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Archiv "„Beinleiden“ und Heilpraktiker" (17.12.1982)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

DIE GLOSSE

„Beinleiden"

und Heilpraktiker

Heilpraktiker sind ein gesetzlich zugelassener Berufsstand, der an- ders als bei Ärzten seine Tätigkeit nicht aufgrund nachgewiesener Kenntnisse, sondern aufgrund der Negativformulierung fehlender Gemeingefährlichkeit ausüben darf. Sie sind de jure die Erben der alten Volksmedizin, wie sie schon vor Beginn der wissenschaftlichen Medizin bestanden hat. In anderen

Ein Heilpraktiker hatte in ei- ner kleinen lokalen Verbrau- cherzeitung seine Niederlas- sung bekanntgemacht. Die Annonce war ortsüblich in der Größe und Aufmachung, nur fiel neben Akupunktur und Zelltherapie die Ankün- digung „Beinleiden" auf.

Der Verfasser, phlebolo- gisch intensiv tätiger Derma- tologe, schrieb daher an den Amtsarzt, der seinerseits den Regierungspräsidenten ein- schaltete. Von dort wurde dem Heilpraktiker die An- kündigung „Beinleiden" un- tersagt. Wie läßt sich ein sol- ches Verbot — einmal ganz abgesehen vom juristischen Tatbestand — sachlich recht- fertigen?

Kulturkreisen entspricht das den Schamanen und Medizinmännern, die auch heute noch in diesen Kul- turkreisen ihre Funktion haben.

Auch bei uns ist die alte Volksme- dizin durchaus noch am Leben, es könnte sein, daß sie derzeit sogar eine neue Blüte als „grüne" Medi- zin erlebt im Gefolge der Umwelt- schutzbewegung.

Angesichts unserer hochentwik- kelten Medizin könnten aber Heil- praktiker und „grüne" Medizin, kurz die ganze nichtwissenschaft- liche Volksmedizin, nicht existie- ren, wenn es nicht auch eine zwin- gende psychologische Begrün-

dung für die Langlebigkeit dieser Verfahren gäbe. Es ist das mysti- sche Grundbedürfnis des Men- schen, das Bedürfnis nach Unver- stehbarem, wo Gläubigkeit gefor- dert wird. Dieses Grundbedürfnis ist letztendlich eine Hilfskonstruk- tion, die es dem Menschen er- laubt, sich trotz der hochentwik- kelten Rationalität unserer Tage besser mit der Endlichkeit unseres Daseins zu versöhnen. Mehr noch, es scheint eine biologische Hem- mung im Gehirn des Menschen zu geben, die die klare Erkennung dieser Endlichkeit unseres Tuns verhindert. Hier setzt die Mystik ein.

Angesichts dieser biologischen Hemmung muß jeder wissen- schaftlich rationale Versuch einer Aussöhnung des Menschen mit seinem Schicksal scheitern. An diesem Punkte erreicht die Wis- senschaft ihr Objekt nicht mehr, greift zu kurz, befriedigt nicht, und hier hat die Volksmedizin ihr An- gebot, ebenso wie jede Religion, Sekte und so weiter.

Modellhaft kann man die Flucht aus der nicht versöhnenden Ratio- nalität immer wieder sehen, wenn Themen wie „Waren die Götter Astronauten" oder „Schiffe ver- schwinden im Bermuda-Dreieck"

von Zeit zu Zeit zu Bestsellern werden.

Um nichts anderes geht es beim Heilpraktiker, der bewußt auf Ra- tionalität verzichtet, das mystische Bedürfnis und die damit verbun- dene Heilserwartung anspricht und damit ein letztlich wohl echtes Bedürfnis erfüllt. Die Fortführung der Rationalität hat nämlich auf der anderen Seite, wie am Beispiel des Existenzialismus zu sehen, in eine Sackgasse geführt, die dem gewöhnlichen Mitbürger nichts mehr zu sagen hat, am wenigsten ihn tröstet.

Soweit einerseits die Situation des Heilpraktikers. Die andere Seite sei hier die Phlebologie, eine Wis- senschaft, die aus Anfängen in der praktischen Medizin (nicht Volks- NAV-Bundeshauptversammlung

Ausbildungsstellen insbesondere in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung eingerichtet werden. Darüber hinaus sollen in verstärktem Maße neben Lehrauf- trägen Lehrstühle für Allgemein- medizin an den Universitäten und Hochschulen etabliert werden.

• Das Schwerbehindertengesetz von 1974 wird als novellierungsbe- dürftig bezeichnet. Ein neu defi- nierter Behindertenbegriff soll die tatsächlich Schwerbehinderten ausreichend schützen, gleichzei- tig die Leistungen bei nur geringer Beeinträchtigung einschränken.

Sonst bestehe die Gefahr, daß die Zahl der amtlich als schwerbehin- dert anerkannten Bundesbürger (zur Zeit fast 4,5 Millionen!) noch weiter wachse.

> Die Richtlinien des Bundesaus- schusses der Ärzte und Kranken- kassen für Heil- und Hilfsmittel sollen vermeiden, organisations- und rationalisierungsfeindliche Maßnahmen festzuschreiben. Der Antrag wendet sich gegen die der- zeit gültige Bestimmung, wonach Stempel nicht verwandt werden dürfen. Demgegenüber heißt es, gerade bei häufigeren Verordnun- gen trügen Stempel und Schablo- nen zu präziseren Aussagen bei und hülfen bei der Rationalisie- rung.

• Falls „Bagatellarzneimittelli- sten" gesetzlich eingeführt wür- den, sollten sie insgesamt prakti- kabel, für Patienten und Arzt ver- ständlich und auf objektive Krite- rien gestützt sein. Um kinderrei- che Familien von einer hundert- prozentigen Selbstbeteiligung zu verschonen, sollte die Erstat- tungspflicht der Krankenkassen bei Verordnung dieser Arzneimit- telgruppen für Kinder beibehalten werden.

• Die Kassenärztlichen Vereini- gungen sollen dafür sorgen, daß sich nur dann Ärzte an einer La- borgemeinschaft beteiligen dür- fen, wenn ihre Mitwirkung auf ei- nen regional begrenzten Raum ge- währleistet ist. Dr. Harald Clade

48 Heft 50 vom 17. Dezember 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen DIE GLOSSE

medizin) heute auf einen unüber- sehbaren Berg von Forschungser- gebnissen zurückblicken kann.

Untersuchungen, die in jeder gut ausgestatteten phlebologischen Praxis durchgeführt werden kön- nen, liefern uns harte Fakten über den Zustand des venösen Systems unserer Patienten. Differenzierte Behandlungsvorschläge für alle Schweregrade liegen vor, unter- schiedliche Auffassungen beste- hen höchstens noch in Nuancen.

Allerdings braucht der phlebolo- gisch Tätige Sachkenntnis, und das in vielerlei Hinsicht, physika- lisch, physiologisch, patholo- gisch, allergologisch und allge- meinmedizinisch. Sachkenntnis aber muß man lernen, nur das ak- tiv Gelernte bewahrt einen vor un- ter Umständen schweren Fehlern.

Eine solche komplexe wissen- schaftliche Disziplin kann nicht von einem Heilpraktiker ausgeübt werden, der nichts Fundiertes zu lernen braucht und nicht einmal auf Grundkenntnisse hin geprüft wird. Selbst wenn man Sympathie für den Autodidakten empfindet, muß hier doch der Schutz der All- gemeinheit vorgehen, muß der Beinpatient davor bewahrt wer- den, durch phlebologisch Unvor- belastete den Fehlern unserer Alt- vorderen, die ja auch einmal als Autodidakten angefangen haben, erneut ausgeliefert zu werden.

Ein Heilpraktiker sollte bei mystik- bezogenen, nichtgemeingefährli- chen Verfahren bleiben und mag hier in seinem Rahmen Nützliches leisten. In einem wissenschaftli- chen Fach herumzudilettieren muß ihm versagt werden, weil dies gemeingefährlich ist. Unsere ärzt- liche Berufsordnung kennt den medizinischen Anlernling ohne Studium nicht. Die „grüne" Bewe- gung darf nicht zur Einführung ei- nes solchen führen, seine freie Tä- tigkeit würde unser System ad ab- surdum führen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Berthold Deichmann Voßstraße 57

4180 Goch

Wo liegt der

Hund begraben?

Langsam wird aus der Panne um die 182 verlorenen Prüfungsbogen der Würzburger Medizinstudenten eine Geschichte; eine spannende sogar.

Im August hatten sich die Studen- ten einer Zwischenprüfung unter- zogen. Ihre Prüfungsantworten wurden säuberlich eingesammelt, zu einem Paket verschnürt und als Wertpaket mit der Post zum Insti- tut für medizinische und pharma- zeutische Prüfungsfragen (IMPP) geschickt. Nur zu dumm, daß man nicht — wie jeder normale Bürger, der wichtige Schriftstücke aus der Hand gibt — Kopien davon anfer- tigte. Darüber hat sich Bundes-

-DR. FLEISS' BLÜTENLESE

Eigentümliche Reize

„Wenn ich ehemals von Freudenlosigkeit des hohen Alters las oder hörte, wan- delte mich stille Bangigkeit an. Jetzt erkannte ich, daß das Greisentum so viel An- muth und Genuß darbietet.

Jeder Zeitraum des Men- schenlebens prangt mit ei- gentümlichen Reizen, von denen schwer zu entschei- den ist, welcher der Wün- schenswürdigere sei. Cice- ro's alter Cato hat vollkom- men recht, zu sagen: Wer in sich selber nicht zum Selig- leben Kraft gewonnen, dem wird jedes Alter beschwer- denreich. Wer aber aus dem eigenen Inneren das Beste schöpft, dem tritt nichts als ein wirkliches Übel entge- gen, auch das späte Alter nicht, das jeder erreichen möchte, aber mancher, wenn er's erreicht hat, gräm- lich beklagt."

Heinrich Zschokke (1776 bis 1848)

tagsabgeordneter Dr. Kurt Faltl- hauser bereits in Heft 40 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTS (Sei- te 17, „Vorsichtsregel mißachtet") Luft gemacht. Die Unterlagen gin- gen nämlich „verloren". Verloren?

Faltlhauser blieb nicht müßig und brachte eine schriftliche Anfrage in den Bundestag ein: „Wie beur- teilt die Bundesregierung das

‚Verlorengehen' eines Paketes mit 182 Prüfungsbogen . . . aus juristi- scher und organisatorischer Sicht?" und „Welche Schlußfolge- rungen will die Bundesregierung vorschlagen, um eine derartige Panne künftig zu vermeiden?"

Die Antwort kam aus dem Postmi- nisterium. Des ministeriellen Amtsdeutsch entkleidet heißt sie:

Es gibt keine Schlußfolgerung, weil es keine Panne auf dem Post- weg gegeben hat. Nur eine kleine Kostprobe aus dem Schreiben:

„Das . . . Wertpaket ist nachweis- lich am 25. 8. 1982 in Mainz einge- gangen und ausweislich der von dem Postbevollmächtigten des Empfängers — Institut für medizini- sche und pharmazeutische Prü- fungsfragen, Große Langgasse 8 in 6500 Mainz — eigenhändig voll- zogenen Auslieferungsbescheini- gung am gleichen Tage zusam- men mit anderen Sendungen ord- nungsgemäß ausgeliefert wor- den" — der Satz geht noch weiter.

Am Schluß heißt es dann: „Ange- sichts dieses Sachverhalts besteht für die Bundesregierung kein An- laß, Überlegungen im Sinne der beiden Fragestellungen anzu- stellen."

Und was nun? Sogleich ent- schlüpft unserer kriminalistischen Fantasie der Verdacht: Trug der vermeintliche Empfänger beim IMPP etwa Toupet und Sonnen- brille, hinter der sich ein junger Prüfling mit Angst vor dem Prü- fungsergebnis verbarg?

Oder — wenn man aus der Abfuhr beim Bundespostministerium et- was lernen will —anders gefragt: In welchen Zuständigkeitsbereich fällt denn nun der dicke Hund, der da begraben liegt? ck

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jährgang Heft 50 vom 17. Dezember 1982 49

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