POLITIK
heitsminister Horst Seehofer beim Deutschen Ärztetag in Stuttgart noch für 1995 fest zugesagt hat.
Auch der Vorschlag, die Vergü- tung durch getrennte Budgets für Haus- und Fachärzte zu verbessern, wird von der Bundesärztekammer skeptisch beurteilt. Dies würde ledig- lich zu einer Verlagerung des Pro- blems führen. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereini- gung plädierten statt dessen dafür, die Auswirkungen der Reform des Ein- heitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) per 1. Januar 1996 abzuwar 7 ten, um Erfahrungen mit dem neu einzurichtenden Hausarztkapitel zu sammeln. Begrüßt werden die Anre- gungen zur Verbesserung der Qua- litätssicherung sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor. Die Bundesärztekammer pocht darauf, fachgebietsspezifische Leit- oder Richtlinien für wissenschaftlich be- gründete Qualitätsparameter und -in- dikatoren zur Bewertung der Ergeb- nisqualität des ärztlichen Handelns ausschließlich in der Regie der Selbst- verwaltungsorgane der Ärzte zu ent- wickeln und in Kraft zu setzen. Dabei müsse der Sachverstand der wissen- schaftlich-medizinischen Fachgesell- schaften angemessen berücksichtigt werden.
Mehr Lehrstühle für Allgemeinmedizin
Die Anregung der GMK, künftig an jeder Medizinischen Fakultät einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin zu errichten, wird einhellig begrüßt. Die Weiterbildung zum Arzt für Allge- meinmedizin und zu den weiteren in der hausärztlichen Versorgung einge- schalteten Arztgruppen wird zur Zeit mit dem Ziel erörtert, die Weiterbil- dungsgänge dieser Arztgruppen zu- sammenzuführen.
Es ist vorgesehen, 1996 die Wei- terbildungsordnung entsprechend zu revidieren. Dabei wird zu prüfen sein, ob die Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin von drei auf vier Jahre verlängert werden soll und gleichzeitig die Zeitdauer der Semi- narweiterbildung dadurch reduziert werden kann Die Weiterbildung im ambulanten Bereich müsse durch zu-
LEITARTIKEL/AKTUELL
sätzliche Mittel der Krankenkassen gefördert werden (auch für die Wei- terbildung in geeigneten Lehrpraxen für Allgemeinmedizin), so die Bun- desärztekammer. Die GMK plädiert für eine Quotierung der Zahl der all- gemeinärztlichen Weiterbildungsstel- len. Die Finanzierung soll von der Selbstverwaltung geregelt werden.
Kategorisch lehnt die Ärzteschaft den Vorschlag ab, die Krankenhäuser
Die neue Vorsitzende der GMK: Brandenburgs Ge- sundheitsministerin Dr. Regine Hildebrandt
institutionell für die ambulante Ver- sorgung weiter zu öffnen. Damit kön- ne die Qualität der fachärztlichen Ver- sorgung nicht gewährleistet werden, weil eine quantitative und qualitative Struktur des ärztlichen Dienstes der Krankenhäuser die Übernahme eines derart umfassenden Versorgungsauf- trages nicht ermöglicht.
Die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung würde zudem zu weite- ren Ausgabensteigerungen führen, da die teure „Infrastruktur Kranken- haus" auch für die Behandlung von Patienten genutzt würde, die diese Infrastruktur nicht benötigen, so die BÄK.
Dagegen plädiert die Ärzteschaft für eine gestufte Versorgung und eine bessere Verbindung und Verzahnung der einzelnen Versorgungsbereiche auf personaler Basis. Dafür sei es er- forderlich, die Planungsgrundlagen und Vertragsstrukturen mit dem Ziel einer sektorenübergreifenden Pla- nung zu ändern.
Dr. Harald Clade
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er Meßzeitraum umfaßt den 1.bis 29. Mai 1995. Dieser Meß- zeitraum ist gekennzeichnet durch frühsommerliches Wet- ter in der ersten Maiwoche mit stark ansteigenden Temperaturen und ge- ringen Windgeschwindigkeiten. Die vom VDI festgelegten Richtwerte für die einzelnen Schadstoffe wurden an einer Vielzahl von Meßstationen überschritten. Besonders auffallend war die Schwebstaubbelastung als Monatsdurchschnittswert in Bern- burg, mit 123 Mikrogramm/m3. Der vorgesehene Richtwert des Jahres- mittelwerts für Schwebstaub liegt nach den VDI-Richtlinien bei 75 Mi- krogramm/m 3. Da Bernburg in der
„Schwebstaubstatistik" des öfteren erhöhte Belastungen aufweist, wird in einer der nächsten Ausgaben dem Schwebstaubphänomen ein eigener Artikel gewidmet.
In diesem Bericht soll schwer- punktmäßig auf die Ozonbelastung des letzten Monats eingegangen wer- den, wobei der Schwerpunkt auf der Wirkungsbezogenheit des Stoffes lie- gen soll. Belastungsschwerpunkte la- gen in den „Reinluftgebieten" Braun- lage (123 Mikrogramm/m 3), Hoch- schwarzwald (123), Merzalben (107), Edelmannshof (107) und Cam eben- falls 107 Mikrogramm/m 3 . Dabei ist zu berücksichtigen, daß diese Mittel- werte in erster Linie durch die hohen Wochendurchschnittsbelastungen der ersten Maiwoche zustande kamen, in der Mittelwerte von 130 bis 150 Mi- krogramm/m 3 gemessen wurden.
Ozon gehört zu den Photooxi- dantien (Sauerstoffradikalen), die un- ter dem Einfluß von ultraviolettem (UV) Licht vorwiegend aus den Ab- gasen der Automobile (Stickoxyde, aromatische Kohlenwasserstoffe
„Vorläuferschadstoffe") in der bo- dennahen Atmosphäre gebildet wer- den. In sehr hohen Konzentrationen (oberhalb 400 Mikrogramm/m 3) führt Ozon zu (reversiblen) Minderungen der Lungenfunktion. Rund zehn Pro- zent der Bevölkerung reagieren auch subjektiv mit „Befindlichkeitsstörun- gen" — insbesondere unter körperli- cher Belastung. Für irreversible Ge- sundheitsschäden gibt es bislang je- doch keine stichhaltigen Belege.
Nach verschiedenen geoklimati- schen Untersuchungen entstammt A-1722 (16) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 24, 16. Juni 1995
Ozonbelastung Deutschland Mai 1995 (Monatsmittelwerte)
1-39
■
40-791111
80-120 ■ >120Angaben in Mikrogramm/m 3
keine Meßwerte
POLITIK AKTUELL
Immissionskarte (27)
Medizinische Relevanz von Ozon
Ozon zu 10 bis 15 Prozent biologischer und zu 85 bis 90 Prozent anthropogen verursachten Quellen. Für die regiona- le Ausbildung von Ozonkonzentratio- nen spielen neben Hochdruck- und Sommerinversionswetterlagen Gelän- debeschaffenheiten, Windstärke und -richtung eine ebensolche Rolle wie die Temperatur. Die gemessenen Größenordnungen können sich um bis zu mehr als 100 Prozent verändern, wenn die Meßstellen unter-
schiedliche topografische Voraussetzungen erfüllen — auch wenn sie im Meßnetz benachbart sind.
Angesichts des etwa 11tägigen Lebenszyklus der Ozonmoleküle (zwischen deren Bildung unter Son- nenscheineinstrahlung und ihrem Zerfall) und der „eu- ropaweiten Wanderung ganzer Ozonfronten" sind kurzfristige und örtliche Maßnahmen gegen das Entstehen hoher Ozonkon- zentrationen ziemlich wir- kungslos. Dies zeigt auch die inverse Beziehung zwi- schen waldreichen „Rein- luftgebieten" und stark Kfz-befahrenen Stadtge- bieten („Innenstadtberei- che"): Die höchsten Ozon- konzentrationen werden in Reinluftgebieten gemes- sen, wohingegen die höch- sten Stickoxydkonzentra- tionen (NO) in Stadtgebie- ten gemessen wurden.
Langzeitbeobachtungen über das Verhalten und die Entstehung von Ozonkon- zentrationen zeigen, daß mit Verminderung der Kfz- Verweildauer an Wochen- enden (samstags, sonntags)
kein sofortiges Absinken der Ozon- werte verbunden ist, wohl aber eine signifikante Reduktion der Stickoxyd- emissionen um rund 40 Prozent. Eine signifikante Beziehung zwischen Ozonkonzentration und Kfz-Dichte
läßt sich nicht erstellen, wohl aber zwi- schen Tagesdurchschnittstemperatur und Tagesdurchschnittsozonwerten.
Bis 240 Mikrogramm/m 3 Kurz- zeit-Ozonbelastung sind die Lungen- funktionseinbußen sehr gering. Im Vergleich von Exposition zu Staubbe- lastung bei hoher Durchschnittstem- peratur in bezug auf die Langzeitwir- kung lassen sich unter diesen Voraus- setzungen nur geringfügige Verände-
rungen der Lungenfunktion von al- lenfalls zwei Prozent nachweisen.
Zehn Prozent der Bevölkerung sind „ozonsensibel". Die Risikogrup- pe läßt sich jedoch nicht definieren.
Im Einzelfall reagieren Allergiker
und Asthmatiker bei Akutbelastun- gen oberhalb 400 Mikrogramm/m3
und 500 Mikrogramm/m 3 mit einer signifikanten Zunahme der bronchia- len Hyperreaktivität (Bronchialemp- findlichkeit). Aber selbst unter dieser Krankheitsgruppe läßt sich mit der zu fordernden überragenden Wahr- scheinlichkeit kein „Risikokollektiv"
definieren. Zudem führen wiederhol- te Ozon-Akutexpositionen zu einer
Toleranzentwicklung mit Minderung der Einschrän- kung der Lungenfunktion.
Unbestritten ist, daß Ozon sowohl auf Abwehr- als auch auf Epithelzellen der Lungen immunstimulatori- sche Effekte ausübt. Unter den vorerwähnten Ozon- expositionen exprimieren Alveolarmakrophagen auf ihrer Zelloberfläche ver- stärkt Adhäsionsmoleküle und setzen entzündungs- auslösende Substanzen frei. Dieser Liberationsef- fekt von unterschiedlichen Mediatorstoffen wie Inter- leukine und TNF ist um so intensiver, je länger die Ex- position mit Ozon andau- ert. Im Unterschied zur To- leranzentwicklung bei der Lungenfunktionsprüfung ist die Stimulierung des Abwehrzellsystems mit Al- veolarmakrophagenakti- vierung und Granulo- zytenimmigration im Al- veolarbereich (terminaler Respirationstrakt) kurzfri- stig nicht rückbildungs- fähig. Die bisherigen Be- funde reichen jedoch für ei- ne selektive zellbiologische Bewertung des Ozons nicht aus, da das Reizgas stets in einem multifaktoriellen Angriff auf den Atemwegstrakt in Verbindung mit Körperstreß, hoher Außentempe- ratur und Schwebstaubbelastung, Pol- len etc. gesehen werden muß. Das Fa- zit lautet: Bei Ozonkonzentrationen, Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 24, 16. Juni 1995 (17) A-1723
POLITIK
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wie sie in der allgemeinen Umwelt un- seres Landes vorkommen, sind be- drohliche Gesundheitsschäden nicht zu erwarten. Bei besonders empfindli- chen Personen können bei gleichzeiti- ger starker körperlicher Belastung vorübergehend Einschränkungen der Lungenfunktion sowie Husten auftre- ten. Einzelne Personen können auch schon bei natürlichen Ozonkonzen- trationen reagieren. Personen, die sich nicht stark körperlich belasten, be- kommen in der Regel auch keine Be- schwerden. Relevante Dauerschäden sind bisher nicht beobachtet worden.
Es gibt keine Veranlassung, bei Ozonkonzentrationen von weniger als 360 Mikrogramm/m 3 das Haus nicht zu verlassen. Ozon ist ein Indi- kator von vielen gesundheitsschädli- chen Faktoren, die in komplexer Wei- se die Luftgüte der Außenluft min- dern können. Aus diesem Grunde ist das gesundheitspolitisch relevante Ziel nach wie vor die Einschränkung der anthropogenen Ozonquellen.
(Dabei ist das höhere Ziel eher die Reduktion der Vorläuferschadstoffe als die Beseitigung des Ozons selbst.) Auch bei einem Versiegen sämtlicher anthropogener Ozonquellen kann die Durchschnittsbelastung durch Ozon höchstens um 50 Prozent reduziert werden. Natürliche Spitzenwerte oberhalb von 200 Mikrogramm/m 3 dürften auch in einer solchen (theore- tischen) Situation unter gleichblei- benden geoklimatischen Vorausset- zungen weiterhin die Regel sein. Inso- fern relativiert sich die Frage, ob lun- gengesunde Kinder, Schulkinder und Erwachsene sich bei sommerlich ho- hen Ozonwerten im Freien belasten dürfen.
Bei den in der Regel dabei anzu- treffenden Außentemperaturen über 30 Grad Celsius liegt ein vernünftiges gesundheitsbewußtes Verhalten in der Verantwortung eines jeden einzel- nen. In jedem Falle ist eine Kasernie- rung von Kindern unter solchen Be- dingungen mit wesentlich mehr rele- vanten negativen gesundheitsschädli- chen Auswirkungen verbunden als der Aufenthalt im Freien. „Kinder sind selbst vernünftig genug, bei 35 Grad Celsius nicht zu rennen."
Dr. rer. nat. Claus Rink
Prof. Dr. med. Ulrich Hüttemann Prof. Dr. med. Heyo Eckel
AKTUELL
Psychiatrie in Bosnien
Tuzla, etwa 100 Kilometer nord- östlich von Sarajewo, ist die zweit- größte Industriestadt von Bosnien.
Hier leben heute rund 110 000 Ein- wohner und 70 000 Flüchtlinge. Ein großer Teil der urbanen Bevölkerung ist ins Ausland geflohen, Menschen aus ländlichen Bereichen mit traditio- nellen Lebensweisen haben ihren Platz eingenommen.
Seit drei Jahren herrscht in der Region Bürgerkrieg. Tuzla ist fast.
vollständig von humanitärer Hilfe ab- hängig. Nur wenige Zufahrtsstraßen führen in die Stadt und in die Lager der UNHCR.
Eingeschränktes Therapieangebot In der Stadt selber sind nur weni- ge Spuren des Krieges zu sehen. Ver- einzelt haben Granaten Einschlagmu- ster im Asphalt und an den Häuser- wänden hinterlassen. Zerborstene Fensterscheiben sind mit Pla- stiksäcken notdürftig repariert. Nur wenige Häuser sind ernsthaft beschä- digt. Die Maschinen der Fabriken ste- hen still, von den drei riesigen Schlo- ten des Kohle-Kraftwerks raucht nur einer.
Die Luft ist stickig. An vielen Stellen qualmen Müllcontainer. Auf den Balkonen der in sozialistischer Architektur entstandenen Wohnsilos ist Holz gestapelt. In Zeiten der Blockade gibt es keinen Strom und keine Heizung. Die psychiatrische Klinik liegt am Rand der Stadt. Sie ist
Die psychiatrische Klinik von Tuzla, am Stadtrand ge- legen, ist der Universitätsklinik angegliedert.
Teil des universitären Klinik-Zen- trums. Der leitende Arzt, Dr. Osman Sinanovic, ist gleichzeitig Vize-Dekan der medizinischen Fakultät.
Das Gebäude macht von außen einen guten Eindruck; es wurde 1993 vom Internationalen Roten Kreuz teilweise renoviert. Das Innere läßt mich zunächst erschrecken. Die Wän- de sind kahl, der Putz bröckelt an vie- len Stellen ab. Keine Tapeten, keiner- lei Mobiliar. Die Patienten sitzen oder liegen auf nackten Schaumgummi- Matratzen. Bettwäsche gibt es nicht, nicht einmal genug Decken.
Es kann kalt werden in Tuzla, bis zu 20 Grad minus im Winter. In diesen
Manchmal hilft nur Herzlichkeit
Hans—Georg Hoffmann
Seit drei Jahren herrscht Bürgerkrieg in der Region Bosnien-Herzegowina. Mit den Folgen des Krieges fertig zu werden überfordert viele der Betroffenen nicht nur physisch, sondern auch psychisch. „Posttraumatische Belastungsreaktion" lautet eine häufig gestellte Diagno- se in der psychiatrischen Klinik von Tuzla in Bosnien. Ein deutscher Arzt berichtet von seinen Erfahrungen bei einem Besuch in der hoffnungslos überfüllten und unterversorgten Klinik.
A-1724 (18) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 24, 16. Juni 1995