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Archiv "Gutachten über Arztzahl-Prognosen und Kassen-Finanzen: Krankenkassen plädieren für rigide Steuerung der Arztzahlen" (09.08.1993)

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POLITIK LEITARTIKEL

Gutachten über Arztzahl-Prognosen und Kassen-Finanzen

Krankenkassen plädieren

für rigide Steuerung der Arztzahlen

Knapp sieben Monate nach Inkrafttreten des Gesundheitsstruktur- gesetzes (GSG) Marke Seehofer/Dreßler warten die Spitzenverbän- de der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer neuen Hiobsbot- schaft auf: Ohne eine rigide Bedarfsplanung im vertragsärztlichen Sektor und eine strikt bedarfsorientierte Steuerung der Arztzahlen und der Neuzulassungen sind stabile Beitragssätze in der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) und eine dauerhafte Finanzier- barkeit des Systems der Gesundheitssicherung nicht zu erreichen.

Die Krankenkassen prognostizieren, daß nach Aufhebung der ge-

setzlich festgeschriebenen sektoralen Budgetierung (Ende 1995) ein erneuter Ausgabenschub auf die Krankenkassen und damit die Ver- sicherten zukommt. Die heute festgelegten Bedarfsgrenzen im nie- dergelassenen Bereich werden bereits lange vor 1999 erreicht wer- den. Überdies rechnen die Krankenkassen damit, daß 1996 und 1999 (der Zeitpunkt der strikten Bedarfszulassung) ohne fortdau- ernde Budgetierung der ärztlichen Gesamtvergütung und der von den Ärzten veranlaßten Leistungsausgaben Beitragssatzsteigerun- gen von zwei bis drei Prozentpunkten wahrscheinlich seien.

D

ie Krankenkassen untermau- ern diese düsteren Perspek- tiven mit einem Ende Juli in Bonn vorgestellten Gutach- ten, das die GKV-Verbände bei Prof.

Dr. rer. pol. Martin Pfaff, Ordinarius für Nationalökonomie an der Univer- sität Augsburg, zugleich Leiter des von ihm gegründeten Internationalen Instituts für Empirische Sozialökono- mie (INIFES), Anfang 1992 in Auf- trag gegeben haben. Der heutige SPD-Bundestagsabgeordnete und Sozialexperte der SPD-Bundestags- fraktion, bis vor zwei Jahren Mitglied des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheits- wesen, kommt zum Teil zu verblüf- fenden Ergebnissen, die die Kran- kenkassen unisono für ihre eigene Reformpolitik in ihrer ganzen Strin- genz einspannen wollen. Die Kran- kenkassen deuteten an, daß sie auf Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer und die Bonner Politik Druck ausüben wollen, um kurz- fristig eine weitere Verschärfung der kassenärztlichen Bedarfsplanung und des Zulassungsrechtes zu errei- chen. Nur bei einer rigiden Bedarfs- zulassung könnten der ambulante Sektor und das gesamte System vor dem Kippen bewahrt werden. Zu- gleich sollte mit schonungslos offen- gelegten kurz- und mittelfristigen Be- rufsperspektiven der nachrückenden Studenten- und Arztgeneration eine

Groborientierung über die sich in der Zukunft dramatisch verschlechtern- den Berufschancen gegeben werden.

Die Ergebnisse im einzelnen:

Überraschend ist nach Darstellung des Pfaff-Gutachtens, daß die Zahl der Vertragsärzte nach Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes bis zum Jahr 2001 stärker zunehmen wird, als dies ohne das Strukturgesetz zu erwarten gewesen wäre. Die durch das GSG bis 1999 eingeführten In- strumente der Arztzahlbeschrän- kung, insbesondere mit Hilfe der Überversorgungsplanung, der auf drei Jahre verlängerten hausärztli- chen Pflichtweiterbildung, oder die Möglichkeit zur Anstellung von Ärz- ten in den Praxen der niedergelasse- nen Ärzte werden den Anstieg der Zahl der Vertragsärzte nicht oder nur geringfügig dämpfen. Eine Be- grenzung der Gesamtzahl der Ärzte wird erst mit Einführung der Be- darfszulassung und der Verankerung der noch zu erlassenden festen Ver- hältniszahlen ab 1999 eintreten.

• Das Gutachten schließt dar- aus, daß die Bedarfszahlen im ambu- lanten Bereich im Rahmen der gel- tenden Überversorgungsplanung an- gehoben werden müssen, wenn alle oder fast alle Planungsbereiche in ei- ner Arztgruppe gesperrt werden müssen. Dies dürfte in einzelnen Pla- nungsbereichen und Fachgebieten bereits Ende 1995 der Fall sein.

Für die Beitragssatzentwicklung hätte ein Verzicht der Politik auf die Durchsetzung einer rigiden Bedarfs- planung und deren Verschärfung be- reits vor dem Jahr 1999 nach Aussa- gen des Gutachtens gravierende Fol- gen. Ohne strenge Bedarfsplanung und bei einem unveränderten Ver- ordnungsverhalten wird dann der durchschnittliche Beitragssatz bis zum Jahr 1996 eine Größenordnung von 14,6, bis zum Jahr 2001 eine Hö- he von 16 und bis zum Jahr 2006 ein Niveau von 16,3 Prozentpunkten er- reichen. Bei einer rigiden Zulas- sungssteuerung in den neunziger Jahren ließen sich Beitragssätze — je nach Option und Entwicklung des Bruttosozialproduktes — von 14 be- ziehungsweise 13,2 beziehungsweise 12,4 Prozentpunkten erreichen.

Ein Lichtblick bei der Beitrags- entwicklung könnte aus der Sicht des Gutachtens und der Krankenkassen nur dann erhofft werden, wenn die Budgetierung zeitlich unbegrenzt fortgeschrieben wird und auch die veranlaßten Leistungen pro Arzt nur im gleichen Umfang steigen dürfen wie die Arztzahlentwicklung (Decke- lung). In diesem Fall könnte der Bei- tragssatz im Jahr 2006 nur noch 12 Prozentpunkte betragen (heute rund 13 Prozent)..

Ohne eine zusätzlich intervenie- rende Bedarfssteuerung wird sich nach Projektionen des Gutachtens

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 31/32, 9. August 1993 (11) A1-2099

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Jahr 1991 1996 2001 2006 Tabelle 1: Arztzahlen ohne die Auswirkungen des GSG 1991 bis 2006)

Vertragsärzte Krankenhausärzte Industrie/Verwaltung etc.

73 900 99 900 24 600

84 200 119 900 36 500

100 500 129 800 49 000

105 000 140 200 56 700

Quelle: Arztzahlen 1991: KBV; Arztzahlen 1996, 2001 und 2006: Berechnungen im „Pfaff-Gut- achten": „Die künftige Entwicklung der Arztzahlen im ambulanten Bereich bis zum Jahr 2006".

Jahr 1991 1996 2001 2006

Gesamtvergütung Arzteinkommen Punktwert A Punktwert B

Mio DM DM in % in %

27 500 162 000 100 100

29 600 148 400 101,8 73,1

31 900 132 000 97,1 51,0

34 400 135 100 88,0 40,6

Jahr 1991 1996 2001 2006

Tabelle 2: Finanzielle Konsequenzen ohne das GSG 1993 für die Ärzte (1991 bis 2006) Jährliches BSP-Wachstum = 1,5 %

Jährliches BSP-Wachstum = 3 %

Gesamtvergütung Arzteinkommen Punktwert A Punktwert B

Mio DM DM in % in %

27 500 162 000 100 100

31 900 159 700 101,8 78,7

36 900 152 900 98,9 59,1

42 800 168 400 109,6 50,6

POLITIK

die Zahl der niedergelassenen Ärzte von 73 900 im Jahr 1991 auf 118 700 im Jahr 2006 erhöhen. Bei rigider Bedarfsplanung könne die Arztzahl im Jahr 2006 auf 77 500 begrenzt bleiben. Allein im Jahr 1993 wird auf Grund der bis zum 31. Januar 1993 eingegangenen 13 500 Zulassungs- anträge mit einem Zulassungsboom zwischen 15 und 25 Prozent gerech- net — dem Vierfachen des sonst Übli- chen (Tabelle 1).

Nach Maßgabe der mit dem GSG installierten neuen Bedarfspla- nung und der Zulassungsdrosselung sind heute nur noch 40 aller 565 Pla- nungsbereiche für Niederlassungen offen. Dies gilt vornehmlich für länd- liche Regionen und einzelne Ge- bietsarztgruppen. So ist beispielswei- se in Hamburg nur noch ein Arztsitz für einen Nervenarzt vakant. Die ur- sprünglichen Planungen der See- hofer-Administration gingen davon aus, daß rund 60 Prozent aller Ver- tragsarztsitze auch nach Inkrafttre- ten des GSG offengehalten werden sollten.

Sosehr die Krankenkassen auf die Bedarfsplanung setzen, eine dau- erhafte Deckelung der Vergütung bis 1999 lehnen sie ebenso ab wie ihr Spiritus rector Professor Pfaff. Be- gründung: Auf Grund der weiter stei- genden Arztzahlen und bei einem zu erwartenden minimalen Wachstum des Bruttosozialprodukts (unterstellt wurden jährlich 1,5 bis drei Prozent) würden bis zum Jahr 2006 Einkom- menseinbußen der Ärzte von 25 bis 30 Prozent zu erwarten sein. Das durchschnittliche Brutto-Einkom- men der Ärzte von 162 000 DM pro Jahr würde dann — theoretisch — bis zum Jahr 2006 auf rund 135 000 DM schrumpfen (bei einem 1,5prozenti- gen Wirtschaftswachstum p.a.) oder geringfügig auf 168 000 DM wachsen (bei drei Prozent Wachstum p.a.).

LEITARTIKEL

Auch dann erwarten die Kranken- kassen noch erhebliche Ausgaben- steigerungen infolge der Mengenaus- weitung und der veranlaßten Lei- stungen (Tabelle 2).

Das Gutachten ventiliert im Hinblick auf die Einkommens- und Punktwert-Entwicklung zwei Alter- nativen: Einmal wurde unterstellt, die Punktzahl pro Arzt bleibt kon- stant, in der Alternative wurde von zunehmenden Punktzahlen pro Arzt ausgegangen. Ergebnis:

Bei konstanten Punktzahlen und einem Bruttosozialprodukt-Wachs- tum von 1,5 Prozent p.a. läge der Punktwert zum Jahresende 2001 um 14,6 Prozent unter dem Ausgangsni- veau des Jahres 1991. Auch bei ei- nem dreiprozentigen BSP-Wachstum wäre ein vorübergehender leichter Punktwertverfall zu erwarten.

Realistischer ist aber die Annah- me, daß — wie in der Vergangenheit — die Punktzahlen je Arzt zunehmen werden. So stiegen im Zeitraum 1989 bis 1991 die Punktzahlen je Arzt durchschnittlich um rund 5,3 Pro-

zent je Jahr. Würde sich dieser Trend fortsetzen, käme es bei ei- nem BSP-Wachstum von 1,5 Pro- zent p.a. zu einer Halbierung des Punktwertes bis zur Jahrtausend- wende. Steigt das Bruttosozialpro- dukt jedoch um drei Prozent pro Jahr, wäre bis zum Jahr 2006 mit ei- ner Halbierung des Punktwertes zu rechnen. Aus diesem Rechenexem- pel folgt: BSP-Wachstum und Arzt- zahlentwicklung schlagen direkt auf die Einkommensentwicklung und die beruflichen Entwicklungschan- cen der Ärzte durch.

Eine andere nicht nur spekulati- ve Prognose aus dem Pfaff-Gutach- ten muß aufhorchen lassen: Im Zeit- raum 1997 bis 2001 können weniger als 30 Prozent der zulassungswilligen Ärzte tatsächlich mit einer Zulassung rechnen. Falls die Anhaltszahlen für die Bedarfszulassung nicht geändert werden, ergibt sich bis zum Jahresen- de 1996 eine Zahl von 78 500 maxi- mal zulassungsfähiger Ärztinnen/

Ärzte in den durch die Bedarfspla- nung erfaßten Arztgruppen.

• Bereits 1996 überschreitet die Zahl zulassungswilliger Ärzte die der zulassungsfähigen Arzte. Im Zeit- raum 1992 bis 1996 stünden der ma- ximalen Zahl von 14 500 zulassungs- fähigen Ärzten etwa 20 700 zulas- sungswillige Ärzte gegenüber. Unter- stellt wurde dabei, daß die Zahl der Medizinstudenten in den nächsten Jahren um 20 Prozent zurückgeht.

Dr. Harald Clade

A1-2100 (12) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 31/32, 9. August 1993

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