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Archiv "Die Adipositas und die Meinung des Patienten" (27.02.1975)

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Die Adipositas

und die Meinung des Patienten

Viktor Tobiasch

Aus dem Institut zur Erforschung präventiv-medizinischer Fragen e. V.

(Leiter: Professor Dr. med. Viktor Tobiasch) Isny-Neutrauchburg

Mit den verschiedensten Diätformen kann man bei Adipositas im er- sten Anlauf beachtliche Gewichtsreduktionen erzielen, In schweren Fällen wird aber kaum jemals das Normalgewicht erreicht; ist es einmal gelungen, wird es nicht gehalten. Nach unserer Ansicht ist eine Verbesserung der Ergebnisse nur dadurch zu erzielen, daß man die Ansichten des Patienten über seinen Zustand mehr beach- tet. Fehleinschätzungen (zum Beispiel über die gewichtsreduzieren- de Wirksamkeit körperlicher Betätigungen) und falsche Vorstellun- gen (etwa über das, was eine „Normal-Kost" ist) müssen korrigiert werden. -

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

WISSENSCHAFT UND PRAXIS

Die Adipositas ist ein pathophysio- logischer Zustand, der die Men- schen in den hochzivilisierten Län- dern in zunehmendem Maße be- droht. Die Erfolge mit diätetischen Behandlungsmaßnahmen sind im ersten Anlauf in der Regel befriedi- gend; es erreicht aber kaum ein- mal ein Adipöser sein Soll-Ge- wicht. Das hat die Diätetiker veran- laßt, immer neue Ernährungsfor- men auszuprobieren: von kalo- risch-null bis kalorienreich („Iß dich gesund") von fett-(fast)null bis fettreich, von kohlehydrat-(fast)null bis kohlehydratreich (wenn nur die natürlichen Faserstoffe daran blei- ben), Kalorien gar nicht oder vom Computer bis ins kleinste Detail berechnet, wurde in den letzten Jahren alles empfohlen und von Spezialisten erfolgreich ange- wandt. Wenn bloß die leidige Lang- zeitstatistik nicht wäre!

Wir haben in den letzten Jahren mit verschiedenen Diätformen ex- perimentiert und mußten dabei er-

fahren, daß die Zusammensetzung des Essens weniger wichtig ist, als die Einstellung des Patienten zu seinem Zustand. Das gilt sowohl für das Erzielen der ersten thera- peutischen Erfolge, als auch für sein weiteres diätetisches Verhal- ten.

Ansichten der Patienten

Bekannte Gründe, weshalb ein län- geres Fasten von vielen Dicken ab- gelehnt wird, sind:

O Das Essen ist ein Vergnügen.

O Nach einer guten und reichli- chen Mahlzeit wird man verträg- lich, euphorisch, etwas unkritisch und erwirbt sich eine „Bettschwe- re"; man erreicht also einen Zu- stand, der dem nach einem mittel- großen Alkoholgenuß vergleichbar ist. Essen kann eine Surrogathand- lung für andere entgangene Freu- den sein („Kummerspeck").

O In vielen, vor allem bäuerlichen Gegenden, wird nur der Schwerge- wichtige für „voll" genommen.

O Die Ansichten, daß Fettleibig- keit der Eltern durch Vererbung Übergewichtigkeit der Kinder nach sich zieht, daß man im Alter nor- malerweise dick wird, daß „Drü- senstörungen" (welche eigentlich?) zwangsläufig zum Fettansatz füh- ren und daß die „starken Kno- chen" Übergewichte von 30 und mehr Kilogramm erklären, sind weitverbreitet.

O Die Patienten überschätzen um das zehn- bis 20fache (nach eige- nen Befragungen) die gewichtsver- mindernde Wirkung von Kostreduk- tion und körperlicher Betätigung.

o Fehlbeurteilungen physikalisch- medizinischer Anwendungen, be- sonders von Sauna (reiner Wasser- verlust!) und Massage (Gewichts- verlust allenfalls für den Masseur).

O Gewichtsverluste führen zu Ner- vosität (die Nerven müssen in Speck verpackt sein) und Kraftlo- sigkeit.

• Fettleibigkeit ist die beste Pro- phylaxe gegen Tuberkulose, Mali- gnome, Metastasierungen nach Karzinomoperationen (eine An- sicht, die leider auch bei Schwe- stern nicht selten ist und sogar noch von einigen Ärzten vertreten wird), gegen Infekte und vieles an- dere Böse. In einigen Gegenden Deutschlands bezeichnet man den Dicken als „gesund" oder „stark".

572 Heft 9 vom 27. Februar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizi n Adipositas

Dieses ist eine kleine Auswahl von

„Begründungen" einer vorliegen- den und nicht zu bekämpfenden Fettleibigkeit. Meist werden vom Patienten mehrere angeführt.

Wenn also das Essen ein Vergnü- gen und gegen seelischen Kum- mer, Tuberkulose und Karzinom wirksam ist, ein Übergewicht au- ßerdem noch zu einem höheren gesellschaftlichen Ansehen verhilft, warum sollte man dann fasten?

Hinzu kommt die Ansicht, daß man Ererbtes, Drüsenstörungen und starke Knochen mit Diät weder be- kämpfen kann noch es auch nur versuchen sollte.

Weist man fettleibige Patienten auf ihr Übergewicht hin, so hört man nicht selten eine vorwurfsvolle Ent- gegnung: „Wo habe ich denn einen Bauch"? Nennt man ihnen das für sie in Normaltabellen aufgeführte Gewicht, so kommt die entsetzte Antwort, „da wäre ich ja nur noch

Haut und Knochen".

Wir fragen seit längerer Zeit jeden Übergewichtigen, was er für sein Normalgewicht hält, was er für den Hauptgrund des (nach seiner Rechnung!) bestehenden Überge- wichts ansieht, ob er gern abneh- men möchte oder mit seinem Zu- stand zufrieden ist. Sieben Prozent der befragten Männer (Tabelle 1) und über sechs Prozent der Frauen (Tabelle 2) hielten das von ihnen auf die Waage gebrachte Gewicht für normal, dabei waren sie aber um mindestens 21 Prozent überge- wichtig: die Männer im Mittel um 38,9 Prozent, die Frauen sogar um 53,2 Prozent. Ein Mann, der 167 Zentimeter groß war, hielt bei- spielsweise seine 128 Kilogramm für normal.

Zehn Prozent der befragten Män- ner und fünf Prozent der Frauen glaubten, daß sie besonders schwere Knochen hätten. Das Ge- wicht für das Skelett wurde von ih- nen mit zehn bis 80 Kilogramm, im Mittel nahezu mit 40 Kilogramm veranschlagt, während die dünnen Knochen immerhin noch 29,5 Kilo- gramm wiegen sollten. Nach den

Tabelle 1: Vermeintliche Ursachen des Übergewichts bei 300 Män- nern*) - Aus dem „Institut zur Erforschung präventiv-medizinischer Fragen e. V. lsny-Neutrauchburg"

Angegebene Ursache in Prozent

abgerundet

1. Mangelnde Bewegung 30

2. Essen, guter Appetit 20

3. Nicht vom Essen 19

4. „Immer schon" schwer 12

5. Bier 11

6. Knochengewicht 10

7. Veranlagung 10

8. ? 7

9. Aufgeben sportlicher Betätigung 6

10. Hauptmahlzeit abends (warm) 5

11. Aufgeben des Rauchens 4

12. Falsches Essen (fett, süß) 2

13. Wasser trinken 2

14. Nach Operation 2

15. Muskeln 2

Derzeitiges Gewicht wird für normal gehalten 7

*) Mindestens 21 Prozent Übergewicht berechnet nach Metropolitan Life In- surance Company, Statistical Bulletin, Bd. 40, 1959

Tabelle 2: Vermeintliche Ursachen des Übergewichts (400 Frauen)

1. Bewegungsmangel 22

2. ? 18

3. Essen 17

4. Nicht vom Essen 14

5. Falsche Ernährung 9

6. Veranlagung 8

7. „Immer schon" 5

8. Schwangerschaften 5

9. Medikamente 5

10. Starke Knochen 5

11. Klimakterium 4

12. Erzwungene Bettruhe 4

13. Drüsenstörungen 3

14. Abendessen 3

15. Kummer, Aufregungen 3

16. Verstopfung 3

17. Rauchen aufgegeben 1

18. Essen: nicht viel, aber gut 1

19. Wasserretention 1

20. Guter Futterverwerter 1

21. Alter 1

Derzeitiges Gewicht wird für normal gehalten 6,5

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 27. Februar 1975 573

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Adipositas

"Geigy-Tabellen" beträgt das Ge-

wicht des Skeletts aber nur etwa sieben bis acht Kilogramm. Ein 100

Kilogramm schwerer Mann schätz-

te sein Knochengewicht auf 80 Ki- logramm. Solche Patienten wollen möglichst gar nicht, allenfalls nur

"ein paar Pfund" abnehmen, weil

sie sonst "nur Haut und Knochen"

wären.

Dauerergebnisse unbefriedigend Für die Frage, warum der Patient nach guten Anfangserfolgen im häuslichen Milieu versagt und war- um er fast nie sein Normalgewicht erreicht (und hält), gibt es nach un- seren Feststellungen zahlreiche Gründe, von denen hier nur drei erwähnt werden sollen:

.,._ die gewaltige Überschätzung der gewichtsreduzierenden Wirk-

samkeit diätetischer Einschränkun- gen,

.,._ der Einfluß der Familie und .,._ die Fehleinschätzung der "Nor- mai"-Kost.

Überschätzung

diätischer Einschränkungen Man kann davon ausgehen, daß je- der Dicke täglich (mindestens) ei- nige 100 Kalorien über seinen Be- darf hinaus zu sich nimmt. Ißt er dann zum Beispiel ein paar Tage die (fälschlicherweise) in so schlechtem Ruf stehende Suppe nicht und spart dazu vielleicht noch eine Scheibe Brot ein, hat er während des ganzen Tages Hunger und meint, er müsse in einer Woche wenigstens ein Kilogramm abneh- men.

Wenn er dann noch einen Spazier- gang von einer halben Stunde und zehn Kniebeugen gemacht hat, glaubt er, auf der Ausgabenseite noch ein übriges getan zu haben . Stellt er sich dann auf die Waage, (kein Gewichtsverlust!) scheint sie ihm zu beweisen, daß sein Überge- wicht nicht mit dem Essen zusam- menhängt.

Tatsächlich überschätzen Patien- ten aber den Kalorienverlust durch körperliche Betätigungen nicht sel- ten um das Zahnfache. in Wirklich- keit nehmen sie immer noch mehr Kalorien auf, als sie verbrauchen.

Einfluß der Familie

Dem "Einfluß der Familie" erliegen

vorwiegend Männer. Nicht selten berichten uns Patienten, die das

Entwurf zu den Abbildungen: Paul Günther, Augsburg

574 Heft 9 vom 27. Februar 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Aus dem Department für Gynäkologie und Geburtshilfe Abteilung II (Leiter: Professor Dr. med. Christian Lauritzen) der Universität Ulm

Neben der Beseitigung klimakterischer Beschwerden sind Östroge- ne auch zur Prophylaxe und Therapie der Osteoporose geeignet.

Mit ihnen können auch Rückbildungserscheinungen an der Haut verhindert oder beseitigt werden. Ob sie auch eine positive Wirkung auf Blutgefäße, Lipidstoffwechset, Hypertonie und Fettsucht haben, ist noch durch große prospektive Studien zu klären.

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Adipositas

zweite Mal bei uns sind, daß sie nach der letzten Entlassung zu Hause von ihren Ehefrauen mit den Worten empfangen wurden:

„Schaust du aber schlecht aus" (I) tröstend fügten sie hinzu: „Ich krie- ge dich schon wieder hin" (Abbil- dungen 1 und 2).

Fehleinschätzung der „Normal-Kost"

Als entscheidenden Faktor für die schlechten Ergebnisse bei der Selbstbehandlung zu Hause sehen wir aber die sogenannte Normal- kost an. Der Übergewichtige hat er- stens mehr Hunger und zweitens vor allem mehr Appetit als der Nor-

male. Während beim Normalge- wichtigen die Stillung von Hunger und Appetit mehr oder weniger pa- rallel gehen, kommt es beim Adi- pösen zu einer folgenschweren Dissoziation von Hunger und Appe- tit. Nach Stillung seines Hungers bleibt der Appetit (besonders auf bestimmte Nahrungs- und Genuß- mittel, wie Zuckerwaren, Nüsse, Likör) noch bestehen. Er ißt also über seinen — sowieso schon zu großen — Hunger hinaus, um sei- nen Appetit zu stillen. Die dabei konsumierte Menge an Nahrung hält er aber für normal. Er hat sei- nen „gesunden" Hunger ja eben nur gestillt.

Formulierungen wie „An einem Obsttag (bei einer Eierkur usw.) nehme ich ganz schön ab, wenn ich dann aber wieder normal es- se, ist alles schnell wieder beim alten", sind oft zu hören. Hat erst einmal die (bei Adipösen gewöhnli- che) Überproduktion von Insulin begonnen, ist auch der „echte Hunger" vergrößert. Er wird, leider besonders mit Süßem, gestillt, was wiederum die Insulinproduktion an- regt; ein gefährlicher Circulus vi- tiosus kommt in Gang.

Literatur: Tobiasch, V.: „Übergewicht — was tun?" Hippokrates-Verlag Stuttgart 1974

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Viktor Tobiasch 7972 Neutrauchburg (Allgäu)

Christian Lauritzen

Die Behandlung klimakterischer Beschwerden mit Östrogen zeich- net sich durch eine außerordent- lich hohe therapeutische Erfolgssi- cherheit aus. In Doppel-Blind-Stu- dien konnte gezeigt werden, daß Beschwerden, wie aufsteigende Hitze, Schweißausbruch, Schwin- del, aber auch die sekundären Re- aktionen, wie nervöse Reizbarkeit, Tachykardie, Depressionen, Schlaf-

losigkeit und Kopfschmerzen durch die Verabfolgung von Östro- genen in über 80 bis 90 Prozent der Fälle zuverlässig zu beseitigen sind (Tabelle 1). Bei Gabe natürli- cher Östrogene stellt sich häufig ein besonderes Gefühl des Wohl- befindens ein.

Klimakterische Beschwerden, die auf Östrogentherapie nicht anspre- chen, sind im allgemeinen keine echten klimakterischen Beschwer- den. Die Diagnose sollte dann ent- sprechend revidiert werden (Hypo-, Hyperthyreose, Neurose?). Die kör- perlichen Folgen des Östrogen- mangels, wie atrophische Kolpitis, Kraurosis vaginae et vulvae mit

Pruritus und atrophischer Urethro- zystitis sind ebenso sicher durch Östrogenverabfolgung zu verhin- dern oder zu beseitigen (Tabelle 2).

Sonstige prophylaktische und therapeutische Wirkungen der Östrogene

Osteoporose

Nach der Menopause bekommt fast jede Frau (85 Prozent) eine Osteo- porose; man kann beinahe von ei- ner echten Frauenkrankheit spre- chen. Bei Kreuzschmerzen durch Osteoporose sowie Wirbelfraktu- ren, Ulna- und Schenkelhalsbrü- chen nach dem 50. Lebensjahr ist das Häufigkeitsverhältnis von Frau- en zu Männern 6 bis 10 zu 1.

Heute besteht die Möglichkeit, eine beginnende Osteoporose viel früh- zeitiger zu diagnostizieren als das früher der Fall war, und zwar durch Messung der Knochendichte mit- tels Densitometrie sowie durch Be-

KOMPENDIUM

Erfolge

der hormonalen Therapie

klimakterischer Beschwerden

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 27. Februar 1975 575

Referenzen

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