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Archiv "49. Frankfurter Buchmesse: Auf der Suche nach „Wenderomanen“" (28.11.1997)

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iteratur erklärt ihre Zeit.

Mit dieser Ausgangs- these trat ich meinen Weg von Berlin nach Frank- furt auf die Buchmesse an, noch ganz eingenommen von den 47. Berliner Festwochen, die in diesem Herbst unter dem Titel „Deutschlandbil- der“ laufen. Ausstellungen wie die bis zum 11. Januar im Martin-Gropius-Bau gezeig- te Exposition „Kunst aus ei- nem geteilten Land“ sowie ungezählte Lesungen und Diskussionsabende zur Ge- schichte des geteilten Landes machten mich glauben, daß dieses Thema auch von der Literatenszene aufgegriffen werden müßte. Auf der Buchmesse begab ich mich al- so auf die Suche nach der Li- teratur, die in romanhafter Form ein Bild von diesem Land, von deutsch-deutscher Befindlichkeit zeichnet. Un- ter den mehr als 2 000 belle- tristischen Neuerscheinun- gen deutscher Autoren such- te ich die „Wenderomane“.

Doch das stellte sich als schwieriges Unterfangen her- aus, denn im laufenden Jahr scheint dieses Thema von nur minderem Interesse zu sein.

Gewöhnlicherweise sind es die auch als Journalisten tätigen Autoren, die mit der jüngsten vaterländischen Ge- schichte Schritt halten. Ein Spezialist für Zeitgeschichte ist Friedrich Christian Delius.

1991 wagte er sich als einer der ersten in seinem Prosa- stück „Die Birnen von Rib- beck“ daran, die Vorurteile, Antipathien und Sympathien der in Mannschaften aufge- teilten Deutschen auszuspre- chen. Doch in diesem Jahr zog sich Delius lieber in die Vergangenheit zurück: in sei- ner neuerschienenen auto- biographischen Erzählung

„Amerikahaus und der Tanz um die Frauen“ (Rowohlt Verlag) schildert er die frühen Tage der Studenten- revolte im Berlin anno 1966 auf fast naive Weise. Auch Michael Wildenhain wendet sich in seinem neuen Roman

„Erste Liebe, Deutscher Herbst“ (S. Fischer Verlag) lieber geschichtlichen Ereig-

nissen zu. RAF-Terrorismus gibt zugegebenermaßen gera- de heute, 20 Jahre danach, er- neut Anlaß genug, genau hin- zusehen. Zwei Autoren aus dem Westen, die der Vergan- genheit frönen.

Jens Sparschuh

Bernd Wagner hat sich in verschiedenen Romanen und Textsammlungen eingehend mit den Vor- und Nachwir- kungen der Wende beschäf- tigt. Er läßt sich neben jenen ostdeutschen Autoren einrei- hen, die diese Zäsur zu ihrem ureigensten Thema gemacht haben. Der Ostberliner Jens Sparschuh beispielsweise ver- öffentlichte nach „Der Zim- merspringbrunnen. Ein Hei- matroman“ (1995, Neuaufla- ge bei btb 1997) in diesem Jahr die Prosasammlung „Ich dachte, sie finden uns nicht“

(Kiepenheuer & Witsch). In seinen nachdenklichen Feuil- letons, Erinnerungsstücken und Porträts wird der ra- dikale Gesellschaftsumbruch spürbar.

Bernd Wagner

Wie Klinger, so bedient sich der gebürtige Sachse Bernd Wagner in seinem neuen Roman „Paradies“

(Ullstein) des Kunstgriffs, mit Hilfe von persönlicher Erinnerung den historischen Prozeß einzufangen. Seine Hauptfigur Judith Mehlhorn, eine körperlich und psychisch krank gemachte Frau, findet ihre Vorbilder in der Wirk- lichkeit: Da ist die Ostberli- nerin Bruni Stolpe, die dem Autor diese Geschichte so oder so ähnlich erzählt hat, und da ist Wagner selbst. Er übersiedelte 1985 aus der DDR nach West-Berlin. Jah-

re nach seiner eigenen Flucht läßt er die Protagonistin Ju- dith die ihre antreten. Sie er- fährt die „Altzehnländer“

und entdeckt ein West- deutschland fern jeglicher Ost-Träume. Von ganz unten, als Inhaftierte und als Patien- tin in der Psychiatrie, wirft sie liebevolle und boshafte Blicke auf den verheißungs- vollen Westen. Diesem setzt

die Protagonistin ihr Ost- deutschland entgegen, ein starres und unterkühltes Land, in dem nur hinter vor- gehaltener Hand gelacht wer- den kann. Wagners Roman ist eine witzige und span- nende, pointiert ironische Bestandsaufnahme Gesamt- deutschlands, der den geteil- ten Zeitgeist trifft wie kaum ein anderer.

Nadja Klinger

Von der ostdeutschen Journalistin Nadja Klinger erhoffte ich mir ein differen- ziertes Bild, da sie das Deutschland der Gegenwart in ihren Artikeln sozialkri- tisch reflektiert. Zwar wird ihr Erstlingswerk „Ich ziehe einen Kreis“ (Fest Verlag) damit beworben, daß in der

autobiographischen Erzäh- lung „Bilder aus dem Osten mit Überlegungen über den Westen“ entworfen werden – doch zum Leben erweckt sie diese Bilder nicht. Die Auto- rin skizziert das Leben einer Mutter von zwei Kindern im östlichen Teil Berlins. Die Ich-Erzählerin rekapituliert wenig spektakuläre Alltags- szenen aus der eigenen Kind- heit, aus dem Leben der El- tern und Großeltern. Über die Tatsache, daß sie in der DDR groß geworden ist und eines Tages erleben mußte, wie die vertrauten Orte ihres Landes unkenntlich und aus der DDR der Osten gemacht wurden, reflektiert die Prota- gonistin nur sehr oberfläch- lich. Klinger ergeht sich lei- der in vielen Andeutungen und scheint dem Zwang un- terlegen zu sein, zwischen den kleinen privaten Erleb- nissen und der großen Politik den Zusammenhang zu fin- den.

Irina Liebmann

Auch Irina Liebmann gehört dieser Gruppe an. In ihrem Reisebuch „Letzten Sommer in Deutschland. Ei- ne romantische Reise“ (Kie- penheuer & Witsch) beob- achtet sie die psychologi- schen, politischen und histo- rischen Zustände in Ost und West. Ihre in lyrischer Prosa verfaßte Reportage eignet sich, um eine literarische Rei- se durch die deutsche Gegen- wart zu beginnen und so im Spiegel der Literatur erste Erklärungen zu finden.

Das ist die Ausbeute mei- ner Suche nach „Wendero- manen“ auf der Frankfurter Buchmesse: Nur wenige in diesem Jahr erschienenen Werke wagen den Versuch, die Wirklichkeit „Deutsch- Deutschlands“ literarisch zu verarbeiten. Ist dieses Thema im trostlosen siebten Jahr nach der Vereinigung zu prekär? Folgen sowohl die west- als auch die ostdeut- schen Autoren lieber der Einheitstümelei mancher Po- litiker und wagen es deshalb A-3284 (72) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 48, 28. November 1997

V A R I A BUCHMESSE

49. Frankfurter Buchmesse

Auf der Suche nach

„Wenderomanen“

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nicht, offen auszusprechen, daß noch immer zwei Herzen in Deutschlands Brust schla- gen? Vielleicht ist aber diese Ignoranz der Autoren ge- genüber den Nachwehen der Wende auch ein weiteres An- zeichen für eine politikmüde Nation. Marion Kohler

Länderporträt

Unten links

Rolf Osang: Portugal.

Bruckmanns Länderporträts, F. Bruckmann Verlag, Mün- chen, 1997, 168 Seiten mit 150 Farbfotos, 49,80 DM

Das kleine Land am Ran- de Europas hat, wie dieses Buch eindringlich erkennen läßt, viel zu bieten: Kelten, Phönizier, Karthager, Grie- chen, Römer, Germanen hat- ten sich schon darum bemüht, bevor Berber und Araber eindrangen und bevor Portu- gal dann schon kurz nach sei- ner Befreiung zur ersten Ko- lonialmacht aufstieg. Später kamen noch britische Ein- flüsse dazu (die Briten be- trachten Portugal noch heute als ihren ältesten Verbünde- ten). Gleichwohl: Wer das Land nicht kennt, hat von der

Algarve gehört und von Lis- sabon – aber das ist längst nicht das ganze Portugal.

Denn der Alentejo und die bergige Nordhälfte – abgese- hen von der 600 Kilo- meter langen Westküste und

schließlich noch den Azoren und Madeira – sind nicht min- der reizvoll, auch dadurch, daß der Massentourismus sie noch nicht im Griff hat. „Por- tugal“ war übrigens auch das Schwerpunktthema der dies- jährigen Buchmesse.

Robert Osang, von dem Text und Fotografien stam- men, lebt in Portugal und hat das ganze Land darstellen wollen. Es ist ihm gelungen;

die vorzüglichen Fotos in dem großformatigen Buch vermitteln starke Eindrücke

von der Landschaft, den Menschen, den Bauten – hi- storisch und modern: ein Buch zum Blättern, zum Träumen, zum Appetitkrie- gen; ein kleiner handlicher Reisebegleiter fürs Prakti- sche liegt im hinteren Buch- deckel bei, eine hübsche Idee des Verlages.

Günter Burkart, Köln

CD-Kritik

Gegen das Vergessen

Gerhard Rosenfeld, Anita Geigges: Requiem für Ka- za Kathárinna. Thorofon, DCTH 2271/2, 1997

Dem Andenken und zur Ehre aller verfolgten Zigeu- ner widmen die Schriftstelle- rin Anita Geigges und der Komponist Gerhard Rosen- feld das im Jahr 1990 uraufge- führte „Requiem für Kaza Kathárinna“. Exemplarisch für das Leid, das viele Sinti und Roma in Deutschland er- fahren haben, wird der Wer- degang der 1908 geborenen Kaza Kathárinna in Text und Musik geschildert. In stren- gem, fast archaischem Sprach-

stil trägt Anita Geigges die Lebensstationen vor. Das Ge- fühl innerer Kälte, das den Zuhörer befällt, wird durch die dissonanten, stark rhyth- mischen musikalischen Einla- gen verstärkt. Unter der Lei- tung von Gerhard Rosenfeld gelingt es dem Kammeren- semble, bestehend aus einem Mezzosopran, Solovioline, Harfe und Schlagzeug, das grauenvolle Schicksal der Ka- za Kathárinna und ihres Volkes in Töne zu fangen.

Marion Kohler, Berlin

A-3285 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 48, 28. November 1997 (73)

V A R I A BUCHMESSE

Blutplasma:

Korrektur

In einer Teilauflage von Heft 46/ 1997 wurde gemel- det, eine Ärztin sei zur Zahlung von Schadener- satz verurteilt worden, weil sie einer Patientin falsches Blutplasma verabreicht ha- be (Rubrik Varia/Recht und Steuer). Richtig ist je- doch, daß die angehende Anästhesistin wegen der Gabe einer falschen Blut- konserve haften mußte.

Die Redaktion bedauert die Verwechslung. DÄ

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