A 790 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 17|
30. April 2010 ter einen Strukturfonds, gefüllt miteinem Prozent der Gesamtvergü- tung einer Kassenärztlichen Verei- nigung, um Anreize zur Tätigkeit in strukturschwachen Regionen zu setzen.
Um den unterschiedlichen An- forderungen in Dörfern, Klein- und Großstädten gerecht zu werden, hat die KBV bereits vor geraumer Zeit das Instrument der kleinräumi - gen Versorgungsanalyse entwickelt.
Das Computerprogramm, das seit Juni 2007 online genutzt werden kann, berücksichtigt unter anderem Standorte und Kapazitäten von Pra- xen sowie die Zahl der Einwohner und deren Morbiditätsrisiken in un- terschiedlichen Regionen. So lässt sich ermitteln, welcher Vertrags- arztsitz in einer Region besonders dringend besetzt werden müsste.
Zurzeit arbeitet die KBV an einer Weiterentwicklung, die unter ande- rem die Steuerung der Vertragsarzt- sitze verbessern soll. „Damit der Zulassungsausschuss einen neuen Vertragsarztsitz ausschreibt, müs- sen künftig vier Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein“, schlägt KBV-Chef Köhler vor. Die Region müsse mit Ärzten einer bestimmten Fachgruppe unterdurchschnittlich versorgt sein. Der potenzielle Pra-
xisstandort müsse mit Blick auf Lage, Verkehrsanbindung und Einwohnerzahl gewisse Mindest - voraussetzungen erfüllen. Und die Niederlassung müsse wirtschaftlich sein und dürfe bestehende Praxen nicht gefährden.
Das Konzept soll auch dazu die- nen, den Versorgungsbedarf künftig sektorübergreifend ermitteln zu können. Gerade in unterversorgten Gebieten sind nach Ansicht der KBV Kooperationen mit Kranken- häusern wünschenswert. „Die Zeit ist reif, dass die kleinteilige Zustän- digkeitsbegrenzung zwischen Kran- kenhäusern und niedergelassenen Ärzten und die starre Bedarfspla- nung für die Praxen aufgebrochen werden“, erklärte Anfang April auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum. Ihm schwebt dabei vor allem eine weitreichende Öff- nung der Krankenhäuser für spezi- alärztliche ambulante Behandlun- gen vor. Dies stößt bei der KBV auf ebenso entschiedene Ablehnung wie die Vorstellungen der Kranken- kassen zur Zukunft der ambulanten fachärztlichen Versorgung.
Im Positionspapier „Differen- zierte, sektorübergreifende Be- darfsplanung“ spricht sich der
GKV-Spitzenverband dafür aus, die primärärztliche Versorgung mit Haus-, Kinder- und Frauenärzten aus- und Kapazitäten in der allge- meinen ambulanten fachärztlichen Versorgung abzubauen. Die spezia- lisierte fachärztliche Versorgung soll in Zentren, Krankenhäusern und kooperierenden Einrichtungen gebündelt werden. Der Bedarfsana- lyse sollten danach künftig Zeitka- pazitäten statt Köpfe zugrunde ge- legt werden. Junge Ärzte will man finanziell motivieren, sich in unter- versorgten Gebieten niederzulas- sen. Für strukturschwache Regio- nen schlagen die Kassen einen Shuttle-Service für den Transport von Patienten vor.
„Unterversorgung können wir nur durch andere Arbeitsteilungen, Arbeits- und Organisationsformen verhindern“, sagt Hartmut Reiners, ehemaliger Referatsleiter im bran- denburgischen Gesundheitsministe- rium. Er hat maßgeblich ein Kon- zept erarbeitet, das weitreichende Mitbestimmungsrechte sowie einen Genehmigungsvorbehalt der Län- der bei der Bedarfsplanung vor- sieht. Es dient als Vorlage für ein Treffen der Amtschefs der Gesund- heitsministerkonferenz im Mai.
„Die Länder müssen sich mehr einmischen“, fordert Reiners. Das bedeute aber nicht, dass man am Prinzip der Selbstverwaltung rüt- teln wolle. Es gehe um eine neue Form der Kooperation und eine bessere Koordinierung zwischen ambulanter und stationärer Be- darfsplanung durch sektorübergrei- fende Gremien. „In der Fläche nä- hern wir uns einem Zustand, wo weder Krankenhäuser noch nieder- gelassene Ärzte überleben können, weil die Zahl der Patienten nicht mehr ausreicht“, sagt er mit Blick auf die fachärztliche Versorgung.
„Wir brauchen im Prinzip eine Ab- stimmung der Versorgungsberei- che, eine Kooperation, wenn nicht eine Zusammenlegung.“ Politisch könne man ein solches Konzept aber nur durch umfassende Gesprä- che mit allen Betroffenen durchset- zen, weiß er: „Das ist ein dickes Brett, das da gebohrt werden
muss.“ ■
Heike Korzilius, Sabine Rieser Derzeit wird intensiv über
Ärztemangel und Bedarfspla- nung diskutiert. Haben die Ärztekammern genug getan, zum Beispiel im Bereich der Weiterbildung in Allgemein- medizin?
Wesser: Für Thüringen kann ich sagen, dass wir die Weiter- bildung zur Allgemeinmedizin schon befördert haben. Wir ha- ben auch in Veranstaltungen bei der Kammer sowohl mit Weiterbildern wie Weiterzubil- denden über deren Probleme gesprochen. Aber in der Allge- meinmedizin war der Bruch in- sofern immer programmiert, als
dass die Ärzte in Weiterbildung im Krankenhaus jahrelang mehr Geld bekommen haben als in der Praxis.
Der Bundesgesundheitsmi- nister und andere haben spezielle Anreize zur Diskus- sion gestellt, nach dem Mot- to: Studienplatz gegen späte- re Hausarzttätigkeit. Was halten Sie davon?
Wesser: Das ist unsinnig. Die- se zentralistischen Lenkungs- regeln hatten wir im Osten alle, das wollen wir auf keinen Fall mehr. Die Angebote für junge Ärztinnen und Ärzte müssen so
gut und attraktiv sein, dass je- mand sagt: Jawohl, das mache ich.
Was müsste man noch tun?
Wesser: Die Zukunft nicht so schlechtreden. Der künftige Hausarzt wird eben keiner sein, der 24 Stunden arbeitet. Er wird entlastet werden und nicht rund um die Uhr bei Wind und Wetter unterwegs sein. Wir müssen neue Arbeitsformen finden, auch um dem negativen Be- rufsbild zu entgehen.
Langfassung des Interviews:
www.aerzteblatt.de/10790
3 FRAGEN AN . . .
Dr. med. Mathias Wesser, Präsident der Landesärztekammer Thüringen