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Archiv "Psychotherapie des Allgemeinarztes in der Sprechstunde" (08.05.1980)

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Psychotherapie des

Allgemeinarztes in der Sprechstunde

Eberhard Schaeffer

Einleitung

Die zunehmende Zahl von Veröffent- lichungen in der Fachpresse über Psychotherapie in der Allgemeinpra- xis ist als Zeichen für die wachsende Erkenntnis der Notwendigkeit anzu- sehen, sich mit den psychischen Problemen der Patienten auseinan- derzusetzen.

Diese Tatsache darf aber nicht dar- über hinwegtäuschen, daß Psycho- therapie in der Allgemeinpraxis durchaus noch nicht den festen Platz einnimmt, der ihr zusteht.

Mit unserer Arbeit möchten wir über eine Verfahrensweise· berichten, die sich uns in unserer Praxis während der Sprechstunde als durchführbar und wirksam erwiesen hat.

Bei 30 bis 50 Prozent aller Patienten, die den Allgemeinarzt aufsuchen, sind psychische oder psychosomati- sche Störungen oder Erkrankungen festzustellen.

K. Koehle fand im Bereich internisti- scher Polikliniken sogar bei 50 bis 80 Prozent aller Patienten eine we- sentliche Beteiligung psychosozia- ler Faktoren am Krankheitsbild (1 ).

M. Pflanz fand (1962) bei 7824 Pa- tienten der Gießener Medizinischen Poliklinik bei 25,5 Prozent solche rein funktionellen Syndrome, bei de- nen sich keinerlei pathologischer Organbefund und keinerlei Abwei- chung von Normwerten bei Labor- untersuchungen erheben lassen (2).

Vergleichbare Zahlen aus den letz- ten Jahren für die vorliegende Arbeit liefern die Untersuchungen von K.

Keller (3). Er nennt als Gesamtanteil psychosomatischer Erkrankungen 40 Prozent bei einer Untersuchung

an 1326 Patienten innerhalb eines Vierteljahres. W. Vogler bestätigt in einer praxiseigenen Studie die oben genannte Zahl (4).

Diese Tatsache läßt dem Arzt drei Entscheidungsmöglichkeiten offen.

1. Drei ärztliche

Einstellungsmöglichkeiten Entweder er entscheidet, daß das Somatische den Vorrang hat und daß er für den psychischen Anteil des Krankseins nicht zuständig ist, oder er folgt der Vorstellung, daß es bestimmte Krankheiten gibt, die psy- chosomatisch sind und deren Ursa- che in psychischen Störungen liegt, oder aber er betrachtet den Men- schen als psychophysische Ganz- heit und Krankheit als etwas den ganzen Menschen Betreffendes.

1.1. Die somatische Einstellung Ist die Sichtweise des Arztes soma- tisch, so bedeutet das, daß er Krank- heit als eine physikalische Störung ansieht. Nach diesem Verständnis ist Krankheit für den Patienten etwas ihn von außen Betreffendes. Der Arzt ist als Wissender aufgerufen, die Krankheit zu erkennen und die Stö- rung durch Eingriffe oder Medika- mente zu beheben. Diese Einstel- lung entmündigt den Patienten, er hat einen Körper, der krank ist, der Arzt als Fachmann ist aufgerufen, den Schaden zu beheben. Für den Arzt bedeutet diese Sichtweise eine Stärkung seiner Machtposition, aber gleichzeitig auch Übernahme der Verantwortung für den Patienten.

Für den Patienten bedeutet diese Einstellung, daß er sich nicht für sei-

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Zw1schen 30 und 50 Prozent aller Patienten, die den Allge- meinarzt aufsuchen, sind psy- chisch oder psychosomatisch gestört oder erkrankt. Erfor- derlich ist daher, daß der Arzt eine Einstellung entwickelt, die es ihm ermöglicht, seinen Patienten auch auf der emo- tionalen Ebene angemessen zu begegnen. Aufgrund seiner Stellung scheint der Allge- meinarzt in besonderem Maße geeignet. diese Forderungen in seiner Praxis zu verwirkli- chen. Eine auf die Besonder- heiten der allgemeinärztlichen Sprechstunde abgestimmte

Vergehensweise wird be-

schrieben.

ne Krankheit verantwortlich zu füh- len braucht. Äußert der Patient psy- chische Beschwerden, wird der so- matisch eingestellte Arzt geneigt sein, sie abzuwerten, als nicht von Belang zu überhören, oder er wird den Kranken an den Psychiater überweisen, der für Psychisches zu- ständig ist. Der Patient, der erfährt, daß der Arzt sich ausschließlich für Organbeschwerden interessiert, wird vorwiegend organische Sym- ptome anbieten.

in dieser Beziehung ist eine partner- schaftliche Begegnung zwischen Arzt und Patient nicht möglich und auch nicht vorgesehen. Der Kontakt zwischen Arzt und Patient erfolgt hier auf drei Ebenen:

~ auf der Sachebene, indem der Arzt als Experte dem Patienten sein fachliches Wissen zur Verfügung stellt,

~ auf der lnformationsebene, in- dem er dem Patienten die Krankheit mitteilt,

~ auf der Handlungsebene, indem er bestimmt, was zu geschehen hat.

ln dieser Beziehung wird weniger mit dem Patienten als über ihn ge-

sprochen. C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 19 vom 8. Mai 1980 1241

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Psychotherapie in der Allgemeinpraxis

1.2. Die psychologische Einstellung

Die zweite Sichtweise geht von der Vorstellung aus, daß es neben den rein somatischen Krankheiten be- stimmte Krankheiten gibt, die psy- chisch verursacht sind, oder somati- sche Krankheiten, die psychische Ursachen haben, sogenannte psy- chosomatische Erkrankungen. Bei dieser Einstellung hat der Patient nicht nur einen Körper, sondern auch eine Seele, für die der Arzt sich zuständig fühlt. Emotionale Fakto- ren werden als Ursache bestimmter Krankheiten begriffen. Die psycholo- gische Einstellung verfestigt aber die Dichotomie mit anderer Gewich- tung. Die alte Leib-Seele-Spaltung bleibt erhalten. Das Hauptgewicht liegt jetzt auf dem Psychischen mit der Gefahr der Unterbewertung des Somatischen zugunsten des Psychi- schen.

Folgt man dieser Betrachtungswei-

se, so gewinnt neben den drei vorge-

nannten Ebenen

~ das Gespräch mit dem Patienten vorrangige Bedeutung.

Die Beziehungsebene kommt ins Spiel. Der Aspekt des Erlebens, der emotionale Bereich wird für Arzt und Patient zum tragenden Moment der gegenseitigen partnerschaftli- ehen Beziehung. Die geglückte Be- ziehung, die Übertragung und Ge- genübertragung, die Arbeit am Wi- derstand wird zum therapeutischen Agens.

1.3. Die psychosomatische Einstellung

Die dritte Betrachtungsweise, die hier beschrieben wird und die wir vertreten, beruht auf der psychoso- matischen Einstellung. Sie bedeutet den Versuch einer Synthese, näm- lich den Patienten als psychophysi- sche Ganzheit in seiner Beziehung zur Umwelt, also in seiner ganzen Realität, zu erfassen. Aus dieser Sicht ist der Mensch nicht Geist- Seele, die einen Körper hat, sondern er istauch sein Körper. Nach diesem

Verständnis kann im physischen Be- reich nichts geschehen, was nicht auf der psychischen Ebene seine Entsprechung hätte. Physisches und Psychisches sind nichts qualitativ Unterschiedliches, die Unterschiede sind nur quantitativ ... Dieses Kon- zept setzt uns in den Stand, das menschliche Wesen als das, was es ist, zu betrachten, nämlich als Gan- zes, und sein Verhalten zu studieren, wo es sich manifestiert, auf der offe- nen (overt) Ebene der körperlichen und auf der verdeckten (covert) Ebe- ne der psychischen Aktivität. Wenn wir einmal erkannt haben, daß Ge- danken und Handlungen aus dem- selben Stoff sind, können wir von einer auf die andere Ebene übertra- gen und transponieren" (Perls) (5).

Das aus der Naturwissenschaft ge- wohnte linear-kausale Denken reicht nicht aus, um komplexe Lebenspro- zesse hinreichend verständlich zu machen. Mit der Einführung kyber- netischer, zyklischer, grenzüber- schreitender Modelle, wie sie J. v.

Uexküll .um die Jahrhundertwende beschrieben und Th. v. Uexküll wei- terentwickelt hat, werden Systeme mit der Fähigkeit zur Selbstregula- tion und der Tendenz zur Homöosta- se beschrieben (6). Hinzu kommt das aus der Gestaltungspsychologie entlehnte Prinzip, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

2. Die besondere Stellung des Allgemeinarztes 2.1 Schwierigkeiten

Jeder Vorschlag, Psychotherapie in der Allgemeinpraxis zu betreiben, muß von den besonderen Gegeben- heiten der Allgemeinpraxis ausge- hen. Er muß vor allem den erhebli- chen Zeitdruck in Rechnung stellen, unter dem der Allgemeinarzt in der Sprechstunde arbeiten muß. Täglich sieht er sich einer nicht willkürlich begrenzbaren Zahl von Patienten gegenüber. Die Zeit, die er dem ein- zelnen Kranken widmen kann, ist kurz bemessen. Er steht vor der Auf- gabe, in kurzen Zeitabständen im- mer neu einen Patienten ins Auge fassen und schnelle Entscheidun-

1242 Heft 19 vom 8. Mai 1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

gen treffen zu müssen. Immer be- steht darüber hinaus die Möglich-

keit, daß der gewohnte Ablauf durch

ein akutes Ereignis, einen dringen- den Besuch, unterbrochen wird.

2.2. Vorteile

Im Unterschied zum Kliniker aber verfügt der Allgemeinarzt über eine eingehende Kenntnis der Lebens- umstände seiner Kranken. Das Kran- kengut ist unausgelesen. Sein Be- handlungsgebiet umfaßt den ganzen Bereich der Medizin. Er kennt seine Patienten und deren Familien über Jahre hin, verfügt also, im Gegen- satz zum Kliniker, über Langzeitbe- obachtungen. Die Fluktuation in ei- ner länger bestehenden Allgemein- praxis ist gering. 80 bis 90 Prozent aller Kranken suchen zuerst den All- gemeinarzt auf, und mindestens 90 Prozent der Klientel sind dem Arzt als regelmäßige Besucher seiner Praxis bekannt (Verden-Studie) (7).

Immer wenn sie krank sind, wenden sie sich zuerst an ihn.

Bei den Hausbesuchen erlebt der Arzt seine Patienten in ihrer Umge-

bung, und im Laufe der Jahre ist ein

besonderes gegenseitiges Vertrau- ensverhältnis entstanden. Der Pa- tient weiß aus langjähriger Erfah-

rung, was er von seinem Arzt erwar-

ten kann.

Aufgrund dieser besonderen Stel- lung scheint der Allgemeinarzt in hervorragender Weise geeignet, Psychotherapie zu betreiben.

3. Das funktionelle Syndrom Überprüft man die Häufigkeit der Krankheiten und Störungen mit psy- chischer Beteiligung in der Allge- meinpraxis so stellt man fest, daß es nicht in erster Linie die Neurosen oder die psychosomatischen Krank- heiten sind, die uns im Sprechzim- mer begegnen, sondern daß es das unklare Krankheitsbild der funktio- nellen Syndrome ist, dem wir uns besonders häufig gegenübersahen und an dem wir besonders deutlich unsere Hilflosigkeit erfahren.

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Aktuelle Medizin Psychotherapie in der Allgemeinpraxis

Vor uns stehen Patienten mit unbe- stimmten, allgemeinen oder organ- bezogenen Mißempfindungen, für die sich keine oder keine wesentli- chen organischen Befunde finden lassen.

Oft werden sie, da ihre Beschwer- den trotz Behandlung andauern, langwierigen, kostspieligen Unter- suchungen unterzogen, immer wie- der von neuem Fachärzten vor- gestellt und dadurch immer stärker auf eine somatische Ursache ihrer Beschwerden fixiert. Sie erhalten als Ausdruck unserer Ratlosigkeit Tran- quilizer, oft über lange Zeit, oder Medikamente, die ihnen vermitteln, daß sie doch eine organische Krank- heit haben.

J. Cremerius hat auf die starke Ten- denz der funktionellen Syndrome zu persistieren oder in psychosomati- sche Krankheiten überzugehen hin- gewiesen (8).

Die hier beschriebene Problematik des funktionellen Syndroms macht besonders deutlich, wie wichtig der Arzt an der Basis ist. Sein Vorgehen kann darüber entscheiden, ob eine Funktionsstörung chronisch wird, oder ob sie durch eine angemessene Behandlung schnell abheilt.

4. Verwirklichung der

psychosomatischen Einstellung Unsere in der Folge näher beschrie- bene Vorgehensweise beim funktio- nellen Syndrom gründet in der psy- chosomatischen Einstellung. Sie er- fordert nicht mehr Zeit als eine gründliche körperliche Untersu- chung, die wir, wenn sie erforderlich scheint, ja auch nicht aus Zeitman- gel unterlassen. Die psychosomati- sche Einstellung ist erlernbar.

Sie kann in Balint-Gruppen, psycho- therapeutischen Seminaren, Ge- staltausbildungsgruppen und in Selbsterfahrungsgruppen erworben werden. Patienten mit neurotischen Erkrankungen oder Depressionen erfordern mehr Zeit. Für sie sind the- rapeutische Sitzungen außerhalb der Sprechstunde notwendig.

4.1. Klientzentrierte Gesprächstherapie

Für uns bedeutete nach 25 Jahren allgemeinärztlicher Tätigkeit die.

Einübung der klient- oder person- zentrierten Gesprächstherapie nach Rogers in zwei Wochenseminaren und ihre Anwendung in der Praxis die erste wichtige Begegnung mit Psychotherapie (9) (10).

Die Beschäftigung mit diesem psy- chotherapeutischen Verfahren und seine Ausübung setzten bei uns wichtige Veränderungen in Gang.

Durch die Anwendung dieser Metho- de entwickelte sich unsere Fähigkeit zuzuhören, uns selbst und unsere Patienten deutlicher wahrzunehmen und aus den Äußerungen der Patien- ten die Gefühlsinhalte herauszuhö- ren und aufzugreifen.

Statt symptomzentriert, begannen wir mehr personzentriert zu. arbei- ten. Diese Bemühungen setzten uns allmählich in den Stand, unseren Pa- tienten auf der Beziehungsebene angemessen zu begegnen. Die spür- bare Erweiterung ärztlicher Mög- lichkeiten machte uns Mut, eine ge- stalttherapeutische Ausbildung zu beginnen.

4.2. Gestalttherapie

Aufgrund ihres ganzheitlichen An- satzes entspricht die von F. Perls und P. Goodman entwickelte Ge- stalttherapie in besonderer Weise der psychosomatischen Einstellung (11). Sie ist ein nichtanalytisches, psychotherapeutisches Verfahren, dessen Hauptgewicht im Erleben im Hier und Jetztliegt, im Gegensatz zu analytischen Verfahren, die sich vor- wiegend mit Erlebnissen aus der Vergangenheit befassen und deren Hauptgewicht im kognitiven Bereich liegt.

Auf eine ausführliche Darstellung der Gestalttherapie muß hier ver- zichtet werden. Es wird auf die zu- ständige Literatur verwiesen. Er- wähnt werden sollen hier nur be- stimmte gestalttherapeutische Inter- ventionstechniken, die sich uns als

wirksame Hilfen erwiesen haben, um dem Patienten auch auf der emotio- nalen Ebene zu begegnen und ihn in Kontakt zu seinen vermiedenen Ge- fühlen zu bringen.

5. Vorgehensweise

Im Umgang mit unseren Patienten verwenden wir Anteile beider Ver- fahrensweisen. Erscheint ein Patient besonders ängstlich, ist die Vorge- hensweise klientzentriert, behutsam einfühlend, verständnisvoll beglei- tend. Besteht ein guter, tragfähiger Kontakt, können konfrontierende Fragen und Feststellungen förder- lich sein. Eine wichtige Rolle in der psychotherapeutischen Diagnostik und Therapie — beide sind nicht von einander zu trennen — spielt die Kör- persprache, das, was der Patient uns durch Haltung, Gestik, Atmung und Stimme vermittelt. Diese Botschaf- ten nehmen wir auf und verwenden sie, indem wir sie dem Patienten mit- teilen. Zum Beispiel: „Sie halten jetzt Ihre Hand vor den Mund, als wollten Sie etwas nicht herauslas- sen. Wissen Sie, was Sie da zurück- halten?" Oder zum Beispiel: „Ihre Stimme klingt so, als ob Sie traurig wären", usw.

Auch die Art der Fragen, die wir stel- len, unterscheidet sich von den Fra- gen, die der somatisch orientierte Arzt seinen Patienten zu stellen ge- wohnt ist. Unsere Fragen zielen auf die Befindlichkeit des Patienten.

Fragen, wie wir sie stellen, die zum Rüstzeug des Gestalttherapeuten gehören, können etwa lauten: „Was geht jetzt in Ihnen vor?", „Wie ist Ihnen jetzt zumute?", „Was wollen Sie jetzt nicht sehen?" Die letztge- nannte Frage zielt auf den Wider- stand des Patienten. Oder: „Kennen Sie diese Situation von früher?" Die- se Frage kann dem Patienten die Verbindung seiner derzeitigen Si- tuation mit früheren Verhaltenswei- sen oder Erlebnissen deutlich ma- chen. Es geht also um die Rückfüh- rung des angebotenen Symptoms auf den eigentlichen psychischen Konflikt. Vielleicht kann eine Patien- tin, wenn sie erlebt, daß ihre chroni- schen Magenschmerzen von ihrer

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 8. Mai 1980 1243

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Aktuelle Medizin

Psychotherapie in der Allgemeinpraxis

unterdrückten Wut auf ihren Mann herrühren, versuchen zu lernen, ihre wahren Gefühle zuzulassen und auszusprechen, statt sie zu ver- drängen.

Immer gehen wir also vom Augen- scheinlichen aus, von dem, was wir sehen, vom Hörbaren, von dem, was uns die Stimme und Sprache vermit- telt, und wir nehmen die Sprache beim Wort, indem wir die alten bild- haften Redensarten ernstnehmen.

Vielleicht kommt der Patient zu ei- ner ganz neuen Einsicht, wenn wir ihm seine Äußerung, er habe kalte Füße, als Frage zurückgeben, wobei er denn kalte Füße gekriegt habe.

Schließlich achten wir bei unseren Patienten auf Unstimmigkeiten zwi- schen Stimme und Aussage, oder Aussage und Körperhaltung und sprechen sie an. Zum Beispiel: „Sie sagen, daß Sie sich ruhig und ent- spannt fühlen, aber Ihre unruhigen Beine sagen etwas ganz anderes."

Während wir versuchen, über diese Beobachtungen den Patienten ganz zu erfassen und im Kontakt mit ihm zu sein, versuchen wir gleichzeitig auch, uns selbst wahrzunehmen, das heißt in Beziehung zu bleiben mit dem, was mit uns selbst in der Begegnung mit diesem Patienten geschieht. Wir lassen die Bilder und die Empfindungen, die bei uns etwa aufsteigen, zu und sprechen sie dann aus, wenn sie für den thera- peutischen Prozeß förderlich schei- nen. Zum Beispiel: „Ich merke jetzt, daß meine Aufmerksamkeit schwin- det, während Sie das erzählen", oder „Ich fühle mich ganz angerührt von dem, was Sie da sagen."

Es geht hier also nicht darum, etwa eifrig und angespannt nach psychi- schen Ursachen somatischer Stö- rungen und Krankheiten zu fahnden.

Erforderlich ist vielmehr eine eher passive Haltung des Arztes. Eine Einstellung, für die Worte wie Zuge- wandtsein, Offensein, Gewahrsein (awareness) zutreffen.

So wird es möglich, daß, abgehoben von der alltäglichen Unruhe und Routine der ärztlichen Sprechstun-

de, in einem Moment der Ruhe und Besinnung, Arzt und Patient einan- der vertrauensvoll begegnen, so daß der Patient sich einer schmerzlichen Einsicht stellen kann, der er vordem ausgewichen ist,und Lösungsversu- che ins Auge fassen kann, die er vorher nicht gewagt hat.

Sich so auf den Kranken einzulas- sen, bewirkt beim Arzt den Zuge- winn eines wichtigen Erlebnisberei- ches und bedeutet auch Wachstum und Entwicklung seiner Persönlich- keit als Arzt. Für den Kranken be- deutet diese ärztliche Haltung, daß er auch in der schmerzlichen Erfah- rung von Krankheit und existentiel- ler Bedrohung seinen Arzt helfend und nahe weiß.

Literatur

(1) Koehle, K.: Psychosomatik in der Inneren Klinik — Modellversuch einer Integration, Der Kassenarzt 19 (1979) 2672-2693 — (2) Pflanz, M.: Sozialer Wandel und Krankheit, Enke-Ver- lag, Stuttgart (1962) — (3) Keller, K.: Psychoso- matik, eine Bestätigung der Allgemeinmedizin, Zeitschrift für Allgemeinmedizin 51 (1975) 14-18 — (4) Vogler, W.: Psychovegetative Stö- rungen, Zeitschrift für Allgemeinmedizin 51 (1975) 1372 — (5) Perls, F.: Grundlagen der Gestalttherapie, Verlag J. Pfeiffer, München (1976) 32-33 (6) Uexküll, Th. v.: Grundlagen der psychosomatischen Medizin, Täg. Praxis 17 (1976) 745-756 — (7) Verden-Studie: Struk- turanalyse allgemeinmedizinischer Praxen, Münch. med. Wschr. 119 (1977) 45-46 — (8) Cremerius, J.: Zur Theorie und Praxis der psy- chosomatischen Medizin, Suhrkamp Taschen- buch (1978) 274-295 — (9) Rogers, C.: Klient- zentrierte Gesprächstherapie, Band 1 u. 11. Stu- dienausgabe, Kindler Verlag (1973) (10) Pfeif- fer, W. M.: Zur Therapie und Methodik der Gesprächspsychotherapie (Klientzentrierte Therapie) nach Rogers, Tägl. Praxis 17 (1976) 513-521) — (11) Perls, F. S.: Heferline, R. F., u.

Goodman, P.: Gestalttherapy, Julian Press, repr. Dell, New York (1965)

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Eberhard Schaeffer Ringstraße 61

4763 Ense 2

FÜR SIE GELESEN

Frühdiagnose der

Virusmeningoenzephalitis durch Hirnszintigraphie

Der Nachweis der Herpes-simplex- Enzephalitis stellt ein besonderes Problem dar, da die Diagnose den direkten Virusnachweis im Hirnge- webe erfordert.

Der frühe Beginn einer wirkungsvol- len Therapie ist dringend erforder- lich, da eine irreversible Zerstörung von Hirnsubstanz innerhalb weniger Tage eintritt.

Die Empfindlichkeit der Hirnszinti- graphie und der Computertomogra- phie wurde bei 25 Patienten vergli- chen, bei denen die Diagnose auf- grund des klinischen Verlaufs, des Liquorbefundes, der EEG-Untersu- chungen und des Hirnszintigramms weitestmöglich gesichert war.

Die Computertomographie mit Kon- trastanhebung wurde innerhalb von vier Tagen nach Beginn der neurolo- gischen Symptomatik bei 23 Patien- ten durchgeführt. Im CT fanden sich keine eindeutigen Befunde, insbe- sondere keine Bereiche mit vermin- derter Dichte, Massenverschiebun- gen oder ungewöhnlicher Kontrast- verstärkung.

Technisch einwandfreie szintigra- phische Untersuchungen konnten bei 21 Patienten durchgeführt wer- den, davon waren 90 Prozent patho- logisch verändert. Bei allen Patien- ten mit Herpes-simplex-Enzephalitis fanden sich pathologische Szinti- gramme, am häufigsten war der Temporallappen betroffen.

Das Hirnszintigramm sollte daher als erste diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf Virusmeningo- enzephalitis betrachtet werden, besonders dann, wenn eine Herpes- simplex-Enzephalitis klinisch ver- mutet wird. Mhs

Kim, E. E.; Deland, S. H.; Montebello, J.: Sensi- tivity of Radionuclide Brain Scan and Compu- er Tomography in Early Detection of Viral Me- ningeonencephalitis, Radiology 132 (1979) 425-429, Kim, E. E., M. D., Division of Nuclear Medicine, University of Kentucky, Medical Cen- ter, Lexington, KY 40506, USA

1246 Heft 19 vom 8. Mai 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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