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COVID-19-Report. Arzneimittel in Entwicklung, Prävention und Therapie

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Academic year: 2022

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Tobias Dreischulte, Sven Schmiedl

Erstellt mit freundlicher Unterstützung der Techniker Krankenkasse

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COVID-19-Report

Arzneimittel in Entwicklung, Prävention und Therapie

Herausgeber

• Prof. Dr. Tobias Dreischulte

• Prof. Dr. Sven Schmiedl mit Beiträgen von

• LMU Klinikum, Institut für Allgemein- medizin: Prof. Dr. Tobias Dreischulte, Christian Wendler, Marietta Rottenkolbe Annette Härdtlein

• Universität Witten/Herdecke, Zentrum für Klinische Studien; Helios Universitäts klinikum Wuppertal, Philipp Klee-Instit für Klinische Pharmakologie: Prof. Dr.

Sven Schmiedl

• Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Mikrobiologie und Laboratoriums- medizin; Helios Universitätsklinikum Wuppertal, Institut für Medizinische Labordiagnostik: Prof. Dr. Parviz Ahmad-Nejad, Prof. Dr. Beniam Ghebremedhin

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• Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Zentrum für Klinische Studien: Nina-Kristin Mann

• Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Professur für Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik: Prof. Dr.

Dominik Rottenkolber

Erstellt mit freundlicher Unterstützung der Techniker Krankenkasse (TK)

Stand: Dezember 2021

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Campus Innenstadt

Pettenkoferstraße 10 (Post: 8a) 80336 München

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Vorwort

Versorgungsdaten von Krankenkassen

können wertvolle Informationen liefern

Seit fast zwei Jahren versetzt die CO- VID-19-Pandemie die Welt in einen Aus- nahmezustand. Politik und Wissenschaft standen und stehen noch immer vor enor- men Herausforderungen. Jeder Mensch war beziehungsweise ist in irgendeiner Art und Weise betroffen, sei

es von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie oder vom Vi- rus selbst. Bis Novem- ber 2021 wurden welt- weit 257 Millionen Menschen infiziert und

5 Millionen starben an einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus. Die Dunkelziffern werden sehr viel höher sein.

Bei den Strategien zur Bekämpfung des Virus stand zunächst das Eindämmen des dynamischen Infektionsgeschehens, etwa durch Kontaktbeschränkungen oder Hygi- enemaßnahmen, im Vordergrund. Zeit-

gleich begann die Suche nach wirksamen therapeutischen Maßnahmen zur Behand- lung von COVID-19-Erkrankungen sowie nach einem Impfstoff. Mit dessen Zulas- sung und Verfügbarkeit ist ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität gemacht und es beginnen bereits die Diskussionen um das Ende der Pandemie und das neue

„Normal“ danach.

Der COVID-19-Report soll eine gute Orien- tierung im Dschungel des stetig wachsen- den Wissens rund um das Coronavirus bieten.

Die Herausgeber Prof.

Dreischulte und Prof.

Schmiedl und ihre Teams geben einerseits einen Überblick über das SARS- CoV-2-Virus, dessen Entdeckung, Diagnostik und Mutationen sowie über das Infektionsgeschehen und den Krankheitsverlauf. Andererseits wird der aktuelle wissenschaftliche Stand der medikamentösen Therapie von schweren COVID-19-Erkrankungen beschrieben.

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gungsdaten von Krankenkassen, zum Bei- spiel über den Verlauf einer COVID- 19-Erkrankung und die verschriebenen Arzneimittel, können wertvolle Informatio- nen darüber liefern, wie vorhandene Medi- kamente gegen ein neuartiges Virus wie SARS-CoV-2 eingesetzt werden können.

Ein Vorteil ist, dass diese Daten automa- tisch durch die Versorgung vorliegen, un- abhängig sind und nicht durch klinische Studien generiert werden müssen.

Auch bei anderen Erkrankungen könnten Versorgungsdaten helfen, Evidenzlücken zu schließen. Dies ist bei Arzneimitteln zur Behandlung seltener Erkrankungen von besonderer Bedeutung, da das Wissen über diese zum Zeitpunkt der Zulassung meistens sehr begrenzt ist.

vorliegen, als das heute der Fall ist. Das Gesundheitssystem muss besser und auch schneller in der Aufbereitung der Versor- gungsdaten werden, um Herausforderun- gen wie der COVID-19-Pandemie in Zu- kunft noch besser begegnen zu können.

Dr. Jens Baas

Vorsitzender des Vorstandes der Techniker Krankenkasse

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Inhalt

Vorwort 1 Einleitung

2 COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand 13 Entdeckung der Krankheit 14 Diagnostik

16 Kenntnisstand zu: Pathophysiologie, Ansteckung, Symptomatik, Spätfolgen

24 Mutationen

3 Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe 25 Ansatzpunkte für den Einsatz von

Arzneimitteln zur Prävention und Therapie schwerer COVID-19-Ver- läufe

27 Erprobte Ansätze zur Prävention schwerer COVID-19-Verläufe:

Impfungen

34 Erprobte Ansätze zur Therapie schwerer COVID-19-Verläufe 46 Neue Ansätze zur Prävention und

Therapie schwerer COVID-19- Verläufe

49 Zusammenfassung Arzneimittel- therapie / Leitlinienempfehlungen / aktuelle Therapiestandards

4 Entwicklung und Identifizierung neuer Wirkansätze

51 Drug Repurposing als Strategie zur Identifizierung wirksamer Arzneimittel

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64 Kosten der medikamentösen Behandlung von COVID-19 64 Kosten der COVID-19-Impfung 66 Drug Repurposing aus ökonomischer

Perspektive

68 Vorläufiges ökonomisches Fazit 7 Fazit

8 Literatur

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8 COVID-19-Report – Einleitung

Einleitung

„Mögest du in interessanten Zeiten leben“

– dieser „Fluch“ wird gerne in Zusammen- hang mit Ereignissen von historischer Tragweite aufgegriffen (1). Die COVID-19- Pandemie, die derzeit die Welt in den Aus- nahmezustand versetzt, lässt sich mit „in- teressant“ jedoch sicherlich nur unzurei- chend beschreiben. Für die zahlreichen Opfer der COVID-19-Pandemie und ihre An- und Zugehörigen ist „tragisch“ sicher- lich zutreffender.

Aus wissenschaftlicher Sicht stellt die Pan- demie jedoch durchaus eine spannende Herausforderung dar. Vor allem die Präven- tion und die Behandlung von COVID-19-Er- krankungen stellen die Wissenschaft vor eine große Herausforderung, wie es sie in vergleichbarer Weise lange nicht gab. Die globalen gesundheitlichen, psychosozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pan- demie erfordern die Entwicklung wirksa- mer Gegenmaßnahmen in kürzester Zeit.

Am Anfang der Pandemie stand zunächst ein besseres Verständnis der COVID-19-Er- krankung im Vordergrund. Es wurden zum Beispiel Fragen zu Ansteckungsrisiko, Über-

tragungsmechanismen und Risikofaktoren für schwere Verläufe untersucht, auf deren Grundlage dann zunächst Verhaltensre- geln zur Eindämmung des Infektionsge- schehens entwickelt wurden. Mit großem Aufwand und unter Mitarbeit zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler ist es dann in Rekordzeit gelungen, Impfstoffe gegen das Virus zu entwickeln und deren Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien zu belegen.

Pandemien treten in der Geschichte der Menschheit immer wieder auf. Besonders bekannt ist die Pest, verursacht durch das Bakterium Yersinia pestis. Der Pest sind weltweit Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Die hohen Todeszahlen im 14.

Jahrhundert führten zu einem Mangel an Arbeitskräften und sorgten so für deutli- che gesellschaftliche und ökonomische Konsequenzen. Aber auch in der Moderne führen vereinzelte Pestausbrüche immer noch zu Todesfällen, trotz der für die The- rapie zur Verfügung stehenden Antibiotika.

So ist die Pest zum Beispiel auf Madagas- kar weiterhin endemisch verbreitet (2).

1

(9)

Pandemie Bei einer Pandemie breitet sich eine Infektionskrankheit über einen begrenzten Zeitraum weltweit stark aus, während eine Epidemie sich auf einzelne Regionen beschränkt.

Dies bedeutet, dass die Erkrankung zwar dauerhaft vorkommt, jedoch (im Gegen- satz zu Pandemien) ein großer Anteil der Bevölkerung immun ist, sodass sich das Virus nicht großflächig ausbreiten kann. Es ist zu erwarten, dass in Ländern mit hoher Impfquote und/oder einem hohen Anteil genesener Patientinnen und Patienten auch die COVID-19-Pandemie (ähnlich wie die durch Influenzaviren verursachte Grippe) in ein endemisches Stadium übergeht.

Eine Pandemie, die häufig zum Vergleich mit der aktuellen Situation herangezogen wird, ist die Influenza von 1918, auch be- kannt als „Spanische Grippe“. Sie verbreite- te sich 1918 und 1919 in insgesamt vier Wellen und tötete mehr Menschen als der Erste Weltkrieg. Der erste Fall der Erkran- kung trat in einem Soldatencamp in den

USA auf. Allerdings wurde während des Krieges nur in Spanien frei über die Epide- mie berichtet, wodurch es zu der irrefüh- renden Namensgebung kam. Im Gegensatz zur vorherigen Erfahrung mit der Grippe starben vor allem jüngere statt älterer Men- schen an der Spanischen Grippe (3).

Das für die COVID-19-Pandemie verantwort- liche Virus Severe Acute Respiratory Syn- drome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) stammt aus der Familie der Coronaviren, die nach ihrer charakteristischen, mit Spike-Protei- nen (bestimmten aus der Virushülle her- ausragenden Proteinen) bestückten Virus- hülle benannt sind (Abb. 1).

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10 COVID-19-Report – Einleitung

Abbildung 1: Das Virus SARS-CoV-2, schematische Darstellung (4) Spike-Protein

RNA

Coronaviren können von Tieren auf den Menschen übertragen werden. Die bekann- teste Infektionsquelle sind hierbei Fleder- mäuse. Das Virus findet sich aber zum Beispiel auch in Schweinen, Hunden und Katzen. Das Virus SARS-CoV-2 erhielt seinen Namen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem früheren Pandemieauslöser SARS-CoV.

Die beiden Viren gehören, wie auch MERS- CoV, zur Unterfamilie der Betacoronaviren.

SARS-CoV-2 und SARS-CoV stimmen in ih- rem Erbmaterial zu etwa 79 Prozent über- ein und nutzen denselben Weg, um in menschliche Zellen einzudringen.

Im 21. Jahrhundert gab es bereits zwei Pandemien durch Vertreter dieser Virenfa- milie, die zuvor nur als Auslöser von milde- ren Atemwegserkrankungen bekannt war.

SARS-CoV trat das erste Mal in China auf und verbreitete sich von Ende 2002 bis Mitte 2003 überwiegend in Asien. Ende 2003 und Anfang 2004 traten einige letzte Fälle auf. Danach traten 2012 auf der Ara- bischen Halbinsel das erste Mal Fälle des Middle East Respiratory Syndrome Coro- navirus (MERS-CoV) auf.

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Die Frage ist nun, wie es trotz der Ähnlich- keit der Viren zu Unterschieden in Verbrei- tung und Verlauf der Krankheiten kommt.

Eine mögliche Erklärung ist, dass SARS- CoV-2 zum Beispiel eine höhere Mutations- rate als die anderen Viren aufzuweisen scheint. Ein weiterer, sehr wichtiger Unter- schied ist die höhere Infektiosität (das heißt die größere Fähigkeit, tatsächlich eine Infektion hervorzurufen) von SARS- CoV-2 im Vergleich zu SARS-CoV (4, 5).

Der Umgang mit Pandemien war und ist geprägt von nicht-pharmazeutischen Maßnahmen zur Minimierung von Neuin- fektionen, wie Quarantäne für Infizierte und Kontaktpersonen, soziale Distanzie- rung, Maskenpflicht und Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens durch Lock- downs (unter anderem Schließung von Schulen und Einzelhandel, Verbot von Kul- turveranstaltungen).

Um eine weitestgehende Beherrschung der Pandemie und eine Rückkehr zur Nor- malität zu erreichen, sind verschiedene Strategien nötig. So ist die Entwicklung von Impfstoffen zur Vermeidung schwerer und tödlicher Verläufe der COVID-19-Erkran- kung von herausragender Bedeutung. Arz- neimittel zur wirksamen Behandlung von COVID-19 bleiben jedoch auch nach der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen wichtig, zum einen, da die weltweite Ver- breitung von Impfstoffen noch einige Zeit auf sich warten lassen wird und zum ande- ren da sich nicht alle Menschen impfen las- sen können beziehungsweise werden und Impfungen nicht zu 100 Prozent vor schwerwiegenden Verläufen schützen.

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12 COVID-19-Report – Einleitung

Arzneimittel werden überwiegend zur symptomatischen Therapie einer Infektion mit SARS-CoV-2 eingesetzt, eine effekti- ve und zielgerichtete Therapie gegen den Erreger ist aktuell nicht verfügbar. Allerdings

gibt es mehrere Vorstöße in diese Richtung mit dem Einsatz von antiviralen Wirkstof- fen, Rekonvaleszenz-Plasma (Blutplasma mit den Antikörpern genesener Patientin- nen und Patienten) und Antikörpern.

Worum geht es in diesem Bericht? Der hier vorliegende Bericht soll nach einer Einleitung und allgemeinen Information zur COVID-19-Erkrankung zu deren Geschichte und zum aktuellen Wissensstand (Kapitel 2) vor allem eine Übersicht über den aktuellen Kenntnis- stand zu medikamentöser Prophylaxe und Therapie bieten (Kapitel 3). Im Anschluss an Kapitel 4, welches die Entwicklung und Identifizierung neuer Wirkansätze zur Behandlung von COVID-19 beleuchtet, befasst sich Kapitel 5 mit der Bedeutung von Versorgungsdaten der Krankenkassen für die Forschung in diesem Bereich, während Kapitel 6 ökonomische Aspekte der Pandemiebekämpfung durch Arzneimittel thematisiert.

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2

Entdeckung der Krankheit Erste Fälle ei- ner Lungenentzündung unbekannten Ur- sprungs traten im Dezember 2019 in Wu- han, einer Stadt in der Provinz Hubei in China auf. Die Fälle wurden zunächst mit einem Markt für Wildtiere und Meeres- früchte in der Stadt in Verbindung ge- bracht. Allerdings infizierten sich auch Per- sonen, die den Markt nicht besucht hatten, wodurch sich erste Hinweise auf eine Über- tragung von Mensch zu Mensch ergaben.

Dieser Übertragungsweg wurde später durch epidemiologische Studien (Beobach- tungsstudien am Menschen unter realen Umweltbedingungen) bestätigt. Das neuar- tige Coronavirus SARS-CoV-2 wurde bei den Betroffenen gefunden und im Januar 2020 als Auslöser der nun als COVID-19 bezeichneten Erkrankung identifiziert.

Ende Januar 2020 hatte sich das Virus be- reits in 20 Ländern verbreitet und die WHO rief eine gesundheitliche Notlage von in- ternationaler Tragweite aus. Schließlich charakterisierte die WHO die Ausbrei- tung von SARS-CoV-2 bereits am 11. März 2020 als Pandemie und am 25. Juni 2020 wurde COVID-19 weltweit in allen Ländern festgestellt (4, 5).

In Deutschland wurde der erste Fall von COVID-19 am 27. Januar 2020 bekannt gegeben. Infiziert hatte sich ein Mann aus dem Landkreis Starnberg in Bayern. Wenig später wurden als eine der ersten Maßnah- men 100 Reiserückkehrende aus Wuhan, die am 1. Februar 2020 nach Deutschland einreisten, für 12 bis 15 Tage isoliert (6).

Das Robert Koch-Institut berichtete in sei- nem Situationsbericht vom 9. März 2020 von den ersten zwei Todesfällen in Deutschland im Zusammenhang mit CO- VID-19 (7).

Nach aktuellem Stand vom 8. Dezember 2021 sind die Länder mit den insgesamt höchsten Fallzahlen die USA (48.786.421 Fälle), Indien (34.648.383 Fälle) und Brasili- en (22.143.091 Fälle). Bezogen auf die Be- völkerung sind die Seychellen, Montenegro und Andorra am stärksten betroffen mit jeweils 25.245, 25.226 und 23.086 Fällen pro 100.000 Einwohner und EInwohnerin- nen. Betrachtet man die Todesfälle, zeigt sich die höchste Rate in Peru mit 642 Toten pro 100.00 Einwohner und Einwohnerinnen gefolgt von Bulgarien (402 Tote pro 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen) und Mon- tenegro (370 Tote pro 100.000 Einwohner

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14 COVID-19-Report – COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand

und Einwohnerinnen). In Deutschland sind bisher insgesamt 6.222.020 Fälle aufgetre- ten (7.571 pro 100.000 Einwohner und Ein- wohnerinnen) und es zeigt sich eine im in- ternationalen Vergleich relativ geringe Zahl an Todesfällen mit 126 pro 100.000 Ein- wohner und Einwohnerinnen seit Beginn der Pandemie im März 2020 (8).

Diagnostik Zum Nachweis einer akuten oder stattgefundenen Infektion mit SARS- CoV-2 gibt es verschiedene direkte oder indirekte Verfahren. Zum Nachweis einer akuten Infektion mit dem Virus werden ak- tuell Antigen-Schnelltests und molekular- genetische Nachweisverfahren genutzt.

Welches Testverfahren in welcher Situation zum Einsatz kommen sollte, gibt die Natio- nale Teststrategie SARS-CoV-2 (letzte Ver- sion vom 6. Dezember 2021) vor. Positive Ergebnisse werden dem Gesundheitsamt und (im Falle positiver PCR-Tests) auch dem Robert Koch-Institut (RKI) zur Ermitt- lung der Inzidenz umgehend gemeldet. Die einzelnen Verfahren werden nun näher be- schrieben.

Bei den molekulargenetischen Tests kom- men sogenannte PCR-Tests (PCR = Polyme- rase Chain Reaction) zum Einsatz, zum Bei- spiel bei Kontaktpersonen von Infizierten oder um positive Antigentests zu bestäti- gen (9). Die Probengewinnung für diese Tests erfolgt üblicherweise über einen Ab- strich aus Nase und/oder Rachen. Aus den Proben wird die Erbsubstanz des Virus iso- liert und der PCR zugeführt. In der PCR werden ein bis drei Genabschnitte des Vi- rus spezifisch vervielfältigt und dadurch das Virus direkt und sehr sensitiv im posi- tiven Falle nachgewiesen. Damit werden durch dieses Verfahren im Vergleich zu Antigentests wesentlich weniger tatsächli- che Infektionen übersehen. Die PCR-Test- kapazitäten haben sich seit Beginn der Pandemie in Deutschland auf etwas mehr als 2 Millionen Tests pro Woche massiv ge- steigert (10). Gegenwärtig geht man da- von aus, dass die Testkapazität für den medizinischen Bedarf sicher ausreicht.

Während die PCR das Virus anhand seiner Gensequenzen (charakteristische Abfolge der genetischen Bausteine einer Erbanlage) nachweist, wird bei einem Antigentest,

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Ein PCR-Test weist das Virus

direkt nach

auch Schnell- oder Selbsttest genannt, nur das Vorhandensein von Virusproteinen ge- prüft. Bei den meisten Schnelltests handelt es sich um Testkassetten, die Viruseiweiß (Antigen) dadurch nachweisen, dass des- sen Bindung an SARS-CoV-2-spezifische Antikörper zu einer Farbreaktion führt. Die Testkassetten sind in hoher Stückzahl pro- duzierbar und können als sogenannte Po i n t- of- C a re -Te s t s

(POCT) unmittelbar in Pa- tientennähe durchge- führt werden, sodass kein kostenintensives Labore- quipment und kein medi- zinisches Fachpersonal zur Durchführung notwendig

ist. Meist ist innerhalb von 15 bis 20 Minu- ten das Ergebnis des Tests ablesbar.

Auch bei den Antigentests werden Proben aus einem Abstrich aus Nase und/oder Ra- chen gewonnen und in eine Pufferlösung überführt. Üblicherweise werden drei bis fünf Tropfen dieser Lösung auf den Test- streifen gegeben, der auf Eiweißbestandtei- le des Virus reagiert und (falls vorhanden) dies mit einer Verfärbung anzeigt. Die meisten Schnelltests weisen einen Be-

standteil der Proteinhülle (das sogenannte Nukleokapsid-Strukturprotein) des Virus nach. Allerdings gibt es je nach Hersteller Unterschiede in der Sensitivität und Spezi- fität.

Die Sensitivität gibt an, wie hoch der Anteil der tatsächlich infizierten Patientinnen und Patienten ist, die vom Test korrekt als

infiziert entdeckt werden.

Je höher die Sensitivität eines Tests ist, desto si- cherer wird eine Infektion erkannt. Patientinnen und Patienten, die infiziert sind, jedoch vom Test fälschli- cherweise nicht als infi- ziert erkannt wurden, bezeichnet mal als

„falsch negativ“. Die zweite wichtige Kenn- größe (Spezifität) gibt an, wie hoch der Anteil der tatsächlich nicht infizierten Pati- entinnen und Patienten ist, für die der Test ein negatives Testergebnis ausgibt die (also vom Test korrekt als nicht infiziert erkannt wurden). Patientinnen und Pati- enten, die nicht infiziert sind, jedoch vom Test als „positiv“ (das heißt infiziert) be- wertet werden, bezeichnet man als „falsch positiv“.

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16 COVID-19-Report – COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand

Prinzipiell ist der Antigentest weniger sen- sitiv als die PCR. Aktuell existieren mehr als 300 verschiedene Testformate als An- tigentests zur professionellen Anwendung („Schnelltests“) beziehungsweise mehr als 20 Antigentests zur Eigenanwendung („Selbsttests“) (11). Die Spezifität der An- tigentests liegt überwiegend über 98 Pro- zent. Deren Testresultate werden an das Landesgesundheitsamt gemeldet und müssen im positiven Fall durch eine PCR bestätigt werden.

Neben den beschriebenen Abstrichen aus Nase und/oder Rachen kann auch die „Lolli- Methode“ zur Probengewinnung zum Ein- satz kommen. Diese Variante, bei der die zu testende Person an einem Abstrichtupfer wie an einem Lolli lutscht, kann bei Tests in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden. Die Lolli-Methode zur Probenent- nahme wies in einer Untersuchung zu ihrer Validität zwar eine geringere Sensitivität

im Vergleich zu einem Abstrich aus Nase und/oder Rachen auf, ist aber weniger in- vasiv und wurde von Erwachsenen und Kindern sehr gut angenommen (12).

Kenntnisstand zu: Pathophysiologie, An- steckung, Symptomatik, Spätfolgen Die durch SARS-CoV-2 ausgelöste COVID-19-Er- krankung zeigt in ihrem klinischen Erschei- nungsbild eine große Bandbreite.

Pathophysiologie Die meisten Infizierten leiden nur unter leichten oder mittelschwe- ren Symptomen, etwa fünf Prozent entwi- ckeln jedoch eine schwere bis kritische Er- krankung.

Es gibt verschiedene Faktoren, die einen schweren Verlauf von COVID-19 begünsti- gen und von großer Bedeutung für die Eindämmung der Infektion bei Menschen aus Risikogruppen sind (13). Dazu gehören zum einen Alter, Geschlecht und Begleiter- krankungen wie insbesondere Herz-Kreis-

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lauf-Erkrankungen. Diese sollten als von- einander abhängige Risikofaktoren ange- sehen werden. Herz-Kreislauf- und chroni- sche Lungenerkrankungen werden dabei häufiger bei Männern beobachtet. Dane- ben soll es zudem weitere genetische Fak- toren geben. Die wichtigsten Kandidaten, die als potenzielle genetische Faktoren im Zusammenhang mit dem Schweregrad von und der Infektionsanfälligkeit für COVID-19 identifiziert wurden, heißen: HLA, ABO, ACE2, TLR7, ApoE, TYK2, OAS, DPP9, IFNAR2, CCR2 und so weiter.

Eine weitere kritische Beobachtung hat gezeigt, dass die Mehrheit der mit COVID- 19 diagnostizierten Personen an Typ-2- Diabetes litt (13). Diese Stoffwechseler- krankung wirkt sich auf den gesamten Organismus und das Immunsystem aus und prädisponiert durch Fehlbalancen in deren Funktion zu Infektionen. Darüber hi- naus stört SARS-CoV-2 den Glukosestoff-

wechsel und erhöht den Insulinbedarf.

Daher sollten auch Diabetes und Fettleibig- keit als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der Corona-Infektion gelten. Die Pathophysiologie hinter den Beschwerden einer SARS-CoV-2-Infektion ist weiterhin Gegenstand aktueller Forschung.

Zu Beginn der Infektion zielt SARS-CoV-2 durch das virale Spike-Protein auf Zellen an der Oberfläche von Nase und Lunge und dringt in die jeweiligen Zellen ein. Hierdurch wird verständlich, dass die meisten Patien- tinnen und Patienten zunächst unter Erkäl- tungssymptomen leiden und in nicht wenigen Fällen schwerwiegende bezie- hungsweise lebensbedrohliche Lungen- entzündungen entwickeln. An der Zello- berfläche dockt das Virus mit seinem Spike-Protein an einen bestimmten Rezep- tor an (siehe Abb. 2), der sich auch in an- deren Organen, zum Beispiel den Nieren, findet, was das Auftreten von Nierenfunk- tionsstörungen bis hin zum akuten Nieren- versagen erklärt.

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18 COVID-19-Report – COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand

Abbildung 2: Andockung des viralen Spike-Proteins an bestimmte Rezeptoren der Zelloberfläche

Anheftung und Eintritt in die Zelle SARS-CoV-2

Freisetzung der Virus-RNA

Virusvermehrung

Viruskopien Ausschleusung Virusfreisetzung

Rezeptor

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Vermehrung des Virus Um sich zu vermehren, benötigen Viren Wirtszellen.

Nach der Andockung werden weitere Schritte des Infektionsvorganges, die zum Eindringen des Erregers in die Wirtszelle notwendig sind, aktiviert.

Anschließend wird die virale RNA freigesetzt und es erfolgt die Vervielfälti- gung der viralen RNA sowie der weiteren Virusbestandteile. Nach einigen Schritten werden schließlich die Virusreplikate aus der Zelle freigesetzt (übernommen aus (14)).

Ein Bericht aus Wuhan (China) zeigte, dass 71 Prozent der Patientinnen und Patien- ten, die an COVID-19 starben, auch die Kri- terien für eine aktiv gesteigerte Blutgerin- nung in den Blutgefäßen erfüllten (15). Die genauen Mechanismen für eine übermäßi- ge Aktivierung von Gerinnungsfaktoren durch SARS-CoV-2 sind derzeit kaum ge- klärt. Man vermutet eine Schädigung der inneren Gefäßwand mit einhergehender Entzündung sowohl der großen als auch der kleinen Gefäße infolge einer übermäßi- gen Immunreaktion des Körpers bis hin zum multisystemischen Entzündungssyn- drom. Diese schwere entzündliche Erkran- kung, die ebenfalls bei Kindern und jungen Erwachsenen beschrieben wurde, wurde kürzlich durch die WHO als ein eigenstän- diges Krankheitsbild definiert.

Ansteckung Das Virus kann auf verschie- denen Wegen übertragen werden (16):

durch Tröpfchen: Atmet, spricht, niest oder hustet die infizierte Person, können virenhaltige Tröpfchen direkt auf die Schleimhäute von Nase, Mund oder Augen anderer Personen in unmittelbarer Nähe (<1,5 m) gelangen.

durch Aerosole: Hierbei ist die Virusübertragung sowohl über kurze als auch über weite Distanzen möglich.

Diese Art der Übertragung findet vor allem in kleinen und schlecht belüfteten Innenräumen statt, in denen sich Aerosole über längere Zeit anreichern können. Dies kann vor allem bei Akti- vitäten eine Rolle spielen, die eine verstärkte Atmung erfordern, zum Beispiel bei körperlicher Arbeit, Sport, lautem Sprechen und Singen.

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20 COVID-19-Report – COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand

über Oberflächen und die Hände:

Wenn infizierte Personen husten und niesen, gelangen ansteckende Tröpf- chen auf ihre Hände oder auf benach- barte Oberflächen. Eine andere Person könnte sich anstecken, wenn sie diese Tröpfchen mit den Händen aufnimmt und anschließend Mund, Nase oder Augen berührt. Es sei jedoch angemerkt, dass die klinische Bedeutung der SARS- CoV-2-Übertragung von unbelebten Oberflächen (Überleben Stunden bis wenige Tage) ohne Kenntnis der Min - destdosis an Viruspartikeln, die eine Infektion auslösen kann, schwer zu interpretieren ist.

Obwohl Konsens darüber besteht, dass sich SARS-CoV-2 hauptsächlich durch gro- ße Tröpfchen und Kontakt verbreitet, wird derzeit über die Rolle von Aerosolen disku- tiert. Das Infektionsrisiko durch Aerosol- übertragung wird zwar deutlich geringer eingeschätzt als das Risiko durch engen Kontakt. In kleinen Räumen mit längerer Expositionsdauer muss jedoch weiterhin auf das potenzielle Risiko einer Aero- solübertragung geachtet werden. Zudem

könnte die zu erwartende Zahl der Infizier- ten bei einer großen Anzahl exponierter Personen, beispielsweise in einem Club / einer Disko, erheblich sein. Oberflächen- übertragung, obwohl möglich, wird nicht als signifikantes Risiko angesehen.

Das Infektionsrisiko kann durch das indivi- duelle Verhalten selbstwirksam reduziert werden (AHA+L-Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltag mit Masken und regelmäßiges intensives Lüften aller Innen- räume, in denen sich Personen aufhalten oder vor Kurzem aufgehalten haben). Ein- fluss auf die Wahrscheinlichkeit der Über- tragung haben neben Verhalten und Impfstatus auch die regionale Verbreitung und die Lebensbedingungen. Hierbei spie- len Kontakte in Risikosituationen und deren Art und Dauer (wie zum Beispiel direkter persönlicher Kontakt, Dauer von Gesprä- chen und aerosolerzeugende Tätigkeiten wie zum Beispiel Singen) eine besondere Rolle. Dies gilt auch bei Kontakten mit Fa- milienangehörigen oder Freunden außer- halb des eigenen Haushalts und im beruf- lichen Umfeld (17).

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Symptomatik COVID-19 ist eine multi- systemische Erkrankung, die vor allem die Lunge betrifft, sich aber auch in den Gefä- ßen und anderen Organen wie zum Beispiel Leber, Niere, Magen-Darm-Trakt, Nerven- system und Haut manifestieren kann. Die leichte Form der Erkrankung bringt typische Grippesymptome wie Husten, Schnupfen, Fieber, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmer- zen mit sich, wodurch sich COVID-19 nur schwer von anderen Erkältungskrankhei- ten unterscheiden lässt. Etwas spezifi- scher und damit leichter auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 zurückzuführen ist der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn.

Allerdings tritt diese Symptomatik bei den neueren Virusvarianten seltener auf (18).

Mittelschwere und schwere Krankheits- verläufe gehen mit einer Schädigung der Lunge und einer dadurch verschlechterten Sauerstoffversorgung bis hin zur Notwen- digkeit einer künstlichen Beatmung einher.

Weiterhin werden überschießende Immun- reaktionen sowie Durchblutungsstörungen infolge einer verstärkten Blutgerinnung beobachtet. Infolgedessen können Throm-

bosen, Schlaganfälle und Lungenembolien auftreten, die zur Mortalität einer schweren COVID-19-Erkrankung beitragen (18).

COVID-19-Symptome scheinen bei Kindern weniger schwerwiegend zu sein als bei Erwachsenen. Etwa ein Drittel der Kinder wies eine lediglich laborbestätigte Erkran- kung ohne Symptome auf, während bei dem Rest ein klinischer Verdacht auf eine Erkrankung vorlag. Typischerweise traten Symptome einer akuten Atemwegsinfektion auf, die unter anderem Fieber (42 Prozent), Husten (42 Prozent), Halsschmerzen, Nie- sen, Muskelschmerzen und Müdigkeit um- fassten. Andere Symptome mit einer Häu- figkeit von weniger als 10 Prozent waren Durchfall, Schnupfen und Erbrechen. Ein erheblicher Anteil der Kinder zeigte bei der Aufnahme ins Krankenhaus eine erhöhte Atemfrequenz (28,7 Prozent) und Herzra- sen (42,1 Prozent) (18,19).

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22 COVID-19-Report – COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand

Muskelschmerzen, Depressionen oder

chronische Erschöpfung sind

mögliche Folgen

Spätfolgen/Long-COVID Einige Patien- tinnen und Patienten leiden nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung an Symptomen, die nach der akuten Krank- heitsphase fortbestehen oder als Folge der Erkrankung aufgetreten sind. Als Bezeich- nung für diesen Zustand hat sich der von Patientinnen und Patienten genutzte Be- griff Long-COVID durch-

gesetzt (20). Die deut- sche S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID gibt an, dass eine ärztli- che Abklärung erfolgen kann, wenn länger als drei Monate nach einer durch- gemachten Infektion wei- terhin Einschränkungen

vorhanden sind. Unter Long-COVID fallen sowohl fortbestehende Symptome für vier bis zwölf Wochen nach der Akutphase (sub- akute Phase) als auch das Post-COVID-Syn- drom mit Beschwerden zwölf Wochen nach der Akutphase, die nicht anderweitig er- klärt werden können. Eine Diagnose an- hand von Laborwerten ist nicht möglich und Laborwerte, die im Normbereich liegen, schließen ein Long-COVID-Syndrom nicht aus (21).

Wie zuvor für die akute Erkrankung be- schrieben, kann COVID-19 Symptome in verschiedenen Organen verursachen (22).

Es können auch Muskelschmerzen, Gelenk- schmerzen, Taubheitsgefühle und Kopf- schmerzen auftreten, die andauern können.

Oft stellen sich als CO- VID-19-Folgen Angstzu- stände oder eine Depres- sion ein. Bei Patientinnen und Patienten, die inten- sivmedizinisch behandelt wurden, traten auch post- traumatische Belastungs- störungen auf (23, 24).

Eines der am häufigsten berichteten Sym- ptome im Zusammenhang mit Long-COVID ist die „Fatigue“, ein chronischer Erschöp- fungszustand. Auch von Atemnot, Herzent- zündungen, eingeschränkter Kognition und Einschränkungen des Geruchs- und Ge- schmackssinns wird berichtet. Die Frage,

(23)

wie hoch der Anteil der Patientinnen und Patienten ist, die von Long-COVID betroffen sind, wird in Studien unterschiedlich beant- wortet. Je nachdem, welche Patientinnen und Patienten nach welcher Zeit zu wel- chen Symptomen wie befragt werden, er- geben sich unterschiedliche und nur sehr eingeschränkt vergleichbare Ergebnisse.

Insgesamt kann angenommen werden, dass bis zu 15 Prozent der COVID-19-Pa- tientinnen und -Patienten von Long-COVID betroffen sind (20, 21).

In Deutschland gibt es mittlerweile an vie- len Kliniken eine Reihe von Post-COVID- Sprechstunden, an die sich Betroffene wenden können. Darunter befinden sich allgemeine oder auf einzelne Langzeitfolgen spezialisierte Sprechstunden, beispielswei- se für Gedächtnisstörungen (25).

Eine mögliche Folge von COVID-19, die ins- besondere Kinder und Jugendliche betrifft, ist das sogenannte Pädiatrische Inflamma- torische Multisystemische Syndrom (PIMS), ein schweres entzündliches Krankheits- bild, das selten drei bis vier Wochen nach

SARS-CoV-2-Infektion (auch asymptoma- tisch) beobachtet wurde. Bislang sind die genauen Entstehungsmechanismen nicht geklärt, auch bezüglich der Häufigkeit des Auftretens besteht noch Unsicherheit.

Betroffene junge Patientinnen und Patien- ten mussten häufig wegen einer Schock- symptomatik oder vorübergehender Herz- Kreislauf-Insuffizienz behandelt werden und benötigten eine intensivmedizinische Versorgung, teilweise sogar maschinelle Beatmung. Laut der Deutschen Gesell- schaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) liegt ein PIMS vor, wenn neben Fieber, er- höhten systemischen Entzündungspara- metern und mindestens zwei Organbetei- ligungen eine aktuelle oder stattgefundene SARS-CoV-2-Infektion beziehungsweise ein SARS-CoV-2-Kontakt nachzuweisen war. Studien zufolge versterben 1,7 bis 3,5 Prozent der von PIMS betroffenen Kinder (26, 27).

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24 COVID-19-Report – COVID-19 – Krankheit, Geschichte, Wissensstand

Mutationen Wie auch bei anderen Viren zu beobachten, mutiert SARS-CoV-2 und erwirbt seit seiner erstmaligen Beschrei- bung eine zunehmende Anzahl von Verän- derungen und Variationen in seinem Erb- material. Einige der Variationen führen zu Änderungen der Virus proteine und damit möglicherweise zu Veränderungen der Ei- genschaften wie Übertragbarkeit, Patho- genität (also der Fähigkeit, eine Immun- antwort bei Menschen hervorzurufen) und Virulenz (also dem Schweregrad von Krankheitsverläufen). Anhand der Se- quenzvariationen/Mutationen werden die Viren mittlerweile, wie bei einem Stamm- baum in Linien unterteilt, wobei einige Li- nien im Laufe der Pandemie verschwinden, während andere sich ausbreiten und zur überwiegend nachgewiesenen Variante entwickeln. Die einzelnen Linien lassen sich unterschiedlich klassifizieren.

Nach der WHO gilt den sogenannten be- sorgniserregenden Varianten (Variants of Concern, VOC) besondere Aufmerksamkeit.

Hintergrund ist, dass diese Varianten auf- grund veränderter Erregereigenschaften die Epidemiologie, die Virulenz oder die

Effektivität von Gegenmaßnahmen, diag- nostischen Nachweismethoden, Impfstof- fen beziehungsweise Therapeutika negativ beeinflussen. Gegenwärtig gibt es fünf Li- nien, die als VOC eingestuft werden und die WHO-Bezeichnungen alpha, beta, gamma, delta und omikron tragen (28). Letztere wurde erstmals im November 2021 in Bots- wana entdeckt. Seitdem scheint sie sich vor allem in Südafrika verbreitet zu haben, wobei sich Berichte über positive Nachwei- se in Europa häufen. Die Variante gilt als besonders ansteckend, da sie sich in Süd- afrika gegen die bisher vorherrschende Delta-Variante durchsetzt. Ferner ist be- sorgniserregend, dass die Variante deut- lich mehr Mutationen am Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus aufweist als an- dere bekannte VOC, was die Wirksamkeit von stattgefundenen Impfungen reduzie- ren kann (28).

Welche Virusvariante bei einem positiv getesteten Patienten oder einer positiv ge- testeten Patientin vorliegt, wird molekular- genetisch entweder durch gezielte Unter- suchung einzelner Mutationen oder in Stichproben durch die Ermittlung der kom- pletten Erbsubstanz des Virus (Sequenzie- rungen) bestimmt. Die Daten werden ebenfalls den lokalen Gesundheitsämtern und Bundesbehörden übermittelt.

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Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

3

Ansatzpunkte für den Einsatz von Arzneimitteln zur Prävention und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe Die Vermei- dung einer Corona-Infektion stellt einen wichtigen Ansatzpunkt in der Be kämpfung der COVID-19-Pandemie dar. Angesichts der oben beschriebenen Übertragungswe- ge wird verständlich, dass Kontaktbe- schränkungen, das regelmäßige Lüften bei Aufenthalt in geschlossenen Räumen und das Tragen von Mund-Nase- Bedeckungen einen wichtigen, nicht-medikamentösen Ansatz der Prophylaxe darstellen (Exposi- tionsprophylaxe).

Neben den nicht-medikamentösen Mög- lichkeiten der Prophylaxe werden auch verschiedene Arzneimittel als prophylakti- sche Ansätze diskutiert, ohne dass bisher allerdings Wirkstoffe zur Prophylaxe einer SARS-CoV-2-Infektion zugelassen wurden.

Die deutsche Gesellschaft für Krankenhaus-

hygiene hat allerdings bereits im Dezember 2020 unter Berücksichtigung der vorhande- nen Datenlage Empfehlungen zum Gurgeln mit Mundspüllösungen beziehungsweise zur Verwendung von Nasensprays veröf- fentlicht. Als Gurgellösungen werden Koch- salzlösungen oder bevorzugt auch ätheri- sche Mundspüllösungen empfohlen. Für die nasale Anwendung werden Carragelose- haltige Präparate empfohlen (29). Carra- gelose ist ein natürlicher, aus Rotalgen gewonnener Wirkstoff, der einen Schutz- film als physikalische Barriere bildet und so verhindert, dass Viren die Schleimhaut infizieren können. Der entscheidende Baustein in der Prophylaxe einer SARS-CoV- 2-Infektion beziehungsweise schwerwie- gender Verläufe einer COVID-19-Erkran- kung ist jedoch die Impfung, auf die auf Seite 27 (Erprobte Ansätze zur Prävention schwerer COVID-19-Verläufe) näher einge- gangen wird.

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26 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Bei der Therapie einer COVID-19-Infektion werden unterschiedliche Ansatzpunkte genutzt. Als eine potenziell kausale, also die Ursache behandelnde Therapie, sind Wirkstoffe anzusehen, die für andere Vi- ruserkrankungen entwickelt wurden. Hier ist unter anderem das gegen das Ebolavi- rus entwickelte Remdesivir zu nennen, auf welches auf Seite 35 (Remdesivir) näher eingegangen wird. Weitere antivirale Wirk- stoffe, die ebenfalls untersucht wurden, sind die bei einer HIV-Infektion eingesetz- ten Wirkstoffe Ritonavir/Lopinavir sowie der gegen eine Hepatitis-C-Infektion ent- wickelte Wirkstoff Ribavirin. Leider konnte bisher für keinen der drei letztgenannten Wirkstoffe eine überzeugende Wirksamkeit in klinischen Studien gezeigt werden. Mög- licherweise ist aber die Therapie mit dem ursprünglich gegen die Virusgruppe entwi- ckelten Wirkstoff Favipiravir eine antivirale Behandlungsoption bei COVID-19 (30).

Bei schweren Krankheitsverläufen stellt die überschießende Entzündungsreaktion einen wesentlichen Pathomechanismus dar. Dies erklärt, warum die Beeinflussung des Immunsystems ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt bei der Behandlung von CO- VID-19 ist, was ab Seite 40 (Immunmodula- torische Behandlungsansätze) besprochen wird.

Das gerade bei schweren Verläufen erhöh- te Risiko einer Aktivierung des Gerinnungs- systems mit der Gefahr des Auftretens von Blutgerinnseln (zum Beispiel Lungenembo- lie) rechtfertigt den regelhaften Einsatz von Gerinnungshemmern. Informationen zum Einsatz von Antikoagulanzien sind auf Seite 46 (Thromboembolien: Antikoagulan- zien) zu finden.

Aus klinischer Sicht stellt die Verschlechte- rung der Lungenfunktion mit der Notwen- digkeit einer möglichst nicht-invasiven, gegebenenfalls auch invasiven Beatmung sicherlich die entscheidende klinische Her- ausforderung dar (siehe Seite 45 (Unter- stützung der Atmung: Sauerstoff)).

(27)

Wie bei anderen viral ausgelösten Lungen- entzündungen besteht auch bei einer durch COVID-19 ausgelösten Lungenent- zündung die Gefahr, dass aufgrund einer zusätzlichen bakteriellen Infektion des vor- geschädigten Lungengewebes eine weite- re Verschlechterung der klinischen Situati- on eintritt. Details zum Einsatz von Antibiotika sind auf Seite 46 (Ko-Infektionen:

Antibiotika) dargestellt.

Erprobte Ansätze zur Prävention schwerer COVID-19-Verläufe: Impfungen Aktuell sind in Deutschland und Europa fünf Impfstoffe gegen COVID-19 zugelassen:

Comirnaty® (BioNTech/Pfizer), Nu va xo vid®

(Novavax), Spikevax® (Moderna), Vaxzevria®

(AstraZeneca) und COVID-19 Vaccine Jans- sen® (Johnson & Johnson) (31). Internati- onal existieren weitere (teils regional zuge- lassene) Impfstoffe wie beispielsweise Sputnik V® (Gamaleya, zugelassen unter anderem in Russland) (32). CoronaVac®, hergestellt von dem in Peking ansässigen Unternehmen Sinovac, ist der weltweit am häufigsten verwendete COVID-19-Impf- stoff. Nicht weit dahinter liegt der von der staatlichen Firma Sinopharm in Peking entwickelte Impfstoff. Diese Impfstoffe be- finden sich teilweise, gemeinsam mit wei- teren Kandidaten, in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren der European Medicines Agency (EMA) (33). Das bedeu- tet, dass die für eine potenzielle Zulassung in der Europäischen Union nötigen Studi- endaten laufend gesichtet und begutach- tet werden.

Weitere Impfstoffkandi- daten Laut Daten der World Health Organisation WHO befinden sich derzeit (Stand 08.12.2021) weltweit insgesamt weitere 194 Impfstoffkandidaten in der präklinischen Entwicklung und 136 Impfstoffkandidaten werden bereits klinisch erprobt (34).

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28 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Impfstofftypen Die Mehrheit der zu- gelassenen und sich in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe nutzt das bereits beschriebene Spike-Protein, das sich auf der Hülle von SARS-CoV-2 befindet, als Impfantigen, das heißt als Zielstruktur für die Erkennung des Virus durch das mensch- liche Immunsystem und die Immunantwort.

Dies geschieht – je nach Impfstofftyp – auf verschiedene Art und Weise.

Die in Deutschland als erstes zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 sind Vertreter zweier neuartiger Impfstofftypen, bei de- nen das beschriebene Impfantigen durch den Körper der geimpften Patientinnen und Patienten selbst „hergestellt“ wird:

Comirnaty® (BioNTech/Pfizer) und Spike- vax® (Moderna) sind mRNA-Impfstoffe, während Vaxzevria® (AstraZeneca) und COVID-19 Vaccine Janssen® (Johnson &

Johnson) vektorbasierte Impfstoffe dar- stellen (Abb. 3). Bei beiden Impfstofftypen wird genetische Information zur Herstel- lung des Impfantigens in menschliche Zel- len transportiert. Das „Transportmittel“ ist dabei allerdings unterschiedlich. Bei den mRNA-Impfstoffen gelingt der Transport in

die Körperzelle verpackt in kleinste Fetttröpfchen (Lipid-Nanopartikeln), bei den Vektorvirenimpfstoffen über gentech- nisch modifizierte, für den Menschen nicht gefährliche Viren. Die in Deutschland und Europa zugelassenen Vektorvirenimpfstoffe nutzen dafür Adenoviren, die normalerweise Erkältungen auslösen und weit in der Bevölkerung verbreitet sind. Ein weiterer Unterschied ist, was in die menschliche Zelle transportiert wird. Während mRNA-Impf- stoffe die messenger-RNA (mRNA) und damit bereits den direkten Bauplan für das Impfantigen enthalten, ist bei Vektorvi- renimpfstoffen die DNA-Sequenz des Imp- fantigens in die Virus-DNA eingebaut. Die- se Sequenz wird von menschlichen Zellen abgelesen, wodurch sie zunächst die mRNA herstellen und erst danach das Spike-Pro- tein (35).

Weitere Impfstoffe gegen COVID-19 nutzen Technologien, die schon bei anderen sich auf dem Markt befindlichen Impfstoffen zum Einsatz kommen (zum Beispiel Impf- stoffe gegen Hepatitis B, Humanes Papillo- mavirus (HPV), Grippe) und bei denen das Impfantigen biotechnologisch hergestellt wird. Für den Impfstoff Novavax® wird das Spike-Protein in Insektenzellen her-

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Totimpfstoff

Vektorviren- Impfstoff

mRNA-Impfstoff

Virusprotein

Ein SARS-CoV-2-Gen eingefügt

mRNA für das Spike-Protein, von Lipiden umhüllt

Körperzelle

Immun- Antwort Totimpfstoff

mRNA-Impfstoff

Virusprotein

Ein SARS-CoV-2-Gen eingefügt

mRNA für das Spike-Protein, von Lipiden umhüllt

Körperzelle

Immun- antwort

gestellt und gereinigt (32). Allerdings wurde gezeigt, dass Impfstoffe mit hochgereinig- ten Proteinen nur eine schwache Immun- antwort hervorrufen, sodass dem Spi- ke-Protein ein Adjuvans zur Verstärkung der Wirkung hinzugefügt wird (35).

Wirksamkeit und Effektivität der in Deutschland zugelassenen mRNA- und Vektorvirenimpfstoffe Ein direkter Ver- gleich der Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe ist nur schwer möglich, da sich die entsprechenden Studien zur Ermittlung der Wirksamkeit in vielen Faktoren unter-

scheiden. Die Ergebnisse werden durch die Studienmethodik, die Studienpopulation, gemessene Endpunkte und die örtliche Verbreitung der verschiedenen Varianten von SARS-CoV-2 zum Zeitpunkt der Studie beeinflusst. In Bezug auf eine symptoma- tische COVID-19-Erkrankung / einen positi- ven Test auf SARS-CoV-2 werden folgende Wirksamkeiten nach zwei Impfdosen bezie- hungsweise bei COVID-19 Vaccine Jans- sen® (Johnson & Johnson) nach einer Impf- dosis berichtet: Comirnaty® (BioNTech/

Pfizer) 95 Prozent, Spikevax® (Moderna) 94 Prozent und COVID-19 Vaccine Janssen®

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30 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

(Johnson & Johnson) 66 Prozent. Auch der Abstand zwischen den beiden Impfungen kann die Wirksamkeit beeinflussen, wie sich am Beispiel von Vaxzevria® (Astra- Zeneca) zeigt: 55 Prozent bei einem Impf- abstand von <6 Wochen und 81 Prozent bei einem Impfabstand >12 Wochen. Neben der Verhinderung von Ansteckungen und sym- ptomatischen Verläufen allgemein liegt der Fokus der Wirksamkeit auf der Verhinde- rung von COVID-19-bedingten schweren Krankheitsverläufen beziehungsweise Krankenhausaufnahmen. Hier wird für alle vier Impfstoffe eine Wirksamkeit von 85,4 Prozent bis 100 Prozent angegeben. Der tatsächliche Effekt der Impfungen außerhalb von klinischen Studien wird allerdings auch durch Faktoren wie den Anteil der bereits geimpften Bevölkerung und die vorherr- schende Virusvariante beeinflusst. Je nach Virusvariante können Impfungen mehr oder weniger wirksam sein, was die generelle Ver- hinderung von Ansteckungen und sympto- matischen Verläufen angeht (32).

Bei einer Erstimpfung mit dem Vektor- virenimpfstoff Vaxzevria® (AstraZeneca) wird in Deutschland mittlerweile eine Zweit- impfung mit einem mRNA-Impfstoff emp- fohlen (siehe Seite 32: Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission, STIKO). Ein solches heterologes Impfschema, bei dem zwei verschiedene Impfstoffe eingesetzt

werden, führt zu einer stärkeren Immun- antwort als die zweimalige Impfung mit Vaxzevria® (AstraZeneca). Die Ständige Impfkommission STIKO erwartet daher eine bessere Schutzwirkung durch eine hetero- loge Impfung, wenn die erste Impfung mit Vaxzevria® (AstraZeneca) erfolgt ist (37).

Impfreaktionen und -komplikationen Wie auch bei anderen Impfungen traten nach einer Impfung gegen COVID-19 typi- sche Nebenwirkungen auf, zum Beispiel Schmerzen an der Einstichstelle, Kopf- schmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Fieber und Übelkeit, die meist milder und vorübergehender Natur sind. Auch wurden sowohl bei mRNA-Impfstoffen als auch bei Vektorvirenimpfstoffen selten / sehr selten (0,1 Prozent bis 0,01 Prozent) allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock berichtet.

Darüber hinaus wurden in Verbindung mit Impfungen gegen COVID-19 auch be- stimmte neurologische (das heißt das Nervensystem betreffende) und kardiolo- gische (das heißt das Herz-Kreislauf-System betreffende) Ereignisse berichtet. Beispiele neurologischer Ereignisse sind nach Imp- fung mit mRNA-Impfstoffen Fälle von

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Gesichtslähmung (0,1 Prozent bis 0,01 Prozent) und nach Impfung mit Vektorvi- renimpfstoffen das Guillain-Barré-Syn- drom. Beispiele kardiologischer Ereignisse sind Fälle von Herzmuskel- und Herzbeu- telentzündungen (<0,01 Prozent) bei mRNA-Impfstoffen und Blutgerinnsel mit einer gleichzeitigen Verringerung der Zahl an Blutplättchen und Blutungen bei Vek- torvirenimpfstoffen (<0,01 Prozent). Von Herzmuskelentzündungen waren vor al- lem jüngere Männer <30 Jahre betroffen (wobei das Risiko bei Impfung mit Spike- vax® in dieser Patientengruppe höher war als das bei Comirnaty® (38)) und von Blut- gerinnseln Personen <60 Jahre.

Wichtig ist, dass das Auftreten eines uner- wünschten Ereignisses in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung nicht zwingend bedeutet, dass es durch die Impfung verursacht wurde. Dies zeigt sich daran, dass Ereignisse, die als seltene Impfnebenwirkung gelten (zum Beispiel Herzmuskelentzündung) auch ohne Imp- fung auftreten können (entsprechend ihrer Hintergrundinzidenz). Gleichwohl ergab sich für die oben genannten Ereignisse in der geimpften Population eine Häufigkeit oberhalb dieser „normalen“ Hintergrund- inzidenz, sodass eine ursächliche Rolle der Impfung wahrscheinlich ist. Allerdings sollte

nicht vergessen werden, dass schwerwie- gende Krankheitssymptome, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nach einer Impfung auftraten (wie zum Beispiel Gesichtslähmung, Guillain-Barré-Syndrom, Thrombosen und Herzmuskelentzündun- gen) mit deutlich höherer Wahrscheinlich- keit auch bei einer COVID-19-Erkrankung auftreten (39-41).

Wichtig bei der Bewertung einer Impfung ist das Abwägen des potenziellen Nutzens (Vermeidung schwerwiegender Krank- heitsverläufe) gegen potenzielle Risiken (Vermeidung von Nebenwirkungen). Die- ses sogenannte Nutzen-Risiko-Verhältnis wurde durch die zulassenden Behörden (zum Beispiel die Europäische Arzneimit- telagentur) für verschiedene Bevölke- rungsgruppen als positiv bewertet, das heißt, der Nutzen überwiegt die Risiken.

Zusätzlich erfolgt in Deutschland auch noch eine Bewertung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) im Sinne von Empfehlungen. Auch hier liegt inzwischen generell für alle Erwachsenen und Jugend- lichen im Alter von 12 bis 17 Jahren (sowie für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung) eine Empfeh- lung der STIKO zur Durchführung einer Impfung vor.

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32 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Impfempfehlungen der Ständigen Impf- kommission (STIKO) Seit der Zulassung des ersten Impfstoffs gegen COVID-19 in Deutschland und des Beginns der Impf- kampagne hat die STIKO ihre Empfehlungen zur Impfung aufgrund neuer zur Verfügung stehender Daten mehrfach angepasst und aktualisiert. Vaxzevria ® (AstraZeneca) wur- de beispielsweise zu Beginn nur für jüngere Patientinnen und Patienten empfohlen, da nicht genügend Daten zur Beurteilung der Immunantwort bei mit diesem Vakzin geimpften Älteren vorhanden waren (42, 43). Allerdings zeigten sich bei Jüngeren (zwar sehr selten (<0,01 Prozent), aber häufiger als bei Älteren) schwere Neben- wirkungen (Hirnvenenthrombose), sodass Vaxzevria® (AstraZeneca) in Deutschland nur noch für Patientinnen und Patienten über 60 Jahren empfohlen wird (44). Ange- sichts des vermehrten Aufkommens der ansteckenderen Delta-Variante des Virus wurde aufgrund der stärkeren Immunant- wort empfohlen, nach einer Erstimpfung mit Vaxzevria® (AstraZeneca) eine Zweit- impfung mit einem mRNA-Impfstoff vorzu- nehmen (42). Zuvor galt die Empfehlung, für beide Impfungen den gleichen Impf- stoff zu verwenden, mit Ausnahme jünge- rer Patientinnen und Patienten, die eine Erstimpfung mit Vaxzevria® (AstraZeneca) erhalten hatten.

Aufgrund der Tatsache, dass bei Personen unter 30 Jahren mit dem Impfstoff Spike- vax® ein höheres Risiko für Herzmuskelent- zündungen beobachtet wurde als mit dem Impfstoff Comirnaty®, passte die STIKO ihre Impfempfehlung an. Impfungen in dieser Altersgruppe sollen nur noch mit Comirnaty®

durchgeführt werden, unabhängig davon, welcher Impfstoff bei einer zuvor erfolgten Impfung gegen COVID-19 eingesetzt wurde (38).

Daten aus Beobachtungsstudien aus meh- reren Ländern zeigen, dass es – bei gleich- zeitiger Verbreitung der Delta-Variante von SARS-CoV-2 – vier bis sechs Monate nach der Grundimmunisierung zu einem leichten Rückgang des Schutzes gegen schwere Krankheitsverläufe kommt. Der Schutz ge- gen symptomatische Infektionen im Allge- meinen (unabhängig vom Schweregrad) ist deutlicher beeinträchtigt. Bei Älteren und bei Personen mit einem beeinträchtigten Immunsystem aufgrund von Erkrankungen oder Arzneimitteln (Immundefizienz) lässt der Schutz vor schweren Krankheitsverläu- fen deutlich nach (45). Die STIKO empfahl eine dritte Impfdosis, die in den Medien auch als Booster-Impfung bezeichnet wird,

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zuerst nur für Personen mit Immundefizienz (46). Im weiteren Verlauf wurde die Impf- empfehlung für die dritte Dosis auf Perso- nen ab 70 Jahren, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und Personen mit Patientenkontakt wie beispielsweise Pfle- gepersonal ausgeweitet. Gleichzeitig wur- de für Personen, deren Grundimmunisie- rung mit einer einzelnen Dosis COVID-19 Vaccine Janssen® erfolgt ist, eine Auffri- schungsimpfung mit einem mRNA-Impf- stoff ab 4 Wochen nach der Grundimmuni- sierung empfohlen (47). Im November 2021 empfahl die STIKO dann eine Auffri- schungsimpfung für alle Personen ab 18 Jahren. Die Booster-Impfung soll mit einem mRNA-Impfstoff in der Regel 6 Monate nach der Grundimmunisierung erfolgen, allerdings kann der zeitliche Abstand auch auf 3 Monate verkürzt werden (48).

Besondere Personengruppen – Kinder und Jugendliche Für Kinder und Ju- gendliche sind in Deutschland die mRNA- Impfstoffe Comirnaty® (BioNTech/Pfizer) ab 5 Jahren und Spikevax® (Moderna) ab 12 Jahren zugelassen (33). Die Ständige Impfkommission sprach am 16. August 2021 eine generelle Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige aus, während zuvor bei dieser Altersgruppe eine Impfung nur bei

Vorerkrankungen empfohlen worden war (49). Wie bereits erwähnt empfiehlt die STIKO, bei Personen unter 30 Jahren nur den Impfstoff Comirnaty® einzusetzen.

Kurz vor Redaktionsschluss gab die STIKO in einer Pressemeldung am 9. Dezember 2021 bekannt, dass sich ein Beschlussent- wurf hinsichtlich der Impfung von Kindern unter 12 Jahren im Stellungnahmeverfah- ren mit den Bundesländern und beteiligten Fachkreisen befindet. Die STIKO empfiehlt darin die Impfung gegen COVID-19 für Kin- der von fünf bis elf Jahren, die eine Vorer- krankung oder Kontakt mit Risikopatienten und -patientinnen haben. Auch auf indivi- duellen Wunsch der Kinder und Eltern be- ziehungsweise Sorgeberechtigten kann nach ärztlicher Aufklärung eine Impfung vorgenommen werden (50).

Besondere Personengruppen – Schwangere Seit September 2021 empfiehlt die STIKO Stillenden und Schwangeren ab dem 2. Tri- menon eine Impfung gegen COVID-19. Au- ßerdem wird die Impfung allen Personen im gebärfähigen Alter empfohlen, damit be- reits vor Eintritt der Schwangerschaft ein Impfschutz besteht. Zunächst kamen für Schwangere beide mRNA-Impfstoffe, das heißt sowohl Spikevax® als auch Comirna- ty®, in Betracht (51). Zusammen mit der Aktualisierung der Impfempfehlung für Personen unter 30 Jahren (siehe oben)

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34 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

empfahl die STIKO jedoch, bei Schwange- ren, unabhängig vom Alter, nur noch Co- mirnaty® einzusetzen (38). Zusätzlich sol- len auch doppelt geimpfte Schwangere ab dem 2. Trimenon eine Auffrischungsimp- fung mit Comirnaty® erhalten (45).

Fortschritt der Impfkampagne in Deutsch- land und weltweit Bis zum 8. Dezember 2021 waren in Deutschland laut Daten des Robert Koch-Instituts 72,2 Prozent der Be- völkerung mindestens einmal und 69,2 Pro- zent vollständig gegen COVID-19 geimpft (52). Die Impfquote ist weltweit sehr unter- schiedlich.

Während in Deutschland 18,7 Prozent der Bevölkerung bereits eine dritte Impfung bekommen haben (52), haben weltweit nur 55,3 Prozent der Bevölkerung eine Erst- impfung erhalten und 44,9 Prozent sind vollständig immunisiert (53). In Ländern mit niedrigen Einkommen sind nur 6,3 Pro- zent der Menschen mindestens einmal geimpft worden. Das Robert Koch-Institut berichtet Stand Juli 2021 von einer Ziel- impfquote für Deutschland von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und von 90 Prozent für Personen ab 60 Jahren (54).

Erprobte Ansätze zur Therapie schwerer COVID-19-Verläufe Die folgenden Ab- schnitte stellen eine Auswahl von Wirkstof- fen vor, die im Laufe der Pandemie von verschiedenen Quellen als mögliche COVID- 19-Therapien ins Spiel gebracht und/oder diskutiert wurden. Wir beschreiben ihre ursprünglichen Anwendungsbereiche und ihre Wirkweise (allgemein und bei COVID-19 sowie gegebenenfalls den derzeitigen Stand der klinischen Erprobung und die da- raus abgeleiteten Leitlinienempfehlungen.

Letztere basieren hierbei auf der S3-Leitlinie

„Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ der Deutschen In- terdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) (55).

Die ausgewählten Wirkstoffe können danach unterteilt werden, wie sie in den Verlauf der COVID-19-Infektion beziehungsweise -Er- krankung eingreifen. So werden Wirkstoffe in Betracht gezogen, die entweder darauf abzielen, 1 die Virusvermehrung einzu- dämmen oder zu stoppen, 2 eine über- schießende Reaktion des Immunsystems zu korrigieren, 3 spezifische Komplikatio- nen (bakterielle Ko-Infektionen, Thrombo- sen) zu vermeiden oder zu behandeln oder 4 die beeinträchtigte Sauerstoffversor- gung so weit wie möglich zu beheben.

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Antivirale Behandlungsansätze Es liegt auf der Hand, dass eine Eindämmung der Virusvermehrung eine wichtige Rolle bei der Therapie einer COVID-19-Erkrankung spielen könnte (analog dem Einsatz von Antibiotika zur Therapie bakterieller Infek- tionen). Allerdings befinden sich wesentlich weniger antivirale Wirkstoffe auf dem Markt als antibiotische, und viele Virustatika greifen an virusspezifischen Zielstrukturen an, die bei SARS-CoV-2 keine Rolle spielen.

Einige wenige Wirkstoffe mit potenziell anti- viraler Wirkung gegen SARS-CoV-2 wurden allerdings bereits getestet.

Remdesivir (Veklury®) Remdesivir wurde als Virustatikum ursprünglich gegen Ebola und Marburgfieber entwickelt, erhielt hier- für jedoch keine Zulassung.

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen?

Coronaviren sind RNA-Viren, das heißt im Gegensatz zu DNA-Viren (und zum Men- schen) ist ihre Erbinformation als RNA gespeichert. DNA und RNA sind aus Basen aufgebaut, deren Reihenfolge die Erban- lagen bestimmt. Damit sich das Coronavirus vermehren kann, muss es auch eine Kopie seiner RNA anfertigen, die es dann dem neugebauten Virus wieder mitgeben kann.

Remdesivir ist ähnlich wie eine Base aufge- baut, und wenn es anstatt der richtigen Base in die entstehende Kopie der RNA des Virus eingebaut wird, kommt es zu einem Abbruch der Basenkette, wodurch die Vi- rusvermehrung gehemmt wird (56, 57).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Remdesivir ist seit Juli 2020 zur Behandlung von COVID-19 zugelassen.

Bedingt durch den Wirkmechanismus könnte ein Einsatz von Remdesivir besonders am Anfang einer Infektion sinnvoll sein, um die Vermehrung des Virus im Körper zu verlang- samen. Jedoch zeigte Remdesivir bei hos- pitalisierten COVID-19-Patientinnen und -Patienten im Vergleich zur Standardthera- pie bis jetzt keinen oder nur einen gerin- gen Vorteil bezüglich der Mortalität oder im Hinblick auf die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung bei zuvor nicht

Therapeutische Ansätze bei COVID-19 Seit Beginn der Pandemie wurden verschiedene Therapieansätze und Arzneistoffe erprobt, von denen sich einige in der Therapie schwerer COVID-19-Verläufe etabliert haben.

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36 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

beatmeten Patientinnen und Patienten (58). Die S3-Leitlinie der DIVI spricht sich gegen einen Einsatz von Remdesivir bei COVID-19-Patientinnen und Patienten ohne Sauerstoffbedarf und bei solchen mit invasiver Beatmung aus. Für Patientin- nen und Patienten mit nichtinvasiver Beat- mung oder Sauerstoffbehandlung kann aufgrund der unsicheren Datenlage keine Empfehlung für oder gegen Remdesivir ausgesprochen werden (55).

Molnupiravir (Lagevrio®) Molnupiravir wurde ursprünglich als oral einzunehmen- der Wirkstoff gegen Influenzaviren entwi- ckelt. Der Wirkstoff wurde im November 2021 im Vereinigten Königreich zugelas- sen, befand sich bei Redaktionsschluss aber noch im Rolling-Review-Verfahren der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA).

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen?

Wie auch Remdesivir ist Molnupiravir ähn- lich wie eine Base der RNA aufgebaut und wird in die bei der Virusvermehrung ent- stehende RNA-Kopie eingebaut. Bei der Kopie eines durch Molnupiravir verfälsch- ten RNA-Stranges kommt es zum Einbau falscher Basen, wodurch die Virusvermeh- rung gehemmt wird (59).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Die Effektivität von Molnupi- ravir wurde in der Phase-3-Studie MOVe- OUT untersucht, deren Ergebnisse inzwi- schen vorliegen. Die Studie schloss nicht- hospitalisierte erwachsene Patientinnen und Patienten mit leichten bis mittelschwe- ren COVID-19-Symptomen ein, die ein Risi- ko für einen schweren Krankheitsverlauf hatten. Nach Auswertung der Daten aller eingeschlossenen Patientinnen und Pati- enten reduzierte Molnupiravir das Risiko für Krankenhausaufenthalt oder Tod von 9,7 Prozent in der Placebo-Gruppe (68/699) auf 6,8 Prozent (48/709) in der Molnupiravir-Gruppe. Die absolute Risiko- reduktion lag demnach bei 3,0 Prozent und die relative Risikoreduktion bei 30 Prozent.

Neun Todesfälle traten in der Placebo- und einer in der Molnupiravir-Gruppe auf (60).

Trotz fehlender Zulassung gab die EMA im November 2021 bekannt, dass Molnupira- vir zur Behandlung von Erwachsenen mit COVID-19 verwendet werden kann, wenn diese keinen zusätzlichen Sauerstoff erhal- ten und ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf aufweisen.

Der Wirkstoff solle so bald wie möglich nach der Diagnose und innerhalb von fünf

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Tagen nach Beginn der Symptome verab- reicht werden. Aufgrund möglicher muta- gener Wirkungen auf den Embryo wird Molnupiravir während der Schwanger- schaft und bei Frauen im gebärfähigen Al- ter, die keine wirksame Empfängnisverhü- tung anwenden, nicht empfohlen (61). In der S3-Leitlinie der DIVI wird Molnupiravir nicht erwähnt, da die derzeitige Version der Leitlinie auf dem Stand von Oktober 2021 ist (55).

Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) Paxlovid® kombiniert zwei Wirkstoffe (Nir- matrelvir und Ritonavir), wobei Nirmatrel- vir die eigentlich virustatisch wirksame Komponente darstellt, deren Wirkung durch Ritonavir „geboostert“ wird.

Wie wirkt die Wirkstoffkombination?

Wie könnte sie bei COVID-19 helfen?

Nirmatrelvir ist ein sogenannter SARS- CoV-2-3CL-Proteaseinhibitor, der die für die Vermehrung von SARS-CoV-2 wichtige Protease 3CL hemmt. Ist 3CL blockiert, ist auch die Virusvermehrung gestört. Zwar ist auch Ritonavir ein Virustatikum (das in der Behandlung von HIV-Infektionen und Hepatitis C angewendet wird), in Kombina- tion mit Nirmatrelvir hat es jedoch die

Funktion, den Abbau von Nirmatrelvir in der Leber zu hemmen. Dadurch verlängert Ritonavir die Wirkdauer von Nirmatrelvir, sodass geringere Dosen eingesetzt und unerwünschte Wirkungen reduziert wer- den können (62).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Der Ausschuss für Human- arzneimittel (CHMP) der EMA wird sich Da- ten einer placebokontrollierten Studie an- sehen. Die EPIC-HR-Studie war eine Pha- se-2/3-Studie mit mehr als 1.200 erwachsenen Patientinnen und Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert und aufgrund von Vorerkrankungen wie Diabe- tes oder Fettleibigkeit ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hatten.

In einer Zwischenanalyse zeigte sich, dass die Wirkstoffkombination bei den einge- schlossenen Patientinnen und Patienten das Risiko von Krankenhauseinweisungen und Todesfällen um 89 Prozent gegenüber Placebo senkte. Die Studie wurde darauf- hin vorzeitig beendet (63). Bei Redaktions- schluss stand das Ergebnis einer Überprü- fung dieser Daten sowie von Daten zur Qualität und Sicherheit dieser Therapie durch die EMA noch aus. Entsprechend wird Paxlovid® in der S3-Leitlinie der DIVI mit Stand Oktober 2021 auch noch nicht erwähnt (55).

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38 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Hydroxychloroquin (Quensyl®) Hydro- xychloroquin ist die Weiterentwicklung des bereits im 2. Weltkrieg verwendeten Chloroquins mit weniger unerwünschten Wirkungen. Heutzutage wird es auch bei Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes (sogenannte Schmetter- lingsflechte) und rheumatoider Arthritis eingesetzt. Hydroxychloroquin hat mehrere pharmakologische Wirkungen, deren Rollen in den verschiedenen Erkrankungen jedoch nicht vollständig geklärt sind.

Hydroxychloroquin gibt es nur in Tabletten- form (64).

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen? Bereits seit mehreren Jahren weiß man um die breite antivirale Wirkung des Chloroquins.

Es wurde beispielweise bereits mit HIV und dem 2003 entdeckten SARS-assoziierten Coronavirus (SARS-CoV) in vitro und in vivo getestet. Chloroquin hat dabei sowohl direkte antivirale Wirkung durch Blockade der Virusvermehrung als auch immunmo-

dulatorische Wirkungen (65, 66). Laborex- perimente der letzten zwei Jahre zeigten, dass sowohl das ursprüngliche Chloroquin als auch das besser verträgliche Hydroxy- chloroquin eine antivirale Wirkung gegen SARS-CoV-2 haben (67, 68).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Auf Basis der Laborexperi- mente und vorangegangenen Virusinfekti- onen wurde Hydroxychloroquin auch bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten mit COVID-19 eingesetzt. Jedoch konnte beim Menschen keine sichere antivirale Wirkung oder eine klinische Wirksamkeit nachgewiesen werden. Außerdem birgt Hy- droxychloroquin ein hohes Risiko für schäd- liche Wirkungen am Herzen und am Auge.

Diese unerwünschten Wirkungen entste- hen insbesondere bei längerem Gebrauch und hohen Dosierungen. Aufgrund des un- bestätigten Nutzens bei COVID-19 und der möglichen schwerwiegenden Nebenwir- kungen wurde in der Leitlinie von Mai 2021 keine Empfehlung für die Verwendung von Chloroquin/Hydroxychloroquin zur CO- VID-19-Behandlung ausgesprochen (69).

In der aktuellen Version der Leitlinie wird nicht mehr auf Chloroquin/Hydroxychloro- quin eingegangen (55).

Hydroxychloroquin Ur- sprünglich kennt man Hydroxychloroquin als Mittel zur Therapie von Malaria oder zur Malariaprophylaxe.

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Ivermectin Ivermectin wird als Tablette zur Behandlung von inneren Wurm- und Parasitenerkrankungen sowie bei Scabies (Krätze) eingesetzt. Außerdem wird es als Creme zur Behandlung von Rosazea, einer chronisch verlaufenden, entzündlichen Hauterkrankung vornehmlich von Stirn, Nase, Kinn und Wangen, verwendet. Iver- mectin wird aus Strahlenpilzen gewonnen und nachträglich chemisch modifiziert (70).

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen? Zwar zeigte sich im Labor, dass höhere Dosen von Ivermectin die Vermehrung von SARS-CoV-2 verlangsamen, der Wirkungs- mechanismus ist jedoch unklar. Dass Iver- mectin jedoch auch eine antivirale Wirkung besitzt, ist keine neue Beobachtung. Be- reits 2012 konnte eine In-vitro-Studie zei- gen, dass Ivermectin die Vermehrung des HI-Virus hemmen kann. Dies funktioniert über die Blockade einer Interaktion von Virusproteinen mit dem körpereigenen Protein Importin. Importin spielt eine Rolle beim Transport von Proteinen in den Zell- kern. Viren benutzen diese Frachtproteine, um innerhalb des Zellkerns ihre Vermeh- rung initiieren zu können. Neben dem HI-Virus nutzen auch verschiedene andere

Virenarten Importin als Zielprotein, darunter das Dengue-Virus, das West-Nil-Virus, das Influenza-Virus oder SARS-CoV-1 aus dem Jahr 2003, das mit SARS-CoV-2 ver- wandt ist (71, 72).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Die Studienlage ist zurzeit nicht eindeutig. Die Qualität der Ergebnisse ist gering und lässt keine Aussage hin- sichtlich der Letalität (Häufigkeit der krankheitsbedingten Todesfälle im Verhält- nis zur Anzahl der Erkrankten) oder der Verbesserung des klinischen Zustands von COVID-19-Patientinnen und Patienten zu.

Die Leitliniengruppe der S3-Leitlinie spricht daher eine starke Empfehlung gegen die Anwendung von Ivermectin bei COVID-19 außerhalb von klinischen Studien aus. Diese Empfehlung ist auch unter Berücksichti- gung potenzieller Nebenwirkungen sowie Wechselwirkungen mit anderen Arzneimit- teln getroffen worden, da die vorliegende Konzentration nach Einnahme von Iver- mectin die im Labor gemessene Hemmkon- zentration (die niedrigste Konzentration eines Wirkstoffes, bei der das Wachstum eines Keimes gerade noch gehemmt wird) weit unterschreitet (55). Daraus würde fol- gen, dass Überdosierungen bei der Einnah- me vonnöten wären.

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40 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Dexamethason zeigt einen positiven Effekt

Immunmodulatorische Behandlungsansätze Bei schweren COVID-19-Verläufen steht in der späten Erkrankungsphase pathophy- siologisch vor allem die überschießende Immunantwort (auch als Zytokinsturm bekannt und betitelt als Hyperinflamma- tionssyndrom) im Vordergrund und weni- ger die durch Viren direkt verursachten Gewebeschäden. Das Hyperinflammati- onssyndrom äußert sich dadurch, dass sich der Zustand des

Patienten oder der Pati- entin ungefähr 8 bis 15 Tage nach Beginn der Erkrankung plötzlich verschlechtert. Geprägt

ist dieser Zustand von einer andauernden systemischen Entzündung mit erhöhten Entzündungswerten, die schließlich bis zum Tod führen kann (73). Durch Arzneis- toffe, die die Immunantwort unterdrücken, kann die überschießende schädliche Imm- unreaktion behandelt werden.

Dexamethason Dexamethason gehört zur Gruppe der Glucocorticoide, die sich vom körpereigenen Cortisol (=Hydrocorti- son) ableiten. Cortisol wird in der Nebennie-

renrinde gebildet und hat abhängig von der Dosis unterschiedliche Aufgaben und Wirkungen im Körper. Es wird in Stress- situationen in hohen Konzentrationen aus- geschüttet und erhöht beispielsweise den Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig blockiert es auch entzündliche und immunologische Prozesse und hat eine Wirkung auf die Rückresorption von Salzen aus der Niere (70). Dexamethason wirkt circa 30-mal stärker als das natürliche Hydrocortison. Durch ihre Wirkung auf das Immun- system wirken Glucocor- ticoide antientzündlich, antiallergisch und im- munsuppressiv. Die Anwendungsgebiete von Dexamethason reichen von der Notfall- medizin (schwere Asthmaanfälle, ana- phylaktischer Schock et cetera) über die Behandlung von Autoimmunerkrankun- gen (rheumatoide Arthritis, Lupus erythe- matodes) und schwerer Infektionskrank- heiten (mit gleichzeitiger antiinfektiöser Therapie) bis zur Behandlung von Hauter- krankungen.

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