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Archiv "100 Jahre Berliner Abkommen: Alles gut zum Jubiläum?" (06.12.2013)

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A 2356 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 49

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6. Dezember 2013

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nd nun, meine Herren, wün- sche ich Ihnen allerseits gute Feiertage!“ Nach dem Schlusswort des Staatssekretärs des Innern, Cle- mens Delbrück, um halb zehn Uhr abends hatte der Protokollant im Reichsministerium des Innern am 23. Dezember 1913 endlich Feier- abend. Zuvor hatten die Vertreter der Ärzte und Krankenkassen mit ihren Unterschriften unter dem fast 400 Seiten starken Wortprotokoll den Vertrag geschlossen, der als

„Berliner Abkommen“ vor 100 Jah- ren den Beginn der gemeinsamen Selbstverwaltung markierte.

„Dass die Regelung, wie sie heu- te vereinbart worden ist, sich auf die Dauer von Segen für Kassen und Ärzte erweisen möge“, wünschte bei Vertragsabschluss am Abend der Vertreter der Betriebskrankenkas- sen, Justizrat Konrad Wandel. Der Vorsitzende des Deutschen Ärzte- vereinsbundes, Sanitätsrat Hugo Dippe, würdigte die Verdienste der staatlichen Vermittler: „Ich glaube wohl in aller Namen zu sprechen, wenn ich Sie bitte, nicht auseinan-

derzugehen, ehe wir nicht den Her- ren von den Ministerien und spe- ziell Exzellenz Delbrück unsern verbindlichsten Dank dafür ausge- sprochen haben, dass er uns zusam- mengeführt und durch seine vorzüg- lichste Leitung der Verhandlungen es bewirkt hat, dass wir zu einem so

wider Verhoffen günstigen Ergebnis gekommen sind.“

Tatsächlich hatte es staatlichen Einwirkens bedurft, um Ärzte und Krankenkassen auf den Weg ge- meinsamer Verantwortung bei der medizinischen Versorgung der Ver- sicherten zu bringen. Zuvor hatten mit der Ausweitung der 1883 einge- führten gesetzlichen Krankenversi-

cherung auf immer weitere Bevöl- kerungskreise die Spannungen zwi- schen Ärzten und Krankenkassen stetig zugenommen. Die Kranken- kassen konnten zunehmend Verträ- ge zu ihren Bedingungen mit Ärz- ten abschließen. Der wachsenden Nachfragemacht der Krankenkas-

sen vermochten diese erst mit Gründung des „Verbands der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen“, des späteren Hartmannbundes, im Jahr 1900 etwas entgegenzusetzen.

Die Jahre vor dem Berliner Ab- kommen waren geprägt durch eine Reihe ärztlicher Streikaktionen. Für den Jahresbeginn 1914 war ein reichsweiter Streik angekündigt – Grund genug für das Innenministe- rium, sich energisch für eine Ver- handlungslösung einzusetzen. Das Berliner Abkommen beendete die Zulassungsautonomie der Kranken- kassen und übertrug diese auf pari- tätisch besetzte Vertrags- und Re- gisterausschüsse. Auf 1 350 Versi- cherte war mindestens ein Arzt zu- zulassen. Das Berliner Abkommen bedeutete einen wichtigen Schritt hin zum kollektiven Vertragssystem und dem damit verbundenen Si- cherstellungsauftrag der Kassen- ärztlichen Vereinigungen (KVen) für die ambulante Versorgung. Auf 100 JAHRE BERLINER ABKOMMEN

Alles gut zum Jubiläum?

Sind Kollektivvertrag und Sicherstellungsauftrag noch zeitgemäß in der ambulanten Versorgung?

Darum ging es auch in einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für

Kassenarztrecht.

Ich bin ein Fan der Selbstverwaltung, manch- mal habe ich das Gefühl, einer der letzten.

Cornelia Prüfer-Storcks, Senatorin für Gesundheit in Hamburg

Weder eine starre Reglementierung durch den Staat noch die Organisation des Gesundheits- wesens nach Regeln des Marktes ist der kor porativen Kooperation überlegen.

Leonard Hansen, Hausarzt, ehemaliger Vorsitzender der KV Nordrhein

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6. Dezember 2013 dem Verordnungsweg wurde diese

kollektivvertragliche Struktur 1931 festgezurrt; das darauf aufbauende Kassenarztrecht von 1955 schuf die bis heute im Wesentlichen fortbe- stehende Rechtsgrundlage.

Wo geht die Reise hin?

Das kollektivvertragliche System mit dem Sicherstellungsauftrag für die KVen wird jedoch zunehmend infrage gestellt. Eine gefährliche Entwicklung, meint Dr. med. Leon- hard Hansen, ehemals Vorsitzender der KV Nordrhein, heute Hausarzt in Alsdorf. Denn: „Weder eine star- re Reglementierung durch den Staat noch die Organisation des Gesund- heitswesens nach Regeln des Mark- tes ist der korporativen Kooperation überlegen“, hält er in einem Positi- onspapier fest, vorgelegt beim Sym- posium „100 Jahre Berliner Abkom- men – Sicherstellung der ambulan- ten ärztlichen Versorgung im 21.

Jahrhundert“ der Deutschen Gesell- schaft für Kassenarztrecht am 19.

November in Berlin.

Für Hansen ist die Zukunft der gemeinsamen Selbstverwaltung un- trennbar mit der Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Sicherstel- lungsauftrags verbunden. Aber:

„Dieser erodierte in Fortführung der stärkeren Einmischung des Staates seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zunehmend.

Die Kernfunktion der KVen wurde in einem ordnungspolitisch de - saströsen Realexperiment kalkuliert und leichtfertig beschädigt.“ Die Politik müsse, folgert Hansen, jene Instrumente garantieren, die die KVen zur Erfüllung des Sicherstel- lungsauftrags brauchen. Dazu ge- hörten unter anderem eine nach- vollziehbare Wettbewerbsordnung für Kollektiv- und Selektivverträge und eine Option der Mitwirkung an allen versorgungsrelevanten Ver- tragsformen. Hansen appelliert aber auch an die Ärzte, bestehenden

Fehlentwicklungen und Fehlanrei- zen mit der gebotenen Konsequenz zu begegnen. Dazu zählt er unter anderem die „Dynamik des ambu- lanten Leistungsgeschehens in Ver- bindung mit fragwürdigen Indikati- onsstellungen“ und „die wachsende Erbringung lukrativer Privatleistun- gen für GKV-Versicherte“. Allen Beteiligten empfahl Hansen „mehr verantwortungsethisches Handeln im Sinne Max Webers als zentrale Voraussetzung zur Übernahme von Gesamtverantwortung für das – oft- mals eher symbolisch bemühte – Patientenwohl“.

„Die deutliche Mehrheit der Krankenkassen weiß sehr wohl die Vorteile der gemeinsamen Selbst- verwaltung und des KV-Systems zu schätzen“, betonte Johann-Magnus

von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV- Spitzenverbands. Die gemeinsame Selbstverwaltung sei immer noch ein zukunftsträchtiges Modell. Ob es gelingt, die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sicherzustel- len, stelle für ihn eine Art Messlatte für die Zukunftsfähigkeit des Kol- lektivvertrags dar. Hier müsse man etwa den Bedürfnissen der nächsten Ärztegeneration nach einer neuen Work-Life-Balance Rechnung tra- gen; diese denke gar nicht daran, sich als einzelner Facharzt irgend- wo in der Fläche niederzulassen.

Gemeinsam mit der Politik gehe es darum, ein Ordnungsmodell auch für angestellte Ärzte und für die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu entwi- ckeln. Ein solches Ordnungsmo- dell, das auch das Lebensrecht der KVen sichere, sei überfällig.

„Wir als KV haben zwar formal den Sicherstellungsauftrag, Ärzte aufs Land zu kriegen, wir sind aber nicht in der Lage, die fehlende At- traktivität eines Gebietes auszuglei- chen“, merkte Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KV Nie- dersachsen, dazu an. Er verwies auf verschiedene Projekte, die seine KV in unterversorgten Regionen angestoßen habe. Wenn man junge Ärzte für die Niederlassung gewin- nen wolle, müsse man ihnen ein Umfeld anbieten, in dem sie mit Freude arbeiten. „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler – so ist es auch in der Si- cherstellungsfrage.“ Lange könne man über ein angemessenes Hono- rar diskutieren – „wenn Sie keinen dafür finden, wird man etwas dazu- geben müssen, um die Ausgangsla- ge für die angehenden Ärzte zu ver- bessern“. Mit den zahllosen gesetz- lichen Regelungen der vergangenen Jahre sei der Sicherstellungsauftrag zudem schleichend ausgehöhlt wor- den. Die KV Niedersachsen habe mittlerweile kaum noch einen eige- nen Entscheidungsspielraum.

Wie von Stackelberg und Barjen- bruch sprach sich auch Cornelia Prüfer-Storcks, Senatorin für Ge- sundheit in Hamburg, für den Erhalt kollektivvertraglicher Regelungen in der ambulanten Versorgung aus.

„Ich bin ein Fan der Selbstverwal- tung, manchmal habe ich aber das Gefühl, einer der letzten. Die Kritik nimmt auch in der Politik zu.“ Der Sicherstellungsauftrag werde häufig reklamiert, „aber er muss auch er- füllt werden“. Wenn es Probleme gebe, würden diese zu häufig bei der Politik abgeladen, ohne dass diese die nötigen Instrumente habe, be- stimmte Entwicklungen zu begleiten oder zu steuern. „Die Länder müs- sen in ihrer Kompetenz gestärkt werden, damit sie das, was ohnehin bei ihnen abgeladen wird, auch tat- sächlich erfüllen können.“

Thomas Gerst

Für mich wird die Sicherstellung auf dem Land eine Messlatte für den Kollektivvertrag sein.

Johann-Magnus von Stackelberg, Vorstand des GKV-Spitzenverbands

Wenn man junge Leute für die Niederlassung gewinnen will, muss man ihnen auch ein System anbieten, in dem sie mit Freude arbeiten.

Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KV Niedersachsen

Fotos: Georg J. Lopata

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