DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
NOTIZ
AIDS Was bleibt
bei kritischer Durchsicht der Berichte?
Eine Stellungnahme der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten, der Sektion Virologie
der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie und des Ausschusses für Seuchen und Umwelthygiene der Leitenden Medizinalbeamten der Länder
Etwa 100 AIDS-Erkrankungen in den oben genannten Risikogrup- pen sind bis jetzt in der Bundesre- publik Deutschland bekannt ge- worden. Bisher sind über 2000 Personen, die nicht zu den ge- nannten Risikogruppen gehören, einschließlich medizinischem und zahnmedizinischem Personal in der Bundesrepublik auf Antikör- per gegen HTLV III untersucht worden, und alle waren negativ.
Nach einer gemeinsamen Sitzung am 9. November 1984 in München wurde folgendes Kommunique herausgegeben:
Menschliches T-Zell-Leukämie-Vi- rus (HTLV III) oder das praktisch gleiche Lymphadenopathie-Virus (LAV I) (im folgenden als HTLV III bezeichnet) ist wahrscheinlich ei- ner der auslösenden Faktoren des erworbenen Immunmangelsyn- droms (acquired immune defi- ciency syndrome, AIDS). Es ist aber nicht bewiesen, daß eine HTLV-III-Infektion die alleinige Ur- sache von AIDS ist. Es gibt wahr- scheinlich kein AIDS ohne eine HTLV-III-Infektion, doch auf der anderen Seite scheint nicht jede HTLV-III-Infektion notwendiger- weise zu AIDS zu führen: Der Pro- zentsatz der mit HTLV III Infizier- ten, die später AIDS entwickeln, ist bisher nicht bekannt, und der Nachweis von Antikörpern gegen HTLV III ist in diesem Sinne kein
„AIDS-Test".
Nach dem heutigen Kenntnis- stand sind mögliche Virusträger vor allem ein Teil der promiskuö- sen Homosexuellen und Perso- nen, die mit diesen intime Kontak- te haben, Drogensüchtige, even- tuell Prostituierte und weiterhin Hämophilie-Patienten (Bluter), die ständig mit Blutplasmapräparaten behandelt werden müssen. Bei den Hämophilie-Patienten ist zu berücksichtigen, daß der Nach- weis von Antikörpern gegen HTLV
III nicht unbedingt Ausdruck einer Infektion ist, sondern möglicher- weise eine Immunantwort (Ab- wehrreaktion) auf wiederholt zu- geführtes, nicht vermehrungsfähi- ges (inaktiviertes) Virus in den
verabreichten Blutplasmapräpa- raten darstellt.
Im täglichen Umgang sind HTLV- III-Träger genauso wenig anstek- kend wie zum Beispiel Hepatitis- B-Virus-Träger, da das Virus durch Tröpfcheninfektion und übliche — nicht sexuelle — Körperkontakte nicht übertragen wird. Gleichzei- tig besteht kein Anhaltspunkt für eine Übertragung einer HTLV-III- Infektion durch Benutzung öffent- licher Toiletten, von Verkehrsmit- teln oder durch Eß- oder Trinkge- schirr. HTLV III ist ein relativ emp- findlicher Krankheitserreger, der durch die üblichen Desinfektions- maßnahmen rasch abgetötet wird.
Auf Grund der bisherigen Epide- miologie und des Übertragemo- dus von HTLV III ist eine rasche Ausbreitung der Infektion mit die- sem Virus in der Allgemeinbevöl- kerung nicht zu erwarten, und es besteht kein Grund für die Annah- me, daß AIDS eine neue Volksseu- che darstellt, durch die die Bevöl- kerung akut bedroht ist. Eine wei- tere Ausbreitung in einigen Hoch- risikogruppen ist vorläufig bis zur Entwicklung eines Impfstoffes nur durch eine Änderung der Verhal- tensweisen zu verhindern. Der be- sonderen Risikosituation in der kleinen Gruppe der Bluterpatien- ten wird durch bereits eingeleite- te ärztliche Maßnahmen Rech- nung getragen.
Es gibt gegenwärtig noch kein zu- gelassenes Verfahren für den Nachweis von HTLV-III-Virus oder dagegen gerichtete Antikörper.
Wissenschaftliche Untersuchun- gen sind in einer Reihe von Labo- ratorien im Gange.
Es besteht zusammenfassend kein Grund für die Annahme einer Ausbreitung von AIDS in der allge-
meinen Bevölkerung der Bundes- republik Deutschland. Schritte für eine weitere Kontrolle dieser Si- tuation sind eingeleitet.
Für Rückfragen stehen Ihnen zur Verfügung:
Prof. Dr. med. F. Deinhardt Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten
Max-von-Pettenkofer-Institut der Universität München Pettenkoferstraße 9a 8000 München 2
(0 89/53 34 01, priv. 0 89/64 51 52) sowie
Prof. Dr. med. K.-O. Habermehl Institut für Klinische und Experimentelle Virologie der FU Berlin (0 30/798 36 96) Prof. Dr. med. G. Maass Institut für Virusdiagnostik am Hygiene-bakteriologischen Landesu ntersuchu ngsamt Westfalen, Münster (02 51/79 058)
Prof. Dr. med. H. J. Eggers Institut für Virologie der Universität Köln (02 21/478 44 81)
Ministerialrat Dr. H. Göing Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit
Ministerialdirigent
Dr. K.-H. Gran, Vorsitzender des Ausschusses für Seuchen- und Umwelthygiene der Leitenden Medizinalbeamten
der Länder ❑
104 (52) Heft 3 vom 16. Januar 1985 82. Jahrgang Ausgabe A