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Archiv "Genetische Ursachen des Herzinfarktes" (08.10.2010)

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ÜBERSICHTSARBEIT

Genetische Ursachen des Herzinfarktes

Neue Aspekte durch genomweite Assoziationsstudien

Jeanette Erdmann, Patrick Linsel-Nitschke, Heribert Schunkert

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Die positive Familienanamnese für den Herz- infarkt zählt zu den stärksten kardiovaskulären Risikofak- toren. Die europäischen Leitlinien nehmen dies schon heute zum Anlass, eine intensivierte Primärprävention bei Geschwistern oder Nachkommen von Herzinfarktpatienten zu empfehlen. Die der Erblichkeit des Herzinfarktes zu- grunde liegenden Gene waren bisher weitgehend unbe- kannt. Die Entwicklung von neuen molekulargenetischen Methoden in Form von genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) hat zu der Entdeckung zahlreicher genetischer Va- rianten geführt, die mit dem Herzinfarktrisiko assoziiert sind.

Methode: Der Artikel fasst die seit dem Jahr 2007 publi- zierten GWAS zu Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit mittels einer selektiven Literatur-Recherche zusammen und kommentiert die sich daraus ergebenden Implikatio- nen für die klinische Praxis.

Ergebnisse: Durch GWAS ist es in den letzten drei Jahren gelungen, zahlreiche Risikoallele für den Herzinfarkt zu identifizieren. Inzwischen wurden elf chromosomale Re- gionen repliziert, mit der Erkrankung assoziiert und deren funktionelle Bedeutung erforscht. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass manche Manifestationen der koro- naren Herzkrankheit, zum Beispiel Verkalkungen, Koro- narektasien und Hauptstammstenosen, stärker vererbt werden als andere Formen.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse dieser Studien werden dazu beitragen, die Prädiktion des Herzinfarktrisikos durch molekulargenetische Methoden weiter zu verbessern.

Ferner ermöglichen sie neue Ansätze in der Erforschung der Pathophysiologie des Herzinfarktes.

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(40): 694–9 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0694

S

eit etwa zwei Jahrzehnten wird versucht, in so - genannten Kandidatengenen molekulare Verän- derungen zu finden, die zur vorzeitigen Atherosklerose führen. Diese Studien gehen von der Hypothese aus, dass Proteine, die an der Pathophysiologie der Athero- sklerose beteiligt sind, Mutationen tragen und so zum Herzinfarkt führen können. Trotz über 5 000 Publika- tionen gelang es jedoch nur ganz vereinzelt im Lipid- stoffwechsel (Tabelle 1) Gene reproduzierbar mit dem Herzinfarktrisiko zu assoziieren (1).

Aus genetischer Sicht ist zu bemerken, dass die meisten Kandidatengenanalysen nur eine oder wenige der Vielzahl molekularer Varianten eines Gens unter- sucht haben. Aus statistischer Sicht konnte zudem häu- fig bemängelt werden, dass die untersuchten Stichpro- ben zu klein und zu heterogen waren. So ist es retro- spektiv nicht verwunderlich, dass nur wenig valide Da- ten mit diesem Ansatz erarbeitet werden konnten.

Im Jahre 2007 kam unter Einsatz der genomweiten Assoziationsstudien (GWA) der Durchbruch (Grafik 1).

Diese Analysen erlauben es, jeden Probanden mit etwa 2,4 Millionen genetischen Markern zu charakterisieren.

In einem systematischen Vergleich dieser Marker bei Tausenden von Herzinfarktpatienten und gesunden Kontrollpersonen gelang es dann, Genabschnitte zu identifizieren, die unzweifelhaft das Atheroskleroserisi- ko beeinflussen (Tabelle 2). Wichtig war zudem die wiederholte Replikation der wichtigsten Befunde an vielen tausend Patienten und Kontrollpersonen. Inzwi- schen wurde so für elf Chromosomenabschnitte bezie- hungsweise Gene unzweifelhaft nachgewiesen, dass sie zum Herzinfarktrisiko einen reproduzierbaren Beitrag leisten (2–8). Diese Übersichtsarbeit fasst sämtliche der bisher erschienenen GWA-Studien zum Herzinfarkt zu- sammen, die mittels einer selektiven Literatur-Recher- che (www.ncbi.nih.gov/pubmed) identifiziert wurden.

Bedeutung der neuen Herzinfarkt-Gene

In der Zusammenschau lassen sich folgende grundsätz- liche Feststellungen treffen:

Der genetisch stärkste Effekt auf das Herzinfarkt - risiko geht von einem Abschnitt auf Chromosom 9p21.3 aus (9). Dieser Risiko-Lokus für den Herz- infarkt wurde inzwischen in mehr als 45 000 Fällen und 85 000 Kontrollen repliziert. Interessanter - weise findet sich in dieser chromosomalen Region kein protein-kodierendes Gen. Der zugrundeliegen- de Krankheitsmechanismus ist bislang noch unklar.

Medizinische Klinik II, Universität zu Lübeck, Lübeck: Prof. Dr. rer. nat.

Erdmann; Dr. med. Linsel-Nitschke; Prof. Dr. med. Schunkert

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Nur zwei der elf Chromosomenabschnitte, die mit dem Herzinfarktrisiko assoziiert sind, weisen eine Beziehung zu traditionellen Risikofaktoren (LDL-Cholesterin und LP[a]) auf, das heißt wie der Lokus auf Chromosom 9p21.3 steigert die Mehrzahl der beschriebenen genetischen Varian- ten das Risiko über bislang noch unbekannte Pa- thomechanismen.

Alle bislang identifizierten Risikoallele sind rela- tiv häufig. So liegt die Wahrscheinlichkeit für ei- nen Europäer, ein oder sogar zwei Risikoallele von Chromosom 9p21.3 zu tragen, bei etwa 50 beziehungsweise 25 Prozent. Nur eine Minderheit in unserer Bevölkerung trägt also keines dieser Risikoallele.

Auf individueller Ebene trägt jeder betroffene Chromosomenabschnitt nur einen kleinen Effekt zur Steigerung des Herzinfarktrisikos bei, meist zwischen 10 und 30 Prozent pro Risikoallel. Dies bedeutet beispielsweise, dass die 25 Prozent in unserer Bevölkerung, die homozygot für das Risi- koallel auf Chromosom 9p21.3 sind, ein etwa 60 Prozent höheres Risiko haben, als die 25 Pro- zent der Menschen, die dieses Allel nicht tragen.

Bei 40- bis 45-jährigen Männern, die keine der traditionellen Risikofaktoren aufweisen (erhöhte LDL-Werte, Bluthochdruck, Übergewicht oder Rauchen), beträgt das durchschnittliche 10-Jah- resrisiko für einen Herzinfarkt circa 1 Prozent (PROCAM-Score). Allerdings ist dabei zu be- rücksichtigen, dass in dieser Gruppe im Durch- schnitt jeder auch ein Risikoallel vom Chromo- som 9p21.3 trägt.

Bei einem Mann aus dieser Gruppe, der keines der Risikoallele trägt, liegt das Risiko bei etwa 0,7 Prozent, wohingegen das Risiko auf 1,3 Pro- zent steigt, wenn der Mann homozygoter Allelträ- ger für die Risikovariante von 9p21.3 ist.

Trotz der eher geringen Risikozunahme für ein einzelnes Individuum bewirkt die hohe Frequenz der Risikoallele auf Bevölkerungsebene eine enorme Steigerung des Herzinfarktrisikos. Be- trachtet man also nicht einen Mann, sondern 1 Million homozygote Allelträger für die Risikova- riante von 9p21.3 im Alter von 40 bis 45 Jahren, ergeben sich aus der 0,6-prozentigen Risikozu- nahme immerhin 6 000 Herzinfarkte im 10-Jah- reszeitraum. So findet man bei fast allen Europä- ern eine unterschiedliche Zahl der Risikoallele aus Tabelle 2 und damit eine mehr oder weniger große vererbte Gefährdung durch den Herzin- farkt.

Die durch die Risikoallele vermittelte genetische Disposition lässt sich sowohl bei negativer als auch bei positiver Familienanamnese nachweisen.

Der genetische Effekt der neu identifizierten Vari- anten addiert sich also zu dem einer positiven Fa- milienanamnese hinzu. Anders herum betrachtet bildet eine positive Familienanamnese noch unbe- kannte genetische Effekte ab (Grafik 2).

TABELLE 1

Häufige genetische Varianten in Genen des LDL-Cholesterin-Stoffwechsels, die das Herzinfarktrisiko beeinflussen

OR, Odds Ratio für ein Allel;

PCSK9, „proprotein convertase subtilisin/kexin type 9“;

Apo E, Apolipoprotein E;

LDLR, Low-Density-Lipoprotein-Rezeptor;

Apo B, Apolipoprotein B.

Das unterschiedliche Signifikanzniveau für den Herzinfarkt erklärt sich durch die deutlichen Größenunterschiede zwischen den Stichproben.

Gen

PCSK9 Apo E LDLR Apo B

Häufigkeit des Risiko- allels

80 % 18 % 11 % 33 %

Anstieg des LDL- Choleste- rins pro Risikoallel + 15 % + 14 % + 6 % + 5 %

Effekt des Risikoallels auf das Herzinfarkt- risiko OR 1,13 OR 1,17 OR 1,18 OR 1,1

p-Wert für Asso- ziation mit Herzinfarkt

0,004 0,0001 0,0001 0,004

Literatur

(21) (21) (19) (20)

GRAFIK 1

Prinzip der genomweiten Assoziationsstudie (GWA)

Mit Hilfe von DNA-Chips werden an Stichproben von Patienten und gesunden Kontrollperso- nen die Allelfrequenzen von bis zu 2,4 Millionen Polymorphismen statistisch verglichen.

Kommen Marker an einem Chromosomenabschnitt in deutlich unterschiedlicher Häufigkeit vor, wird dieser Befund in weiteren Stichproben repliziert. Wenn sich dann ein hochsignifi- kanter Unterschied zwischen Fällen und Kontrollen ergibt (p < 5 x 10–8), geht man trotz der Vielzahl von statistischen Tests von einem relevanten Befund aus. Derzeit werden für GWA- Studien in der Regel nur die SNPs („single nucleotide polymorphisms“, Einzelnukleotid-Aus- tausche) auf den autosomalen Chromosomen 1–22 analysiert. Die Geschlechtschromosomen X und Y werden in die Analysen nicht einbezogen, da es hierfür noch keine standardisierten Analyseverfahren gibt.

(3)

Genetische Prädiktion

Trotz der enormen Fortschritte in den letzten beiden Jahren können bislang nur circa 10 Prozent der gene- tischen Einflüsse auf das Herzinfarktrisiko erklärt werden (3). Allerdings hat sich ein global operieren- des Konsortium unter Leitung der Arbeitsgruppe in Lübeck gegründet (CARDIoGRAM), welches die genomweiten Assoziationsstudien von etwa 100 000 Probanden zusammenträgt und eine neue qualitative Dimension der Analyse ermöglicht. Es ist zu erwar- ten, dass in Kürze die Liste der bekannten und sicher evaluierten genetischen Varianten, die mit Herzin- farktrisiko assoziiert sind, deutlich größer sein wird.

Auch ist es durch die systematische genomweite Analyse der kardiovaskulären Risikofaktoren gelun- gen, eine Vielzahl von Genen zu identifizieren, die Einfluss auf den Lipidstoffwechsel, den Blutdruck, das Diabetes-mellitus-Risiko oder die Adipositas- Neigung haben. So wird nicht nur die Genetik des Herzinfarktes transparenter, sondern auch die Prä- diktion, im Laufe des Lebens einen kardiovaskulären Risikofaktor zu entwickeln, wird verbessert. In der Zusammenschau der Information ist zu vermuten, dass sich auch eine genauere Vorhersage des kardio- vaskulären Risikos machen lässt, als dies augen- blicklich anhand der Familienanamnese möglich ist

(10). Derzeit wird an großen epidemiologischen Stichproben untersucht, ob die Erkenntnisse aus den GWA-Studien zum Herzinfarkt über die Erfassung der traditionellen Risikofaktoren hinaus die Prädikti- on zukünftiger Ereignisse verbessern kann. Sollte die genetische Information auch zusätzliche prädikti- ve Informationen liefern, ist zu erwarten, dass zu- künftig Risiko-Scores besser zwischen einem niedri- gen, mittleren und hohen zukünftigen Risiko diskri- minieren können und man somit die Primärpräventi- on gezielter einsetzen kann. Allerdings muss die Analyse dieser prospektiven Studien abgewartet werden, um zu beurteilen, ob die Kenntnis der Risi- koallele in klinisch relevanter Weise die Vorhersag- barkeit vom Herzinfarkt verbessern kann.

Herzinfarktfamilien

Den genomweiten Assoziationsstudien ist es somit ge- lungen, eine ganze Reihe von Faktoren zu identifizie- ren, die auf Bevölkerungsebene einen deutlichen Bei- trag zum Herzinfarktrisiko leisten. Offen bleibt dage- gen, warum in manchen, seltenen Familien ein autoso- mal-dominantes Vererbungsmuster für den Herzinfarkt gesehen wird (11–13). Demnach muss es Faktoren ge- ben, die das Herzinfarktrisiko so massiv erhöhen, dass jeder Zweite in diesen Familien betroffen ist (Grafik 3).

TABELLE 2

Übersicht über die bislang durch genomweite Assoziationsstudien identifizierten Genregionen, die mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko assoziiert sind

OR, Odds Ratio; KI, Konfidenzintervall; SNP, „single nucleotide polymorphism“

Chromo- somaler Abschnitt

1p13.3 1q41

2q33 3q22.3 6p24 6q26–27

9p21.3 10q11

12q24 12q24.3 21q22

SNP

rs599839 rs3008621

rs6725887 rs9818870 rs12526453 rs2048327 rs3127599 rs7767084 rs10755578 rs1333049 rs501120

rs11065987 rs2259816 rs9982601

Allel - frequenz des Risiko- allels bei Europäern 77 % 72 %

14 % 15 % 65 % 18 %

52 % 84 %

34 % 36 % 13 %

OR (95-%-KI)

1,13 (1,08–1,19) 1,10 (1,04–1,17)

1,17 (1,11–1,23) 1,15 (1,11–1,19) 1,13 (1,08–1,17) 1,20 (1,13–1,28)

1,36 (1,27–1,46) 1,11 (1,05–1,18)

1,14 (1,10–1,19) 1,08 (1,05–1,11) 1,19 (1,14–1,27)

p-Wert

1,1 x 10–14 1,4 x 10–9

1 x 10–8 7,4 x 10–13 1 x 10–9 1,2 x 10–9

2,91 x 10–19 9,5 x 10–8

5,2 x 10–11 4,8 x 10–7 6 x 10–11

Gene

PSCR1, CELSR2, SORT1, MYBPHL MIA3

WDR12 MRAS PHACTR1 SLC22A3, LPAL2, LPA

MTAP, CDKN2A, CDKN2B, ANRIL SDF1

SH2B3 HNF1A, C12orf43 SLC5A3, MRPS6, KCNE2

Assoziation mit tradi- tionellem Risiko- faktor ja/LDL nein

nein nein nein ja/Lp(a)

nein nein

nein nein nein

Funktion der Gene

LDL-Erhöhung Kollagen- Prozessierung Apoptosis Adhäsions- Signalling koronare Verkalkung Lp(a)

unbekannt EPC-Rekrutierung und Inflammation unbekannt unbekannt unbekannt

Literatur

(21, 22) (3, 21, 22)

(3) (2) (3) (4)

(5, 6, 21, 23) (21, 22)

(7, 8) (2) (3)

(4)

Zwar konnten auch in diesen Familien einzelne Chromosomenabschnitte identifiziert werden, an de- ren Vererbung das Herzinfarktrisiko geknüpft ist, doch gelang es bislang nicht, bis zu den kausal-ver- antwortlichen Genen beziehungsweise Genvarianten vorzustoßen. Hier liegt in Zukunft eine große Her - ausforderung, da eine bessere Kenntnis der zugrun- deliegenden Mechanismen weit reichende Bedeu- tung für die Prävention des Herzinfarktrisikos haben könnte.

Herzinfarkt

Die koronare Herzerkrankung im Speziellen und die Atherosklerose im Allgemeinen können verschiedene Befallsmuster zeigen. Für das Risikoallel auf Chro- mosom 9p21.3 konnte gezeigt werden, dass es so- wohl die koronare Herzerkrankung als auch für das Schlaganfallrisiko und die Manifestation von Aneu- rysmata und einer peripheren Verschlusskrankheit steigert (14, 15). Zusätzlich zu diesem gemeinsamen genetischen Risikofaktor haben diese Krankheitsbil- der vermutlich aber auch noch unterschiedliche gene- tische Ursachen. So konnten verschiedene Studien nachweisen, dass insbesondere die Verkalkung von Koronargefäßen oder der Aorta im besonderen Maße von genetischen Faktoren beeinflusst wird (16). Im Gegensatz zum Menschen, konnte im Mausmodell bereits mit ABCC6 auch ein ursächlich verantwortli- ches Gen identifiziert werden, welches über eine ge- störte Transportfunktion der Zelle zur Verkalkung führt (17, 18). Es besteht die Hoffnung, durch ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Mecha- nismen auch besser erklären zu können, warum es bei manchen Patienten zu ausgeprägten Gefäßverkalkun- gen kommt und wie diese zu verhindern wären.

Eine besonders hohe Vererblichkeit zeigt sich auch für die Hauptstammstenose (Grafik 4). So un- terliegen Verengungen an den Ostien oder den ersten Zentimetern der rechten beziehungsweise linken Kranzarterie einem stärkeren genetischen Beitrag als Stenosen im distalen Gefäßabschnitt. Somit hat diese besonders gefährliche Manifestation der koronaren

Herzerkrankung auch eine hohe Rezidivrate bei Ge- schwistern oder sonstigen Verwandten ersten Gra- des. Leider ist noch unbekannt, über welche Mecha- nismen besonders Hauptstammstenosen vererbt wer- den. In Unkenntnis dieser Prozesse bleibt heutzutage nur der Ratschlag an die Verwandten der Betroffe- nen, sich besonders gründlich untersuchen zu lassen und gegebenenfalls eine strenge Modifikation der Risikofaktoren vorzunehmen.

Ausblick

Die rasche Entwicklung bei der Entdeckung moleku- larer Ursachen für das Herzinfarktrisiko lässt erwar- ten, dass sich in absehbarer Zukunft neue Möglich- keiten zur Vorhersage eines Herzinfarktrisikos eröff- nen. Die aktuellen Daten zeigen zudem, dass diese genetischen Effekte meist unabhängig von den tradi- tionellen Risikofaktoren (Lipidstoffwechsel, Blut-

GRAFIK 2

Chromosom 9p21.3 und Familienanamnese

Ein Risikoallel steigert das Herzinfarktrisiko um den Faktor 1,3, das heißt um etwa 30 Pro- zent, wobei die Effektstärke bei positiver und negativer Familienanamnese vergleichbar ist.

Das heißt, der Effekt des Risikoallels ist additiv zur positiven Familienanamnese. Die Größe der Quadrate korreliert mit der Größe der untersuchten Stichprobe, insgesamt wurden 4 500 Probanden untersucht. n.s., nicht signifikant

GRAFIK 3

Beispielhafter Stammbaum einer Familie aus der „Deutschen Herzinfarktfamilien-Studie”

Etwa jeder zweite Nachkomme eines Betroffenen, beiderlei Geschlechts, entwickelte ebenfalls eine koronare Herzerkrankung. Damit kann ein autosomal-dominantes Erbmuster postuliert werden. Symbole: Quadrate/Kreise = Männer/Frauen; ausgefüllte Symbole/offene Symbole = erkrankte Familienmitglieder/gesunde Familienmit- glieder; durchgestrichene Symbole = verstorbene Personen.

(5)

hochdruck, Diabetes, Body-Mass-Index oder Rau- chen) zum Tragen kommen. Die wissenschaftlichen Daten erlauben schon heute, das Herzinfarktrisiko in einer Bevölkerungsstichprobe besser prognostizieren zu können. Dagegen steht augenblicklich noch aus, inwieweit die Kenntnis der assoziierten Genvarian- ten die individuelle Risikoeinschätzung beziehungs- weise Prävention verbessert.

Aus pathophysiologischer Sicht haben die aktuel- len Befunde komplett neue Sichtweisen eröffnet.

Schließlich sind vom Prinzip her die risikobehafteten genetischen Varianten immer kausal als Kofaktoren (im Falle der Risikoallele in Tabelle 2) oder gar Aus- löser (im Falle der autosomal-vererbten Formen) der Atherosklerose und des Herzinfarktes anzusehen.

Aber wie wirken die Risikoallele, wenn nicht über traditionelle Risikofaktoren? Sollten in der Zukunft diese Mechanismen entschlüsselt werden, so eröff- nen sich somit auch neue Einstiegsmöglichkeiten zur Prävention und Pharmakotherapie der koronaren Herzerkrankung. Die augenblickliche Aufbruchstim- mung ist vergleichbar mit der Zeit, als ein erhöhtes LDL-Cholesterin zwar als Risiko für den Herzinfarkt erkannt wurde, aber noch keine therapeutische Mög- lichkeit bestand, das davon ausgehende Risiko zu senken. In der Summe sind die Effekte der neu ent- deckten genetischen Risikovarianten weit größer einzuschätzen als die eines erhöhten LDL-Choleste- rins. Es bleibt abzuwarten, ob auch die Herzinfarkt- genetik einen ebenso glücklichen Einstieg in die Prä- vention der koronaren Herzerkrankungen ermög- licht, wie dies durch die Statintherapie geschehen ist.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 15. 10. 2009, revidierte Fassung angenommen: 29. 12. 2009

LITERATUR

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GRAFIK 4

Vererbbarkeit der Hauptstammstenose. Hauptstammstenosen, koro- nare Verkalkungen und ektatische Koronarläsionen zeigen eine hohe Vererbbarkeit (16). LAD, left anterior descending artery

KERNAUSSAGEN

Genomweite Assoziationsstudien haben zur Entdeckung einer Reihe von neuen Herzinfarkt-Genen geführt.

Der stärkste genetische Effekt für das Herzinfarkt-Risiko geht von einer Variante auf Chromosom 9p21 aus.

Die wenigsten Herzinfarkt-Gene weisen einen Zusam- menhang mit klassischen Risikofaktoren auf.

Die meisten genetischen Risikovarianten sind häufig (bis zu 84 % für das Risikoallel versus 16 % für das

„protektive“ Allel) und führen zu einer individuell gerin- gen Risikoerhöhung (relativ 10 bis 30 %).

Risikoprädiktion mit genetischen Scores – prospektive Studien fehlen noch.

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Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Heribert Schunkert Universität zu Lübeck Medizinische Klinik II Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck

E-Mail: heribert.schunkert@uk-sh.de

SUMMARY

Genetic Causes of Myocardial Infarction—New Insights From Genome Wide Association Studies

Background: A positive family history for myocardial infarction (MI) is known to be a major cardiovascular risk factor. The current European guidelines therefore recommend intensified primary prevention for the siblings and children of persons who have had an MI. Although the genes underlying the heritable component of MI were largely unknown

previously, the development of new molecular genetic methods, and particularly the advent of genome-wide association (GWA) studies, has led to the discovery of numerous genetic variants that are associated with an elevated risk of MI.

Methods: In this article, we review GWA studies on MI and coronary heart disease (CHD) that were retrieved by a selective literature search from 2007 onward. We comment on their implications for clinical practice.

Results: In the last three years, GWA studies have enabled the identif- ication of many alleles that confer a higher risk of MI. A total of eleven chromosomal regions have been replicated and associated with the disease, and their functional significance has been studied. Further- more, it has been shown that some of the manifestations of CHD, e.g., calcification, ectasia and main-stem stenosis, are more strongly inherited than others.

Conclusion: The results of recent GWA studies for MI and CHD will aid in individual risk prediction for MI by molecular biological means. They will also permit the development of new approaches to research on the pathophysiology of myocardial infarction.

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(40): 694–9 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0694

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The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

Referenzen

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