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AUSSPRACHE
Nachdem vor etwa zehn Jahren durch dieselben Autoren die jahr- zehntelang in der Praxis bestens be- währten Säuglingsnahrungen zu Fall gebracht wurden, wovon unter anderen die einst so geschätzte Pe- largon- und Eledonnahrung betrof- fen wurden, stellen nun Droese und Stolley in oben genanntem Artikel lapidar fest, daß die seit der Czerny- Ära geübte Säuglingsernährung mit Frischmilchmischungen, jetzt allge- mein als Zwei-Drittel-Milch gege- ben, ungeeignet sei.
Das ganze geschah offenbar ohne entsprechende klinische Vergleichs- untersuchungen, sondern nur mit der Behauptung ex cathedra, daß
„solche Milchnahrung für Säuglinge eine quantitative und qualitative Un- terernährung bedeute".
Natürlich kann ich eventuelle von ei- nem Forschungsinstitut angestellte ernährungsphysiologische Untersu- chungen nicht nachvollziehen, weh- re mich aber dagegen, daß diese alt- bewährte Ernährung nun plötzlich falsch sein soll.
Nach der letzten Statistik, die ich las, wird noch ein hoher Prozentsatz der Säuglinge mit solchen Frischmilch- mischungen ernährt, besonders in ländlichen Gegenden.
Niemand bezweifelt gewisse Vorzü- ge von Fertignahrungen besonders bei sehr jungen und darmempfindli- chen Säuglingen, und die Einfach- heit der Zubereitung ist natürlich verlockend. Daß aber gesunde Säuglinge ohne Schaden mit Frisch- milchmischungen ernährt werden können und genauso gut gedeihen wie mit Fertigpräparaten, ist die mil-
lionenfache Erfahrung der prakti- schen Kinderärzte.
Der Preisunterschied der beiden Nahrungsformen ist so gewaltig, be- sonders in bäuerlichen Familien mit
„eigener Milch", daß viele Familien sich eine längere Ernährung mit Fer- tigpräparaten nicht leisten können, und ich halte es für unverantwort- lich, die Ernährung mit Frischmilch- mischung als zweitrangig oder gar
„ungeeignet" zu bezeichnen. Hier steht einfach die „Wissenschaft" ge- gen die Erfahrung.
Dr. med. Hopfengärtner Auf dem Klingenberg 32 7170 Schwäbisch-Hall
Schlußwort
Die Bemerkungen des Kollegen Hopfengärtner zeigen, wie wichtig es ist, für die Beurteilung einer Milchnahrung für den jungen Säug- ling außer den Erfahrungen der Pra- xis auch vergleichende Beobach- tungen in der Klinik sowie Untersu- chungen von Funktionen des Ver- dauungsapparates, des Stoffwech- sels und der Nieren als Parameter mit heranzuziehen. Schon Biedert führte die Überlegenheit der Mutter- milch in der Aufzucht von Säuglin- gen im ersten Lebenshalbjahr ge- genüber einer Aufzucht mit Kuh- milchverdünnung mit Kohlenhydrat- zusätzen auf den hohen Fettgehalt und den niedrigen Protein- und Mi- neralgehalt der Muttermilch zurück.
Die Erfolge mit der Czerny-Klein- schmidtschen Butter-Mehl-Nahrung haben diese Vorstellung bestätigt.
Erst in den 50er Jahren gelang es durch Kombination von Kuhmilch- fett mit Keimölen, Fettgehalt und Fettsäurespektrum in Kuhmilchnah- rungen dem der Frauenmilch anzu-
nähern und so die Verträglichkeit von fettreichen Nahrungen zu ver- bessern. Die Erhöhung des Fettan- teils ermöglichte auch eine Reduk- tion des Protein- und Mineralgehal- tes in der Kuhmilchmischung. In ausgedehnten klinischen Ver- gleichsbeobachtungen konnten Jochims sowie E. Schmidt und wir in Stoffwechsel- und Bilanzuntersu- chungen die Überlegenheit dieser
Fett-Kohlenhydrat-angereicherten Milchnahrungen gegenüber der so- genannten klassischen, nur mit Koh- lenhydraten angereicherten Zwei- Drittel-Milch nachweisen.
Wir haben in unserem Aufsatz eine Möglichkeit, aber auch die Bedin- gungen aufgezeigt, eine Fett-Koh- lenhydrat-angereicherte Milchnah- rung aus Frischmilch im Haushalt herstellen zu lassen.
Mit einer solchen Milchmischung kann ein Säugling nach unseren Er- fahrungen ernährungsphysiologisch vollwertig in den ersten sechs Le- bensmonaten aufgezogen werden.
Allerdings ist mit jeder Zubereitung einer Milchnahrung im Haushalt aus Frischmilch aus hygienischen Grün- den ein Risiko verbunden. Das gilt besonders bei Verwendung der so- genannten „Ab-Hof-Milch".
Von Milchforschern und Hygieni- kern wird sogar eine uperisierte so- genannte H-Milch (Fettgehalt 3,5 Prozent) für die Säuglings- und Kleinkinderernährung als Notbehelf angesehen.
Herr v. Harnack hat auf der 63. Ta- gung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde 1965 die Erfahrun- gen der Praxis, der Klinik und der wissenschaftlichen Forschung da- hin zusammengefaßt: „In der künst- lichen Ernährung bieten Fertigprä- parate eine größere Sicherheit als Frischmilchzubereitungen."
Professor Dr. med.
Werner Droese Dr. med. Helga Stolley Forschungsinstitut für Kinderernährung Heinstück 11