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Archiv "Wer stoppt die Talfahrt bei den Kuren? CDU-Politiker befürworten Lockerung der Sparmaßnahmen" (25.11.1983)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 47 vom 25. November 1983

Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Wer stoppt

die Talfahrt bei den Kuren?

CDU-Politiker befürworten Lockerung der Sparmaßnahmen

Harald Clade

Die 260 bundesdeutschen Heil- und Kurorte stecken in einer tiefen Krise. Nach ei- ner lang anhaltenden Phase des Booms und der Verlok- kungen, teilweise Überkapa- zitäten aufzubauen und eine auch im internationalen Ver- gleich einmalige „Kur-In- dustrie" zu etablieren, se- hen sich viele Kurorte und Heilbäder nicht erst seit 1981 in eine wirtschaftliche Notlage gedrängt. So ist es nicht verwunderlich, daß hier bundesweit alle Regi- ster der Öffentlichkeitsar- beit gezogen werden. Erst kürzlich hat der Interessen- verband des Heil- und Kur- wesens, der Deutsche Bä- derverband e. V. (Bonn), an- läßlich seiner Jahrestagung Alarm geläutet und die Poli- tiker aller Parteien mit den Sorgen und Nöten konfron- tiert. Auch von den Volksver- tretern in der Provinz erwar- tet man jetzt nicht länger be- schwichtigende Worte, son- dern ein „Sofort- und Not- standsprogramm" zur Sa- nierung des desolaten Kur- betriebes.

Eine aktuelle Momentaufnahme

„vor Ort": Im Gefolge der kon- junkturellen Abschwächung, der zunehmenden Zahl der Arbeitslo- sen, der aus den Fugen gerate- nen Sozialfinanzen und der chro- nisch kranken Bundes- und Län- derhaushalte bekamen die Kur- und Heilbadeorte bereits dreimal die Bremsaktionen deutlich zu spüren: In den Jahren 1967 bis 1969 und wiederum von 1977 bis 1978 ging die Zahl der beantrag- ten und genehmigten offenen Ba- dekuren und Heilmaßnahmen der Rentenversicherungsträger zu- rück.

In den Zeiten des Überflusses und der Hochkonjunktur ging es den deutschen Heilbädern und Kuror- ten wie in jeder „Wachstumsbran- che" gut bis ausgezeichnet, zu- mal von seiten der Politik und der Gesetzgebung alles daran gesetzt wurde, den Gedanken der Präven- tion („Rehabilitation geht vor Ren- te!") hochzuhalten und Rehabili- tationsmaßnahmen gleichsam mit dem Füllhorn auf die Sozialbürger auszuteilen.

Konkret: 1957, im Jahr der „gro- ßen Rentenreform", haben die Träger der gesetzlichen Renten- versicherung insgesamt 282 000

„stationäre Heilbehandlungsmaß- nahmen wegen allgemeiner Er- krankungen" gewährt und die Ko- sten dafür übernommen. Im Jahr 1980 war der Rekordstand mit 775 000 Maßnahmen bereits über- schritten.

Die Träger der gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) haben 1957 noch 230 000 Kuren durch- geführt beziehungsweise erheb- lich mitfinanziert, und im Jahr 1980 war bereits eine Verdreifa- chung bei 760 000 offenen Kuren bzw. Badekuren zu verzeichnen.

Daß diese Entwicklung nicht un- aufhaltsam weiterlaufen konnte, war auch allen Insidern einsichtig, war man auch seitens der Interes- senvertreter der Heil- und Kurbä- der geneigt, wenn auch zähne- knirschend, hier und da „abzu- specken".

Nun haben sich, wie man inzwi- schen statistisch klar belegen kann, die rezessive Wirtschafts- entwicklung und die Arbeitslosig- keit so verstärkt, daß im Gefolge der seit 1977 massiv einsetzenden gesetzlichen Maßnahmen zur Ko- stendämpfung im Gesundheits- wesen automatisch Einbrüche bei den Kuranträgen und den durch- geführten Maßnahmen zu ver- zeichnen waren. Der Katalog ge- setzlicher Sparmaßnahmen, der sowohl von der verflossenen so- zialdemokratisch-liberalen Bun- desregierung als auch (zum Teil) von der neu amtierenden konser- vativ-liberalen Regierung initiiert und zu verantworten ist, ist lang und in seinen Auswirkungen

„massiv":

Die einschlägigen Dämpfungsge- setze strangulierten Kurpatienten und Kurbetriebe durch folgende Maßnahmen:

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 47 vom 25. November 1983 79

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Kuren

1. 20. Rentenanpassungsgesetz aus dem Jahr 1977:

> Freiwillig und latent Versicher- te in der gesetzlichen Rentenver- sicherung (GRV) erhielten Kuren nur unter ganz bestimmten, er- schwerten Bedingungen.

> Ausschluß der Beamten von Kuren der Rentenversicherungs- träger.

> Einschränkung der Wiederho- lungskuren (obwohl nach Aus- kunft der Kurheime nur rund zwei Prozent der Patienten sogenannte

„Wiederholungstäter" sind).

2. Haushaltsstrukturgesetz 1982 und Krankenversicherungs-Ko- stendämpfu ngs-Ergänzu ngsge- setz (KVEG) von 1981 (mit Wir- kung 1. Januar 1982):

> grundsätzlicher Ausschluß der Kuren für Versicherte in der ge- setzlichen Rentenversicherung, die in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährdet sind (Verbot von sogenannten Präventivku- ren);

> Verlängerung der Kurintervalle von bisher zwei auf drei Jahre, al- lerdings mit flexibler Handha- bung, falls der gesundheitliche Zustand des Rentenversicherten dies erfordert;

> Erschwerung des Zugangs zu Kuren für rentennahe Jahrgänge in der gesetzlichen Rentenversi- cherung;

> in der Krankenversicherung Begrenzung der Ausgaben für Ku- ren in den Jahren 1982 und 1983 (§ 187 und 187 a Reichsversiche- rungsordnung).

3. Haushaltsbegleitgesetz 1983, in Kraft getreten am 1. Januar 1983:

> Erschwerung des Zugangs zu Kuren für rentennahe Jahrgänge wird wieder aufgehoben;

> Einführung einer Zuzahlung von 10 DM je Kalendertag bei Ku- ren (Ausnahme: Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr).

Wo noch etwas läuft

Allerdings (und dies wird oftmals vergessen oder ist weithin unbe- kannt) werden Badekuren und Kurkosten nach wie vor von den Sozialversicherungsträgern und nach den Beihilfevorschriften für Beamte bezuschußt:

> Von der gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) bezuschußte Kuren (offene Badekuren) können alle drei Jahre durchgeführt wer- den, vorausgesetzt, es wurde in den letzten drei Jahren keine Kur eines Rentenversicherungsträ- gers in Anspruch genommen.

> Die GKV gewährt wie bisher Zuschüsse zu den Kurkosten (ärztliche Behandlung, Kurmittel, Kurtaxe, u. a.). Nur die Gewährung des Unterbringungszuschusses ist auf den Zeitraum vom 16. Sep- tember bis 14. Juni jedes Jahres begrenzt.

I> Die gesetzlichen Einschrän- kungen haben keine Auswirkun- gen auf solche Kuren, die die pri- vate Krankenversicherung (PKV) gewährt und versicherungsmäßig abdeckt.

> Auch die Beihilfevorschriften für Beamte und öffentlich Bedien- stete sind durch die geänderten gesetzlichen Vorschriften nicht betroffen.

> Beihilfen für Kuren, auch für offene Badekuren, werden also auch künftig unverändert ge- währt.

Ungeachtet dessen ist die „Bi- lanz" der sich durch die schlechte Konjunkturlage und Kostendämp- fungsgesetze kumulierenden Fol- gen für den Kurbetrieb deutlich negativ:

Allein im Jahr 1982 sind die Kuran- träge in der Rentenversicherung um 27,4 Prozent zurückgegangen, im ersten Halbjahr 1983 um weite- re 17,4 Prozent. Allerdings gibt es im Bereich der BfA offenbar erste Anzeichen zu einer Bremsung der Talfahrt: Im April und im Juni 1983 wurden wieder mehr Kuren/Heil-

verfahren beantragt als im ent- sprechenden Vorjahreszeitraum.

Die Zahl der Maßnahmen betru- gen im Jahr 1981 noch 814150, ein Jahr später, 1982, sank die Zahl auf 747 689, mithin ein Rück- gang um 8,2 Prozent.

In der gesetzlichen Krankenversi- cherung belief sich die Zahl der voll- beziehungsweise mitfinan- zierten Kuren in 1982 auf 416 000, das waren 300 000 Kuren weniger als 1979 (letzte vergleichbare Sta- tistiken).

Das Ausgabenvolumen der Ren- tenversicherungsträger für Heil- maßnahmen lag ohnedies seit Jahren bei einem verschwindend geringen Anteil von nahezu zwei Prozent, mit weiter rückläufiger Tendenz. Im Bereich der Bundes- versicherungsanstalt für Ange- stellte (BfA) stehen für „stationäre Heilbehandlung wegen allgemei- ner Erkrankung" rund eine halbe Milliarde DM zur Disposition.

Die neue Regelung, daß zwischen zwei Kurterminen im allgemeinen mindestens drei Jahre liegen müssen, hat die „Nachfrage"

nach Heilbehandlungsmaßnah- men deutlich gebremst: Von die- ser Bestimmung ist jenes Drittel der Kur-Patienten betroffen, die eine frühere Heilbehandlung stets vorgewiesen haben.

Im Bereich der Rehabilitation an- gesiedelten berufsfördernden Maßnahmen (zum Beispiel beruf- liche Umschulung) mit dem Ziel, die Erwerbsfähigkeit des Arbeit- nehmers nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit wieder- herzustellen, wurden 1982 eben- falls weniger in Anspruch genom- men als noch ein Jahr zuvor. Da- bei sank auch hier die Zahl der Anträge (minus 22 Prozent) stär- ker als die Zahl der durchgeführ- ten Maßnahmen (minus 4,2 Pro- zent) (vgl. Abbildung). Die Ausga- benbilanz der Rehabilitationsträ- ger: Trotz der gesunkenen Zahl der durchgeführten Maßnahmen verharrten die Gesamtausgaben 80 Heft 47 vom 25. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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1. Mineral- und Moorbäder

2. Kneippbäder- u. -kurorte 3. Heil- und Seebäder 4. Heilklimatische Kurorte Insgesamt

144 davon: 36 privat davon: 19 staatlich davon: 89 kommunal 46 überwiegend kommunal 29 überwiegend kommunal 40 überwiegend kommunal 259 Bade- und Kurorte 250 000 Beschäftigte (davon in Kurverwaltungen: 12 000)

10 Milliarden DM Umsatz (= 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes) 100 Millionen Übernachtungen (= 50 Prozent sämtlicher Frem- denübernachtungen)

Tabelle: Struktur-Daten 1983 zum Kurwesen

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Kuren

sämtlicher Rentenversicherungs- träger für Rehabilitationszwecke (BfA und LVA) im Jahr 1982 mit insgesamt 4,8 Milliarden DM auf dem Niveau des Jahres 1981.

Ein Schlag in das Kontor der kommunalen Kur- und Heilbäder Ein Schlaglicht auf die derzeitige Auslastung und desolate finan- zielle Situation der Kurbetriebe Hessens (8 Staatsbäder, 21 Kom- munalbäder!) gaben die Bürger- meister und Kurdirektoren der zwei in Nordhessen gelegenen kommunalen Kurorte Bad Soden- Salmünster sowie Bad Salzschlirf (beide im Umkreis Fuldas gele- gen) anläßlich eines Dialogs mit Politikern und einer Handvoll Journalisten am 2. November die- ses Jahres:

Die Negativbilanz von Bad Soden- Salmünster lautet:

Während die Anzahl der Kurgäste (Privat- und Sozialgäste) von 1980 bis 1981 noch um neun Prozent stieg, ging von 1982 bis 1983 die Zahl der Privatkurgäste um 31,3 Prozent und die der sozialversi- cherten Kurgäste um 27,4 Prozent zurück.

Noch gravierender ist der Ein- bruch und die Folge der staat- lichen Sparoperationen bei der Anzahl der registrierten Über- nachtungen: Bad Soden-Salmün- ster hatte 1982 15,4 Prozent weni- ger Übernachtungen (Privat- und Sozialgäste) gegenüber 1981 zu verzeichnen und mußte 1983 ge- genüber 1982 noch einmal einen Aderlaß von 30,5 Prozent hinneh- men.

Dies hatte Folgen beim Umsatz im unmittelbaren Kurmittelbetrieb, aber auch im Sekundär- und Terti- ärbereich des weitgehend mono- strukturierten Kurortes ohne gro- ßen industriellen Einzugsbereich und ohne dicht besiedeltes Hin- terland: Der Umsatz bei den Kur- mitteln sank 1982 gegenüber 1981 um 27 Prozent, um 1983 (1. Halb-

jahr) gegenüber 1982 erneut um 34,5 Prozent zurückzufallen.

Die Kurmanager Bad Sodens ma- chen folgende "Gesamtbilanz" in- folge des Einnahmenausfalls nach Inkrafttreten der Kostendämp- fungsmaßnahmen auf:

Kurmittelausfall 1982 + 1983:

6,2 Millionen DM Kurtaxe-Ausfall 1982 + 1983:

1,0 Million DM Kaufkraftverlust 1982 + 1983:

15,3 Millionen DM Insgesamt: 22,7 Millionen DM Allein infolge des für 1981 von den Krankenkassen verhängten Kur- verbotes für freie Badekuren re- duzierte sich der Umsatz in Bad Soden-Salmünster um 34 Prozent.

Eine weitere Folge: In fast allen Kurbetrieben Hessens (und darin dürfte sich das Bild in der gesam- ten bundesdeutschen Kurland- schaft gleichen): Die städtischen Kurbetriebe mußten in Bad Soden seit 1981 insgesamt 30 Mitarbeiter (31,9 Prozent) entlassen, obwohl seit eineinhalb Jahren für be- stimmte Berufsgruppen (etwa Masseure) ununterbrochen Kurz- arbeit beantragt und genehmigt worden ist. Rund 9 Prozent der Ar- beitnehmer des Ortes sind ar- beitslos, wohingegen die Arbeits- losenziffer Hessens zur Zeit bei 7 Prozent liegt.

So sieht die Auslastung eines Bad Sodener privaten Sanatoriums (Kurklinik) mit 170 Betten aus, das einen Tagespflegesatz von 97 DM in 1983 erhebt (täglicher Pflege- satz vergleichbarer Häuser der Rentenversicherungsträger: nicht unter 130 DM, also 40 Prozent teu- rer!): prozentuale Belegung im Jahr 1980 noch 94 Prozent, 1981:

89 Prozent, 1982: 80 Prozent und 1983 13 Prozent (!). Der dramati- sche Rückgang der Belegung ist darauf zurückzuführen, daß die einweisenden Landesv,ersiche- rungsanstalten kurzfristig die be- stehenden Verträge aufkündigten oder Gentleman Agreements mit den Betreibern dieser Kurkliniken nicht mehr einzuhalten bereit wa- ren. Allein in 1982 hat die BfA 6900 Privatbetten für Kurpatienten auf- gekündigt. Begründung: Einzel- ne Landesversicherungsanstalten stellen sich auf den Standpunkt, sie seien satzungsmäßig ver- pflichtet, zunächst ihre eigenen, selbstbetriebenen Kurheime und Kliniken auszulasten, ehe andere, möglicherweise in einem anderen Bundesland gelegene Häuser

„beschickt" werden. Hinzu kommt eine übertriebene „Autar- kiepolitik" auf Landesebene. So beklagen Klinikbesitzer Bad So- den/Nordhessen, daß vor allem Landesversicherungsanstalten in Bayern, die in der Vergangenheit regelmäßig Kurgäste in ihre Häu- ser geschickt haben, derzeit nur noch Kurorte ihres eigenen Bun- Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 47 vom 25. November 1983 83

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Kuren

deslandes "bedienen" - gleich- viel, ob der Kurort direkt vor der Haustür des Kurwilligen liegt, gleichviel, ob das Heil- oder Kur- bad für die dem Patienten ärztlich empfohlene Kur medizinisch indi- ziert ist oder nicht.

Die Kurbad-Bilanz von Bad Salz- schlirf/Hessen sieht ähnlich dü- ster aus:

Die sechs Privat-Kurklinikunter- nehmen sind praktisch mit einer Dreimonatskündigungsfrist "aus dem Rennen geworfen worden"

(so der zuständige Kurdirektor des Heilbades). Die Zahl der Kur- gäste verringerte sich 1982 ge- genüber 1981 um 14,8 Prozent, und die Zahl der Übernachtungen (und dies ist allein ausschlagge- bend für die Bilanz) fiel um 34,8 Prozent gegenüber 1981. Der hauptbetroffene Kurmittelanbie- ter am Platz, die Aktiengesell- schaft Bad Salzschlirf, ist unver- mittels von der Gewinn- in die Ver- lustzone gerutscht: Allein inner- halb der letzten zwei Jahre verrin- gerte sich der Umsatz von 16 auf 10 Millionen DM, also ein Minus von 40 Prozent. "Dies ist ein ein- deutiger Eingriff in einen Gewer- bebetrieb und verträgt sich auch nicht mit den Prinzipien der sozia- len Marktwirtschaft", lautet der verbitterte Kommentar von Kurdi- rektor Petersen aus Bad Salz- schlirf. Mehrere Verfassungskla- gen wegen der Plafondierungs- und Stornierungspolitik sind denn auch bereits anhängig ...

Die Folge für den Stadtsäckel: Das Gewerbesteueraufkommen sank von 1,4 Millionen DM in 1977 auf mickrige 0,4 Millionen DM in 1983.

Insgesamt 108 Mitarbeitern der Kurbetriebe der AG ist bereits ge- kündigt worden. Und die seit 18 Monaten anhaltende Kurzarbeit kann nicht auf Dauer fortgeführt werden, denn das Arbeitsamt will die jetzt oftmals schon "kaschier-

ten" Begründungen der Verwal-

tung nicht mehr gelten lassen! ln der ohnehin verdünnten Kurzeit, im Herbst und im Winter, machen viele Betriebe jetzt ganz dicht.

Der Verlust der Kurbetriebe-AG Bad Salzschlirf hat sich 1982 auf 800 000 DM aufgetürmt; 1983 er- wartet man trotz drastischer Spar- maßnahmen beim Personal und bei den Instandhaltungskosten immerhin noch ein Minus von 600 000 DM (zum Vergleich: 1981 wurde noch ein Gewinn von 120 000 DM erzielt).

Die Ursachenforschung vor Ort wird fieberhaft betrieben, Abhilfe- maßnahmen werden inszeniert.

Auch renommierte Meinungsfor- schungsinstitute, wie etwa das In- stitut für angewandte Sozialwis- senschaft (lnfas), Sonn, haben gutachtlich zutage gefördert, was Kurdirektoren und Gesundheits- politiker ebenso wie Ärzte er- schüttern lassen muß:

..,. 52 Prozent der Befragten glaubten, daß sie gar nicht für ei- ne Kur oder ein Heilverfahren in Frage kommen würden, obwohl sowohl die medizinischen als auch die gesetzlichen und sat- zungsmäßigen Voraussetzungen jeweils voll erfüllt waren;

..,. 15 Prozent der Befragten fürchten, daß sie bei Annahme oder Einreichung eines Kurantra- ges den Arbeitsplatz gefährden würden und

..,. weitere 13 Prozent glaubten, die Kollegen und Arbeitgeber, Vorgesetzte und Personalchef, würden meinen, sie seien "nicht mehr leistungsfähig" oder zumin- dest auf ihrem derzeitigen Ar- beitsplatz "nicht mehr einsetz- bar" und "voll verwendbar". Die Kurklinikbesitzer, Bürgermei- ster und Kurdirektoren, die Bade- ärzte und die Spitzenorganisatio- nen des Heil- und Kurbäderwe- sens stemmen sich mit allen Mit- teln gegen diese desolate Ent- wickiung ohne Perspektive. ln Bad Soden-Salmünster und Bad Salzschlirf wurden vor Journali- sten folgende Sofortmaßnahmen angekündigt: Verstärkte Werbe- maßnahmen, Sonderangebote und sportive Pauschalpakete sol-

len mehr private Kurgäste anlok- ken, um so das Minus der Sozial- versicherungskurgänger zumin- dest zum Teil auszugleichen.

Auch wollen die Kurverwaltungen vermehrt mit Reisebüros und Werbeagenturen kooperieren. Ferner sollen Touristik- und Bä- dermessen den Kurbetrieb helfen aufzupeppeln.

Damit die Kurorte nicht weiter von der Brems- auf die Schleuderspur geraten, haben zumindest zwei nordhessische Kurorte die ge- wählten "Volksvertreter" zu sich gerufen. Und siehe da: Keine ge- ringeren als der Fraktionsvorsit- zende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Dr. Altred Dregger, Fulda, und der Vorsit- zende der Fraktions-Arbeitsgrup-

pe "Arbeit und Soziales" der CDU/

CSU-Fraktion, Dr. Heimo George, CDU-MdB aus Calw/Schwarzwald, kamen in die "Höhle des Löwen". Sie begegneten einem wahren Trommelfeuer von Klagen, Wün- schen und Forderungen.

CDU/CSU will helfen - so gut es geht

Allzu große Versprechungen konnten indes die Unionspolitiker nicht machen. Sie sicherten aber, sofern und sobald dies machbar und finanzierbar ist, die wohlwol- lende Unterstützung zumindest der CDU/CSU zu. Als Sofort- und Palliativmaßnahmen offerierten

das "Gespann" Dregger/George:

[> Die Ende 1983 auslaufende

Plafondierung des Ausgabenvolu- mens der gesetzlichen Kranken- versicherungen für Kurmaßnah- men sollen fürs erste nicht verlän- gert werden. Jedenfalls sehen beide Unionspolitiker keine Ver- anlassung, den Gesetzgeber zu einem solchen Schritt zu ermun- tern, zumal gerade die Kranken- kassenfinanzen seit einem Jahr gesundet sind, was die spekta- kulären Beitragssatzsenkungen zahlreicher Krankenkassen be- weisen. Weitere gesetzliche Maß- nahmen seien von der CDU/CSU 84 Heft 47 vom 25. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Rehabilitation:

Talfahrt gebremst

Neuanträge auf Rehabilitations-

. maßnahmen im 1. Halbjahr 1983

insgesamt

Kuren 335404

da,·on Arbeiterrenten- versicherung

Veränderung in Prozent Juni 1983 gegen Juni 1982 Halbjahr

983 gegen 1. Halbjahr 1982

Angestellten-

versicherung

I

Bundesknappschaft

2298

1

Quelle: Verband Dealscher RentemersiclaeruD&Slf'ller

Die rezessive Wirtschaftsentwicklung, die hohe Arbeitslosigkeit und die seit 1980 wirksam gewordenen Kostendämpfungsmaßnahmen im Bereich der Kuren und Heilverfahren haben zu einem starken Rückgang der Kuranträge bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und bei den Landesver- sicherungsanstalten geführt. Die seit dem 1. Januar 1982 wirksamen Kasten- dämpfungsmaßnahmen- unter anderem 10 DM Zuzahlung pro Kurtag- ha- ben offenbar vor allem ungelernte Arbeitnehmer mit geringerem Einkommen davon abgehalten, einen Antrag zu stellen. Im ersten Halbjahr 1983 ging die Zahl der Heilverfahrensanträge nochmals um 17,4 Prozent zurück. Die Bun- desanstalt für Angestellte, Berlin, meldet aber für April und Juni wieder mehr Kuranträge als im entsprechenden Vorjahreszeitraum iwd/DÄ

nicht geplant. Zunächst müsse der vom Parlament beschlosse- ne Erfahrungsbericht über die

Selbstbeteiligungsmaßnahmen auch im Kurwesen· (Ende 1984) abgewartet werden.

ln einem Diskussionspapier, das freilich noch nicht innerhalb der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt ist und das lediglich zur Meinungs- bildung der CDU/CSU-Sozial- und Gesundheitspolitiker beitragen soll, offerierten die beiden CDU-

Politiker weitere "diskussionsbe-

dürftige Maßnahmen".

C> Einführung einer Ausnahmere-

gelung für die Vorbeuge- und Ge- nesungskuren in der Krankenver- sicherung vor Ablauf der strikten Dreijahresfrist, wenn die vorzeiti- ge Kur aus gesundheitlichen Gründen des Betroffenen drin- gend erforderlich ist und dies ärztlich attestiert wird. Ohnedies soll die bereits jetzt gegebene fle-

xible Anwendungsmöglichkeit für Heilmaßnahmen der Rentenversi- cherungsträger auch voll ausge- schöpft werden;

C> Lockerung der Anrechnung

von nur bezuschußten Kuren auf den Kurintervall von drei Jahren in der Renten- und Krankenversi- cherung, wenn der Sozialversi- cherte die Ietzt in Anspruch ge- nommene Kur weitgehend selbst finanziert hat.

C> Einführung einer Möglichkeit,

die Zuzahlungsverpflichtung bei Kuren durch teilweise Urlaubsan- rechnung bzw. begrenzten Ur- laubsverzicht (drei bis vier Tage) abzulösen.

Allerdings sollen hier keine gene- rellen gesetzlichen Vorschriften Platz greifen. Vielmehr denken George und Dregger an eine fle- xible und frei wählbare Möglich- keit des Kurantragstellers. Die Rechnung der Unionspolitiker

Kuren

geht davon aus, daß heute bei ei- nem vierwöchigen Heilverfahren eine Zuzahlung des Versicherten in Höhe von 280 DM fällig wird (bei 28 Tage Dauer des Heilverfah- rens und einer kalendertäglichen Zubußpflicht in Höhe von 10 DM).

Dies entspricht einem Netto-Ein- kommen eines Durchschnittsar- beitnehmers während etwa drei bis vier Tagen.

Falls der kurende Arbeitnehmer auf einen Urlaubsanspruch in die- sem Umfang verzichten würde, so müßte der Arbeitgeber den ent- sprechenden Betrag an den Ko- stenträger der Kur überweisen, der kurende Arbeitnehmer würde dann von den finanziellen Zu- schußpflichten völlig freigestellt werden.

Die beiden sich um das Kurge- schehen sorgenden Unionspoliti- ker sind sich indes bewußt, daß dazu noch erhebliche tarif- und besoldungsrechtliche Fragen (öf- fentlicher Dienst!) in diesem Zu- sammenhang zu lösen wären.

Dies geht aber kaum ohne die Mit- wirkung der Gewerkschaften und das Dazutun der Länder (Rahmen- gesetzgebung).

...,.. Abkehr vom Trend der Klinifi- zierung der Kurkliniken und -hei- me; weg vom Naßzellen- und Ein- bettzimmer-Diktat der BfA und LVA.

...,.. Aufklärung der Versicherten über die bestehenden Möglich- keiten, Rehabilitationsleistungen der Renten- und Krankenversi- cherungsträger in Anspruch zu nehmen (gesetzliche Regelungen und Satzungsrecht).

...,.. Abbau des "lnformationsdefi- zits bei Ärzten", auch den Vertrau- ensärzten, über das tatsächliche Spektrum und das Angebot von Rehabilitationsmöglichkeiten und die Vielfalt der individuell indizier- ten Kuren.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Harald Clade Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41 (Lindenthal) 86 Heft 47 vom 25. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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