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Archiv "Medizin und Fortschritt sind unlösbar verbunden (Teil 2)" (18.07.1974)

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Fortsetzung von Seite 2208 versitäten, welche sich immer mehr zu Spezialambulanzen entwickelt haben, sind ohnedies in die kas- senärztliche Versorgung integriert, soweit sich dies aus der Sicht der Lehre und Forschung als sinnvoll und möglich erweist.

Geltende Approbationsordnung endlich anwenden!

Es muß bei dieser Gelegenheit auch mit Nachdruck darauf hinge- wiesen werden, daß der Versuch, über eine Änderung der Approba- tionsordnung für Ärzte an den Lehrkrankenhäusern Polikliniken, also Ambulatorien zu errichten, von der Sache her nicht begründet werden kann.

Die praktische Ausbildung der Stu- denten im letzten Jahr wird durch eine Tätigkeit im Ambulatorium nicht gefördert. Die Sachverstän- digenkommission zur Erarbeitung der Approbationsordnung hat sie deshalb seinerzeit auch ausdrück- lich nicht vorgesehen.

Der Westdeutsche Medizinische Fakultätentag hat am 15. Juni die vom Bundesgesundheitsministe- rium gewünschte Änderung der Approbationsordnung insoweit ab- gelehnt, als eine poliklinische Aus- bildung vorgeschrieben werden sollte. Es wurde lediglich einer Kannbestimmung zugestimmt, wel- che nicht als Begründung dafür dienen kann, neue Ambulatorien zu errichten. Dieser Plan erweist sich somit als der Versuch, eine Schranke zu durchbrechen, um den Weg zu einer Veränderung der ambulanten ärztlichen Versorgung zu eröffnen.

Es darf daran erinnert werden, daß der Fakultätentag die Einrichtung von Polikliniken an Lehrkranken- häusern schon wiederholt abge- lehnt hat. Der erneute Beschluß sollte die Kultusminister und Ge- sundheitsminister der Länder ver- anlassen, ihre Beschlüsse zu über-

prüfen. Sie sollten endlich erken- nen, welche Kostenlawine damit zusätzlich auf die Länder zukäme, in welchen fatalen Zugzwang sie nach einer Änderung der Approba- tionsordnung geraten würden. Es kann doch kein Zweifel sein, daß die Träger der Lehrkrankenhäuser den Bau und die Betriebsdefizite solcher Ambulatorien beim Staat in Rechnung stellen würden.

~ Wir möchten im Interesse unse- res Nachwuchses dringend raten, solch fragwürdige Experimente zu unterlassen und endlich die Vor- aussetzungen zu schaffen, damit die geltende Approbationsordnung durchgeführt werden kann. Das nämlich wäre brennend notwendig.

Hier fehlt es an allen Ecken und Enden. Die Leidtragenden sind un- sere jungen Kollegen, unsere Me- dizinstudenten.

Probleme der stationären ärztlichen Versorgung

Der Ärztetag hat sich auch in die- sem Jahr wieder mit dem Kranken- haus als Stätte der stationären ärztlichen Versorgung beschäftigt.

Die stete Verbesserung der Lei- stungsfähigkeit unserer Kranken- häuser war schon Beratungsge- genstand vieler Ärztetage. Unsere Überlegungen und Vorschläge in den jetzt verabschiedeten Vorstel- lungen enthalten Empfehlungen zur Krankenhausplanung, zur Neuord- nung des Bettenangebots sowie zur Gliederung der Krankenhäuser nach ihren Aufgaben.

Zur inneren Struktur der Kranken- häuser hat bereits der 75. Deut- sche Ärztetag 1972 "Leitsätze zur Struktur der Krankenhäuser und ih- res ärztlichen Dienstes" verab- schiedet. Sie behalten ihre volle

Gültigkeit. Mit besonderem Nach-

druck betonen wir die Bedeutung eines großzügigen Ausbaus der Ar- beitsmöglichkeiten für Belegärzte.

Nachdem zunehmend darüber Ei- nigkeit besteht, daß die vor uns lie- genden Augaben einer weiteren Verbesserung der ärztlichen Ver- sorgung unserer Bevölkerung kei-

Die Information:

Bericht und Meinung Sewering: Medizin und Fortschritt

ne zahlenmäßigen Probleme auf- werfen, aber Verteilungsschwierig- keiten bewältigt werden müssen, kommt der Schaffung von Arbeits-

möglichkeiten für Belegärzte be-

sondere Bedeutung zu.

Wir halten es für notwendig, daß jeder Landkreis, jede Kreisstadt ausreichend mit Ärzten der ver- schiedenen Fachgebiete versorgt wird oder versorgt bleibt. Jeder Landkreis oder sonstige Kranken- hausträger, welcher seinen Ehrgeiz darin erblickt, "sein" Krankenhaus ausschließlich mit "seinen" haupt- amtlichen Chefärzten zu besetzen, schädigt oder unterbindet gar die Chancen einer besseren fachärztli- chen Versorgung der Bevölkerung.

Wir sind uns sehr wohl bewußt, daß es Fachgebiete gibt, die im Krankenhaus vorwiegend von hauptamtlich tätigen Ärzten betreut werden, so etwa die Chirurgie oder die innere Medizin. Den Anforde- rungen an eine besonders gute ambulante und stationäre Versor- gung wird aber Gewalt angetan, wenn, wie man beobachten kann, immer stärkere Tendenzen beste- hen, geradezu klassische Beleg- arztfächer, wie beispielsweise die Frauenheilkunde und Geburtshilfe, zugunsten hauptamtlicher Kran- kenhausärzte zu verdrängen.

Modernes Belegarztsystem im Interesse der Bevölkerung Der Deutsche Ärztetag unter- streicht die Notwendigkeit . einer rationellen Krankenhausführung und Krankenhausbehandlung. Die Tätigkeit freipraktizierender Ärzte als Belegärzte läßt sich in die Ge- gebenheiten des Krankenhausbe- triebes nahtlos einordnen. Die ver- abschiedeten Vorstellungen enthal-

ten sehr eingehende Vorschläge

für ein modernes Belegarztsystem.

Es muß nochmals in allem Ernst darauf hingewiesen werden, daß Ärzte vorwiegend operativer Fach- gebiete nicht bereit sein können und nicht bereit sein werden, in die Landkreise zu gehen, wenn ihnen die Türen der Krankenhäuser ver-

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft29vom 18.Juli 1974

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Die Information:

Bericht und Meinung

Sewering: Medizin und Fortschritt

schlossen bleiben. Wir hoffen in- des, daß unsere Vorschläge auf fruchtbaren Boden fallen und damit eine Fehlentwicklung beendet wird, die sonst ernste Auswirkungen be- fürchten läßt.

Elektronische Datenverarbeitung in der Arztpraxis

Auch Fragen der elektronischen Datenverarbeitung in der ärztlichen Versorgung haben uns eingehend beschäftigt. Es ist sicher kein Zu- fall, daß der Bundesminister für Wissenschaft dem Zentralinstitut der Kassenärztlichen Vereinigun- gen den Forschungsauftrag DOMI- NIG 111 übertragen hat, dessen Ziel die wissenschaftliche Auslotung des EDV-Einsatzes in der ambulanten ärztlichen Versorgung ist. Wir wer- den im Rahmen der jetzt überall anlaufenden Untersuchungen und Einzelprojekte alle Möglichkeiten und Vorschläge ohne Vorbehalt und Vorurteil untersuchen. Eine Leitlinie werden wir dabei mit Si- cherheit nicht verlassen: die Ach- tung vor der Individualität des Bür- gers und vor seinem unantastbaren persönlichen Bereich.

..,.. Der Mut zur wissenschaftlichen Ausschöpfung aller Wege und Möglichkeiten muß auch für die Frage gelten, ob die persönlichen Daten des einzelnen Menschen nicht doch besser und sicherer in den Abertausenden von Karteikä- sten der Ärzte aufgehoben und ver- wahrt sind. Die technische Faszina- tion, jeden Menschen mit einem Knopfdruck der Zentrale gewisser- maßen aufzublättern wie ein Buch, darf nicht überwiegen gegenüber der sorgfältigen Abwägung von Nutzung und Gefahr ihrer Realisie- rung, mit dem Ergebnis des vollma- nipulierten Bürgers!

..,.. Seien Sie sicher, daß die Ärzte sich keine Möglichkeit, den Com- puter dienstbar zu machen, entge- hen lassen werden. Wir werden ihn mit Sicherheit vor allem zur unver- zichtbaren Informationsquelle für den behandelnden Arzt machen.

Wir werden aber auch alles tun,

die Grenzen zur Gefährdung der Persönlichkeitsrechte deutlich zu machen und zu ziehen.

Mit besonderer Aufmerksamkeit hat sich der Deutsche Ärztetag mit der Lage der Psychiatrie in unse- rem Lande - übrigens ein interna- tionales Problemthema - beschäf- tigt. ln einer eigenen Podiumsdis- kussion wurden viele Fragen erör- tert, Wege und Möglichkeiten einer Verbesserung diskutiert. Die Er- gebnisse werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Der ärztliche Nachwuchs und die gleichmäßige Verteilung der Ärzte

Bei diesen wie bei allen Überle- gungen über den weiteren und zu- künftigen Ausbau der ärztlichen Versorgung auf den verschieden- sten Gebieten stellt sich immer wieder die Frage nach dem not- wendigen Umfang des ärztlichen Nachwuchses. Noch 1971 hat die Bundesregierung in ihrem Gesund- heitsbericht die notwendige Zahl der jährlichen Studienanfänger der Humanmedizin mit 4500 beziffert.

Der Bundesminister für Wissen- schaft hat gerade in den letzten Monaten ein Gutachten anfertigen lassen, welches die voraussichtli- che Steigerung des Bedarfes an ärztlichen Leistungen auf allen nur denkbaren Gebieten sehr großzü- gig kalkuliert und zu einer Zahl von maximal 7500 Studienanfängern pro Jahr kommt. Mit dieser Zahl an Studienanfängern erreichen wir bis zum Jahre 2000, also in einer rela- tiv nahen Zukunft, eine Gesamtzahl von rund 175 000 berufstätigen Ärz- ten und eine Arztdichte von einem Arzt auf 340 Einwohner. Es ist of- fenbar derzeit nur wenigen be- kannt, daß die in diesem Gutachten für notwendig gehaltene Zahl von 7500 Studienanfängern im vergan- genen Jahr bereits in etwa erreicht worden ist!

Der Vollständigkeit halber darf noch darauf hingewiesen werden, daß die Bundesrepublik hinsicht- lich ihrer Arztdichte schon heute in

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der Spitzengruppe vergleichbarer Länder liegt. Es kann als gesi- chert festgestellt werden, daß wir weder einen Ärztenotstand haben, noch einem solchen entgegenge- hen. Was wir zu lösen haben, ist ei- nerseits das Verteilungsproblem, und - nicht minder wichtig - wir müssen alles tun, um ein besseres Auswahlsystem für die Studienbe- werber zu erarbeiten. Zum letzte- ren muß allerdings zugegeben wer- den, daß bisher noch in keinem Land der Erde ein befriedigendes System entwickelt worden ist.

Zur Verteilung der Ärzte in freier Praxis ist eine prinzipielle Klarstal- lung erforderlich:

Es wurde bereits erwähnt, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen eine Fülle von Maßnahmen einge- leitet haben, um durch Förderung der Niederlassung eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Kas- senärzte zu gewährleisten. Es ist aber auch bekannt, daß politische Forderungen erhoben werden, die Niederlassung dann zu lenken, wenn allen Förderungsmaßnahmen der Erfolg versagt bleibt. Die hier gemachten Vorschläge reichen von der vorübergehenden Beschrän- kung der Zulassung nach Bedarfs- plänen mit zeitlicher Begrenzung bis zur totalen Verstaatlichung des Gesundheitswesens.

..,.. Wir sind davon überzeugt, daß es uns bei Aufrechterhaltung des Sicherstellungsauftrages gelingen wird, mit den Problemen fertig zu werden, ohne daß es eines dirigi- stischen Eingreifans überhaupt be- darf.

..,.. Wenn dennoch gesetzliche Re- gelungen für den Fall des Versa- gens aller freiwilligen Maßnahmen getroffen werden sollten, so wer- den wir sie eingehend auf ihre Ver- hältnismäßigkeit und darauf über- prüfen, ob sie sich in das derzeiti- ge System der kassenärztlichen Versorgung einordnen.

..,.. Jeder Versuch, den Weg zu ei- ner Art .,Planwirtschaft für ärztliche

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Ehrengäste in der Öffentlichen Kundgebung des 77. Deutschen Ärztetages

Arbeitskräfte" zu eröffnen, wird am geschlossenen Widerstand der Ärzte scheitern.

Neuregelung

des Weiterbildungsrechts

Zur Neuordnung des Rechtes der ärztlichen Weiterbildung haben wir uns seit Erlaß des Urteils des Bun- desverfassungsgerichtes wieder- holt und eingehend geäußert. Die von den Gesundheitsministern der Länder zuletzt gefundene Regelung entspricht nicht in allen Punkten den Vorstellungen der Ärzteschaft und ihren langjährigen Erfahrun- gen. Es muß aber andererseits auch anerkannt werden, daß in ei- nigen zentralen Fragen unsere Vor- stellungen berücksichtigt wurden und insgesamt damit eine gesetzli- che Grundlage erwartet werden kann, die es uns möglich machen wird, die ärztliche Weiterbildung auch in der Zukunft konstruktiv zu gestalten.

Eine Bestimmung bleibt uns aller- dings nach wie vor unverständlich:

Für die Überprüfung der Antrag- steller vor Ausstellung einer Urkun- de war zunächst ein Gutachterver- fahren vorgesehen. Es wurde bei weiteren Beratungen der Gesund- heitsminister in eine formale staat- liche Prüfung umgewandelt. Als sich herausstellte, daß damit keine

vertretbaren Ergebnisse zu erzie- len sein würden, ist man in der Durchführung wieder zu dem weit- aus wirksameren Gutachterverfah- ren zurückgekehrt.

~ Es bleibt deshalb völlig unver- ständlich, warum man sich den- noch weiterhin an die von der Sa- che her völlig sinnlose Rechts- form und Bezeichnung als staatli- che Prüfung klammert. Man kann es uns wohl nicht verübeln, wenn wir dahinter politische Motive ver- muten müssen, die völlig andere Ziele verfolgen. Wir werden unsere Bedenken den Länderregierungen gegenüber nochmals nachdrück- lich zum Ausdruck bringen.

Fortbildung in freiwillig übernommener Verantwortung Die schon angesprochene rasche Entwicklung medizinischen Wis- sens zwingt uns, die Fortbildung der praktizierenden Ärzte auszu- bauen und zu vertiefen. Dazu wur- den in der letzten Zeit Überlegun- gen angestellt und nunmehr Vor- stellungen zur Diskussion gestellt, die zur Erleichterung und Verbes- serung der ärztlichen Fortbildung beitragen sollen.

~ Wir sind überzeugt, daß die Ärz- teschaft unseres Landes die ihr ge- botenen Möglichkeiten der Fortbil- dung in freiwillig übernommener

Die fuforrnation:

Bericht und Meinung

Verantwortung intensiv nutzt und weiterhin nutzen wird.

~ Einen gesetzlichen Zwang, der die Ärzteschaft unter ein einmali- ges Sonderrecht stellen würde, lehnen wir mit aller Entschieden- heit ab.

Vorsorge und Früherkennung Nur einige Worte zu dem so oft be- handelten Thema der Gesundheits- vorsorge und Krankheitsfrüherken- nung: Es müßte sich inzwischen herumgesprochen haben, daß die Vorsorgeuntersuchungen den Ärz- ten nicht etwa aufgezwungen wur- den, sondern daß sie allein es gewe- sen sind, welche sie seit Jahren forderten. Heute plädieren wir da- für, weitere Maßnahmen nicht überstürzt einzuführen, sondern Schritt für Schritt vorzugehen.

Wir sollten aber keine Gelegenheit ungenutzt lassen, unsere Mitmen- schen darauf hinzuweisen, daß Vor- sorgeuntersuchungen, gleich wel- cher Art und welchen Umfangs, nicht ausreichen, um Herzinfarkte, Schlaganfälle durch Bluthochdruck und Zuckerkrankheiten zu verhü- ten.

~ Solange sich unsere Mitbürger nur als Konsumenten des Angebots Vorsorgeuntersuchung fühlen und nicht bereit sind, eigene Beiträge

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

29

vom

18.Juli 1974 2213

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Die Information:

Bericht und Meinung

Sewering: Medizin und Fortschritt

durch veränderte Lebensführung zu leisten, wird letzten Endes jede Vorsorge zum Scheitern verurteilt sein. Gesunderhaltung und Krank- heitsverhütung, soweit sie über- haupt möglich ist, erfordern die ak- tive Mitwirkung unserer Menschen.

Sie zu erreichen sollte eines der vordringlichen Ziele unserer Ge- sundheitspolitik sein.

Familienplanung und Familienpolitik

Auch Fragen der Familienplanung und Familienpolitik waren Gegen- stand unserer Beratungen. Dabei wurde erneut die Änderung des Paragraphen 218 diskutiert. Mit Be- dauern mußten wir feststellen, daß sich kein gemeinsamer Weg finden ließ und der Bundestag, wenn auch mit knapper Mehrheit, die Fristen- lösung beschlossen hat. Die ver- fassungsrechtliche Nachprüfung dieses Gesetzes durch das Bun- desverfassungsgericht sollte von Gegnern und Befürwortern der Fri- stenlösung gleichermaßen begrüßt werden, denn die Verfassungskla- ge ist ein klassisches Instrument der parlamentarischen Demokratie, wenn es um Grundrechte geht.

Hier muß entschieden werden, ob für die ersten drei Monate der Schwangerschaft das Selbstbe- stimmungsrecht der Mutter gegen das Lebensrecht des Kindes abge- wogen werden darf.

Wir respektieren das Selbstbestim- mungsrecht der Mutter. Sie muß nach unserer Überzeugung aber davon Gebrauch machen, bevor neues Leben entstanden ist. Wenn der Grundsatz, daß Lebensrecht nur gegen Lebensrecht abgewogen werden darf, aufgegeben wird, ha- ben wir die tiefe Sorge, daß Grenz- steine zerstört werden. Niemand vermag vorherzusehen, in welches Niemandsland uns dann der Weg führt.

..,... Die Ärzte werden alle Möglich- keiten ausschöpfen, den Frauen in der Ausübung ihres Selbstbestim- mungsrechtes vor einer Schwan-

gerschaft zu raten und zu helfen.

Die Fortbildung der Ärzte auf die- sem Gebiet wird uns ein besonde- res Anliegen sein.

..,... Sollte das Gesetz über die Fri- stenlösung der verfassungsrechtli- chen Nachprüfung standhalten, werden wir mit allen Mitteln die Gewissensfreiheit und damit die Entscheidungsfreiheit des Arztes gegenüber einem verlangten Schwangerschaftsabbruch verteidi- gen. Ein Arzt, der den Schwanger- schaftsabbruch ohne Indikation ab- lehnt, kann dann unserer Hilfe und unseres Schutzes sicher sein, wenn er in Gefahr gerät, Nachteile zu erleiden. Wir befürchten den- noch, daß ernste Schwierigkeiten nicht zu vermeiden sein würden. Lassen Sie mich - um allen Zwei- feln zu begegnen - noch eines klarstellen: Die von uns geforderte uneingeschränkte Achtung vor der Gewissensentscheidung des Arztes wäre für uns nach lnkrafttreten des Gesetzes auch verbindlich gegen- über denjenigen unserer Kollegen, welche sich einer Entscheidung für die Fristenlösung anschließen. Es wird sicher innerhalb der Ärzte- schaft weiterhin Diskussionen ge- ben über die Grundfragen des Le- bensrechtes. Aber wir werden kei- ne Auseinandersetzung billigen, die auf die Ebene der Diffamierung Andersgläubiger, also eine Art He- xenverfolgung, abgleitet.

Zwei

abschließende Bemerkungen Im Oktober vergangenen Jahres hatte ich über die Geschichte der Deutschen Ärztetage zu berichten.

Es konnte gezeigt werden, daß die Deutschen Ärztetage von ihrer Ge- burtsstunde bis in die Gegenwart entscheidende Beiträge zur Ver- besserung und Fortentwicklung der gesundheitlichen Betreuung unse- rer Bevölkerung geliefert, damit die Gesundheits- und Sozialpolitik über Jahrzehnte hinweg fruchtbar beeinflußt haben. Mit der Übergabe unserer Gesundheits- und sozialpo- litischen Vorstellungen setzen wir

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diese Tradition fort. Wir sind offen für Kritik und Diskussion - sofern sie sachlich und sachbezogen ist.

Jeder, der Besseres zu bieten hat, ist uns ein willkommener Ge- sprächspartner.

Medizin und Fortschritt sind unlös- bar verbunden. Fortschrittlich den- ken heißt aber nicht, Vergangen- heit und Gegenwart zu leugnen.

Das "Heute" steht auf den Schul-

tern vom "Gestern", und das "Mor- gen" kann nur auf den Schultern

des "Heute" sinnvoll gebaut sein.

Deshalb wehren wir uns dagegen, Grundsätze der ärztlichen Versor- gung über Bord zu werfen, die gut sind und zugleich entwicklungsfä- hig.

Meine Ausführungen von München zeigten aber auch, daß es für den Arzt eigentlich nie friedliche Zeiten gegeben hat. Das Bild der Ausein- andersetzungen wandelte sich - der Kampf um Berufsfreiheit und Existenz war permanent.

ln den letzten Jahren bis in die jüngste Zeit erlebten wir eine Het- ze gegen den einzelnen Arzt und die ganze Berufsgruppe, die sich bis zum Grotesken steigerte. Ich stelle mit Freude fest: Die Hetze ist danebengegangen! Sie hat ihre Wirkung verfehlt! Das Vertrauens- verhältnis zwischen uns Ärzten und unseren Patienten konnte nicht zerstört werden. Unsere Mitbürger wissen, was sie an ihrem Arzt ha- ben. Sie fühlen sich nach wie vor von ihm gut betreut und anerken- nen seine Arbeit.

Dieses Vertrauen unserer Patien- ten zu rechtfertigen und zu erhal- ten, ihnen zu helfen, ihre Gesund- heit und ihr Lebensglück zu be- wahren und zu fördern, wird auch weiterhin unsere schönste Aufgabe sein. Dafür geben wir unsere ganze Kraft!

(Wortlaut des Referats von Prof.

Dr. Hans Joachim Sewering bei der Öffentlichen Kundgebung des 77. Deutschen Ärztetages am 28. Juni 1974 in der Berliner Kongreßhalle)

Referenzen

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