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positiven Effekt

Immunmodulatorische Behandlungsansätze Bei schweren COVID-19-Verläufen steht in der späten Erkrankungsphase pathophy-siologisch vor allem die überschießende Immunantwort (auch als Zytokinsturm bekannt und betitelt als Hyperinflamma-tionssyndrom) im Vordergrund und weni-ger die durch Viren direkt verursachten Gewebeschäden. Das Hyperinflammati-onssyndrom äußert sich dadurch, dass sich der Zustand des

Patienten oder der Pati-entin ungefähr 8 bis 15 Tage nach Beginn der Erkrankung plötzlich verschlechtert. Geprägt

ist dieser Zustand von einer andauernden systemischen Entzündung mit erhöhten Entzündungswerten, die schließlich bis zum Tod führen kann (73). Durch Arzneis-toffe, die die Immunantwort unterdrücken, kann die überschießende schädliche Imm-unreaktion behandelt werden.

Dexamethason Dexamethason gehört zur Gruppe der Glucocorticoide, die sich vom körpereigenen Cortisol (=Hydrocorti-son) ableiten. Cortisol wird in der

Nebennie-renrinde gebildet und hat abhängig von der Dosis unterschiedliche Aufgaben und Wirkungen im Körper. Es wird in Stress-situationen in hohen Konzentrationen aus-geschüttet und erhöht beispielsweise den Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig blockiert es auch entzündliche und immunologische Prozesse und hat eine Wirkung auf die Rückresorption von Salzen aus der Niere (70). Dexamethason wirkt circa 30-mal stärker als das natürliche Hydrocortison. Durch ihre Wirkung auf das Immun-system wirken Glucocor-ticoide antientzündlich, antiallergisch und im-munsuppressiv. Die Anwendungsgebiete von Dexamethason reichen von der Notfall-medizin (schwere Asthmaanfälle, ana-phylaktischer Schock et cetera) über die Behandlung von Autoimmunerkrankun-gen (rheumatoide Arthritis, Lupus erythe-matodes) und schwerer Infektionskrank-heiten (mit gleichzeitiger antiinfektiöser Therapie) bis zur Behandlung von Hauter-krankungen.

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen? Nahe-zu in jeder Zelle des Körpers liegt ein Gluco-corticoid-Rezeptor vor. Nachdem Glucocor-ticoide an ihren Rezeptor gebunden haben, wandert dieser Glucocor ticoid-Rezeptor-Komplex in den Zellkern, wo er bestimmte Gene an- und ausschalten kann. Darüber wird zum Beispiel die Produktion gewisser Proteine gesteuert, die wichtig für das Immunsystem, für Entzündungsreaktio-nen und allgemein für die Immunantwort des Körpers sind. Glucocorticoide verringern die Bildung, Freisetzung und Aktivität von entzündungsfördernden Stoffen und er-zielen dadurch ihre immunsupprimierende (das Immunsystem unterdrückende) Wir-kung (70). Obwohl es zunächst paradox erscheint, das Immunsystem bei einer Vi-rusinfektion absichtlich zu unterdrücken, kann im Falle von schweren COVID-19-Ver-läufen eine überschießende, lebensbe-drohliche Entzündungsreaktion des Kör-pers auf das Virus durch Dexamethason eingedämmt werden.

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Dexamethason zeigt einen positiven Effekt auf die Sterblichkeit bei Patientinnen und Patienten mit Sauer-stoffbedarf oder invasiver Beatmung. Zu-sätzlich ist Dexamethason gut verträglich

und breit sowie preiswert verfügbar. Dexa-methason (oder auch andere Glukokorti-koide mit systemischer Wirkung) werden von der Leitliniengruppe daher ausdrücklich bei Patientinnen und Patienten mit CO-VID-19 und Sauerstoffbedarf empfohlen.

Der Wirkstoff wird in diesem Fall über zehn Tage intravenös oder oral verabreicht (55).

Dexamethason ist mittlerweile auch offiziell zur Behandlung von COVID-19 bei Erwach-senen und Jugendlichen (im Alter von mindestens zwölf Jahren und mit einem Körpergewicht von mindestens 40 kg) zugelassen, die eine zusätzliche Sauer-stoffzufuhr erfordert (74).

Tocilizumab (RoActemra®) Tocilizumab ist ein monoklonaler Antikörper und ist zu-gelassen für die Behandlung verschiedener Autoimmunerkrankungen (wie rheumatoide und andere Arten von Arthritis) und schwe-rer Verläufe des sogenannten T-Zell-indu-zierten Zytokin-Freisetzungssyndroms (auch bekannt als Zytokinsturm bezie-hungsweise Cytokine Release Syndrome, CRS). Der Antikörper wird intravenös verab-reicht (75).

Weitere Studien Weitere Arzneimittel wie zum Beispiel Tofacitinib oder Baricitinib sind aktuell Gegenstand klinischer Studien zur Behandlung von COVID-19.

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen? Als Antikörper und verhindert damit, dass IL-6 seine entzündungsfördernde Wirkung entfaltet (75). IL-6 spielt insbesondere zu-sammen mit anderen entzündungsför-dernden Stoffen, den Zytokinen (IL-1, TNF-α (Tumornekrosefaktor-alpha)) eine tragende Rolle bei der Immunantwort des Körpers bei einer Infektion (76). Ähnlich wie bei Dexamethason (siehe Seite 40), könnte durch das gezieltere Herunterregulieren der körpereigenen Immunantwort der Zustand von Patientinnen und Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen verbes-sert werden (77). Die Verschlechterung des Zustands eines Patienten oder einer Pati-entin während einer SARS-CoV-2-Infekti-on ist häufig in der Labordiagnostik auch von hohen IL-6-Werten begleitet (73).

Zusätzlich steht IL-6 zusammen mit anderen entzündungsfördernden Zytokinen im Ver-dacht, bei Patientinnen und Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen am Lungen-versagen durch Alveolenschädigung (Al-veolen=Lungenbläschen), durch Förde-rung von ZelleinwandeFörde-rungen in die Lunge

und durch Auslösen von Thrombosen be-teiligt zu sein (78). Durch das Abfangen des Rezeptors kann das vorliegende IL-6 nicht mehr seine volle Wirkung entfalten.

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Tocilizumab zeigte in Studien nur einen geringen positiven Effekt auf die Sterblichkeit, weshalb nur eine schwache Empfehlung für den Einsatz in Kombination mit Glucocorticoiden bei Erkrankten mit hohen Entzündungswerten und erhöhtem Sauerstoffbedarf von den Autorinnen und Autoren der S3-Leitlinie ausgesprochen wurde. Tocilizumab zeigt keinen Vorteil bei Patientinnen und Patienten ohne oder mit nur geringem Sauerstoffbedarf sowie bei denjenigen, die bereits eine invasive Beat-mung benötigen. Tocilizumab sollte nicht gleichzeitig mit Januskinase(JAK)-Inhibito-ren wie Baricitinib verabreicht werden (55).

Januskinase(JAK)-Inhibitoren Zu den Januskinase-Inhibitoren gehören beispiels-weise Tofacitinib, Ruxolitinib und Baricitinib.

Baricitinib ist ein Wirkstoff in Tabletten-form, der standardmäßig bei rheumatoider Arthritis oder mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis (Ekzem) eingesetzt wird.

Wie wirken die Wirkstoffe? Wie könnten die Wirkstoffe bei COVID-19 helfen?

Januskinasen (JAKs) sind Enzyme, die Sig-nale von Zelloberflächenrezeptoren weiter-leiten und dadurch unter anderem Entzün-dungs- und Immunreaktionen befeuern.

Durch die Hemmung von Januskinasen kann Baricitinib daher Immunantwort und Entzündungsreaktionen unterdrücken (70). Durch den Einsatz von Baricitinib oder anderen JAK-Inhibitoren soll – wie auch bei Tocilizumab – die überschießende Immunantwort bei COVID-19 spezifischer als mit Dexamethason beeinflusst werden (79).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Zu den Januskinase-Inhibito-ren gibt es vier klinische Studien, die 2.888 hospitalisierte Patientinnen und Patienten

umfassen. Die Studienteilnehmer und -teil-nehmerinnen wurden mit Baricitinib, Tofa-citinib oder Ruxolitinib behandelt. In den Studien zeigte sich ein geringer positiver Effekt auf die Sterblichkeit, bei einem gleichzeitig günstigen Nebenwirkungsprofil für Erkrankte ohne zusätzlichen oder mit nur geringem Sauerstoffbedarf. Entspre-chend gibt die S3-Leitlinie der DIVI eine schwache Empfehlung für den Einsatz von Januskinase-Inhibitoren bei diesen Patien-tinnen und Patienten ab. JAK-Inhibitoren sollten außerhalb von klinischen Studien nicht mit anderen Therapien kombiniert werden, die das Immunsystem beeinflus-sen (mit Ausnahme von Corticosteroiden wie Dexamethason), da bisher nicht genü-gend Daten zur Sicherheit einer solchen Kombinationstherapie vorliegen (55).

Colchicin Colchicin ist ein Wirkstoff aus den Samen der Herbstzeitlosen (Pflanze) und wird hauptsächlich zur Behandlung eines akuten Gichtanfalls eingesetzt. Bei der Colchicin-Therapie ist Vorsicht gebo-ten, da Überdosierungen leicht möglich sind und in schweren Fällen tödlich sein kön-nen. Colchicin gibt es als Tropfen oder Tab-letten zur Einnahme (80).

44 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen? Der Wirkmechanismus von Colchicin ist nicht vollständig bekannt. Bei Gicht wirkt Colchicin wahrscheinlich dadurch, dass es verhindert, dass Immunzellen zielgerichtet zum Ent-zündungsherd (also zum Beispiel zum Zeh-gelenk) wandern und dort aktiv die Entzün-dungsreaktion verstärken (70). In den letzten Jahren ist das Interesse für Colchi-cin insbesondere im Bereich der Kardiolo-gie gestiegen. Colchicin zeigte gute Ergeb-nisse bei Herzbeutelentzündungen oder schützte vor weiteren kardiovaskulären Er-eignissen nach einem Herzinfarkt (81, 82).

Neben der Tatsache, dass Patientinnen und Patienten mit einem schweren CO-VID-19-Verlauf hohe Entzündungswerte vorweisen, erhöht eine Infektion mit SARS-CoV-2 auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (73, 83). Da antientzündliche Medikamente, wie es bereits Dexametha-son und Tocilizumab beweisen konnten bei COVID-19, einen positiven Effekt auf die Mortalität der Patientinnen und Patienten haben, könnte auch Colchicin mit seinen an-tientzündlichen und möglicherweise pro-tektiven Eigenschaften für kardiovaskuläre Ereignisse einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf einer COVID-19-Er-krankung haben (77, 84).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? Die zwei größeren Studien RECOVERY (mit 11.340 Patientinnen und Patienten) und COLCORONA (mit 4.488 Patientinnen und Patienten) konnten je-doch keine signifikant positiven Effekte auf die Mortalität die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus oder den Krankheitsverlauf feststellen (85, 86). Die S3-Leitlinie der DIVI spricht sich gegen den Einsatz von Colchicin bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten mit COVID-19 aus (55).

Vitamin D Vitamin D spielt vor allem bei der Regulation des Calciumhaushalts eine entscheidende Rolle. Es erhöht den Blutcal-ciumspiegel und erreicht dadurch einen verstärkten Knochenaufbau. Die auf dem Markt befindlichen Präparate sind größten-teils zur Rachitisprophylaxe, zur unterstüt-zenden Osteoporosebehandlung oder zur Behandlung/Prophylaxe eines Vitamin-D-Mangels zugelassen (87). Ferner wirkt Vitamin D wohl auch regulierend auf das Immunsystem (70).

Vitamin D3 Vitamin D – oder genauer Vitamin D3 – ist ein Hormon, das von unserem Körper selbst in der Haut gebildet werden kann.

Wie wirkt der Wirkstoff? Wie könnte der Wirkstoff bei COVID-19 helfen? Vitamin D3 oder Colecalciferol ist die inaktivierte Form der Wirkform Calcitriol. In Leber und Niere wird Vitamin D3 in Calcitriol umge-wandelt und kann so schließlich an seine Rezeptoren binden. Zahlreiche Zellen im Körper haben intrazellulär Vitamin-D-Re-zeptoren. Bei Aktivierung durch Vitamin D wandern diese ähnlich wie der Glucocorti-coid-Rezeptor in den Zellkern und steuern dabei zum Beispiel die Bildung von Proteinen (70). Es gibt Hinweise aus Laborversuchen, dass Vitamin D einige günstige Effekte im Zusammenhang mit COVID-19 aufweist.

Beispielweise soll der oben beschriebene Zytokinsturm, der bei besonders schwerwie-genden Verläufen von COVID-19 eine große Rolle spielt, herunterreguliert werden. Zu-dem soll es die Barrierefunktion der Lungen aufrechterhalten, die Immunzellenaktivität verändern und die erhöhte Neigung zur

Gerinnung des Blutes senken. Außerdem wurde ein niedriger Vitamin-D-Spiegel mit einer erhöhten Anfälligkeit für COVID-19 und einem schwereren Verlauf in Verbin-dung gebracht (88).

Wie ist die Studienlage? Was empfehlen Leitlinien? In zwei Studien mit insgesamt 313 Patientinnen und Patienten zeigte sich durch die Gabe von Vitamin D kein Vorteil hinsichtlich der Sterblichkeit oder anderer patientenrelevanter Endpunkte. Entspre-chend spricht die DIVI eine starke Empfeh-lung gegen die Verabreichung von Vitamin D bei Patientinnen und Patienten mit CO-VID-19 aus (55).

Unterstützung der Atmung: Sauerstoff Aufgrund der Beeinträchtigung der Lungen-funktion bei schwer an COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten ist die Sicher-stellung einer adäquaten Sauerstoffver-sorgung essenziell. Dabei spielen invasive (das heißt mit Intubation) und nichtinvasive Beatmungsarten eine Rolle. Bei vermehrtem Sauerstoffbedarf und einer progredienten Verschlechterung des Gasaustausches wird zunächst geprüft, ob eine nichtinvasive Be-atmung mit kontinuierlichem Überdruck die Atmung des Patienten oder der Pati-entin erleichtert, bevor eine invasive Beat-mung in Betracht gezogen wird (55, 89).

46 COVID-19-Report – Prophylaxe und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe

Vermeidung spezifischer Komplikationen Ein weiterer Ansatz der Therapie schwerer COVID-19-Verläufe ist die Vermeidung und auch Behandlung von spezifischen Kompli-kationen wie bakteriellen Ko-Infektionen oder Thrombosen.

Ko-Infektionen: Antibiotika Bei Verdacht auf eine bakteriell bedingte Pneumonie sollte frühzeitig mit einer leitliniengerech-ten Diagnostik und Antibiotikatherapie begonnen werden. Falls sich der Verdacht einer bakteriellen Ko-Infektion jedoch nicht bestätigt (zum Beispiel durch einen fehlen-den Erregernachweis oder einen fehlenfehlen-den laborchemischen Hinweis), sollte die Anti-biotikatherapie abgebrochen werden. Eine prophylaktische Antibiotikagabe wird nicht empfohlen, da bakterielle Ko-Infektionen bei COVID-19-Infektionen selten sind (55).

Thromboembolien: Antikoagulanzien Thromboembolische Ereignisse sind häufig bei COVID-19-Patientinnen und -Patien-ten. Entsprechend findet sich in den aktuell gültigen Empfehlungen zur stationären Therapie von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 die Aussage, dass bei Abwe-senheit von Kontraindikationen eine

stan-dardmäßige medikamentöse Thromboem-bolieprophylaxe mit niedermolekularem Heparin erfolgen soll (alternative Anwen-dung von Fondaparinux möglich (55)). Eine Antikoagulation mit höheren Dosen (thera-peutische Antikoagulation) kann bei mit COVID-19 hospitalisierten, nicht-inten-sivpflichtigen Patientinnen und Patienten im Einzelfall erwogen werden, wenn ein er-höhtes Risiko für Thromboseereignisse und ein niedriges Blutungsrisiko vorliegen.

Bei intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten soll eine therapeutische Antikoa-gulation nur erfolgen, wenn eine spezifi-sche Indikation wie zum Beispiel eine Lun-genembolie vorliegt (55).

Neue Ansätze zur Prävention und Therapie schwerer COVID-19-Verläufe Neben den beschriebenen erprobten Ansätzen zur The-rapie schwerer COVID-19-Verläufe gibt es die folgenden neuen Ansätze:

Bisphosphonate Bisphosphonate werden bereits seit mehreren Jahrzehnten als Standardtherapie in der Osteoporosebe-handlung eingesetzt. Dabei werden Bisphos-phonate entweder als Tabletten einge-nommen oder intravenös verabreicht (70).

Bisphosphonate