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A208 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 4⏐⏐27. Januar 2006
Abbruch der Ernährung
Gewissensfreiheit der Pflegenden geht nicht vor.
Der Kläger lebte in einem Pflegeheim, weil er seit einem Suizidversuch an einem apalli- schen Syndrom litt. Sein Be- treuer verlangte im Sinne des Kranken eine Einstellung der künstlichen Ernährung. Dar- aufhin ordnete der behandeln- de Arzt an, diese und die Zu- fuhr von Flüssigkeit zu redu- zieren. Die Leitung des Pfle- geheims weigerte sich aller- dings unter Berufung auf die Pflegekräfte, dieser ärztlichen Anordnung nachzukommen.
Das Oberlandesgericht Mün- chen (Urteil vom 13. 2. 2003, Az.: 3 U 5090/02) entschied daraufhin, dass der Patient gegen den Pflegeheimbetrei- ber keinen Anspruch auf Mit- wirkung an der Herbeifüh- rung seines Todes habe. Die- ser lasse sich weder aus dem
Heimvertrag herleiten, der auf die Bewahrung von Leben aus- gerichtet sei, noch aus dem De- liktrecht.
Nach Meinung des Bundes- gerichtshofs (BGH) ist dage- gen eine den erklärten Willen des Patienten aufrechterhal- tende künstliche Ernährung eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Pa- tient analog § 1004 Absatz 1 Seite 2 in Verbindung mit
§ 823 Absatz 1 BGB verlan- gen kann. Dies gelte auch, wenn der Abbruch der Er- nährung zum Tod führt. Der Heimvertrag berechtige den Betreiber des Pflegeheims nicht, die künstliche Ernäh- rung des Patienten gegen sei- nen – durch den Betreuer ver- bindlich geäußerten – Willen fortzusetzen. Eine solche das Recht auf Selbstbestimmung einschränkende oder dessen Grenzen bindend festlegende Vereinbarung sei nicht rechts- wirksam zu treffen.
Der Heimbetreiber kann sich auch nicht auf das Verwei- gerungsrecht berufen, das sich aus den Rechten seiner Pflege-
kräfte ableiten ließe. Dieses Selbstbestimmungsrecht fin- det laut BGH am entgegenge- setzten Willen des Klägers be- ziehungsweise des für ihn han- delnden Betreuers seine Gren- ze. (Bundesgerichtshof, Be- schluss vom 8. Juni 2005, Az.:
XII ZR 177/03) Be
Ermächtigung von Klinikärzten
Sozialgericht muss nun Einzelheiten prüfen.
Seit dem Beschluss des Bun- desverfassungsgerichts vom 17. August 2004 ist anerkannt, dass auch ein Vertragsarzt ge- gen eine Ermächtigung kla- gen kann. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts haben die Normen des Ver- tragsarztrechts einen entspre- chenden schützenden Charak- ter, weil die Berufsausübung in einem staatlich regulier- ten Markt stattfindet und der Gesetzgeber den niedergelas- senen Vertragsärzten Vorrang
eingeräumt hat (§ 116 Satz 2 SGB V).
Das Bundessozialgericht hat vor diesem Hintergrund neu geurteilt. Danach kann ein Vertragsarzt, der im selben räumlichen Leistungsbereich die gleichen Leistungen anbie- tet wie Krankenhausärzte der- selben Fachrichtung und Qua- lifikation, deren Ermächti- gungen anfechten, wenn diese seine Erwerbsmöglichkeiten einschränken. Wenn die Er- mächtigungen nicht zur Si- cherstellung der Versorgung gerechtfertigt sind, wird der Vertragsarzt in seinem Grund- recht nach Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz verletzt. Dies ist dann der Fall, wenn es keine Versorgungslücke gemäß § 116 Satz 2 SGB V in Verbindung mit § 31a Absatz 1 Satz 2 Ärz- te-Zulassungsverordnung gibt.
Nach diesen Vorgaben muss das Sozialgericht, an das der Fall zur weiteren Sachauf- klärung zurückverwiesen wur- de, nun die Einzelheiten prü- fen. (Bundessozialgericht, Ur- teil vom 28. September 2005, Az.: B 6 KA 70/04 R) Be Rechtsreport