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Archiv "Onkologische Erkrankungen Vom Handlungsdruck zur Begleitung in die innere Ruhe" (14.06.1996)

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Ich möchte Herrn Prof. R. Verres für seinen ermutigenden Übersichts- artikel zum Umgang mit onkologi- schen Erkrankungen danken. Faktum ist, daß der ärztliche Handlungsdruck, verschärft durch die allgemeine Zeit- knappheit und natürlich auch den er- freulichen medizinischen Fortschritt, enorm hoch ist. Allzu oft verfallen wir in einen therapeutischen Aktionis- mus, um eigene Gefühle, insbesonde- re Angst, abzuwehren. Daß es sich um ein natürliches menschliches Empfin- den im Zusammenhang mit der End- lichkeit des Lebens handelt, wird oft erst durch eine kritische Neubesin- nung, im besten Fall unter kompeten- ter mitmenschlicher Hilfe, klar. Herr Kollege Verres beschreibt in ein- drucksvoller Weise, daß ein gemein- sames Sich-Fügen in das unausweich- liche Schicksal keine Negativhaltung ausdrückt, sondern im Gegenteil dar- aus echte Chancen für den Kranken, den Arzt und vor allem auch für deren Beziehung eröffnet werden. Hoff- nung ist der Liebe ähnlich, welche vielleicht die stärkste Kraft entfaltet.

Eigentlich schade, daß wir uns ihrer im Alltag so wenig bedienen, wo doch schon Paracelsus bemerkte: „Die Wurzel der Medizin ist die Liebe.“

Matthias Stohrer

Facharzt für Allgemeinmedizin Naturheilverfahren, Sportmedizin Wissenschaftlicher Leiter der Gesundheitsakademie Bad Griesbach

Papiermühle 62 · 73035 Göppingen

Uneingeschränkte Zustimmung zu den so verdienstvollen Ausführun-

gen von Herrn Kollegen Verres. Zu ergänzen wäre aus meiner Sicht, daß, ebenso wie in den onkologischen Lehrbüchern kaum etwas über Krite- rien zum Behandlungsabbruch mitge- teilt wird, in geriatrischen Lehr- und Handbüchern nichts zu Sterben, Tod und Trauer zu lesen ist. Eine Ursache

dieser Dilemmata sehe ich in der völ- lig unzureichenden Behandlung peri- mortaler Aspekte in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung.

Dr. sc. med. K. Blumenthal-Barby Zentrum Psychologische Medizin Abteilung Medizinische Psychologie Georg-August-Universität Göttingen Humboldtallee 38 · 37073 Göttingen

Es ist gut, daß in diesem Beitrag die psychologische Begleitung Ster- bender und Schwerkranker, hier bezo- gen auf die Onkologie, angesprochen wird. Jeder Mensch und jeder Arzt ist gegenüber Schwerkranken und Ster- benden unsicher. Dies liegt daran, daß im Umgang mit diesen Menschen die eigenen Grenzen mit der eigenen End- lichkeit bewußt werden. Jeder Mensch geht dem Tode entgegen. Dieser letzte Schritt kann nicht probiert werden, es gibt keine eigenen Erfahrungen. Und dies macht unsicher. Jeder Mensch und jeder Arzt hat deshalb Furcht vor die- sem Schritt, er mag nicht daran erinnert werden. Ein eigener Aktionismus ist hilfreich, diese Gedanken zu verdrän- gen. Gott sei Dank sind uns zwei

Schutzschilder mit in die Wiege gelegt worden: Der Vorgang der Verdrän- gung und die Hoffnung. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, ihm unangenehme Gedanken aus seinem Bewußtsein zu verdrängen, nicht daran denken zu müssen. Wenn dieser Mechanismus nicht funktioniert, besteht Depression und Zwanghaftigkeit. Wenn wir auf der Autobahn mit 150 Stundenkilometer einherfahren, haben wir die Hoffnung, daß uns dabei nichts passiert, nur den anderen. Im Umgang mit krebskran- ken Menschen haben wir die Hoff- nung, daß es dem Individuum „Ich“

nicht so ergehen wird. Dieser Vorgang ist gut, gesund und hilfreich. Bei einer durch mich vor vielen Jahren in der Praxis erfolgten Patientenbefragung nach ihrem Offenbarungswunsch bei eigener Krebserkrankung nahm der Wunsch nach Diagnoseoffenbarung mit zunehmender Alter immer mehr ab. Je wahrscheinlicher mit zunehmen- dem Alter den Befragten das Krebs- schicksal selbst treffen konnte, um so weniger wollte er davon wissen. Es er- gab sich auch eine gewisse Abhängig- keit vom Bildungsgrad. Mir haben beim Umgang mit Schwerkranken, Krebskranken und Sterbenden, und dabei besteht kein großer Unterschied, die Beschäftigung mit den Büchern von Frau Kübler-Ross, das Lesen des Tage- buches von Maxie Wander und andere Literaturstellen, zum Beispiel die Er- zählung Tolstois „Der Tod des Iwan Il- jitsch“ geholfen. Die Kenntnis des pha- senhaften Ablaufes der psychischen Reaktionen von Sterbenden, beson- ders Krebskranker, hilft, eine Situation und die Reaktion des Kranken zu ver- stehen. Meine eigene Unsicherheit ist dadurch verringert worden, aber nicht gewichen. Im Umgang mit diesen Men- schen wird viel Zeit benötigt, und diese haben wir unter den Bedingungen der Marktwirtschaft nicht. Dadurch fehlt den Ärzten oft die eigene innere Gelas- senheit für eine behutsame Sterbebe- gleitung. Der Arzt sollte in den Reakti- A-1630 (60) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 24, 14. Juni 1996

M E D I Z I N DISKUSSION

Onkologische Erkrankungen

Vom Handlungsdruck zur

Begleitung in die innere Ruhe

Beeindruckender Beitag

Beitrag tut gut

Verdienstvolle Ausführungen

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med.

Dipl.-Psych. Rolf Verres in Heft 51–52/1995

(2)

onsphasen Schwerkranker nach Kübler-Ross auch angemessen „pha- sengerecht“ reagieren. Dazu gehört selbstverständlich auch ein Weglassen therapeutischer Handlungen, die den Sterbevorgang herauszögern, also die passive Euthanasie. Eine aktive Eut- hanasie lehne ich in jedem Falle ab. Mit dem Weglassen von Handlungen ha- ben die mir bekannten Ärzte keine Probleme, dies scheint mehr ein Pro- blem in der Klinik zu sein. Immer muß der schwerkranke Mensch merken, daß er in seinem Arzt einen Freund hat, der ihm helfen will, ihn annimmt und verstehen will, auch wenn dadurch der Tod nicht abgewendet werden kann.

Dr. med. Jürgen Fege Facharzt für Orthopädie Chirotherapie/Sportmedizin Hauptstraße 8

09618 Brand-Erbisdorf

Mein Beitrag hat eine Flut aus- schließlich zustimmender Briefe aus- gelöst. Alle Zuschriften bestätigen die Notwendigkeit menschlicher Zu- wendung gegenüber terminal Kran- ken. Fast einhellig werden aber auch verschiedene Einschränkungen ange- messener ärztlicher Zuwendung an- gesprochen: zu hoher Handlungs- druck, keine Zeit, therapeutischer Aktionismus, Gefühlsabwehr auf sei- ten von Patienten und Ärzten, völlig unzureichende Behandlung perimor- taler Aspekte in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung, mangelnde Ori- entierungshilfen über Kriterien zum Behandlungsabbruch in der Onkolo- gie, allgemeine Verdrängung.

Wer aber ist nun dafür zuständig, daß diese Probleme gelöst werden?

Wo sind die Leitbilder?

Besonders wichtig ist eine stärke- re Achtsamkeit bei der Auswahl ärzt- licher Leitfiguren an unseren Hoch- schulen und Krankenhäusern. Bei Habilitationen und Berufungen wird zu einseitig ein kompetitives Lei- stungsverhalten belohnt. Immer mehr setzt sich hierbei die einseitige Bewer-

tung von Publikationsleistungen an- hand des Science Citation Index durch. Die Grundidee dabei ist, daß angehende Hochschullehrer sich vor allem in solchen Publikationsorganen durchsetzen sollten, die international besonders häufig zitiert werden.

So wichtig eine fachwissenschaft- liche Qualitätskontrolle angehender medizinischer Hochschullehrer auch ist, so sehr kann das Zählen und Mes- ser derartiger Merkmale von Publika- tionslisten doch zugleich von der ei- gentlich viel wichtigeren Würdigung gelebter Verantwortung ablenken.

Bei der Vergabe von Schlüsselpositio- nen sollte wieder stärker als bisher auch der persönliche Umgang mit Pa- tienten, Angehörigen, Pflegenden und ärztlichem Nachwuchs beurteilt werden. Andernfalls besteht das Risi- ko einer zunehmenden Vertrauens- krise, wie sie bereits jetzt darin zum Ausdruck kommt, daß etwa 50 Pro- zent aller Krebsbetroffenen meist heimlich auch im sogenannten alter- nativmedizinischen Bereich Hilfe su- chen und dabei nicht selten eine ei- gentlich notwendige fachkundige ärztliche Diagnostik und engmaschi- ge Therapie aufs Spiel setzen, also le- bensgefährliche Risiken eingehen.

Lehrstuhl für Psychoonkologie?

Die psychosoziale Onkologie hat in Forschung, Krankenversorgung und Lehre zu einer Vielzahl wichtiger und gut umsetzbarer Orientierungshilfen für das ärztliche Handeln beigetragen.

Allein das Bundesministerium für Bil- dung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hat in den letzten zehn Jahren mit einem Finanzvolumen von etwa 17 Mio. DM Forschungsprojekte zur psychosozialen Onkologie geför- dert. Auch die Deutsche Krebshilfe ist hier aktiv. Die Deutsche Arbeitsge- meinschaft für Psychoonkologie (DA- PO) veranstaltet ebenso wie die Ar- beitsgemeinschaft für Psychoonkolo- gie in der Deutschen Krebsgesellschaft sehr qualifizierte Fortbildungstagun- gen für Fachleute. Für onkologisch tätige Ärzte ist es dennoch oft schwie- rig, Zugang zu den vielfältigen Erfah- rungen der psychoonkologischen Spe- zialisten zu bekommen, da die wissen- schaftlichen Drittmittelprojekte zu

wenig in die tägliche Versorgung inte- griert werden und Publikationen in Fachjournalen zu wenig innerhalb der gesamten Ärzteschaft bekannt wer- den. Ergebnis ist häufig ein Versuchs- und Irrtumsvorgehen zu Lasten der Patienen.

Notwendig ist eine Institution, die bundesweit anwendbare Orientie- rungshilfen entwickelt, auch langfri- stig als Lehrstuhl für Psychoonkologie eine zentrale Datenbank für einschlä- gige Fachliteratur, laufende For- schungsprojekte, bewährte Meßin- strumente und Studienergebnisse ein- richtet und Empfehlungen für den Umgang mit Krebsbetroffenen erar- beitet. Hierzu gehören auch Konzepte zur Förderung der „gesunden“ Fähig- keiten von Krebsbetroffenen und ih- rer Mitmenschen, wie zum Beispiel Sinnfindung, Neuorganisation der Le- bensordnung und Kreativität. Die hier vorgeschlagene Institution sollte sich also auch mit Wertfragen befassen.

Ein solcher Lehrstuhl sollte eine Zusammenführung des Wissens und der erprobten Betreuungskonzepte bewirken und dafür sorgen, daß die- ses Wissen Eingang in die Studienplä- ne der Universitäten und der Kran- kenpflegeschulen findet.

Literatur

1. Holland JC, Rowland JH eds.: Handbook of psychooncology. New York, Oxford Univ. Press, 1989

2. Koch U, Potreck-Rose F (Hrsg.); Krebs- rehabilitation und Psychoonkologie. Sprin- ger, Berlin – Heidelberg – New York, 1990 3. Schwarz R, Zettl S: Psychosoziale Krebs-

nachsorge in Deutschland. Heidelberg, E. Fischer, 1991

4. Schwarz R, Zettl S: Praxis der psychosozia- len Onkologie. Heidelberg, E. Fischer, 1993 5. Verres R: Krebs und Angst. Subjektive Theorien von Laien über Entstehung, Vor- sorge, Früherkennung, Behandlung und die psychosozialen Folgen von Krebserkran- kungen. Berlin – Heidelberg – New York, Springer, 1986

6. Verres R: Die Kunst zu leben – Krebsrisiko und Psyche. München, Piper, 3 . Aufl. 1994 7. Verres R, Klusmann D (Hrsg.): Strahlende

Medizin. Mensch, Technik und Atmosphä- re. Die seelische Dimension der radiologi- schen Behandlung von Krebspatienten (Arbeitstitel). Heidelberg, Haug 1996 (in Vorbereitung)

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Verres Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychotherapie und Medizinische Psychologie

Ruprecht-Karls-Universität Bergheimer Straße 20 69115 Heidelberg

A-1631

M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 24, 14. Juni 1996 (61) DISKUSSION

Schlußwort

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