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Archiv "Arztberuf: Idealisiertes Bild" (25.10.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

A

is im März dieses Jahres die Stimmen zur ersten freien Volkskammerwahl in der damaligen DDR ausge- zählt waren, zeigten sich die er- folgsverwöhnten Meinungsfor- scher West — gelinde gesagt — konsterniert. Es kam völlig an- ders als vorausgesagt. Nicht die Sozialdemokraten trugen den ohne Wenn und Aber prognosti- zierten Wahlsieg davon, sondern die scheinbar chancenlose CDU.

Gegenwärtig sagt „Genosse Trend": Die Niederlassung in freier Praxis kommt im Schatten der Polikliniken nicht aus den Startlöchern. Wieder ein Tip aufs falsche Pferd? Wenn man die Fachleute vor Ort hört, steht tatsächlich die Widerlegung der nächsten Fehlprognose ins Haus.

Niederlassung-Ost

MCF

nächsten Jahr geht's los . . .

Dr. med. Dietrich Thierfel- der beispielsweise, der Vorsit- zende der Kassenärztlichen Ver- einigung Mecklenburg-Vorpom- mern, sagt: „Am 1. Januar 1991 wird es eine wahre Niederlas- sungswelle geben. Wir können uns da auf einiges gefaßt ma- chen". In seinem KV-Bereich liegen bereits 600 Anträge vor, und bis zum Jahreswechsel dürf- te sich diese Zahl verdoppeln.

Damit wäre mehr als die Hälfte aller dort ambulant tätigen Ärz-

te auf dem Sprung in die eigene Praxis Ähnliche Meldungen gibt es auch aus den übrigen neuen Bundesländern.

Der Grund für die Zuver- sicht der KV-Vorsitzenden Ost:

Die Bedingungen der Niederlas- sung gewinnen zusehends klare- re Konturen. Kassenärztliche Bundesvereinigung und Kran- kenkassen haben sich auf einen garantierten Mindestpunktwert von 6,1 Pfennigen verständigt, und die Zukunft der Poliklini- ken ist ohne staatliche Subven- tionen auch nicht mehr die ein- deutig sichere Alternative.

In Mecklenburg-Vorpom- mern jedenfalls ist man gerüstet.

Nicht weniger als vier Zulas- sungsausschüsse stehen bereit, um den Ansturm auf die Kassen- zulassung zu bewältigen. JM

D

as Berufsbild des Arztes wird von einem sehr gro- ßen Glauben an das Hei- len getragen: vom Glauben der Nicht-Ärzte an den Fortschritt und die Errungenschaften der modernen Medizin und dem Vertrauen der Studierenden und jungen Ärzte an die Darstel- lung ihrer Lehrer an eine Mach- barkeit, an die man sich immer schneller gewöhnen muß. Sie täuscht eine Omnipotenz vor.

Wir besitzen einerseits Möglichkeiten, Techniken und Fähigkeiten, die unsere ethi- schen Grundsätze und Vorstel- lungen längst überholt haben, andererseits erfahren wir Machtlosigkeit, ja Hilflosigkeit gegenüber Konfrontationen mit Patienten und ihren Leiden.

Heilen ist eines der Ziele des Arztes. Er lernt alles, was dem Heilen dient, und entwik- kelt ständig neue Methoden des Heilens. Voraussetzung für das Heilen ist die Definition, die Be- schreibung des Unheilen, des Heilbaren, der Krankheit. Ein erster Fehler in unserem Den- ken ist die Annahme, Unheiles sei heilbar. Chronische Krank- heiten lösen Abwehr aus, weil sie uns unsere Ohnmacht de- monstrieren. Wir sind ohne Macht. Ein Eingeständnis einer

Arztberuf:

Idealisiertes Bild

therapeutischen Insuffizienz. In- faust sagt nichts über die Krank- heit aus, sondern über unsere Hilflosigkeit der Krankheit ge- genüber.

Hier schließt eine zweite Überlegung an: Wendet sich ärztliche Tätigkeit gegen Krank- heiten oder an (kranke) Men- schen?

Keine Frage: Um Menschen zu helfen, muß man ihre Krank- heiten beschreiben und erfor- schen, sie heilbar machen. Wo dies noch nicht gelingt, verdient der Mensch um so intensiveren Beistand.

Es gibt Menschen mit ärzt- lich beschreibbaren Krankhei- ten. Sie fühlen sich aber nicht als krank. Diese Krankheitsträger sind dann auch keine Patienten.

Gemeint sind nicht die sym- ptomlos Kranken, bei denen ärztlicher Rat an der Non-Com- pliance scheitert, wie zum Bei- spiel viele Patienten mit Hyper- lipidämie. Gemeint sind die, die sich mit ihrem Leiden so arran- giert haben, daß sie eine Einbu- ße der Lebensqualität nicht

empfinden. Müssen Ärzte solche Krankheiten heilen?

Ärzte bemühen sich und kümmern sich auch um Men- schen, die keine Krankheiten unserer Definition haben. Sie bemühen sich um Menschen mit Behinderungen und Defekten, um Menschen ohne Krankhei- ten, deren Lebensqualität aber durch fachkundige Hilfe verbes- serbar ist. Deren Defekte nicht heilbar sind und deren Behinde- rungen nicht behebbar sind.

Ärztliche Tätigkeit ohne Heilungsoptimismus also. Diese Tätigkeit wird kaum gelehrt, denn Heilungsresignation ist un- attraktiv bei unserer Selbstdar- stellung.

Ärztliche Tätigkeit trotz oder gegen diese Resignation sollten wir bewußter in unser Berufsbild integrieren. Die Be- treuung des „ausgebrannten Fal- les", des infausten Verlaufes, des Unheilbaren und Sterben- den, des chronisch Kranken, des Behinderten, ist genauso ärztli- che Pflicht wie die Transplanta- tion, die Trennung von siamesi- schen Zwillingen, die extrakor- porale Befruchtung, nur nicht so spektakulär.

Prof. Dr. med.

Helmut Pillau, München

Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990 (1) A-3269

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