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in Hypochonder ist ein Mensch, der sich nicht wohl fühlt, wenn er sich wohl fühlt“, lautet einer der vielen hämischen Sinnsprüche über die eingebildeten Kran- ken. So wie jener Dauerpati- ent aus Essen, der in fünf Jah- ren mehr als 50 Ärzte konsul- tierte, darunter acht Kardiolo- gen. Dass sein Herz gesund war, dokumentierten am Ende 30 EKGs. Anschließend such- te er – wegen angeblicher Ma- genbeschwerden – Dutzende von Ärzten auf, die wieder nichts fanden.Medizinstatistiker haben ermittelt: Fünf bis zehn Pro- zent der Patienten in einer Hausarztpraxis leiden unter einer extremen Selbstbeob- achtung. Auch nicht wenige Ärzte sind selbst davon be- troffen – hervorgerufen durch das Studium und die tägliche
Praxis, einzig und vor allem auf den Körper fixiert zu sein.
Und der Schauspieler Woody Allen hat den Hypochonder kinofähig gemacht: In seinen Filmen mimt er häufig den Neurotiker, den hysterischen Simulanten, der in ständiger Sorge um seine Gesundheit lebt. Und auch im wahren Le- ben ist ihm die Krankheits- angst nicht fremd. So wie auch seinem Kollegen Charlie
Chaplin: Schon der geringste Hauch von Zugluft konnte bei ihm zur Panik führen.
Denn stets fürchtete der be- gnadete Komiker sich vor Er- kältungen und erlaubte auch bei größter Hitze keinerlei Luftzufuhr.
Es gibt noch viele promi- nente Beispiele – von Winston Churchill oder Friedrich dem Großen über Thomas Mann und Howard Hughes bis hin zu
Harald Schmidt.Ganz schlimm war es bei Andy Warhol: Ein paar Gramm mehr auf der Waage begegnete er sofort mit weniger Essen.Wenn einen Tag später das Gewicht nicht sei- nen Vorstellungen entsprach, diagnostizierte Warhol eine Stoffwechselstörung. Ständig trug er ein ganzes Arsenal an Pillen mit sich. Nach einer Zer- rung schloss er nicht aus, dass eventuell ein Tumor in der Lei- stengegend die Ursache sein könnte.
In der Öffentlichkeit gel- ten Hypochonder als Pseudo- kranke, die sich wichtig tun wollen: „Manche bringen es vom Hypochonder bis zum Fachpatienten“ oder „Ein richtiger Hypochonder be- gleitet seinen Arzt in den Ur- laub“ – das sind so gängige Kalauer. Echte Hypochon- drie ist jedoch ein noch nicht wirklich erforschtes Leiden, das das Leben zur Hölle ma- chen kann. Und das manch- mal nur in psychosomati- schen Kliniken geheilt wer- den kann. Bernd Ellermann
L
iest ein Finanzbeamter die Steuererklärungen aus den Jahren 1999 und 2000 nach, dann hat damals überhaupt kein Börsenboom stattgefun- den. Die Wahrheit ist, wie wir alle wissen, eine andere, tat- sächlich erzielten viele Anleger in diesen beiden Jahren erheb- liche Gewinne, aber gewillt, den Fiskus daran teilhaben zu lassen, waren wenige.Schnee von gestern? Ver- jährt? Das fragen sich mittler- weile viele seit dem jüngsten Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH). Lapidar kommt der BFH in seinem Spruch unter dem Aktenzeichen IX R 49/04 zu dem klaren Schluss, dass die Spekulationssteuer verfassungs- gemäß ist, zumindest ab dem Jahr 1999. Seit diesem Zeit- punkt habe der Fiskus mit der neuen zentralen Kontenabfra- ge (Evidenzzentrale) ein In- strument an die Hand bekom- men, und damit gebe es eben
keine verfassungswidrigen Voll- zugsdefizite bei der Steuerein- treibung mehr.
Zur Erinnerung: Gewinne aus Aktiengeschäften, wenn sie innerhalb eines Jahres erzielt werden und die Freigrenze von 512 Euro übersteigen, sind al- so nach geltender Rechts- lage zu versteuern. So weit, so schlecht. Kommt nur darauf an, für wen. Denn bei der Fra- ge, ob für 1999 beziehungswei- se 2000 für den Fiskus wegen der Verjährung nichts mehr zu holen ist, kommt es auf die Ab- gabe der Steuererklärung an.
Schlampige Anmelder, die nur zögerlich ihrer Veran- lagungspflicht nachkommen, können also durchaus noch ein Problem bekommen, etwa,
wenn jemand seine Steuerer- klärung für 1999 erst im vori- gen Jahr abgegeben hat. Dann ist es mit der Verjährung Essig.
Für aktuelle Steuererklärun- gen, die pünktlich abgegeben werden, trifft die Steuerpflicht für Spekulationsgewinne so- wieso uneingeschränkt zu.
Die Sprengwirkung des Ur- teils in Verbindung mit der ständig drohenden Kontenab- fragemöglichkeit wird als mo- dernes Damoklesschwert von vielen Anlegern noch gar nicht als reale Bedrohung angesehen.
Die Unterschätzung der Mög- lichkeiten des Fiskus kann sich aber als schwerer Fehler erwei- sen. Die Kontenabfrage sollte auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden.
Bereits letztes Jahr haben im Zeitraum April bis No- vember Finanzbeamte über diese ominöse Evidenzzen- trale 7 000 Abfragen gestar- tet, wobei sie noch manuell getätigt wurden und in Zu- kunft online möglich sein sol- len. Auf jeden Fall soll es die- ses Jahr exorbitant mehr Ab- fragen geben. Die Leute aus dem Bundesfinanzministeri- um kündigten nämlich an, die Kontenabfrage auf eine „vier- stellige Zahl pro Tag“ zu er- höhen.
Für steuerunehrliche Anle- ger wird die Luft also ziemlich dünn. Sich darauf zu verlassen, die Kontenabfragen seien ver- fassungswidrig – eine Entschei- dung des Verfassungsgerichts zu dieser Frage steht in der Tat noch aus –, kann sich als ziem- licher Fehlschluss erweisen.
Ehrlich währt in diesem Fall vermutlich doch am längsten.
Zumindest für die Nerven. ) S C H L U S S P U N K T
[128] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 3⏐⏐20. Januar 2006
Der eingebildete Kranke . . .
. . . ist wirklich krank.
zur Spekulationssteuer
Urteil mit Sprengkraft
Börsebius
Post Scriptum
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