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Archiv "Psychosomatik: Bessere Diagnostik durch mehr Redezeit" (13.08.2004)

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oziale Unterstützung und eine gute Partnerschaft scheinen einen positi- ven Effekt auf das autonome kardia- le Nervensystem, die koronaren Gefäße, auf das Gerinnungs- und Immunsystem sowie auf den Stoffwechsel zu haben.

Das dokumentiert zumindest die noch unveröffentlichte „Stockholmer Studie zur koronaren Herzkrankheit bei Frau- en“, die erstmals beim 25. Europäischen Kongress für psychosomatische Medizin in Berlin präsentiert wurde. Vom 23. bis 26. Juni diskutierten dort Ärzte, Psycho- logen und Soziologen psychosoziale Aspekte von Erkrankungen.

Besonders das Herz-Kreislauf-System wird durch die Psyche beeinflusst. Zehn Jahre lang untersuchten deshalb schwe- dische Wissenschaftler 600 Frauen im Al- ter von 30 bis 65 Jahren; davon 300 Frau- en mit einem akuten Myokardinfarkt.

„Frauen, die über eine problematische Ehe oder Partnerschaft klagten, haben im Vergleich mit glücklich oder zumin- dest zufrieden verheirateten Frauen ein vielfach höheres Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu entwickeln“, erklär- te Studienleiterin Prof. Dr. Kristina Orth- Gomér vom Karolinska Institut in Stock- holm. Die Forschergruppe um Orth- Gomér stellte bei sozial isolierten Frauen eine Erhöhung der Gerinnungsfaktoren (Fibrinogen und Von-Willebrand-Faktor) sowie der Lipidwerte fest. Gleichzeitig hatten diese Frauen ein höheres Risiko für Adipositas und Diabetes mellitus.

Psychologische Beratung

Noch ungünstiger als soziale Isolation wirken sich offensichtlich unglückliche Beziehungen auf das Herz-Kreislauf- System aus. Orth-Gomér untersuchte hundert Frauen, deren Herzkranzge-

fäße verengt waren, im Abstand von drei Jahren angiographisch. „Frauen, die unter Stress in der Ehe litten, wiesen ei- ne deutliche Zunahme bei der Veren- gung der Gefäße auf“, berichtete die schwedische Expertin. Bei Frauen, die in einer guten Ehe lebten, hätte sich die Arteriosklerose sogar zurückgebildet.

Derzeit testet Orth-Gomér in einer In- terventionsstudie bei 94 Patientinnen, inwieweit sich psychologische Beratung und Stressbewältigung auswirken. „Die Zwischenergebnisse sind ermutigend“, betonte die Wissenschaftlerin. Die An-

zahl der Pflegetage habe sich bei den therapierten Frauen halbieren lassen.

Obwohl Schweden zu den wenigen europäischen Ländern gehört, in denen Frauen genauso häufig erwerbstätig sind wie Männer, zweifeln Fachleute nicht daran, dass die Ergebnisse der Studie auch für Deutschland gelten.

„Der familiäre Stress ist bei schwedi- schen und deutschen Frauen sicher ver- gleichbar“, sagte Kongress-Präsident Prof. Dr. med. Hans-Christian Deter, Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Seiner Ansicht nach sollten deshalb auch in Deutschland künftig Untersu- chungen mit diesem Schwerpunkt erfol- gen. Leider fehlten für Forschung auf dem Gebiet der Psychosomatik oftmals die finanziellen Mittel.

In der allgemein- und fachärztlichen Versorgung sei die Psychosomatik dage- gen bereits sehr gut etabliert, konstatier- te Deter. 45 Prozent der Berliner Haus- ärzte seien psychosomatisch geschult.

Auch im europäischen Vergleich schnei- det die deutsche Psychosomatik/Psycho- therapie gut ab. „Die Versorgung ist im Vergleich zu England und der Schweiz deutlich befriedigender – das zeigen ver- schiedene Studien“, erklärte Deter. Un- abhängig vom sozialen Status könne hierzulande ambulante Psychotherapie verordnet und bezahlt werden.

Ernüchternd ist dagegen das Ergeb- nis einer von der Deutschen For- schungsgemeinschaft geförderten Stu- die des Universitätsklinikums Mainz über psychosomatische Schmerzpatien- ten. Danach durchlaufen während eines Zeitraums von sieben bis acht Jahren Patienten eine wahre

„Ärzte-Odyssee“, bis psychische Ursachen als Auslöser für chro- nische Schmerzen er- kannt werden. Durch- schnittlich elf ver- schiedene Behandler suchten die Betroffe- nen auf (Spitzenrei- ter: 83), wobei 38 Pro- zent zwischenzeitlich sogar vergeblich ei- nen Schmerzspezia- listen konsultierten.

Untersucht haben die Wissenschaftler den ärztlichen Konsulta- tions- und Behandlungsprozess von 280 Patienten mit psychisch bedingten Schmerzzuständen. 85 Prozent der er- werbstätigen Patienten waren wegen der Schmerzsymptomatik durchschnitt- lich 20 Wochen krankgeschrieben, acht Prozent bereits berentet. 82 Prozent nahmen Schmerzmittel ein – ohne we- sentliche Linderung. Knapp zwei Drit- tel der Patienten hatten bereits einen stationären Aufenthalt wegen der Schmerzen hinter sich. „Ursache für die somatoformen Schmerzstörungen sind P O L I T I K

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A2224 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004

Psychosomatik

Bessere Diagnostik durch mehr Redezeit

Im europäischen Vergleich schneidet die deutsche

Psychosomatik gut ab. Trotzdem gibt es noch große Defizite.

Die Qualität der Diagnostik von psychosomatischen Erkrankun- gen ist eng mit der Arzt-Patienten-Interaktion verbunden.

Foto:AOK Mediendienst

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A2226 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004

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er Moment, als er die Astronauten zum ersten Mal aus nächster Nähe bei der Landung beobachtete, bleibt für Jürgen Damann unvergess- lich: Wie Schockpatienten sahen die Raumfahrer für den Crewarzt der da- maligen D2-Mission aus, aschgrau und kaltschweißig im Gesicht, ohne Balance.

Als Damann die Raumfahrer nur weni- ge Tage nach ihrer Shuttle-Landung un- tersuchte, schlug lediglich der Finger- Nase-Versuch noch fehl. Alle anderen

Körperfunktionen der Astronauten hat- ten sich wieder regeneriert. „Diese An- passungsfähigkeit des menschlichen Or- ganismus hat mich einfach fasziniert.“

Wenn Damann heute von der D2-Mis- sion erzählt, gerät er ins Schwärmen. An die ersten Jahre als Arzt im Institut für Luft- und Weltraummedizin am Deut- schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln erinnert der heute 45- Jährige sich gerne – die vielen Bilder an den Wänden seines Büros und die Be- cher und Fähnchen mit dem Missions- Logo zeugen davon. Ein Jahr lang be- treute er einige der Astronauten bei de- ren Vorbereitung auf den zehntägigen

Shuttleflug,wohnte mit ihnen in Houston bei der NASA (North-Atlantic-Space- Agency), wurde zu ihrem Privatpsycho- logen. Damann lächelt. Der eher unauf- fällige Mann mit der blauen Metallbrille und dem zeitlosen Jackett mag es, der zentrale Ansprechpartner der Astronau- ten und auch ihrer Familien zu sein. Meh- rere Hunderte von Patienten in einer Hausarztpraxis zu betreuen wäre un- denkbar für ihn; ebenso wie sich regel- mäßig mit Gesundheitspolitik auseinan-

der zu setzen.Auch wenn diese intensive, Rund-um-die-Uhr-Betreuung in Hoch- zeiten der D2-Mission keine Zeit für Privatsphäre gelassen hat. Während der zehn Tage, die die Astronauten im Orbit verbrachten, lebte Damann überwiegend im Kontrollraum der NASA. Tage- und nächtelang saß er hochkonzentriert vor den Bildschirmen, beobachtete jede kleinste Bewegung der Raumfahrer, ach- tete darauf, dass sie ihren Schlafrhythmus einhielten und die lebenserhaltenden medizinisch-technischen Geräte funktio- nierten. Einmal täglich fand ein persönli- ches Arztgespräch über einen privaten Kanal statt. Permanentes Kribbeln und

Weltraummediziner

Advokat der Astronauten

Jürgen Damann arbeitet seit 15 Jahren als Crewarzt europäischer Raumfahrer. Ein Porträt

Bei der Arbeit – der Leiter des „Crew-Medical-Support-Office“, Jürgen Damann, im Kontrollraum der Europäischen Weltraumagentur in Köln häufig Stress- und Schmerzerfahrungen

in der Kindheit“, erläuterte Prof. Dr.

med. Ulrich Egle, Universität Mainz.

Da bereits werde nämlich die Verbin- dung von Stress und Schmerz hergestellt (Verbindung Thalamus – praefrontaler Cortex – Amygdala).

Im Rahmen der bislang noch unver- öffentlichten Mainzer Studie wurde gleichzeitig eine spezielle Gruppenpsy- chotherapie entwickelt. 150 Patienten mit stressbedingten Schmerzstörungen nahmen an der sechmonatigen ambu- lanten Psychotherapie teil – mit gutem Erfolg: 60 Prozent der Patientinnen und Patienten berichteten von einer deutli- chen Besserung bis hin zu vollständiger Schmerzfreiheit.

Dass Ärzte nur in etwa der Hälfte der Fälle die psychischen Ursachen von kör- perlichen Beschwerden erkennen, ist keine Frage des Wissens, sondern der Arzt-Patienten-Beziehung, meint Dr.

med. Johannes Kruse, Universität Düs- seldorf. Dabei würden wenige Minuten Redezeit ausreichen, um die richtige Diagnose zu stellen. „Wenn der Patient zwei psychische Beschwerden anspricht, erkennt der Arzt diese in der Regel“, er- klärt Kruse. „Aber oft erhält der Patient nicht die Chance, diese darzustellen.“

Psychosoziale Probleme, wie Schei- dung, Trennung, häusliche Gewalt und Ähnliches, werden nur gegenüber Ärz- ten angesprochen, die das Gespräch nicht zu sehr kontrollieren und den Pa- tienten ausreichend Gesprächszeit las- sen. Dies belegt die kürzlich veröffent- lichte „Düsseldorfer Hausarztstudie“

der Universität Düsseldorf, im Rahmen derer 500 Patientenkontakte in 18 Pra- xen untersucht wurden. Danach geben Hausärzte, die psychosomatische Stö- rungen übersehen, ihren Patienten im Durchschnitt nur 1,8 Minuten Rede- zeit und kontrollieren den Dialog sehr stark. Hausärzte, die psychosomati- schen Störungen auf die Spur kom- men, gewähren dem Patienten hinge- gen 3,5 Minuten Redezeit und überlas- sen dem Hilfe Suchenden häufiger die Gesprächsgestaltung. „Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Patienten eines Hausarztes unter psychischen und psychosomatischen Störungen leidet, sollten mehr Kommunikationsschulun- gen für Hausärzte stattfinden“, fordert Kruse. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann

Fotos:ESA

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