A 1408 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 27–28|
9. Juli 2012ARZNEIMITTELREPORT
Zu viele Psychopharmaka
Frauen erhalten zwei- bis dreimal häufiger psychotrope Arzneimittel als Männer.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Abhängigkeit können die Folge sein.
Experten schlagen pflanzliche Arzneimittel und Beratungen als Alternativen vor.
M
änner, so die landläufige Meinung, reden nicht gerne über ihre Gefühle. Männer gehen auch seltener zum Arzt, wie Umfra- gen gezeigt haben. Dass Frauen häufiger Psychopharmaka verord- net bekommen, könnte Prof. Dr.Gerd Glaeske zufolge genau damit zusammenhängen. „Frauen sind eher bereit, sich gegenüber ihrem Arzt emotional zu öffnen und über ihre psychischen Belastungen zu sprechen“, sagte der Leiter des Zen- trums für Sozialpolitik der Univer- sität Bremen. Das Risiko, auch bei
Befindlichkeitsstörungen im Alltag Arzneimittel verordnet zu bekom- men, sei dann relativ hoch. „Arz- neimittel sind oft die schnelle Lö- sung in der Praxis. Aber man sollte genau überlegen, ob damit nicht auf Dauer mehr Schaden als Nutzen verbunden ist“, befand Glaeske bei der Präsentation des Barmer-GEK- Arzneimittelreports Ende Juni.
Frauen bekämen zwei- bis drei- mal häufiger psychotrope Arznei-
mittel verordnet als Männer, heißt es in dem Report. Tranquilizer, Anti depressiva und Schlafmittel würden ohne erkennbare therapeu- tische Indikation in einer Menge verordnet, die auf Dauer zu erheb - lichen unerwünschten Wirkungen führen könne. Glaeske: „Bei Tran- quilizern und Schlafmitteln ist von 1,2 Millionen Abhängigen auszuge- hen, zwei Drittel davon sind Frauen im höheren Lebensalter.“
Ärzte würden argumentieren, sie müssten ihren Patienten in dem Moment helfen, in dem diese in ih-
rer Praxis vor ihnen säßen. „Aber die Medizin sollte sich nicht anma- ßen, bei allem helfen zu können“, meinte der Bremer Wissenschaftler.
Zudem gebe es auch pflanzliche Arzneimittel, die weniger riskant seien. Und viele Beratungsstellen klagten darüber, dass Frauen erst zu ihnen kämen, wenn sie bereits me- dikamentenabhängig seien.
Insgesamt wurden den Barmer- GEK-Versicherten im vergangenen
Jahr 76,3 Millionen Arzneimittel - packungen und damit 2,6 Prozent mehr als 2010 verordnet. Häufiger verordnet wurden vor allem Groß- packungen der Normgröße 3 (+ 5,6 Prozent).
Grund dafür könnten die Rabatt- verträge sein, mutmaßen die Auto- ren des Reports, in deren Rahmen große Packungen oft von Beginn an verordnet würden. Sinnvoller sei es jedoch, sagte Glaeske, zu Beginn einer Medikamentenverordnung erst kleine Packungsgrößen zu ver- schreiben und nur bei chronisch kranken Patienten große Packungen zu wählen. Denn schätzungsweise vier Milliarden Euro würden durch weggeworfene Arzneimittel ver- schwendet. Arzneimittelausgaben könnten zudem gesenkt werden, wenn die Generikaquote von 73 auf 85 Prozent angehoben würde.
Die Autoren des Arzneimittelre- ports kritisierten, dass 21 Prozent der Ausgaben auf sogenannte Me- too-Verordnungen entfallen, die in den meisten Fällen durch bewährte und kostengünstige Generika er- setzt werden könnten. Insbesondere Präparate wie Seroquel®, Lyrica® und Inegy® sollten in ihren Umsät- zen reduziert werden.
In der Schmerzmitteltherapie würden abweichend von den Emp- fehlungen der Leitlinien darüber hinaus vielfach fentanylhaltige Schmerzpflaster als Erstverordnung eingesetzt, obwohl die Therapie ei- gentlich mit Morphin oder Oxyco- don begonnen werden sollte, sagte Glaeske. Und in der Zahnmedizin werde statt bakteriziden Aminope- nicillinen wie Amoxicillin in mehr als der Hälfte aller Fälle der Wirk- stoff Clindamycin verordnet, der ei- gentlich nur bei Unverträglichkeit gegen Amoxicillin eingesetzt wer-
den solle.
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Falk Osterloh GRAFIK
ausgewählte Arzneimittelgruppen (Versicherte Barmer-GEK:
Frauen: 58 %, Männer: 42 %) Verordnungen für Frauen in Relation zu Verordnungen für Männer 2011
Antidepressiva, tri- u. tetrazykl.
Serotonin- Wiederaufnahme-
hemmer Tranquilizer
Hypnotika Betablocker
Calcium - antagonisten
ACE-Hemmer
CSE-Hemmer Sulfonyl- harnstoffe
Insuline
Thrombozyten- aggregations-
hemmer 302 %
285 %
269 % 266 %
167 % 151 %
126 % 117 %
102 %
95 % 89 % 100 %
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Frauen■
MännerQuelle: Barmer-GEK-Arzneimittelreport 2012