DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
PHARMAFORSCHUNG
B
ei der inzwischen tra- ditionellen Basler Le- berwoche, die von der Falk Foundation, Freiburg, gesponsert wird, standen im Oktober letzten Jahres (Mitte Oktober) Infektionskrank- heiten im Mittelpunkt. Bakte- rielle Infektionen der Leber sind selten, was auf die Exi- stenz eines lebereigenen un- spezifischen Immunsystems — repräsentiert durch Makro- phagen, Komplement, Inter- feron — zurückzuführen ist.Virusinfektionen der Leber, und zwar sowohl organspezi- fische Infektionen als auch ei- ne Leberbeteiligung im Rah- men systemischer Virusinfek- tionen, treten dagegen häufig auf. Die Elimination von Vi- ren und virusinfizierten Zel- len erfordert ein spezifisches Immunsystem, dessen Kom- ponenten — Antikörper, T- Lymphozyten et cetera — in der Leber selbst nicht vorhan- den sind, sondern aus dem zirkulierenden Immunsystem rekrutiert werden müssen.
Und noch auf ein anderes Pathophänomen hob W. Ge- rok, Universitätsklinik Frei- burg, in seinem Übersichtsre- ferat ab: Da die Leber ihrer- seits eine wichtige Rolle bei systemischen Immunreaktio- nen spielt, ist bei chronischen Lebererkrankungen das Risi- ko extrahepatischer Infektio- nen deutlich erhöht, was vor allem für Infektionen endo- gen-intestinalen Ursprungs durch gram-negative Erreger gilt. Die genauen Ursachen für die erhöhte Infektanfällig- keit sind laut Gerok eine ver- minderte Clearancefunktion des retikuloendothelialen Sy- stems in der Leber, Funk- tionsstörungen der Makro- phagen sowie eine Abnahme von Komplementfaktoren.
Patienten mit einer chroni- schen extrahepatischen In- fektion, bei denen veränderte Leberwerte festgestellt wer- den, sollten gezielt auf eine mögliche Lebererkrankung hin untersucht werden, be- tonte Gerok. Und eine weite- re Konsequenz für die Praxis:
Patienten mit chronischen Lebererkrankungen sollten bei Reisen in Gebiete mit ho-
Basler Leberwoche 1989
hen Infektionsrisiken eine entsprechende Prophylaxe betreiben.
Allen „Hepadnaviren" — die eigentlich ganz unter- schiedlichen Virusfamilien zuzuordnen sind — ist abgese- hen vom Organtropismus ge- meinsam, daß die induzierten Leberschäden nicht unmittel- bar durch das jeweilige Virus verursacht werden, sondern vielmehr maßgeblich durch Immunreaktionen zustande- kommen. So konnte für be- stimmte Hepadnaviren ge- zeigt werden, daß nach Infek- tion der Leberzellen Virustei- le durch Glykoproteine an die Membranoberfläche trans- portiert und dort von zytoto- xischen T-Zellen als Antigen erkannt werden, welche dar- aufhin die infizierten Leber- zellen angreifen. Unterstri- chen wird die pathogeneti- sche Bedeutung von Immun- reaktionen auch durch die hi- stologische Beobachtung, daß B-Hepatitiden bei AIDS-Pa- tienten deutlich milder ver- laufen.
H. E. Blum, Harvard Me- dical School, Boston, berich- tete über den derzeitigen Kenntnisstand bezüglich der kanzerogenen Wirkung von Hepatitis-B-Viren (HBV).
Während der „Status des ge- sunden HBV-Trägers" — chronische Infektion mit Per- sistenz des HBsAg (Hepati- tis-B-Surface-Antigen), aber ohne Symptome — einen rela- tiv stabilen Zustand darstellt, entwickelt sich bei einem Großteil der Patienten mit chronischer Hepatitis-B eine Leberzirrhose, welche wie- derum relativ häufig eine Vorstufe auf dem Weg zum Leberzellkarzinom ist.
Neben nekrotisch-ent- zündlichen Veränderungen infolge der Virusinfektion scheint bei der malignen Ent- artung von Leberzellen auch eine direkte kanzerogene Wirkung des HBV vorhanden
zu sein, die offenbar an eine Integration des Virusgenoms in das Wirtsgenom gebunden ist. Es gibt Hinweise auf eine Aktivierung wirtseigener Pro- to-Onkogene, wobei sowohl ein direkter Viruseffekt als auch ein Verlust tumorun- terdrückender Gene infol- ge nekrotisch-entzündlicher Veränderungen zu diskutie- ren sind. Blum betonte in sei- nem Vortrag bei der Basler Leberwoche, daß eine Sero- konversion von HBsAg zu Anti-HBs keinen hundertpro- zentigen Schutz vor einem Leberzellkarzinom garan- tiert: Studien am Tiermodell ebenso wie epidemiologische Untersuchungen weisen ein — allerdings geringes — Karzi- nomrisiko auch nach „serolo- gischer Genesung" aus.
J. H. Hoofnagle, National Institutes of Health, Bethes- da, referierte in Basel über die Therapieerfolge, die sich bei chronischer Hepatitis-B mit Alpha-Interferon erzielen lassen: Die sechs bislang pu- blizierten Studien an HBeAg- positiven Patienten ergaben nach vier- bis sechsmonatiger Behandlung mit Alpha-Inter- feron HBeAg-Eliminations- raten zwischen 25 und 70 — im Mittel 31 — Prozent (vergli- chen mit Spontanheilungsra- ten von 0 bis 31 — im Mittel 10
— Prozent). Laut Hoofnagle ist die Chance einer Respon- se auf Alpha-Interferon be- sonders hoch bei niedrigen Ausgangswerten der Serum- HBV-DNS, bei hohen Aus- gangswerten der Serum-Ami- notransferasen, bei Frauen, bei Nicht-Orientalen sowie bei Abwesenheit von Begleit- erkrankungen, speziell von AIDS.
Die meistversprechenden Ansätze zur Verbesserung der Response-Raten sind laut Hoofnagle die Kombination von Alpha-Interferon mit an- tiviralen Medikamenten so- wie eine Vorbehandlung mit
Prednison Derzeit hält Hoof- nagle eine vier- bis sechsmo- natige Therapie mit Alpha- Interferon — zehn Millionen Einheiten dreimal wöchent- lich — nur bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer chronischer Hepatitis-B ohne Zeichen einer Dekompensa- tion für empfehlenswert.
Vorbeugen ist jedoch bes- ser als Therapieren — dies he- ben die Experten für die He- patitis-B immer wieder be- sonders hervor: Nach wie vor existieren nämlich — trotz der vorhandenen Möglichkeiten einer gut wirksamen und ver- träglichen Immunisierung — große Impflücken in den Risi- kopopulationen.
Ein wichtiger Fortschritt bei der Bekämpfung der Vi- rushepatitiden dürfte mit der kürzlich gelungenen Charak- terisierung zweier neuer Vi- ren — HCV und HEV — erzielt worden sein, welche haupt- verantwortlich zu sein schei- nen für die parenteral bzw.
enteral übertragene Hepatitis nonA/nonB. Wie A. J. Wei- ner, Chiron Corporation, Emeryville (USA) bei der Basler Leberwoche berichte- te, konnte bereits ein Nach- weisverfahren für zirkulieren- de Antikörper gegen HCV — ein den Flaviviridae ähneln- des Virus — entwickelt wer- den, und auch ein direkter Nachweis von HCV-Sequen- zen in der Leber und im Plas- ma sei inzwischen möglich.
Laut H. J. Alter, National Institutes of Health, Bethes- da, deuten Untersuchungen mit dem Antikörpertest dar- auf hin, daß HCV das verur- sachende Agens von über 95 Prozent aller NonA/nonB- Transfusionshepatitiden ist.
Durch Einsatz des neuen Tests hofft man, die Sicher- heit von Bluttransfusionen und Blutprodukten in Zu- kunft noch weiter verbessern zu können. Es gibt allerdings ein großes Problem: Die Zeit- spanne zwischen HCV-Infek- tion und Antikörperbildung ist meist lang, die Anti-HCV- negative Phase beträgt zehn bis vierzig Wochen, mitunter auch über ein Jahr.
Ulrike Viegener
Virushepatitiden: Immunreaktion wichtiger pathogenetischer Faktor
A-312 (64) Dt. Ärztebl. 87, Heft 5, 1. Februar 1990