Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 37⏐⏐16. September 2005 AA2425
S E I T E E I N S
W
as war das Beste am Bundes- tagswahlkampf 2005? Er war kurz, wenngleich nicht schmerzlos.Zumindest nicht für Wählerinnen und Wähler, die sich mit plakativen Parolen nicht zufrieden geben, die sich um die Zukunft des Landes sor- gen. Die Konzepte, mit denen die Parteien die Herausforderungen auf dem zentralen Politikfeld der sozia- len Sicherung und des Gesundheits- wesens bestehen wollen, sind in den Wahlkampfwochen nicht klarer ge- worden.Was wirklich zur Wahl steht, liegt weitgehend im Nebel des Un- verbindlich-Mutmaßlichen.
Wer hofft, die Gesundheitspolitik könnte nach der Wahl eine neue Qualität gewinnen, muss einiges an Optimismus aufbringen. Pessimisten können auf den amtierenden Bun-
deskanzler und seinen Vorgänger verweisen. Sie haben sich nur dann mit der Gesundheitspolitik wirklich befasst, wenn die Finanzen der Krankenkassen aus dem Lot gerie- ten und ansonsten ihre Minister und Ministerinnen machen lassen, ob die nun Norbert Blüm, Horst Seehofer, Andrea Fischer oder Ulla Schmidt hießen. Bei der SPD-Politikerin ist das noch in frischer Erinnerung: De- fizite der Kassen machten die letzte Kostendämpfung politisch dringlich.
Als Anfang 2004 die Praxisgebühr für Schlagzeilen sorgte, bewegte sich Ulla Schmidts Ansehen beim Bun- deskanzler Richtung Nullpunkt. Sie wurde als Auswechselkandidatin im Kabinett gehandelt. Heute gilt sie demselben Kanzler als erfolgreiche Ministerin, schließlich weisen die
Krankenkassen Überschüsse aus.
Was zählt da der wachsende Pro- blemdruck, den Ärztinnen und Ärz- te jeden Tag in Klinik oder Praxis be- wältigen müssen? Fällt da ins Ge- wicht, dass sie den Spagat schaffen sollen zwischen der Verpflichtung, ihre Patienten nach dem Stand des medizinischen Wissens zu behandeln, und dem Zwang, mit dem verfüg- baren Geld auszukommen? Fällt es ins Gewicht, dass die eingeleiteten Strukturveränderungen das Risiko bergen, die medizinische Versor- gung auf längere Sicht zu ver- schlechtern?
All das gehört aber auf die Kanz- ler(in)-Agenda. Nur wer diese Auf- gaben und Probleme kennt, sollte die Richtlinien der deutschen Politik bestimmen. Heinz Stüwe
Bundestagswahl
Die Kanzler-Agenda
Krankenhäuser
Arbeitsintensität D
ie jüngste Krankenhausstatistikbestätigt einen langjährigen Trend: Die Arbeitsbeanspruchung in den rund 2 180 Krankenhäusern wächst. Die Konzentration auf grö- ßere Betriebseinheiten schreitet voran, die privaten Klinikbetreiber gewinnen an Boden. Entsprechend gestiegen ist der „Stress am Klinik- bett“, die Arbeitsbelastung, die ab- verlangten und tatsächlich gelei- steten Überstunden, Bereitschafts- dienst- und Rufbereitschaftszeiten.
In den vergangenen 15 Jahren ging die Zahl der Krankenhäuser konti- nuierlich zurück. Zugleich ist die Zahl der Krankenhausbetten sukzes- sive verringert worden. 1960 gab es in der Bundesrepublik noch 3 604 Krankenhäuser und 822 in der DDR.
Ende 2003 gab es in Deutschland 2 197 Häuser. Die Zahl der Betten
ging zwischen 1990 und 2003 von 685 976 auf 541 901 zurück. 1990 be- trug die Bettendichte noch 86,5 Bet- ten je 10 000 Einwohner, Ende 2003 sank diese auf 65,7 Betten. Die Spannweite in den Bundesländern ist beachtlich: So wies Nordrhein-West- falen eine Bettendichte von 73,5, Rheinland-Pfalz von 63,8 je 10 000 Einwohner auf.
Ein Beleg für den Produktivitäts- fortschritt im Kliniksektor ist die Verkürzung der Liegedauer der Pa- tienten. Diese sank von 1980 von knapp 20 Tagen auf 13,2 Tage (1990) und durchschnittlich 8,3 Ta- ge in 2003. Die Bettenauslastung liegt bei Maximalversorgern und Uniklinika bei bis zu 90 Prozent, im Durchschnitt aller Akuthäuser bei 76,8 Prozent. Die Zahl der Pflegeta- ge sank von 210 Millionen auf 153,5
Millionen (2003). Die Fallzahl stieg dagegen von 14,6 auf 17,3 Millionen Patienten (2003). Mehr Einweisun- gen bedeutet aber auch mehr Per- sonaleinsatz: So wuchs die Zahl der Klinikärzte von 95 640 (1993) auf heute rund 116 000 Ärzte. Das nichtärztliche Personal umfasst rund 711 000 Beschäftigte. Heute sind 55 Prozent aller Klinikärzte weiterge- bildete Fachärzte; 1993 waren dies noch 47 Prozent.
Sorgen bereiten die Unterfinan- zierung vieler Klinikbetriebe und der enorme Investititonsstau (rund 45 Milliarden Euro). Ein Schlaglicht auf Nordrhein-Westfalen: 2004 ga- ben zwei Kliniken wegen Insolvenz auf, 15 Häuser stehen kurz vor dem Aus. Hochgerechnet auf die Repu- blik, droht rund 300 Krankenhäusern der Exitus. Dr. rer. pol. Harald Clade