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Archiv "Meine, Deine aber zu welchem Preis? Praxisräume in den neuen Ländern" (21.03.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

20 Jahre in Benutzung — der Aktenschrank

Ordentlich und fast wohnlich ist die Pra- xis eingerichtet. Um regelmäßig renovie- ren zu können, ent- wickelten Dr. med.

Anne S. und ihre Kol- legen ein unkonven- tionelles System Fotos (3): th

Meine, Deine aber zu welchem Preis?

„Der Markt für Wohnungen und Gewerberäume ist in den fünf neu- en Bundesländern völlig aus den Fugen geraten" - das verkündet seit Wochen nahezu jede bundesdeutsche Zeitung oder Zeitschrift.

Und leider haben sie alle recht. Das müssen nicht zuletzt Ärztinnen und Ärzte in der ehemaligen DDR erfahren, die sich in einer eigenen Praxis niederlassen wollen. Häufig finden sich keine geeigneten, bezahlbaren Räume. Doch auch diejenigen, die über eine Praxis verfügen, sind oft in einer unsicheren Lage: Ungeklärte Eigentums- verhältnisse und unberechenbares Verhalten von (westdeutschen) Hausbesitzern überschatten den Praxisalltag. Der folgende Fall aus dem Kreis Bitterfeld ist ein Beispiel dafür.

AMME

Praxisräume in den

neuen Ländern

„Wir haben den Schritt in die freie Niederlassung gewagt mit dem Wissen, daß trotz Unterstützung durch Kredite noch schwere Jahre vor uns liegen werden. Wie sollen wir uns auf die tägliche Arbeit mit all ih- ren Anfangsschwierigkeiten konzen- trieren, wenn die Existenzgrundlage derart gefährdet ist?"

Dr. med. Anne S.* findet nor- malerweise, daß man seine Probleme selbst lösen muß. Das gilt auch für ihre derzeitigen mit den Besitzern des Hauses, in dem sie ihre Praxis betreibt. Doch nach dem jüngsten Schreiben ihrer westdeutschen Ver- mieterin griff die Fachärztin für All- gemeinmedzin, die seit gut 20 Jahren in einem kleinen Ort im Kreis Bitter-

feld nahe Leipzig lebt, zum Briefpa- pier und schrieb der Redaktion, denn: „Vielleicht kennen viele Kolle- gen die Praktiken gegenüber ost- deutschen Ärzten noch nicht."

Das Haus, in dem sie lebt und arbeitet, steht in einer Seitenstraße der Ortschaft. Anne S. zeigt ihre Praxis: Den mehr als 20 Jahre alten Aktenschrank, der fast überquillt, das neue EKG-Gerät, die zwei klei- nen Kabinen aus der Zeit, als noch regelmäßig eine Gynäkologin aus dem Kreis zu Untersuchungen kam.

Die Wohnung im ersten Stock ist großzügig geschnitten und auf den ersten Blick gut in Schuß. „Ich habe einiges in die Wohnung ge- steckt, aber das ist ja auch in Ord-

nung", sagt Anne S. Wer Angebot und Nachfrage in der DDR kannte, weiß, daß das nicht einfach war. Für die Praxisrenovierungen fanden An- ne S. und ihre Kollegen eine unkon- ventionelle Lösung: Jedes Jahr bekam ein Arzt den gesamten Renovierungs- etat, den die Kommune für die Praxen eingeplant hatte. Alle fünf bis sechs Jahre war dann jeder einmal an der Reihe. Trotzdem ging das alles nur, weil viele im Ort, vor allem Handwer- ker, halfen: „Fürs Gesundheitswesen haben sie es eben getan", wiederholt die Ärztin deren Begründung.

Die Vermieter hingegen taten fast nichts. „In den vergangenen 21 Jahren haben sie einmal das defekte Dach und fünf Fenster erneuert", sagt Anne S. Die Ziegel sind schon wieder so porös und zerbröckelt, daß Nässe eindringt. Folge: Von oben nach unten lösen sich im Haus Tape- ten und Putz langsam ab.

Als die Erben des einstigen Hausbesitzers sich Mitte 1990 mel- deten, taten sie das nicht, um Repa- raturen anzukündigen. Eher schien es darum zu gehen, schon kurz vor der Wiedervereinigung zu taxieren, wie man mit Hilfe der bisher uninter- essanten Immobilie zu Geld kom- men könne. Mal war von Verkauf die

Rede, dann von weiterer Vermie- tung

— stets zu wechselnden Preisen.

Wurden im November noch 4 DM

* Name von der Redaktion geändert

Dt. Ärztebl. 88, Heft 12, 21. März 1991 (21) A-945

(2)

Praxismiete pro Quadratmeter angesetzt, so teilte die Anwältin der Familie sechs Wochen später mit, daß eher von 10 DM auszugehen sei.

Zu dem Hin und Her kommt, daß Anne S. strenggenommen gar nicht die Mieterin der Praxis ist. Für die Wohnung besitzt sie zwar einen Vertrag. Die Praxis jedoch mietete in den 60er Jahren die Stadt. Damals gab es in ihrem kleinen Ort nur pri- vat niedergelassene Ärzte. Als die sich zur Ruhe setzten, übernahmen jüngere Kolleginnen und Kollegen die Praxen. Der Vorgänger von An- ne S. zog zu seinen Kindern in die Bundesrepublik. Sie übernahm Pra- xis und Wohnung als Außenstelle der Betriebspoliklinik des Chemie- kombinats Bitterfeld.

Das Kombinat finanzierte die Renovierung des Gebäudes. „Hier war ja fast alles vergammelt", erin- nert sich Anne S. Zu den Vertretern von Stadt und Kreis hatte sie stets ein recht gutes Verhältnis. Die Stadt war es auch, die mit ihrem Vorgän- ger einen Nutzungsvertrag abschloß.

Danach sollte die Stadt alle Installa- tionen, Reparaturen etc. überneh- men, dafür aber auch nur eine gerin- ge Miete entrichten.

Dieses Mietverhältnis, das jahre- lang nur eine Formsache war, wird nun zum Problem. Denn während Anne S. als Mieterin der Wohnung durch allerhand Rechte geschützt ist, sieht es für die Ärztin mit den Praxisräumen viel schlechter aus.

Das wissen auch die Hausbesitzer:

Deren Rechtsanwältin äußert sich in ihren Schreiben stets nur zu den Pra- xisräumen.

Strenggenommen keinen Anspruch auf Vertrag Als „vertrackte Sache" bezeich- net Hermann-Josef Wüstefeld, Jurist beim Deutschen Mieterbund, den Fall. Mietverträge für Gewerberäu- me seien private Verträge auf Basis des Bürgerlichen Gesetzbuches.

Deshalb könnten gesetzliche Rege- lungen zu Wohnraummieten zu La- sten des Mieters abgeändert werden.

Außerdem habe Anne S. strengge- nommen keinerlei Anspruch auf ei- nen eigenen Vertrag, falls die Stadt

jahrelang die offizielle Mieterin der Praxisräume war. Damit könne sie sich bei einer Kündigung auch nicht auf eine Übergangsregelung aus dem Einigungsvertrag beziehen: Danach kann ein Gewerberaummieter in ei- nem der neuen Länder einer Kündi- gung widersprechen, falls sie für ihn eine erhebliche Gefährdung seiner wirtschaftlichen Lebensgrundlagen mit sich bringt.

Autofriedhof in Leip- zig. Unberechenba- res Besitzerverhalten und ungeklärte Ei- gentumsverhältnisse

— einmal aus anderer Perspektive

Hermann-Josef Wüstefeld ist al- lerdings der Auffassung, daß es sich lohnt, die geforderte Quadratmeter- miete mit der zu vergleichen, die an- dere für ähnlich genutzte Räume zahlen. Das können nach seiner Auf- fassung Ärzte sein, aber auch Rechts- anwälte etc. Unter Umständen könne man sich über die ortsüblichen Ge- schäftsraummieten auch bei der Kom- mune erkundigen. Auf dieser Basis sei es dann möglich, Vermietern einen Gegenvorschlag zu machen.

Das ist angesichts der hohen Nachfrage bei Gewerberäumen na- türlich ein Problem. Anne S. will aber so schnell nicht aufgeben. Sie ist durchaus bereit, mehr Miete für die Praxis zu zahlen. Bisher waren es etwa 130 DM für 94 Quadratmeter, jetzt sind es knapp 400 DM. Aller- dings erscheinen ihr 10 DM pro Quadratmeter im Kreis Bitterfeld zu hoch. „Eine Kollegin von mir zahlt 2,50 DM pro Quadratmeter — für ei- ne Praxis in einer Neubauwohnung", vergleicht die Allgemeinärztin.

Und schließlich verlangt sie, daß die rührigen Vermieter sich um Re-

paraturen kümmern. Mietverträge für Gewerberäume enthalten nach Darstellung des Deutschen Mieter- bundes allerdings häufig Klauseln, die den Mietern Reparaturen aufer- legen. Und Mietvergleiche sind auch eine eher theoretisch bestechende Sache: Von nur 15 bis 20 DM pro Quadratmeter gingen Experten der Apotheker- und Arztebank kürzlich in Rentabilitätsbetrachtungen für

die neuen Länder aus. Berichten aus Erfurt zufolge lagen dort Ende Fe- bruar die Preise für Praxisräume in der Innenstadt zwischen monatlich 15 und 65 DM.

Die Forderung von 10 DM pro Quadratmeter an Anne S. scheint da fast noch gering. Allerdings gilt der Kreis Bitterfeld wirklich nicht als be- vorzugte Lage. Und schließlich war der Wechsel in die eigenverantwort- liche Niederlassung eben doch keine Bagatelle, auch wenn die Ärztin das eher herunterspielt: „Ist doch wie früher", meint sie knapp. „Die Um- stellung auf das westdeutsche System bedeutet viel Schreiberei — aber sonst haben wir schon immer in eige- ner Verantwortung gearbeitet." So gut sie für sich selbst den Übergang gemeistert hat — die Unsicherheit über ihren Praxismietvertrag belastet die Fachärztin für Allgemeinmedi- zin. Irgendwann wird sie wohl einen Anwalt beauftragen müssen, be- fürchtet Anne S. Wo sie allerdings in ihrer Nähe einen Spezialisten für Mietrecht finden soll — daß weiß sie noch nicht. Sabine Dauth A-946 (22) Dt. Ärztebl. 88, Heft 12, 21. März 1991

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