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Archiv "Unser „Kasten“ - Erinnerungen ans Internat" (11.06.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Unser „Kasten" -

Erinnerungen ans Internat

J11 jrühjahr 1946: Ich war

• als verwundeter Jung- s krieger aus einem russi- schen Lager entlassen wor- den, hatte mich in die einzige Stadt Westdeutschlands transportieren lassen, wo ich Verwandte wußte. Ich hatte mich mit Gärtnern und Kü- hehüten nützlich gemacht und von einem Großonkel, Bierbrauer, einen vierstelli- gen Reichsmarkbetrag dafür bekommen, daß ich in engli- scher Sprache einen Antrag an die Besatzungsmacht ge- schrieben hatte, der auch prompt bewilligt wurde: Er durfte zwar kein Bier brauen, aber ein Erfrischungsgetränk aus Zuckerrübenschnitzeln.

Dann wurde das König- lich Preußische Wilhelms- Gymnasium dieser westfäli- schen Kleinstadt wieder auf- gemacht, mein Abi mußte ich sowieso nachmachen, und ich fand einen Platz in einem In- ternat — nicht bevor die Schu- le mich akzeptiert hatte. Ich halte ja keinerlei Zeugnisse, aber die Aufnahmeprozedur war einfach: Der kommissari- sche Schulleiter war Oberstu- dienrat Müller, genannt Jam- bus, dessen einziger Lebens- inhalt sein geliebtes Latein war. „Was haben Sie in La- tein gehabt?" war die einzige Frage. Die von mir genannte Note stellte ihn vollständig zufrieden.

Und so zog ich ins Inter- nat. Onkel Bierbrauer hatte aus der reichhaltigen Aus- steuer seiner Frau ein biß- chen Bettwäsche gestiftet, und so wurde über Finan- zierungsprobleme gar nicht diskutiert. Mein Reichsmark- lohn ist erst bei der Wäh- rungsreform verschwunden.

Es war ein altes Fach- werkhaus, vier Stock hoch, Front zur Weser, davor aller- dings die Straße und — statt eines Deiches — ein Bahn- damm. Wilder Wein rankte an der Fassade hoch, und im kalten Winter hängten wir die Eisringe, die aus dem abends in unsere Wasch- schüsseln gefüllten Wasser entstanden waren, an die Nä- gel, die dem Wein zum Halt dienten. Druck und Sonnen-

wärme ließen die Nägel durch das Eis schmelzen, und als ein Ring mal einem Pas- santen auf den wegen der Kälte glücklicherweise dick vermummten Kopf gefallen war, wurde die Sache verbo- ten.

Es ging tatsächlich vor- nehm zu in diesem „Alum- nat" (von uns respektlos

„Kasten" genannt). Es war nämlich eine Stiftung, errich- tet zu dem Zweck, den Söh- nen von evangelischen Dorf- schullehrern in dieser vor- nehmlich katholischen Ge- gend den Besuch des staat- lichen Gymnasiums zu er- möglichen. Dazu gehörte auch, daß ein bei damaligen Volksschullehrern wahr- scheinlich gar nicht üblicher Lebensstandard aufrechter- halten wurde. Es gab Perso- nal, das Betten machte und Zimmer putzte und abends das Wasser in die Schüsseln füllte; bei Tisch wurde ser- viert wie an der Table d'höte.

Für Militärabsolventen wie mich war das paradiesisch:

der Frieden fing an. Und die Verpflegung war durchaus gut für damalige Verhältnis- se; die Internatsleitung hatte dafür gesorgt, daß der Kreis der Zöglinge über die Dorf-

schullehrers-Söhne hinaus er- weitert und insbesondere durch Bauernsöhne aus der fruchtbaren Umgebung er- gänzt wurde .. .

Strengen Regeln waren wir alle unterworfen: Sexta- ner schliefen im Zehnbetten- saal, Primaner hatten Zwei- erzimmer, der Übergang war fließend. Tagsüber hatten wir Arbeitszimmer, und die wa- ren sogar gut geheizt. „Jam- bus" übrigens wurde, da er als Junggeselle in dieser Not- zeit fast lebensuntüchtig war, eingeladen, im „Kasten" sei- ne Mahlzeiten einzunehmen.

Er revanchierte sich damit, daß er schwachen Lateinern kostenlos Nachhilfeunter- richt anbot.

Natürlich waren damals — in einem kirchlichen Haus! — die Regeln streng: Um zehn war auch für die Primaner Zapfenstreich. Glücklicher- weise wohnte ich in einem Nebengebäude, das zu einer anderen Straße führte, und auch noch im Erdgeschoß.

Donnerstags ging ich dann zu meiner Cousine Alice, die den Bayerischen Rundfunk empfangen konnte, denn dann gab es die amerikani- sche Swing-Hitparade. An- schließend kam ich durchs

Fenster wieder in mein Bett.

Ein kirchliches Haus: Der evangelische Kantor bemerk- te, daß mein Klavierspiel, kriegsbedingt, etwas verwil- dert war, und gab mir gratis Klavierunterricht. Und ich lernte dafür Posaune, wes- halb mir noch heute Tschai- kowskij-Sinfonien so sympa- thisch sind.

Und natürlich machten wir eine lokale Unsitte mit, die auf den Monat Mai be- schränkt war: Samstag abend konnte man die Konfession jedes jungen Mannes, der zu seiner Freundin ging, sicher erraten. War der Flieder weiß, dann war er katholisch, denn er hatte seine Blumen an der evangelischen Kirche geklaut. Bei blauem Flieder war es dann umgekehrt.

Neulich war ich wieder mal da, in Höxter an der We- ser. Der „Kasten" ist weg.

An seiner Stelle steht ein postmodernes Altersheim.

Atmosphäre: Null . . . bt

„Anerkannt"

oder „genehmigt"

Es ist ein wichtiger Unter- schied, ob eine Privatschule

„staatlich anerkannt" oder

„staatlich genehmigt" ist.

Die ersteren haben, beson- ders für Zeugnisse und Prü- fungen, die gleichen Rechte und Pflichten wie öffentliche Schulen. Die Schüler können also auch ohne weiteres von einer staatlich anerkannten in eine öffentliche Schule wech- seln.

Schüler „staatlich geneh- migter" Schulen müssen das Abitur zum Beispiel vor einer staatlichen Prüfungskommis- sion ablegen, also nicht vor ihren gewohnten Lehrern.

Der Wechsel zu einer öffent- lichen Schule erfordert in der Regel eine Aufnahmeprü- fung.

Drittens gibt es auch öf- fentliche Schulen (in staat- licher oder kommunaler Trä- gerschaft) mit angeschlosse- nem Internat („Offentliche Heimschulen"). gb Internatsgebäude der Unterstufe im Landschulheim Steinmühle

Dt. Ärztebl. 84, Heft 24, 11. Juni 1987 (95) A-1757

Referenzen

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