• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die Tollwut Tollwut: Neue Strategie bei der Prophylaxe" (23.11.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die Tollwut Tollwut: Neue Strategie bei der Prophylaxe" (23.11.1978)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Tollwut

Tollwut

Zunehmende Verbreitung Verbesserte Prophylaxe

Neue Strategie bei der Prophylaxe

Wolfgang Klietmann

Aus dem Max-Planck-Institut für Virusforschung, Tübingen*)

4.4illiiiri.rellg4StratietAt444,44liffliffle

Trotz vielfältiger Maßnahmen zur Kontrolle der Tierseuche breitet sich die Tollwut in Europa immer weiter aus. Für die klinisch manifeste Erkrankung existiert keine spezifische Therapie. Betreuung des Patienten und Diagnosestellung sind vornehmlich Aufgaben der Intensivmedizin. Die Einführung neuer wirksamer Impfstoffe und die Verfügbarkeit eines potenten homologen Immunglobulins für die aktive und passive Impfung ermöglichen eine risikofreie Prophylaxe und haben das Vorgehen bei der postexpositionellen Tollwutschutz- behandlung grundsätzlich verändert.

Die bisher praktizierte Form der Tollwutimpfung war durch Eigen- schaften, die in der Natur der Impf- stoffe lagen, für den Patienten mit einem erheblichen Risiko belastet und induzierte nur einen immunolo- gischen Schutz, der in seiner Wirk- samkeit häufig fragwürdig blieb.

Epidemiologie

An der Tollwut (Rabies, Lyssa) kön- nen fast alle warmblütigen Wirbel- tiere erkranken, Sie kommen somit auch als potentielle Überträger der Krankheit auf den Menschen in Fra- ge. Trotz der vielfältigen Maßnah- men zur Kontrolle der Tierseuche nimmt die Tollwut in Europa zu.

In den Mittelmeerländern kursiert die Rabies unter Hunden und Katzen vorwiegend als sogenannte urbane Tollwut, während in Westeuropa verschiedene Wildtierpopulationen das Virusreservoir bilden, wodurch die Seuche als sogenannte silvati- sche Tollwut auftritt. Bei den Wild- tieren ist der Rotfuchs Hauptinfek- tionsträger. Unter den Haustieren sind es aber keineswegs die Hunde,

mit denen die Tollwut in erster Linie assoziiert wird, sondern die Rinder, die am häufigsten an Tollwut erkran- ken. Als potentielle Infektionsquelle für den Menschen kommen in erster Linie Haustiere in Betracht.

Ätiologie

Das Rabiesvirus gehört zu den soge- nannten Rhabdoviren. Es hält sich gut bei tiefen Temperaturen und bleibt noch wochenlang bei 4°C in- fektiös. Eine Thermoinaktivierung erfolgt nach einstündigem Erhitzen auf 50°C oder nach fünf Minuten bei 60°C. Auch UV-Licht, Sonnenbe- strahlung, starke Säuren, Laugen, Sublimat sowie Lipidlösungsmittel zerstören die Infektiosität des Erre- gers schnell und vollständig. Das Rabiesvirus ist weltweit in nur einer einzigen antigenetischen Variante verbreitet.

Beim infizierten Tier findet sich das Virus besonders im Zentralnerven- system und im Speichel, aber auch im Urin und gelegentlich in der Milch. Tierinfektionen verlaufen in der Regel letal.

Pathogenese

Im experimentell infizierten Tier ließ sich zeigen, daß das Rabiesvirus entlang der peripheren Nervenbah- nen von der Eintrittspforte des Erre- gers in das zentrale Nervensystem gelangt. Dieser Ausbreitungsmodus dürfte auch beim Menschen bevor- zugt stattfinden. Die menschliche In- fektion kommt meistens durch Biß- verletzungen, gelegentlich aber auch durch Lecken infizierter Tiere zustande. Die intakte Haut bietet je- doch einen sehr guten Schutz. Häu- fig zeigt die Dauer der Inkubations- zeit auch eine Abhängigkeit von der Länge des nervalen Migrationswe- ges des Virus zum ZNS. Die lange Inkubationszeit bei Rabiesinfektio- nen stellt eine wichtige Vorausset- zung für die Chance einer erfolgrei- chen postexpositionellen Impfbe- handlung dar, die das Paradigma par excellence einer Inkubations- impfung repräsentiert.

Klinik

Die Krankheit manifestiert sich beim Menschen nach einer durchschnitt- lichen Inkubationszeit von einem bis drei Monaten mit einer Variations- breite von zehn Tagen bis zu einem Jahr. Bei Kindern wird gewöhnlich eine kürzere Inkubationszeit als beim Erwachsenen beobachtet. Bei schweren Bißverletzungen im Ge-

*) Professor Dr. med. Richard Ernst Bader gewidmet

(2)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tollwut

sieht und an den Extremitäten ist sie gewöhnlich kürzer als bei Verletzun- gen am Rumpf. Aus unbekannten Gründen tritt die Tollwut bei Män- nern siebenmal häufiger auf als bei Frauen, was nichts mit einem mög- licherweise erhöhten Expositionsri- siko zu tun hat. (Ähnlich liegen auch die Verhältnisse bei Tieren.) Etwa die Hälfte aller menschlichen Fälle tritt bei Kindern unter 15 Jahren auf.

Bei Mensch und Tier kann die Ra- bies in zwei unterschiedlichen Krankheitsbildern auftreten, die bei- de auf einer akuten Entzündung des Zentralnervensystems beruhen. Bei der bekannteren Form der aggressi- ven Wut ist vornehmlich das Hirn befallen, während bei der stillen Wut (paralytische Form) vorwiegend das Rückenmark Läsionen zeigt. Kli- nisch lassen sich im Krankheitsver- lauf verschiedene Stadien abgren- zen.

O Prodromalstadium

Während zwei bis vier Tagen besteht ein allgemeines Krankheitsgefühl mit Malaise, Appetitlosigkeit, Kopf- schmerzen, Fieber und Erbrechen.

e Sensorisches Stadium

Im Bereich der Bißstelle (und Kör- perpartie) kommt es bei vielen Pa- tienten zu Parästhesien und einer erhöhten Empfindlichkeit. Es be- steht eine allgemeine vegetative Reizbarkeit, Speichel- und Tränen- fluß, Schwitzen. Ein deutliches Angstgefühl macht sich bemerkbar.

Nach zwei bis sieben Tagen beginnt eine erhöhte Erregbarkeit.

O Exzitationsstadium

Das Leitsymptom dieses Stadiums sind die Spasmen im Bereich der Schlundmuskulatur, die beim Schluckakt ausgelöst werden.

Schon das Anhören fließenden oder tropfenden Wassers kann diese Schlingkrämpfe beim Patienten aus- lösen, was der Krankheit auch den Namen „Hydrophobia" gab. Patien- ten lassen den Speichel (Infektions-

gefahr!) aus dem Mund tropfen, um das Schlucken zu vermeiden. Unter heftigen Konvulsionen mit tonisch- klonischen Krämpfen kann der Tod eintreten.

0 Paralytisches Stadium

Überlebt der Patient das Exzitations- stadium, wird er teilnahmslos, stu- porös und schließlich komatös. Als Folge der neuralen Degeneration kommt es zu einer progressiven pa- ralytischen Symptomatik.

Bei weniger als einem Fünftel der Fälle tritt die paralytische Form (stil- le Wut) ein, ohne daß zuvor ein Exzi- tationsstadium durchlaufen wird.

Paralytische Rabies kann nach Hundebissen auftreten, kommt aber am häufigsten bei Patienten mit Biß von einer tollwütigen Fledermaus vor und Patienten, denen Tollwut- impfstoff verabfolgt wurde. Das un- terschiedliche klinische Bild der ZNS-Erkrankung beruht möglicher- weise auf einer geringgradigen Än- derung des Virus durch die Fleder- mauspassage, oder es hat seine pa- thogenen Eigenschaften unter dem Selektionsdruck der Immunantwort auf die Vakzine modifiziert. Im allge- meinen ist bei der paralytischen Ra- bies der Krankheitsverlauf protra- hiert, und die Patienten können bei Intensivpflege bis zu 30 Tagen über- leben. Als Komplikationen treten be- vorzugt Pneumonien, gelegentlich auch eine Virusmyokarditis auf.

Diagnose

Es existiert keine Möglichkeit, beim gebissenen oder unter Infektions- verdacht stehenden Patienten eine Rabies-Diagnose zu stellen. Der in- kubierte Patient ist auch nicht an- steckungsfähig. Erst bei der klinisch manifesten Erkrankung besteht die Möglichkeit des spezifischen serolo- gischen Nachweises der Erkrankung (hoher Titer neutralisierender Anti- körper in Serum und Liquor). Auch der fluoreszenzserologische Nach- weis von Rabiesvirusantigenen in ei- ner Hautbiopsie eines Patienten kann als Diagnostikum genutzt wer-

den. Solche Patienten sind Virus- ausscheider und damit infektiös!

Beim inkubierten Patienten kann nur durch Untersuchung des Tieres, das als Infektionsquelle verdächtigt wird, die Diagnose des Rabieskon- taktes abgeklärt werden. Bei Rabies- verdacht muß die Tollwutimpfbe- handlung schon vor Eintreffen der Laboratoriumsdiagnose eingeleitet werden.

Therapie

Bei der manifesten Tollwut existiert keine spezifische Therapie. Der Krankheitsverlauf ist infaust. Auch die Gabe von homologem Tollwut- immunserum wurde wiederholt ver- sucht, ohne daß ein Erfolg doku- mentiert werden konnte. In der In- tensivtherapie kommen Schutz vor Licht und Geräuschen, Sedierung (eventuell Narkose) sowie alle Maß- nahmen in Frage, die mögliche Komplikationen verhindern oder behandeln.

Überleben bei Tollwut?

Auch wenn der klinisch manifesten Rabies in Übereinstimmung mit der bisherigen klinischen und wissen- schaftlichen Erfahrung über diese Krankheit eine infauste Prognose gestellt wird, ist damit kein thera- peutischer Nihilismus gemeint. Ein sechsjähriger Junge und eine 45- jährige Frau überlebten nach post- expositioneller Impfung eine klini- sche Tollwut mit Heilung bezie- hungsweise leichter Defektheilung.

Jeder Patient sollte unabhängig von der Erfolgsaussicht auf Heilung mit allen zur Verfügung stehenden sym- ptomatischen Maßnahmen einer In- tensivtherapie versorgt werden, schon wegen der Hoffnung, daß die Diagnose Tollwut auf einem Irrtum beruht. (Differentialdiagnose: Aller- gische postvakzinale Enzephalo- myelitis, hysterische Reaktion auf Biß eines tollwütigen Tieres, Polio- myelitis, Guillain-Barr6-Syndrom, Delirium tremens, Intoxikation mit Belladonna-Alkaloiden.) Daß selbst bei gesicherter Tollwutdiagnose die intensivmedizinische Betreuung in

2820 Heft 47 vom 23. November 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Kombination mit einer (noch relativ zeitig eingeleiteten) postexpositio- nellen Vakzination noch Chancen bietet, beweisen die oben zitierten Fälle. So großartig dieser Erfolg ist, wiegt er doch zahlenmäßig gering gegenüber den klinischen Tollwut- fällen mit letalem Ausgang.

Die Rolle der humoralen Immunität ist wesentlich unklarer für die Über- windung einer Virusinfektion als ih- re präexpositionelle Schutzwirkung.

Die offensichtlich normale Gene- sung von Patienten mit einer Agam- maglobulinämie weist darauf hin, daß noch andere Faktoren als zirku- lierende Antikörper an der Überwin- dung eines Virusinfektes beteiligt sein müssen. Neben einer funktions- tüchtigen zellulären Immunität und dem Interferon sind auch noch we- niger erforschte Mechanismen be- teiligt, wie virusneutralisierende In- hibitoren, die Phagozytose und die Körpertemperatur.

Übertragung der Tollwut von Mensch zu Mensch — Quarantäne Quarantänebestimmungen für Toll- wutpatienten bestehen nicht. Der als infiziert anzusehende Patient ist während seiner Inkubationszeit nicht infektiös. Erst wenige Tage vor Auftreten der klinischen Symptoma- tik und während der akuten Krank- heit können Speichel, Tränen und Urin Viren enthalten. In solchen Fäl- len ist eine Vakzination bei den Kon- taktpersonen idiziert. Ärzte und Pfle- gepersonal einer Intensivstation, die die Behandlung eines klinisch mani- festen Tollwutfalles übernehmen, sollten über einen vollen Impfschutz verfügen, damit sie sich ohne Furcht vor einer Infektion dem Patienten widmen können. Die Mensch-zu- Mensch-Übertragung der Tollwut spielt praktisch eine untergeordnete Rolle, stellt aber eine potentielle Ge- fahrenquelle dar. Die Literatur ent- hält darüber mehrere Berichte.

Meldepflicht

Meldepflicht besteht bei Verdacht, Erkrankungs- und Todesfall. Als

Verdacht gelten: Verletzung (Biß) durch ein tollwütiges oder tollwut- verdächtiges Tier sowie der Kontakt (Berührung) eines solchen Tierkör- pers.

Prophylaxe und Impfbehandlung Die Schutzimpfung ist die alleinige sichere medizinische Maßnahme zur Verhinderung der Tollwut. Sie kann als prophylaktische (präexpositio- nelle) Maßnahme bei Personen mit einem besonderen Expositionsrisiko gegenüber Rabies, Veterinäre, Jä- ger, Förster, Landwirte, Tierhalter, Metzger, Laboratoriumspersonal, Briefträger, Touristen in Epidemie- gebieten, durchgeführt werden.

Weitaus häufiger wird sie als postex- positionelle Impfung (sogenannte Tollwutimpfbehandlung) bei Perso- nen nach stattgehabter oder vermu- teter Rabiesinfektion durchgeführt.

Bei der postexpositionellen Impfung nutzt man die relativ lange Inkuba- tionszeit für eine Immunisierung aus. Das Dilemma des Arztes be- stand bisher im Abwägen der Immu- nisierungsrisiken gegenüber dem Risiko einer sich entwickelnden Tollwut.

Inaktivierter Tollwutimpfstoff (HDC) ad usum humanum 1 )

Der von Koprowski und Wiktor am Wistar Institut in Philadelphia (USA) entwickelte inaktivierte Tollwut- Impfstoff (HDC) stellt ein Präparat dar, das die Idealforderung an eine Vakzine bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit weitgehend erfüllt.

Seit 1972 wurde der Impfstoff in den USA und anderen Ländern, dar- unter auch in der Bundesrepublik Deutschland (Essen und Tübingen), in Feldversuchen erfolgreich am Menschen eingesetzt und erprobt.

Diese jetzt auch in der Bundesrepu- blik Deutschland zugelassene Vakzi- ne unterscheidet sich in Herstel- lungsverfahren und Zusammenset- zung grundlegend von früheren Tollwutimpfstoffen. Als Substrat für die Vermehrung des Impfvirus wer- den menschliche diploide embryo- nale Zellen benutzt. Diese Zellkultu-

ren aus embryonalen Lungenfibro- blasten sind völlig frei von neuralen Komponenten. Außerdem besitzen sie für den Menschen nur homologe Zellantigene. Die Inaktivierung des Impfvirus erfolgt wie bei dem bisher verwendeten Entenembryoimpfstoff mit beta-Propiolacton. Durch den nach Reinigung erzielten hohen Vi- rusgehalt und die damit verbundene hohe Antigenität der Vakzine sind für eine prophylaktische Impfung nur noch drei, für eine postexposi- tionelle Impfung nur noch sechs In- jektionen erforderlich.

Es werden sehr schnell und zuver- lässig hohe Titer neutralisierender Antikörper gegen das Tollwutvirus beim geimpften Patienten induziert;

die Verträglichkeit der Präparate kann als sehr gut bezeichnet wer- den. Nebenwirkungen, wie sie von früheren Tollwutimpfstoffen be- kannt sind, konnten nicht mehr be- obachtet werden. Die Vakzine ent- spricht den neuesten Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Bundesgesundheits- amtes (BGA).

Die gute Verträglichkeit des Impf- stoffes erlaubt auch eine wesentlich weitere Indikation zu seiner Anwen- dung zu stellen.

Impfplan — Dosierung — Indikation Die Einzeldosis des gefriergetrock- neten Impfstoffes beträgt für Kinder und Erwachsene 1,0 ml. Die Applika- tion erfolgt vorzugsweise intraglu- täal.

Präexpositionelle Impfung gegen Tollwut (Prophylaxe) Eine vorbeugende Impfung gegen Tollwut besteht aus drei Injektionen an den Tagen 0, 7 und 21 (als Tag 0 gilt der Tag der ersten Injektion) oder 0, 28 und 56.

1) In der Bundesrepublik Deutschland sind zwei Präparate zugelassen:

1. Tollwut-HDC-Vaccine Behringwerke®

2. Inaktivierter Tollwut-Impfstoff (HDC) ad usum humanum Märieux/Rhodia Pharma®

(4)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tollwut

Indikation —

Dauer des Impfschutzes

Eine präexpositionelle Tollwut- schutzimpfung ist bei erhöhter Ex- positionsgefahr indiziert. Diese ist bei bestimmten Risikogruppen ge- geben. Eine ausreichende Immuni- tät besteht während drei bis fünf Jahren. Es empfiehlt sich eine Auf- frischungsimpfung in Intervallen von drei Jahren. Ein entscheidender Vorteil der prophylaktischen Imp- fung liegt in der Tatsache begrün- det, daß im Expositionsfall in Abhän- gigkeit vom Zeitpunkt der durchge- führten Immunisierung entweder ein voller Impfschutz besteht oder zu- mindest eine boosterfähige Grund- immunität (wahrscheinlich lebens- lang!) vorhanden ist.

Postexpositionelle Tollwutschutzimpfung

0 Patienten ohne

Grundimmunisierung gegen Tollwut

Eine vollständige postexpositionelle Impfbehandlung besteht für zuvor nicht grundimmunisierte Personen (Erwachsene und Kinder jeden Al- ters) aus sechs Injektionen, von de- nen die erste möglichst unmittelbar nach der Exposition und je eine wei- tere am 3., 7., 14., 30. und 90. Tag nach der ersten Injektion verab- reicht wird (als Tag 0 gilt der Tag der ersten Injektion).

Patienten mit Grundimmunisierung

Bei vorhandener Grundimmunisie- rung, die durch einen inaktivierten Tollwutimpfstoff (HDC) induziert wurde und nicht länger als drei Jah- re zurückliegt, genügen nach WHO- Empfehlungen zwei Auffrischimp- fungen (Tag 0 und 10). Falls irgend- welche Zweifel über die Art und An- tigenität des früher zur Immunisie- rung verwendeten Impfstoffes be- stehen, ist wie bei Patienten ohne Grundimmunisierung zu verfahren.

Grundsätzlich sind auch die mittels früher benutzter Tollwutimpfstoffe (zum Beispiel Entenembryovakzine)

induzierten Grundimmunitäten (mit meist sehr niedrigen Titern) auf- frischbar. Eine deshalb eventuell mögliche Reduktion der zu verabfol- genden Impfdosen kann nur unter gleichzeitiger serologischer Kon- trolle der Titer neutralisierender An- tikörper in Beratung mit einem Ex- perten verantwortet werden.

Indikation

Bezüglich einer postexpositionel- len Tollwutimpfung (Wutschutzbe- handlung) gelten die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (siehe Tabelle 1). Aufgrund dieser Tabelle besteht Verdacht auf eine Tollwutinfektion immer bei Verlet- zung oder Beleckung durch ein toll- wutkrankes oder tollwutverdächti- ges Tier. Alle Personen, bei denen die Gefahr einer Tollwutinfektion besteht, sind unverzüglich zu impfen.

Der inaktivierte Tollwutimpfstoff (HDC) ermöglicht abweichend von der WHO-Tabelle (Tabelle 1) auf- grund der sehr guten Verträglichkeit des Präparates, die Indikation zur Impfung sehr viel weiter zu stellen.

Im Zweifelsfall kann immer geimpft werden. Falls sich das tollwutver- dächtige Tier im Laufe der eingelei- teten Behandlung als negativ er- weist, sollte die Immunisierung nie- mals abgebrochen, sondern als pro- phylaktische Impfung weitergeführt werden.

Kontraindikationen

0 Prophylaktische (präexpositionelle) Impfung

Patienten, die sich einer prophylak- tischen Impfung unterziehen, sollen klinisch gesund sein. Für die vor- beugende Impfung sind die bei allen Impfbehandlungen relevanten Krite- rien zu beachten. Von der prophy- laktischen Impfung sind Schwange- re vorsichtshalber auszuschließen.

Zwischen einer Pockenerstimpfung und einer Injektion des Tollwutimpf-

stoffes soll ein Abstand von einem Monat eingehalten werden. .Beson- dere zeitliche Abstände zu anderen Impfungen sind bei Verwendung der inaktivierten Tollwutvakzine (HDC) im Gegensatz zu früher gebräuchli- chen Tollwutimpfstoffen nicht erfor- derlich.

Postexpositionelle Tollwutimpfung (Wutschutzbehandlung)

Bezüglich einer Wutschutzbehand- lung gelten die Richtlinien der WHO.

Da bisher keine spezifischen Be- handlungsmöglichkeiten einer klini- schen Tollwut bestehen, ist für die Einleitung einer postexpositionellen Impfbehandlung ausschließlich auf der Grundlage des stattgehabten In- fektionsrisikos nach der Exposition zu entscheiden.

Schwangerschaft: Für eine indi- zierte Tollwutimpfung stellt eine Schwangerschaft keine Kontraindi- kation dar. Da es sich bei dem inakti- vierten Tollwutimpfstoff (HDC) um einen Totimpfstoff handelt, sind aus virologischer und immunologischer Sicht auch keine teratogenen Wir- kungen zu erwarten. Diese Annahme wird auch durch die wenigen bisher von uns dokumentierten Fälle von Schwangerschaftsimpfungen bestä- tigt, wo bei Mutter und Kind keine negativen Auswirkungen der Imp- fung festgestellt wurden.

Nebenwirkungen: Die Verträglich- keit des inaktivierten Tollwutimpf- stoffes (HDC) kann als sehr gut be- zeichnet werden. Die subjektiven Beschwerden oder objektivierbaren Nebenwirkungen waren leicht und von kurzer Dauer. Gelegentlich wird von Patienten leichte Müdigkeit und Abgeschlagenheit, selten eine leich- te Temperaturerhöhung während einiger Tage post vaccinationem an- gegeben. Ein Teil der Patienten zeigt eine Schwellung der peripheren Lymphknoten inguinal oder axillär in Abhängigkeit von der Applika- tionsstelle, die sich nach wenigen Tagen spontan zurückentwickelt.

Lokal wurden gelegentlich leichte Rötungen, Druckschmerz oder Indu- ration festgestellt.

2822 Heft 47 vom 23. November 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Tabelle 1· Indikationen zur Tollwutschutzimpfung des Menschen4)

Zustand d. beißenden Tieres (unabhängig von dessen lmpfstatus)

Empfohlene Behandlung Art der Exposition

des Menschen bei der Exposition während Beobachtungszeit von 10 Tagen1)

I. Kontakt, aber keine Verletzung; indirekter Kontakt; kein Kontakt II. Belecken der Haut;

Kratz- oder Schürfwun-

den; geringfügige Bisse

an bedeckten Körper- stellen wie Arme, Rumpf, Beine

111. Belecken v. Schleim- häuten; große Bisse (mehrere o. in Gesicht, Kopf, Finger, Nacken, Hals)

tollwütig

a) tollwutverdächtig 2)

b) tollwütig; Wildtier") bzw. für die Diagnose nicht verfügbar

tollwütiges oder tollwutver- dächtiges2) Haustier oder Wildtier") bzw. für die Dia- gnose nicht verfügbar

1) Beobachtungszeit betrifft nur Hunde und Katzen.

gesund

tollwütig

keine

Beginn der Impfung, Ab- bruch der Behandlung, wenn das Tier fünf Tage nach Exposition noch ge- sund ist1)3)

Beginn der Impfung; An- wendung von Serum bei positiver Diagnose u. Ver- vollständigung d. Impfung Serumbehandlung u. Imp- fung

Serumbehandlung u. Imp- fung; Abbruch d. Behand- lung, wenn das Tier 5 Tage nach Exposition noch ge- sund ist1)3)

2) Alle unprevozierten Bisse in Endemiegebieten sollten als verdächtig angesehen werden, es sei denn, daß die Laboratoriumsbefunde negativ ausfallen (Gehirn FA).

3) Oder wenn dessen Gehirn beim FA-Test negativ war.

') (WHO Techn. Rep. Ser. Nr. 523 [1973])

..,.Wichtiger Hinweis: Eine Erwei- terung der Indikationsstellung zur Impfung findet sich unter Ab- schnitt "lmpfplan - Dosierung - Indikation". Obige Tabelle "Indi- kation zur Tollwutschutzimpfung des Menschen" der Weltgesund- heitsorganisation ist noch auf früher verwendete Impfstoffe ab- gestimmt, deren Anwendung nicht mehr empfohlen werden

Passive Immunisierung

Grundsätzlich erscheint es wün- schenswert, daß wegen seiner weit- aus besseren Verträglichkeit und besseren und längeren Wirksamkeit

kann. Der neue inaktivierte Toll- wutimpfstoft (HOC) ad usum hu- manum ermöglicht, abweichend von dieser vom Expertenkomitee für Tollwut der Weltgesundheits- organisation aufgestellten Be- handlungsempfehlung, aufgrund der sehr guten Verträglichkeit des Präparates frei von Furcht vor den bisher den Impfstoffen anhattenden Komplikationsmög-

einem Rabiesimmunglobulin vom Menschen2) der Vorzug gegeben werden sollte.

Tollwutimmunglobulin sollte aus- schließlich der Behandlung postex-

lichkeiten, die Indikation zur Imp- fung sehr viel weiter zu stellen als bisher.

Falls sich das tollwutverdächtige Kontakttier im Laufe der eingelei- teten Impfbehandlung als negativ erweist, sollte die Immunisierung niemals abgebrochen, sondern als prophylaktische Impfung wei- tergeführt werden.

positioneller Fälle vorbehalten blei- ben. Seine Anwendung sollte nur in Kombination mit einer gleichzeitig eingeleiteten aktiven Impfung mit

2) Hyperab® Trapon-Cutter (homologes Ra- biesimmunglobulin)

(6)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tollwut

inaktiviertem Tollwutimpfstoff (HDC) erfolgen (Simultanimpfung). Diese Kombinationsbehandlung stellt die optimale postexpositionelle Tollwut- prophylaxe dar. Die simultane Appli- kation von homologem Tollwutim- munglobulin (20 IE/kg Körperge- wicht) führt zu keiner störenden In- terferenz mit der Immunantwort auf die aktive Impfung. Der Vorzug der passiven Immunisierung liegt

• in der Möglichkeit — bei Bißwun- den durch ein tollwütiges Tier —, die meistens mit einem großen Virus- inokulum einhergehen, das einge- brachte Virus sofort zu neutralisie- ren und

• auch bei Patienten, die unter In- fektionsverdacht nach Exposition gegenüber einem tollwütigen oder tollwutverdächtigen Tier stehen, das (schutzlose) Intervall zu überbrük- ken, bis die eigene Antikörperbil- dung nach aktiver Impfung einsetzt.

Die passive Impfung mit Tollwutim- munglobulin vom Menschen ist ent- sprechend den Empfehlungen der WHO in all den Fällen durchzufüh- ren, die in Tabelle 1 angeführt sind.

Darüber hinaus sollte eine passive Impfung bei allen Personen durch- geführt werden, bei denen in einem Endemiegebiet eine stärkere Expo- sition gegenüber einem tollwutver- dächtigen oder tollwütigen Tier stattgefunden hat. Besonders wenn zwischen stattgefundener Exposi- tion und Behandlungsbeginn bereits mehrere Tage wertvoller Zeit ver- säumt wurden, sollte der Zeitverlust durch Gabe von Tollwutimmunglo- bulin beendet werden. Auch bei ver- spätetem Behandlungsbeginn sollte die gleiche Dosis appliziert werden.

Bei einer Indikation für Tollwutim- munglobulin mit Bißwunden sollte nach Möglichkeit bis zur Hälfte der Gesamtdosis lokal infiltriert werden.

Der restliche Teil ist (gegebenenfalls in zwei Portionen) intraglutäal zu verabreichen.

Verträglichkeit, Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Die Verträglichkeit von Tollwutim- munglobulin vom Menschen ist gut.

Gelegentlich werden Druckschmerz an der Injektionsstelle und leichte Temperaturerhöhung beobachtet.

Nach Einleitung einer Simultanimp- fung darf Tollwutimmunglobulin vom Menschen nicht wiederholt an- gewendet werden. Eine Kontraindi- kation besteht bei Personen mit be- kannter allergischer Reaktion ge- genüber humanem Globulin oder konservierenden Zusätzen wie zum Beispiel Thiomersal. Die bisher ver- fügbaren Präparate dürfen nicht in- travenös gespritzt werden. Dosie- rung von 20 IE/kg Körpergewicht nicht überschreiten!

Unspezifische

prophylaktische Maßnahmen

Tetanusprophylaxe

Wie bei allen frischen Verletzungen ist auch bei Tierbissen eine Tetanus- prophylaxe entsprechend den dafür geltenden Richtlinien durchzufüh- ren. Ein zeitlicher Abstand zu der Tollwutimpfung ist für eine aktive oder/und passive Impfung nicht ein- zuhalten.

Erste-Hilfe- und chirurgische Maßnahmen

Die wirksamste Schutzmaßnahme gegenüber der Tollwut ist die gründ- liche Lokalbehandlung aller Biß- wunden und Kratzer, um das Toll- wutvirus am Infektionsort zu ver- nichten.

Die verletzte oder kontaminierte Körperstelle ist sofort mit Seifenlö- sung oder 1%iger Zephirollösung gründlich zu reinigen und ausgiebig mit Wasser zu spülen. Alkohol in mindestens 43%iger Konzentration, gleichgültig in welcher Form, ist ebenfalls für eine Sofortbehandlung geeignet. Eine sorgfältige Wundver- sorgung ist unabdingbare Voraus- setzung einer sachgemäßen Be- handlung.

Nach vorausgegangener Waschung (siehe oben) ist 40- bis 70%iger Al-

kohol, Jodtinktur oder eine 0,1 %ige quaternäre Ammoniumverbindung zu applizieren. Noch vorhandene Seifenreste sind durch Spülen gründlich zu entfernen, da sie die quaternäre Ammoniumverbindung inaktivieren. Eine behutsame, aber ausreichende Wundrandexzision ist immer notwendig.

Ausnahmen sind lediglich bei Ver- letzungen im Gesicht und an der Hand gestattet. Soweit indiziert, wird Tollwutimmunglobulin vom Menschen (siehe „Passive Immuni- sierung") in die Umgebung der Wunde infiltriert, nach Möglichkeit die Hälfte der zu applizierenden Ge- samtdosis. Tierbißwunden sollten nicht genäht werden.

Literatur

(1) Klietmann, W., Schneider, L.: Aktuelle Pro- bleme der Tollwut und Tollwutschutzbehand- lung, Ärzteblatt Bad.-Württemberg 32 (1977) 315-319 — (2) Klietmann, W., Koslowski, L.:

Neue Wege der präexpositionellen Tollwut- Prophylaxe und postexpositionellen Tollwut- behandlung des Menschen, Wehrmed. Mo- natsschr. 22, 239-245 (1978) — (3) Cox, J. H., Klietmann, W., Schneider, L.: Human rabies immunoprophylaxis using HDC (MRC-5) vac- cine, WHO/IABS Joint Symposium on Standar- dization of Rabies Vaccines for human Use produced in Tissue Cultures, Marburg, Ger- many, Nov. 21-23,1977. Developments in Biol.

Stand., Vol 40, pp. 105-108 (s. Karger, Basel, 1978) — (4) Klietmann, W., Domres, B., Cox, J. H.: Rabies postexposure treatment and side effects in man using HDC (MRC-5) vaccine, WHO/IABS Joint Symposium on Standardiza- tion of Rabies Vaccines for human Use pro- duced in Tissue Cultures, Marburg, Germany, Nov. 21-23, 1977. Developments in Biol.

Stand., Vol. 40, pp. 109-113 (s. Karger, Basel, 1978) — (5) Klietmann, W.: Die Tollwut, Medizin in unserer Zeit, 2,157-163 (1978) — (6) Kuwert, E. K.: Tollwutschutzimpfungen mit HDCS-Ge- webekulturvakzine, Deutsch. Ärztebl. 75 (1978) 1495 — (7) (wand, A., Deppermann, D.: Tollwut:

Prophylaxe besonders wichtig. Deutsch. Ärz- tebl. 73 (1976) 2029-2032 — (8) Tollwut — Verhü- tung und Bekämpfung, Merkblatt des Bundes- gesundheitsamtes, Deutsch. Ärztebl. 75 (1978) 1791

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Wolfgang Klietmann

Direktor des Bakteriologischen Untersuchungsamtes

Medizi naluntersuchungsamt für die Kreise Wesel und Kleve Feldstraße 9

4130 Moers 1

2824 Heft 47 vom 23. November 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Krankenanstalten Wesermünde Krankenhaus am Bürgerpark 285 Bremerhaven6. Schiffdorfer

Die bisher in der Bundesrepublik Deutschland verwende- ten Hirn- bzw. Entenembryoimpfstoffe waren wegen ihres ho- hen Gehaltes an allergisierenden Substanzen durch eine Rei-

1977 bis 1992 nur vier Tollwutfälle auf (1977 bis 1989 alte, ab 1990 auch NBL). Die Patienten in den alten Bundesländern hatten sich durch den Biß eines Hundes in Ägypten

Die Indikation zur postexposi- tionellen Tollwutschutzbehandlung durch die Verabreichung von Toll- wut-Impfstoff (eventuell als passiv- aktive Simultanbehandlung durch

Falsch ist jedoch die Angabe: "Als Verdacht gelten Biß- verletzung sowie Berührung (oder andere Kontakte) durch ein solches Tier." Krankheitsverdächtig ist

Zwei verschiedene Ei-Pansenkombinationen wurden ebenso gerne akzeptiert wie die reine Ei-Komponente, was zur Frage führte, ob in einer etwas veränderten

(2) Die zuständige Behörde hebt Schutzmaßregeln auf, die sie wegen des Ausbruchs der Tollwut oder des Verdachts des Ausbruchs der Tollwut bei einem wild lebenden Tier angeordnet

In der Mitte zwi- schen den beiden D's befindet sich die lonenquelle (Darstellung). Die Ionen werden von dem D, das gerade die richtige Polarität hat, an- gezogen und