Exil wieder.

Und dies mit ganzem Körpereinsatz, davon erzählt eine grosse Narbe an seinem Arm, die er sich vor einem Jahr zuzog. Es geschah am Abend, als die Cumbia-Band Xixa aus Arizona in der Jazzkantine gastierte. Nach dem Konzert floss der Tequila in Strömen und es dröhnte «Killing In The Name» von Rage Against The Machine aus den Boxen.

Scheuch rutschte auf einer Bierlache aus.

Er brach sich dabei den Arm und musste ins Spital. Die Band tanzte weiter. Tags darauf schrieb der Tourmanager auf Face- book: «After the show last night we were rocking out to Nirvana and our promoter broke his arm.» Eugen schrieb zurück: «It was rage against the machine ...» Treffend war auch die Analyse eines Bandmitgliedes kurz nach dem Unfall, das lapidar meinte: «That happens when europeans wanna dance.»

Seit April dieses Jahres ist Scheuch in einem 20-Pro- zent-Pensum als Booker im Sedel angestellt. So finden nun dort vermehrt Konzerte unter dem Label Boa im Exil statt. «Es ist ein Label, bei dem die Leute wissen, was sie erwartet. Zwar hat es nicht mehr die ganz grossen Namen wie in der Boa, aber es sind immer noch Konzerte, die eine breite stilistische Bandbreite bieten: von Folk bis Punkrock», fasst Scheuch zusammen.

Burri, Gschwend und Kopp hingegen haben sich etwas zurückgenommen, helfen aber zeitweise immer noch bei Anlässen mit, und dies wie früher als Ehren- amt. Die beiden Techniker Holliger und Jutzi arbeiten seit Jahren im Sedel, hocken aber noch immer hinter dem Mischpult, wenn die Veranstaltungskarawane weiter von Ort zu Ort zieht. Und das hoffentlich noch viele Jahre lang.

Boa im Exil: Boren & der Club of Gore, FR 3. November, 20 Uhr, Zwischenbühne, Horw

«Es ist ein Label, bei

dem die Leute wissen, was sie erwartet.»

Eugen Scheuch

Alte Boa-Bar. Bild: Nique Nager

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F E H LT DI E B OA?

D

ie Boa wurde geschlossen und hinterliess of- fensichtlich eine grosse Lücke. Nun hatten Kulturtäterinnen und Kulturtäter zehn Jahre Zeit, diese Lücke zu schliessen. Und man kann kaum behaupten dass dies nicht gelungen sei – wenn es um Inhalte geht. Luzern hat für seine bescheidene Grösse ein erstaunlich reichhaltiges und breites Kulturangebot.

Neue Häuser wie Neubad und Südpol, die ganz anders ticken als die Vermisste, bieten ein spannendes Kultur- programm. Ältere Häuser wie Sedel, Kleintheater oder Schüür haben sich nicht grundlegend verändert, halten ihre einst gefundenen Werte hoch, wie ein Fels in der Brandung der sich allgemein viel zu schnell ändernden Welt. Alle diese und viele andere Häuser leisten eine fantastische Arbeit. Man kann sich fragen, ob Luzern nicht fast ein Überangebot an Kultur hat. Was fehlt nun also wirklich? Ein Mangel ist wohl schon eher in der Gestaltung von Hüllen zu suchen. Zu wenig Punkrock, zu wenig selber basteln und improvisieren. So dass die Luft zum Atmen in einer überstilisierten und durchor- ganisierten Atmosphäre oft fehlt und Gäste zu reinen Konsumentinnen und Konsumenten werden – und schon ist man bei strukturellen und politischen Fragen.

Die Boa entstand zu einer Zeit, wo unter dem Eindruck der 1980er-Unruhen und dieser speziellen Anything- Goes-Stimmung nach dem Ende des Kalten Kriegs eine besonders wohlwollende Situation anzutreffen war, kulturelle Projekte umzusetzen. Systemkritik am Spannungsfeld von Kapitalismus und Demokratie hüben und eine Auseinandersetzung mit dem soeben begrabe- nen Realsozialismus drüben war für Kulturschaffende unabdingbar. Die Bereitschaft, ein Haus zu besetzen, falls Verhandlungen nicht fruchten – also den Staat auf die eigene Kommunikationsebene der Tat hinüberzu- bewegen –, war selbstverständlicher. Dies wiederum hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Strukturen einiger Häuser. Weil Kulturarbeit politisch gedacht wurde, entstand eine grosse Bereitschaft, im Kollektiv mit basisdemokratischen Strukturen zu arbeiten. Man wollte nicht einfach in der bestehenden Welt möglichst

gut funktionieren, sondern diese grundlegend verändern und einen Gegenentwurf entwickeln.

Mehr Ungehorsam und Unvernunft!

Auch in der heutigen Zeit wäre das Politische eine wichtige Aufgabe der Kultur. Wenn also etwas fehlt in Luzern, so ist es ein politisches Haus, das kollektiv ver- waltet wird – ein autonomes Kulturzentrum. Gegenüber solchen Strukturen sind viele Vorurteile vorhanden. Mag sein, dass eine Geschäftsleitung bisweilen effizienter ist.

Aber das ist ja gar nicht die Frage! Man sollte aufhören, kulturelle Arbeit an wirtschaftlichen Massstäben zu orientieren. Klar ist es auch für ein Kulturhaus von Vorteil, sein Budget im Griff zu haben, doch dies soll das Tun und Lassen nicht zu sehr beeinflussen und nicht das Mass aller Dinge werden. Finanzieller Erfolg ist überschätzt. Und viel Macht in wenigen Händen ist nicht erstrebenswert. Die Welt der Kultur soll eine Alternative zur Welt da draussen aufzeigen. Daher ist es wohl ein Missverständnis, ein Kulturhaus mit hierarchischen Strukturen zu betreiben.

Die Erkenntnis dieses wahren Mangels mündet in einen Aufruf zu mehr Ungehorsam und Unvernunft, zum Überdenken bestehender Strukturen, zum Igno- rieren marktwirtschaftlichen Denkens in der Kultur.

Gerade in Zeiten, wo Sparen zur weit verbreiteten Mode und rechtes Gedankengut wieder salonfähig wird, ist es wichtig, eigene Werte zu kreieren und zu etablieren und sich nicht zu sehr auf die von Wirtschaft und Staat geprägte Ebene von Rentabilität und klarer Führungs- struktur einzulassen.

ein BOA Teil.

Maniac Press, Luzern 2008.

256 Seiten. Fr. 20.–. Bestellen via: info@maniacpress.ch

Orpheo Carcano war acht Jahre in der Boa aktiv als Konzert- veranstalter, Barkeeper und vieles mehr, war im Redaktionsteam des Buches «ein BOA Teil» und betreute das Archiv, das im Frühling 2017 ans Stadtarchiv Luzern überging.

Die Boa wird noch immer vermisst. Zumindest hört man das oft sagen – etwa an Konzertabenden, wo die Stimmung mal wieder am Brodeln ist. Auf einen breit gestreuten Aufruf, etwas zu zehn Jahre Schliessung zu planen, meldet sich hinge- gen fast niemand. Fehlt wirklich etwas in der Luzerner Kulturszene? Oder ist das Vermissen pure Nostalgie, Wehmütigkeit, die jede Erinnerung an Vergangenes um- schwebt?

Von Orpheo Carcano

Kultur ist politisch

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F E H LT DI E B OA?

Demo «Boa bleibt», 2003. Bilder: Jeanine Überschlag

Boa-Halle in den letzten Tagen. Bild: Tatjana Erpen

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E M I L U N D DA S K L E I N T H E AT E R

Wie kommt man auf die Idee, ein Kleintheater zu gründen?

Das Kleintheater wird in dieser Spielzeit 50 Jahre alt. Wir schauen mit Gründer Emil Steinberger zurück. Wortlos: fünf Fragen, fünf Gesten.

Fragen: Ivan Schnyder, Bilder: Franca Pedrazzetti

Stumme Antworten von ... Emil

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War das eine gute Idee?

Wann wird aus Kleinkunst grosse Kunst?

Wie unterscheidet sich der Humor der Deutschen von jenem der Schweizer?

Was wäre ein Tag ohne Lachen?

Alle Fragen und Antwort-Bilder von Emil auf www.null41.ch

Emil – No einisch!, SO 5. November, 19 Uhr, Luzerner Theater

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P I N K PA NOR A M A

Das diesjährige Pink Panorama steht unter dem Motto «Next Generation». Vor wie vielen Generationen habt ihr selbst ange- fangen, euch aktiv im Bereich LGBT zu engagieren?

Samyra Mahler: Ich bin schon fast zwanzig Jahre dabei: Damals gab es die Jugendgruppe «Why not», in die ich gekommen bin und wo ich bald mal selbst mitgewirkt habe.

Christian Sprenger: Aktiv bin ich erst seit drei Jahren, und zwar bei Queer Office, einem Kollektiv, das sich für LGBT einsetzt. Dort verwalte ich unter anderem die Social Media und bin für die Home- page zuständig. Passiv dabei bin ich aber eigentlich – nun, mein ganzes Leben schon. Wenn ich so überlege, bin ich ja auch dann Teil eines Aktivismus, wenn ich in eine queere Bar gehe. So zeige ich, dass ich offen dazu stehe und das unter- stütze.

Wie war es für euch damals, die erste Begegnung mit der LGBT-Szene?

Mahler: Ich ging als Erstes zu LesBiSchwul Zug und war ziemlich nervös. Nach und nach baute ich mir im dortigen Treff eine zweite Familie auf, das war sehr wertvoll. Und es war ein schö- nes Gefühl, zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin. Das zeigte sich beispielsweise auch an den Eurogames (lesbischwules Sportereignis, Anm. d. Red.), die 2000 in Zürich stattfanden. Wenn du im Tram sassest, waren um dich rum eigentlich nur Lesben und Schwule …

Das lesbischwule Filmfestival Pink Panorama findet zum 16. Mal statt, die dazugehörige Pink Bar fei- ert ihr 10-Jahr-Jubiläum. Zeit, nachzufragen: Wie war das früher in der LGBT-Szene? Und wie steht’s um die nächste Generation? Samyra Mahler von Pink Panorama und Christian Sprenger von Queer Office geben Antwort.

Gespräch: Anna Rosenwasser, Bilder: Mischa Christen

«Die Mischung zwischen Unterhaltendem und Politischem macht’s aus»

«Es gehört zum guten Ton, eine schwule Figur in einer Serie zu haben.» Samyra Mahler und Christian Sprenger im Gespräch.

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P I N K PA NOR A M A

bewusst einen schmalen Grat, wie schon früher David Bowie.

Sprenger: Wenn ich beispielsweise an Star Trek denke: Vor 40 Jahren wäre die Thematisierung von Homosexualität noch undenkbar gewesen, und im Film letz- tes Jahr haben sie ein Homo-Statement gesetzt – ich hoffe, ich spoiler damit jetzt nicht zu sehr.

Welches sind eure Lieblingsfilme im LGBT- Bereich?

Sprenger: Mein Lieblingsfilm, mit dem ich mich selbst auch das erste Mal identifi- zieren konnte, war «Beautiful Thing». Da begegnen und verlieben sich zwei Nach- barsjungs und müssen mit den ganzen Schwierigkeiten zurechtkommen. Es ist mein Lieblingsfilm, weil ich eine Bezie- hung dazu habe; es war mein Coming- out, für mich persönlich.

Mahler: Lustig, meiner war auch «Beauti- ful Thing»! Momentan ist es effektiv auch

«Moonlight», der ist genial gespielt – und Sex selbst steht da nicht so im Vorder- grund wie etwa bei «Brokeback Moun- tain». Oh, und natürlich «Carol»!

Worauf freut ihr euch neben den Filmen noch?

Sprenger: Am 11. November veranstalten wir vom Queer Office für und mit Pink Panorama die Filmfestival Party – eine Kostümparty mit dem Thema Film; man kann sich also gerne so verkleiden wie der Charakter, den man schon immer mal sein wollte.

Mahler: Am nächsten Abend später feiert die Pink Bar Jubiläum, worauf ich mich besonders freue. Nicht zuletzt freue ich mich auch darüber, dass die Stadt Luzern uns 2016 den Werkbeitrag zugesprochen hat. Anhand solcher öffentlicher Aner- kennung sieht man auch, wie wertvoll der Austausch zwischen der LGBT- und der Heterowelt ist – gerade in Zeiten der AfD, von Trump und diskriminierenden Initi- ativen hierzulande. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir verschiedene Filmfesti- vals haben, die klarmachen: Wir sind da, wir haben ein Recht auf eine Stimme und ein Recht auf Liebe.

Pink Panorama, DO 9. bis MI 15. November, Stattkino, Luzern

www.pinkpanorama.ch Sprenger: Mein erster Berührungspunkt

war, da war ich so um die zwanzig Jahre alt, ein Wochenende für schwule Jugend- liche in Köln. Ich komme aus einem klei- nen deutschen Dörfchen, und dieser erste Ausflug war natürlich speziell: Einerseits kommst du in einen Raum hinein, wo du noch niemanden kennst, andererseits konnte man sich prima öffnen, hatte gemeinsame Gesprächsthemen und Work- shops wie auch Filme. Dieses Wochenende war dann auch gleich das erste Erlebnis, wo ich gemerkt habe, dass ich gar nicht so verkehrt bin.

Von Köln nach Luzern – Christian Sprenger, wie war der Vergleich der LGBT- Szene für dich?

Sprenger: In Köln habe ich sieben Jahre gewohnt. Sie zählte damals als Schwulen- hauptstadt Deutschlands, da waren natür- lich Organisationen und Lokalitäten ohne Ende vorhanden, da ist Luzern schon etwas anderes. Vom Verhältnis her wird hier aber einiges angeboten; was letztlich noch fehlt ist eine Art von Gaybar, die es in Städten wie Zürich gibt.

Mit Pink Panorama hat Luzern ein queeres Filmfestival. Städte wie Zürich, Frauenfeld, Basel und Bern haben das. Ist das zu viel – oder noch immer zu wenig?

Mahler: Für mich steht die Qualität im Vordergrund. Bei den zahlreichen Open- Air-Kinos und Festivals spricht ja auch niemand davon, dass es zu viele sind.

Es ist ausserdem wichtig, in möglichst vielen Städten zu zeigen, dass wir keine Randgruppe sind, um Berührungsängste abzubauen. Deshalb haben wir auch so ein Glück mit dem Bourbaki: Kinobesu- cherinnen und -besucher kommen auch dann in Kontakt mit dem Pink Panorama, wenn sie sich einen anderen Film ansehen oder an unserer Bar Getränke bestellen.

Das macht es so spannend!

Sprenger: Es mag so aussehen, als wäre es viel, aber übers Jahr zusammengefasst sind es nicht mehr so viele – auch, wenn man die Anzahl Leute bedenkt, die in Luzern wohnen.

Hat das Pink Panorama neben dem Unter- haltungswert auch einen politischen Aspekt?

Sprenger: Einerseits, klar, soll es unter- halten. Dafür sind Filme gemacht. Wenn man aber einige Jahre zurückdenkt, gab es auch Nachrichten und Informationen im Kino, und das bringen wir gewisser- massen auch wieder: LGBT-Kino ist mit eine Art der Information, weil die Filme ja einen spezifischen Inhalt haben; es sind nicht einfach irgendwelche Actionfilme.

Mahler: Bei Pink Panorama ist es uns sehr wichtig, dass die Menschenrechte angesprochen werden, um zu zeigen, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.

Die Mischung zwischen Unterhaltendem und Politischem macht’s aus.

Nicht nur die Filme sind Teil des Pink Panorama. Die Pink Bar feiert ja auch ihr 10-Jahr-Jubiläum. Was hat es damit auf sich?

Mahler: Wir wollen einen Treffpunkt vor und nach den Filmen bieten – mittler- weile ist es sogar ein Treffpunkt während der Filme, manche kommen was trinken und gehen dann wieder nach Hause, ohne Kino. Ausserdem ist die Pink Bar im Foyer des Bourbaki, ein eher offener Raum, wo man auch einfach mal neugierig rein- schnuppern kann. Die Pink Bar ist ausser- dem eine Plattform für die verschiedenen LGBT-Vereine aus der Zentralschweiz.

Sind populäre Filme und Serien denn auch queerer geworden?

Mahler: Es gehört zum guten Ton, eine schwule Figur in einer Serie zu haben, etwa bei «How I Met Your Mother» oder

«Big Bang Theory». Aber auch Künstlerin- nen wie Lady Gaga und Madonna gehen

«Es ist ausserdem wichtig, in möglichst vielen Städten zu

zeigen, dass wir keine Randgruppe sind, um Berührungsängste abzubauen.»

Samyra Mahler

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Freiheit und

Gleichgewicht

Am 19. November erhält Peter Roesch den Luzerner Kunstpreis 2017. Das Werk des 1950 Geborenen zeugt von einer subversi- ven Skepsis jenseits vertrauter Muster. Im Dezember ist Roesch im dritten Teil der Ausstellung «Fortsetzung folgt – 140 Jahre HSLU D&K» vertreten.

Von Niklaus Oberholzer

Bild: Clemens Klopfenstein

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K U N S T- U N D K U LT U R PR E I S 2 017

«p.s. Ich suche ein grosses Atelier ich habe viel vor», so schrieb mir Peter Roesch 1981 auf der Rückseite einer Karte mit der mit heftigen Bleistiftstrichen überzeich- neten Abbildung eines grossen Wal-Gemäldes, das er damals in Luzern zeigte. Ich konnte ihm kein grosses Atelier vermitteln. Es fand sich allerdings bald. Und viel vor hatte er stets, bis heute. Karten liess er mir weiterhin zukommen. 1991: Übers Kleinformat ziehen sich in spontaner Bewegung viele schwarze und einige goldgelbe Linien; hier werden sie beinahe von schwarzen Wolken überdeckt, dort liesse sich ihr Gefüge, so man will, als menschliches Gesicht lesen. 1996: Eine schwarze Figur zeichnet eine Linie übers kleine Papier – vielleicht ein Selbstporträt des Künstlers als Zeichner.

Was ist das Kennzeichen von Peter Roeschs Malerei?

Ich verfolge seine Arbeit, wenn auch nicht immer gleich intensiv, seit vielen Jahren. Es gibt da verschiedene Brüche und Neuanfänge und Rückgriffe. Er arbeite- te figurativ, aufgrund von im «Spiegel» publizierten Pressefotos zum Beispiel. Er bezog Antikes oder Kunst der Renaissance in seine Arbeit ein, beschäftigte sich mit dem Motiv der Drei Grazien oder mit Piero della Francescas «Madonna del Parto» und schrieb sich so in die Entwicklungslinie der Kunst ein. Ich kenne Infor- melles, das jede Ahnung von Les- und Benennbarem ausschliesst und uns als Betrachter auf eine Reise der Fantasie schickt. Peter Roesch zeichnet und malt seit Jahrzehnten, doch stets sind seine Zeichnungen male- risch und seine Malereien Zeichnung. Und seit vielen Jahren lässt er in Zusammenarbeit mit Architekten deren Räume zu Farbräumen werden.

Doch ich sehe Konstanten – nicht im Sinn einer stilistischen Entwicklung, nicht im Sinn eines einer inneren Logik folgenden Fortschreitens von einem zum anderen. Und, obwohl er sich über längere Zeit mit einer bestimmten Farbe, mit Orange zum Beispiel, beschäftigte, auch nicht in bestimmten koloristischen Vorlieben und nicht einmal in dieser oder jener Technik.

Jenseits vertrauter Muster

Als eine prägende Konstante sehe ich die Sehnsucht nach einer Freiheit, die dem Künstler alles offen lässt. Es ist das Bekenntnis zum steten Fluss ohne einen vorhersehbaren Ausgang, zum Gang ins Ungewisse, das Scheitern inbe- griffen. Da ist meist kein Gegenstand, den Peter Roesch sich zu malen zum Ziel gesetzt hat. Vielmehr kann ein Beginnen allenfalls zu einem erkennbaren Gegenstand führen – zum Ansatz eines Gesichts zum Beispiel auf der erwähnten kleinen Karte. Vielleicht auch nicht.

Benennbares zu identifizieren bleibt ohnehin unsere Sache: Ich kann den Strich – auf der zweiten erwähnten Karte – weiterdenken, wie ich will.

Doch lässt die Freiheit alles offen? Überall sind in der Sache begründete, aber auch freiwillig sich selbst auferlegte Begrenzungen, zum Beispiel durch das einmal gewählte Format oder durch die Technik: Öl will etwas anderes als Eitempera. Es sind Begrenzungen durch die erste Farbwahl, die einer zweiten Wahl ruft, durch die erste Pinselsetzung auf die Leere der Leinwand, die jede weitere Setzung lenkt und die Freiheit der Leere durchkreuzt.

Es sind zudem, wichtiger noch, Begrenzungen durch jene andere Konstante, die ich in Peter Roeschs Arbeiten sehe – durch das Suchen nach dem Gleichgewicht, das die Arbeiten stets in Balance hält, und das Willkürliche, das mit Freiheitsdrang verbunden ist, in einen übergrei- fenden Zusammenhang fügt. Roeschs Malereien und Zeichnungen sind bei allem Aufbrechen nicht ungestüm, und, bei allem spontanen Greifen nach Neuem, nicht wild. Peter Roesch entwickelt in stetem Pendeln zwischen Freiheit und Ausgewogenheit seine unverwechselbare Handschrift jenseits vertrauter Muster. Selbstbewusst macht er damit Verletzlichkeit und Dünnhäutigkeit seines Tuns deutlich – und, so denke ich, auch ein ständig sich veränderndes Fliessen prekärer menschlicher Existenz.

Vielleicht ist das jenes Kennzeichen seiner Kunst, nach dem ich suche. Ich sehe es als Kennzeichen, das mit subversiver Skepsis über den Bereich der Kunst hi- nausführt in ein gesellschaftliches Bewusstsein. Schön, dass die Stadt Luzern gerade diese künstlerische Haltung mit dem Kunstpreis würdigt.

Peter Roesch (*1950) lebt in Luzern. Er besuchte die Bildhauerklasse der Schule für Gestaltung in Luzern, war 1975–77 Mitglied des Istituto Svizzero in Rom und lebte 1984–1995 in Paris. Ab 1999 Dozent für Malerei und Zeichnung an der Ecole supérieure des beaux-arts in Genf, 2005–2015 mit Caroline Bach- mann Leiter des Ateliers Malerei und Zeichnung an der HEAD (Haute école d’art et de design) in Genf. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, Künstlerbü- cher (zum Beispiel «Bevagna» in den Edizioni Periferia Luzern, 2004).

In der Kunstplattform Akku ist Peter Roesch mit neuen Werken im drit- ten Teil der Ausstellung «Fortsetzung folgt – 140 Jahre HSLU D&K» ver- treten.

SA 9. Dezember bis SO 7. Januar, Kunstplattform Akku, Emmenbrücke Vernissage: FR 8. Dezember, 18 Uhr

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G Ö SC H E N E N

Die Gotthardlinie als Denkmal

Mythen wie die Sage der Teufelsbrücke oder des Schmieds von Göschenen verklären den Gotthard zum immerwäh- renden schweizerischen Schicksalspass. Dabei wären diese Geschichten ohne Eisenbahn kaum noch bekannt. Die Gotthardlinie machte aus dem regional bedeutenden Pass die wichtigste Alpentransversale Europas. Gemäss Guy Marchal (Schweizer Gebrauchsgeschichte, 2007) wurde der Pass deswegen zum Inbegriff des schweizerischen Staates, die Schweiz zum «Gotthard-Staat». Die Gotthardbahn- Gesellschaft machte die Linie zur wichtigsten Tourisms- attraktion der Schweiz. Sie führte die Touristen an der Wiege der Schweiz vorbei über das technische Wunderwerk sicher durch die wilden Alpen in den Süden. Im Zweiten Weltkrieg war die Linie neben dem Bankenwesen einer der beiden Hauptgründe, dass die Schweiz nicht besetzt wurde.

Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016 wird der Mythos einerseits weitergeführt, andererseits die Grundlage des Mythos, die Gotthardlinie von 1882, infrage gestellt.

Die grossen Kosten für den Unterhalt der Eisenbahninfra- struktur von rund 35 Millionen Franken lassen sich kaum

Das historisch wertvolle Bahnhofbuffet in Göschenen wird nur spora- disch genutzt, wie am Symposium «Eine Zukunft für die Verkehrsland- schaft Gotthard» im September 2013. Bild: Milan Rohrer

Mit dem neuen NEAT-Tunnel ist man gut dreissig Minuten schneller im Tessin. Wird die alte Gotthard-Strecke dabei obsolet? Es gibt Bestrebungen, sie fürs Unesco-Welterbe vorzuschlagen. Doch der Bund zaudert.

Von Kilian T. Elsasser

In der Biaschina lassen sich, wie bei einer archäologischen Grabung, die wichtigsten Entwicklungsschritte der Linie ablesen: die ursprüngliche Linienführung, Ausbau auf Doppelspur, Elektrifizierung, Neubau der Brücken. Bild: ZHB Luzern

mit der Erschliessung von Göschenen/Andermatt und der Leventina oder als Denkmal rechtfertigen.

Die Gotthardbahn ist ein Bauwerk von «Outstandig Universal Value». Neben der herausragenden technischen Leistung ist das Bauwerk wegen der grossen Bedeutung für die nationale Identität der Schweiz weltweit einzigartig.

Als Denkmal ist die Gotthard-Bergstrecke in wesentlichen Teilen erhalten. Die Linienführung entspricht dem Zustand der Eröffnung von 1882. Zudem sind die Kehrtunnels und der Scheiteltunnel von Göschenen nach Airolo herausra- gende Bauwerke. Mit der Elektrifizierung entstanden die Kraftwerke in Amsteg und Ambri-Piotta im Heimatstil der 1920er-Jahre. Die SBB ersetzten die Stahlfachwerk- brücken mit Betonbogenbrücken, die sie zur Integration in die Landschaft im Norden mit Granit und im Süden mit Gneis verkleideten. Weil diese Schichten wie bei einer archäologischen Schichtung noch heute ablesbar sind, das heisst auch die Authentizität des Bauwerks gegeben ist, kam der Bund 2014 in Zusammenarbeit mit den SBB und den Kantonen Uri und Tessin zum Schluss, dass die

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A I ROL O

Gotthard-Bergstrecke die Qualität hat, als Unesco-Welterbe eingeschrieben zu werden. Der Bundesrat stellte aber auch fest: «Mit der Kandidatur der Gotthard-Bergstrecke für das Welterbe würde sich die Schweiz verpflichten, deren Bestand und Betrieb langfristig zu sichern.» Darum will der Bund nicht vor 2025 einen Antrag stellen. Er will abwarten, wie die Kantone und die SBB die touristische Vermarktung der Linie vorantreiben. In der Zwischenzeit dürfen die SBB keine Massnahmen ergreifen, die eine Bewerbung als Unesco-Welterbe gefährdet.

Lichtblicke und Schatten

Die Linie verdient es, als Denkmal erhalten, möglichst oft betrieben und als Unesco-Welterbe vermarktet zu werden.

Die Gotthard-Bergstrecke verbindet auf ideale Art und Weise die Ursprünglichkeit der vorindustriellen Kuhschweiz der wilden Alpen mit der Industrieschweiz der Innovation, des Wagemuts und der Verbindung nach Europa. Das Baudenkmal ist seit der Eröffnung des Basistunnels nicht mehr Lastesel der Nation, sondern muss sich langsam zum Roller Coaster entwickeln, der einzigartige Erlebnisse und Einblicke in die Alpenwelt bietet sowie Andermatt mit der Lombardei und dem Mittelland verbindet. Seit 2017 fahren die SBB im Sommerhalbjahr mit dem Pano- ramaexpress über den Gotthard. Von Flüelen fahren sie direkt in das Tessin. Eine App und eine mässig gelungene Lichtschau im Tunnel setzen die Linie in Szene. Uri Tou- rismus entwickelte in Zusammenarbeit mit Erstfeld, den SBB und SBB Historic erste Angebote für Eisenbahnfans und für ein breites Publikum. Auf der Homepage www.

tunnel-erlebnis.ch werden diese vermarktet. In typisch schweizerischer Folklore erscheinen darauf leider keine Angebote von Wassen (Steinbruch Antonini) und Gö- schenen (Rundgang Gotthardtunneldorf). Sie gehören in

den Vermarktungsbereich von Andermatt-Tourismus. In der Leventina ist die Wanderung von Dazio Grande durch die Monte-Piottino-Schlucht nach Faido zu empfehlen. Sie ist das wenig bekannte Pendant der Schöllenenschlucht.

In Biasca ist im ehemaligen Depot ein Swiss Railpark St.

Gotthard geplant. Bis anfangs Januar 2018 läuft im Castello Sasso Corbaro in Bellinzona die Ausstellung «Staunen statt stauen – die Gotthardbahn». Wie diese ersten Projekte beim Publikum ankommen, wird aufzeigen, wie sich die Gotthard-Bergstrecke zur Panoramastrecke entwickelt und wieder ein touristisches Schwergewicht werden kann.

2017 konnte ein erster Versuch, die Strecke mit ei- nem wenig benutzerfreundlichen Angebot der SBB einen langsamen Tod sterben zu lassen, abgewendet werden. Die Südostbahn führt voraussichtlich ab 2020 wieder direkte Züge von Basel und Zürich in das Tessin. Offen ist, ob der Kanton Uri es in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strassen Astra schafft, mit den für die zweite Strassenröhre in Göschenen geplanten Arbeiterunterkünften zur nach- haltigen Entwicklung der Gemeinde beizutragen. Ein erster Vorschlag sieht vor, bis zum Baubeginn 2020 ein Arbeiterdorf und eine Betriebskantine zu bauen. Neu-Göschenen soll am Ausgang des Dorfes gegen die Göscheneralp gebaut werden. Dabei stehen in Göschenen mehrere Häuser leer.

Es wurde bis jetzt nicht geprüft, ob die Kantine im leer stehenden geschichtsträchtigen Bahnhofbuffet eingerichtet werden kann oder wie beim Bau des Brenner-Basistunnels bestehende Hotels als Unterkünfte genutzt werden kön- nen. Die Nutzung bestehender Bauten würde es möglich machen, in diese zu investieren und sie nach Abschluss weiter zu nutzen. Es wäre eine wirtschaftlich interessante Gelegenheit, das Ortsbild von nationaler Bedeutung in Göschenen nicht zur Ruine verkommen zu lassen, dass der Mythos nicht wahr wird – dass Göschenen nur ein Synonym für Stau ist.

Die Monografie Bilderwelten – Künstlerische Reflektionen von Konrad Abegg ist erschienen.

Das Buch umfasst 336 Seiten mit 553 Abbildungen und ermöglicht einen umfassenden Einblick in das Kunstschaffen des Künstlers.

Herzliche Einladung zur Ausstellung und Buchpremiere:

Sonntag | 12. November 2017 | 11 Uhr

Kunsthalle Luzern | Bourbaki Panorama | Löwenplatz 11 | Luzern Infos: www.konrad-abegg.ch

Bestellungen: info@edition-abegg.ch | ISBN 978-3-033-06275-7

… ein Leben lang Bilder schreiben.

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K U LT U R TA N K

Die aktuelle Diskussion um Sparmassnahmen und freies Kulturschaffen pendelt zwischen Freiheits- werten und Erwerbschancen. Während über Konflikte zwischen freiem Schaffen und ökonomischen Zwängen nachgedacht wird, sind in der Praxis die freien Kulturschaffenden längst zu Kulturmana- gern geworden. Zeit für einen nostalgiefreien Blick auf einen Diskurs, der mehr über unsere Ideale als über vergangene Zustände erzählt.

Zur Freiheit der «freien Kulturschaffenden»

D

as «freie» Kulturschaffen ist eine historisch junge Erscheinung. Aus- drücke wie «freie Szene» oder «freie Kulturschaffende» in einem unpolitischen Sinn sind erst seit einigen Jahrzehnten ge- läufig. Der Kunsthistoriker Martin Warnke zeigte, dass Künstler sich noch lange Zeit nach dem Mittelalter als Handwerker verstanden:

«Künstler wurden gebraucht und gerufen wie heute Klempner oder Elektriker.» Als solche hatten sie vielfältige Tätigkeiten. So gingen bedeutende und heute unbezahlbare Maler wie Lucas Cranach oder Hans Holbein ebenso der Bemalung von Hellebarden, der Tischdekoration oder Tüncherarbeiten nach.

Friedrich Gottlieb Klopstock und Chris- toph Martin Wieland gelten als Pioniere der freien Schriftstellerei. Was heisst das? Sie ha- ben sich zu Teilen vom Mäzenentum und von der Ausbeutung der Verleger befreit, indem sie selber als Unternehmer auf dem Markt agierten und beispielsweise mit populären Zeitschriften oder Abonnentensystemen ihr Geld verdienten.

Das Ideal des Schönen und des Genies Zwei kulturelle Vorstellungen sind entschei- dend, um dem Phänomen des freien Kultur- schaffens auf die Spur zu kommen: Freiheit als Zwecklosigkeit und das Genie.

Immanuel Kant dachte, dass Schönheit nur aufgrund eines «interesselosen Wohlge-

fallens» empfunden werden kann. Dies wird erreicht, indem das Schöne keine Zwecke erfüllt. Je ferner von nützlichen und poli- tischen Kontexten, desto ausschliesslicher der Selbstanspruch, rein künstlerischen Werten zu dienen. Schon bald liessen viele Künstler das Wohlgefallen auf der Strecke und liessen die Kunst sich selbst genügen:

«l’art pour l’art».

Wer aber hat das Recht, eine Kunstschaf- fende ohne Zweckorientierung zu werden?

Hier spielt die Vorstellung des Genies eine zentrale Rolle: Mit dem Genie («komischer- weise» fast immer Männer) verbindet sich ebenso die Vorstellung einer ausserordentli- chen, angeborenen Begabung wie auch jene des «freien» Schaffens. Die Genialität nimmt nämlich keine Rücksicht auf Nützlichkeit, Akzeptanz und zeitgenössische Normen. Erst wenn das Genie von allen Zwängen befreit ist, kommt seine Originalität zum Vorschein – so die idealisierende Auffassung. Etwas «frei»

zu schaffen (zumindest es als solches zu inszenieren), war fortan höher angesehen als die technische oder handwerkliche Arbeit.

Bei der Genievorstellung handelt es sich primär um ein elitäres Ideal. In der Praxis sind viele der von uns als Genies verehrten Künstler nie in freien Schaffens- bedingungen situiert gewesen. Heutige freie Kulturschaffende sitzen zwischen Stuhl und Bank, zwischen beseelter Berufung und

professionellem Handwerk sowie zwischen zweckloser Freiheit und Erwerbstätigkeit.

Wollen sie als frei gelten, müssen sie sich der Zwecklosigkeit und der Genieästhetik bedienen. Wenn sie jedoch Anträge stellen, geben sie sich als handwerkliche Arbeiter einer Erwerbsbranche aus. «Freie» Künstler müssen sich in diffuser Weise zugleich als professionelle Arbeiter und leidenschaftliche Ausnahmekönner inszenieren.

Ist man aber einmal «freischaffend» und

«professionell» geworden, kann der Beweis für die eigene Qualität sowie die profes- sionelle Erwerbstätigkeit nur in den von den Kulturförderungen ausgeschriebenen Stipendien und Preisen realisiert werden, womit das seltsame Schauspiel des freien Schaffens und der Förderungsansprüche ihren Lauf nimmt. Freiheit und Unfreiheit sind ein treues Paar. Wer das Erstere will, muss Letzteres zu nutzen wissen.

Tobias Brücker

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K U LT U R TA N K

W

enn wir bedenken, dass eine freie Künstlerin, ein freier Künstler im Allgemeinen rund 80 Pro- zent der Arbeitszeit für Administration und Selbstmarketing aufbringt – und lediglich 20 Prozent der verbleibenden Zeit mit dem ei- gentlichen Schaffen zubringen kann, erstaunt uns das völlig zu Recht. Am Ende ist man geneigt zu fragen, ob freies Kunstschaffen nicht präziser unfreies Kunstschaffen heis- sen sollte? Unfreiheit ist ein hoher Preis für vermeintliche Freiheit. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern beschreibt die Realität vieler sogenannt freier Kunst- und Kulturschaffen- den. Doch die Geschichte der Reihe nach.

Wieso hängen freie Kunstschaffende mitunter ihre künstlerischen Karrieren ab- rupt und resigniert an den Nagel, werfen ihre Pinsel und Werkzeuge ins Korn oder in den Abfalleimer? Kurz darauf verdienen sie ihr tägliches Brot bei einer «normalen»

Tätigkeit wie Pizza liefern oder arbeiten dann halt doch für die «böse» Kreativwirtschaft?

Eine mir bekannte und ehemals «freie»

Textildesignerin beispielsweise arbeitet nun als kaufmännische Angestellte bei einer Krankenkasse – grundsätzlich nicht verkehrt, aber vielleicht auch schade.

Der Preis der Freiheit: Unfreiheit Wollen freie Kulturschaffende von ihrer Kunst irgendwie leben und sich über Was-

ser halten, sind sie neben dem Verkauf der eigenen Kunst auf Förderbeiträge, Stipen- dien, Preisgelder, Werkbeiträge etc. ange- wiesen. Konkret heisst dies für die Praxis, was man vom «Rösslispiel» kennt: «Gump!»

Aufspringen auf ein sich immer schneller drehendes Selbstmarketing-Karussell. Das Karussellpferd hüpft nun gezwungener- massen von Fördergesuch zu Fördergesuch, von Ausschreibung zu Ausschreibung, von Projekteingabe zu Projekteingabe, von Face- book-Post zu Facebook-Post und was es alles noch an Aufmerksamkeitsmaschinen zu bedienen gilt. Und dann ist darüber hinaus netzwerken ohne Ende angesagt: virtuell und physisch.

Netzwerken, die Losung unserer Zeit! Wo bleibt da bloss noch Zeit für das freie Schaffen?

Sollte die Kunst nicht vor dem Management kommen? Und welche Art von Kunst entsteht in der übrig bleibenden Zeit? Eine freie Kunst? Wohl kaum! Zumindest eine Kunst, die ebenso vielen Zwängen unterworfen ist wie deren vermeintliche Gegenpole in den Kulturbetrieben.

Und nicht selten tappt ob diesem Tun ein freier Künstler nebenbei leider in die Armutsfalle, weil es ihm meistens nicht gelingen will, trotz der vielen Arbeit und des unermüdlichen Einsatzes einen angemesse- nen Betrag zu erwirtschaften, der ihm neben den Lebenshaltungskosten beispielsweise den

Aufbau einer Altersvorsorge ermöglicht. So viel zum romantisierten freien Künstlertum.

Wenn also eine freie Szene und freies Kulturschaffen aufrichtig gefördert wer- den sollen, müsste dies konsequenterweise mit «freiem» Geld geschehen. Das Unter- stützungsgeld für die freie Szene sollte von Projekten und Kriterienkatalogen losgelöst und bedingungslos an Künstler als Personen gesprochen werden. Denn nur so kann eine freie, vitale und neue Kunst, die ihren Namen auch verdient, entstehen. Was ist uns eine freie Kunst wert?

Philipp Seiler

Im Kulturtank treffen sich Kulturmanager Philipp Seiler und Kulturwissenschaftler Tobias Brücker. Die beiden reflektieren ausgehend von einem konkreten Ereig- nis eine kulturelle Fragestellung in Theorie (Brücker) und Praxis (Seiler). Ihre Texte verstehen die beiden als Einladung zum Diskurs und als Beitrag zu einem reflektierten und kritischen Selbstverständnis des Kulturschaffens.

Woz, Ausgabe 38/2017, 21.9.2017, «Der Lohn des Künstlers ist der Applaus», Artikel von Silvia Süess

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Fondue. Fertig.

G E F U N D E N E S F R E S S E N

Fünf Caquelons, vier Experten: Geladen zum Fondue-Testessen waren Dominik Flammer, Foodscout, Autor von «Das kulinarische Erbe der Alpen» und des Standardwerks «Schwei- zer Käse», Werner Tobler, Kochgott, Andrea Baumgartner, Mitinhaberin des «Italo His- pano Comestibles» und Koch und Musiker Tobi Kölliker, der im New Yorker Restaurant Roettele wohl mehrere Tausend Fondues zubereitet hat. Was die Juroren nicht wussten:

Sie hatten ausschliesslich Fixfertigfondues zu beurteilen.

Noch vor wenigen Jahren wäre dieses Unterfangen wohl einem Martyrium gleich- gekommen, auch wenn Gerber auf ihrer Website schreiben, sie seien für das beliebteste Fondue der Schweiz zuständig ... Inzwischen aber stellen auch renommierte Käseaficio- nados ihre Fertigmischungen her. Getestet wurden die Hausmischung von Rolf Beeler, die Spezialmischung vom Chäs Barmettler,

die Hausmischung vom Chäs Chäller, das Feinschmeckerfondue von Sepp Barmett- ler aus Stans und das Alpkäse-Fondue der Käserei Bleiki. Jedes Caquelon wurde mit wenig Knoblauch ausgerieben, um dann ohne jegliche weitere Zugabe die Mischung darin aufzukochen. Fertig. Fazit eins: Es gibt tat- sächlich grossartige Fertigmischungen. Fazit zwei: Wenn der Wein schon in der Mischung ist, bleibt die Flasche voll für die Esser. Dito Kirsch. Fazit drei: Obwohl die Geschmäcker verschieden sind und das eine oder andere Fondue beim einen oder anderen Testesser durchgefallen ist, in einem war man sich einig: Fertigfondue-König der Zentralschweiz ist eindeutig Sepp Barmettler aus Stans. Die Mischung des Stanserfladen-Erfinders be- sticht durch seine Würzigkeit. Greyerzer, Appenzeller und Vacherin sind perfekt gereift und sehr ausgewogen gemischt, Wein und Kirsch angenehm wahrnehmbar und das

Fondue schmilzt zu wunderbarer Konsistenz.

Also: Ab ans Caquelon! Zum Schluss eine gute Neuigkeit für Luzerner Käseliebhaber: In der Neustadt gibt es wieder ein Käsefachgeschäft.

In diesen Tagen eröffnet Roli Lobsiger an der Hirschmattstrasse 28 seinen Chäs Chäller. Wie samstags am Helvetiamarkt verkauft er künf- tig auch im Laden seine Käse, die er im über hundert Jahre alten Eiskeller der ehemaligen Molkerei Galliker im Gütschstollen reifen lässt. Dazu ausgesuchte Molkereiprodukte sowie einige hausgemachte Köstlichkeiten wie Senffrüchte und Honige.

Text und Bild: Sylvan Müller

Sepp Barmettler: www.cheesenet.ch

Alp Bleiki und Sepp Barmettler: www.dorfplatz9.ch www.rolfbeeler.ch

www.chäs-barmettler.ch www.chaes-chaeller.ch

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