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Archiv "Bundeswehr: Belastende Missionen im Ausland" (13.10.2006)

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A2672 Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4113. Oktober 2006

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och nie waren so viele Bun- deswehrsoldaten in Auslands- missionen unterwegs wie in diesem Jahr. Rund 7 800 von insgesamt 251 000 Soldaten befinden sich zur- zeit im Kosovo (2 907), in Usbekis- tan und Afghanistan (2 884), in Bos- nien-Herzegowina (863), im Kongo und Gabun (741), Dschibuti (330), Sudan (37) und Georgien (11). Bis zu 2 400 weitere Soldaten hat der Bun- destag am 20. September zur Unter- stützung der UNIFIL (United Na- tions Interim Force in Lebanon) vor die Küste des Libanons beordert. Die Linkspartei stimmte geschlossen ge- gen den Einsatz; aber auch Abgeord- nete aus SPD, CDU/CSU und FDP waren dagegen. Die Bundeswehr, die 1955 mit 6 000 Freiwilligen als Ver- teidigungsarmee startete, hat sich zur Einsatzarmee entwickelt.

Die Auslandseinsätze haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung an den Bundeswehr- krankenhäusern. Der Wehrbeauftrag- te des Deutschen Bundestages (Kas- ten), Reinhold Robbe, berichtete in seinem im März vorgelegten Jahres- bericht 2005 von „besorgniserregen- den Personalengpässen bei Ärzten und Assistenzpersonal“.

Abteilungen verweisen Durch die Auslandseinsätze werde die sanitätsärztliche Versorgung der Soldaten im Inland „erheblich beein- trächtigt“, stellte Robbe fest. Von 2 385 Ärzten, die als Sanitätsoffizie- re in der Bundeswehr tätig sind, wur- den etwa 700 im Jahr 2005 minde- stens einmal in einem Krisengebiet eingesetzt. Zehn Prozent von 604 Soldaten, die als Pflegekräfte beim Zentralen Sanitätsdienst der Bun- deswehr tätig sind, wurden ebenfalls 2005 im Ausland gebraucht.

Am Bundeswehrkrankenhaus Ulm mussten vorübergehend Operations- säle geschlossen werden. „In Berlin und Hamburg sind zeitweise ganze Abteilungen verweist, weil die Lei- tenden Ärzte bei Auslandseinsätzen gebraucht wurden“, so der Wehrbe-

auftragte im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Ein Grund für den großen Bedarf an Ärzten sei, dass in den Einsatzgebieten die Versorgungsqualität eines deutschen Kreiskrankenhauses vorgehalten werden soll. Besonders viele Ärzte – vor allem Chirurgen, Anästhesisten und Notfallmediziner – sowie Pfle- gekräfte müssten daher aus Deutsch- land abgezogen werden.

Besonders belastend sei der ho- he Bedarf an medizinischer Ver- sorgung in den Kriegs- und Krisen- gebieten für die Ärzte selbst. „Weil Mediziner bei der Bundeswehr so- wieso Mangelware sind, werden sie häufiger eingesetzt“, weiß der Wehrbeauftragte. In der Regel dauert ein Auslandseinsatz heute vier Monate. Anschließend sollen die Soldaten für einen längeren Er- holungszeitraum im Heimatland bleiben. Die Ärzte jedoch würden oft nach wenigen Monaten wieder im Ausland eingesetzt, weil sie dort dringend benötigt würden.

Einzelne Betroffene verbrachten bis zu acht Monaten in den Ein- satzgebieten. „Das ist nicht nur mit enormen Risiken für das Leben und die Gesundheit der Soldaten BUNDESWEHR

Belastende Missionen im Ausland

Fotos:dpa

Die Einsätze der Bundeswehr in den Krisenregionen nehmen zu. Dies geht zulasten der medizinischen Versorgung der Soldaten in Deutschland.

Auch die psychischen Belastungen

der Soldaten im Ausland dürfen nicht

unterschätzt werden.

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verbunden, sondern auch eine große Belastung für die Familien“, sagt Robbe und weist darauf hin, dass eine Erhöhung der Stellen im Sanitätsdienst der Bundeswehr notwendig sei.

Personalmangel besteht nach An- gaben von Robbe auch beim zivilen Personal in den Bundeswehrkran- kenhäusern und Sanitätszentren. Da die Bundeswehr insgesamt im zivi- len Bereich 75 000 Mitarbeiter ein- sparen will, erhielten auch viele Pflegekräfte nur noch befristete Ver- tragsangebote. Weil diese aber we- nig attraktiv sind, könnten viele Stellen nicht besetzt werden. Insge-

samt arbeiten 1 244 zivile Pflege- kräfte bei der Bundeswehr.

Als „Modell der Zukunft“, oder Lösung für das Personalproblem im medizinischen Bereich, bezeichnet der Wehrbeauftragte die vereinbarte zivilmilitärische Kooperation zwi- schen dem Bundeswehrkranken- haus in Bad Zwischenahn und der Ammerland-Klinik in Westerstede.

Bis 2008 wird das Bundeswehr- krankenhaus in einen Neubau neben der Klinik umziehen. Alle Arztstel- len sollen dann parallel mit einem Militärarzt und einem zivilen Arzt

besetzt werden, sodass bei Auslands- einsätzen keine Lücke in der Pati- entenversorgung entsteht.

Extreme Belastungen

Durch die Einsätze in den Kriegs- und Krisengebieten muss sich die Bundeswehr auch verstärkt mit den psychischen Belastungen der Solda- ten auseinandersetzen, die durch Verkehrs- und Minenunfälle oder auch Terroranschläge verursacht werden. Feldstudien von Streitkräf- ten anderer Nationen (USA, Nieder- lande, Skandinavien) hätten gezeigt, dass vier bis fünf Prozent aller Sol- daten im Einsatz von Posttraumati-

schen Belastungsstörungen (PTBS) betroffen seien – für Deutschland gebe es noch keine entsprechenden Erhebungen, stellte der Wehrbeauf- tragte kritisch fest.

Die extremen Belastungssituatio- nen, denen die meist jungen Solda- ten bei Einsätzen im Ausland ausge- setzt sind, sollten nicht unterschätzt werden. Nicht jeder, dem ein poten- ziell traumatisches Ereignis wider- fahren ist, entwickelt eine Post- traumatische Belastungsstörung.

Dennoch wurden wegen PTBS von 1995 bis 2006 insgesamt rund 640

Soldaten in Bundeswehrkranken- häusern behandelt. Das entspricht etwa einem Prozent der Soldaten, die im Ausland waren. Oberstarzt Dr. med. Karl-Heinz Biesold, Lei- tender Arzt der Abteilung Neurolo- gie und Psychiatrie am Bundes- wehrkrankenhaus Hamburg, ist der Ansicht, dass viele Soldaten zwar betroffen sind, sich jedoch nicht behandeln lassen. Er schätzt die Zahl behandlungsbedürftiger psy- chischer Störungen nach Auslands- einsätzen auf zwei bis fünf Prozent – entsprechend den internationalen Zahlen.

Die Bundeswehr bereitet die Sol- daten grundsätzlich auf die Einsätze in den Krisenregionen vor – fach- lich-militärisch, das heißt, verschie- dene Szenarien werden durchge- spielt wie Geiselnehmern zum Op- fer fallen, Verwundete retten oder Auffahren auf eine Mine. Je nach Einsatzort erhalten die Soldaten Schulungen über die Kultur des Ein- satzlandes, unterschiedliche Menta- litäten oder klimatische Besonder- heiten. Die Bundeswehr verfügt auch über ein medizinisch-psycho- logisches Stresskonzept, mit dessen Hilfe die Soldaten lernen sollen, mit Stress und psychischen Belastungen umzugehen. Dennoch: „Prävention ist kein 100-prozentiger Schutz – auf Terroranschläge ist niemand wirklich vorbereitet“, weiß Biesold.

Zudem ist nicht immer genügend Zeit für eine angemessene Einsatz- vorbereitung. „Manchmal muss es ganz schnell gehen, wie zum Bei- spiel beim Einsatz im Kongo“, sagt Reinhold Robbe.

Die Soldatenkontingente werden normalerweise begleitet von einem Truppenpsychologen und zwei Mi- litärseelsorgern. 185 Psychologen, 91 katholische Pfarrer und 102 evangelische Seelsorger stehen im Dienst der Bundeswehr. Im Kongo beispielsweise leisten nach Anga- ben von Biesold ein Psychologe und zwei Seelsorger für rund 780 Soldaten Hilfe. Bei größeren Einsätzen wie in Afghanistan, wo es Lazarette gibt, fliegen auch Trup- penpsychiater mit. Nach besonders belastenden, potenziell traumatisie- renden Ereignissen arbeitet die Bundeswehr mit ähnlichen Kon-

DER WEHRBEAUFTRAGTE

Das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wurde als Petitions- instanz geschaffen. Gemäß Artikel 45b Grundgesetz ist der Wehrbeauftragte – zurzeit Reinhold Robbe – ein Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr. Er wacht über die Einhaltung der

„Grundrechte der Soldaten“ und der „Grundsätze der inneren Führung“ der Streit- kräfte. Das Wehrbeauftragtengesetz legt fest, dass der Wehrbeauftragte auf Eingabe von Angehörigen der Bundeswehr oder auf eigene Initiative tätig wird und jährlich dem Bundestag einen schriftlichen Bericht über seine Arbeit abliefern muss.

Zu seinen Rechten gehört, dass er jede Bundeswehrdienststelle ohne Anmel- dung besuchen darf, Auskunft und Akteneinsicht fordern darf und dass er – außer gegenüber dem Bundestag und dem Verteidigungsausschuss – nicht weisungsgebunden ist. Jeder Soldat der Bundeswehr hat nach § 7 des Wehr- beauftragtengesetzes das Recht, „sich einzeln ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Wehrbeauftragten zu wenden. Wegen der Tatsache der Anrufung des Wehrbeauftragten darf er nicht dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden.“ Dazu kommen Eingaben aus allen Dienstgradgruppen.

Prävention ist kein 100-prozentiger Schutz.

Auf Terroranschläge ist niemand wirklich vorbereitet.

Oberstarzt Dr. med. Karl-Heinz Biesold, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

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zepten wie die Feuerwehr, Polizei oder die Hilfsorganisationen: Kri- seninterventionsteams werden ein- gesetzt, die mithilfe von Debrie- fing, einem strukturierten Ge- sprächsmodell, das Erlebte psy- chotraumatologisch nachbereiten.

Das nicht unumstrittene Verfahren sei zur Prävention von PTBS bei Soldaten sehr hilfreich, hat Psy- chiater Biesold festgestellt: „De- briefing ist sinnvoll bei Gruppen, die einen gemeinsamen Auftrag er- ledigt haben. Schwierig ist es bei inhomogenen Gruppen.“

Nach einem traumatischen Er- eignis können die Soldaten selbst entscheiden, ob sie sofort zurück nach Deutschland oder bei der Truppe bleiben wollen. Ein junger Soldat, der, nachdem er mitansehen musste, wie ein Kamerad von ei- nem Panzer zerquetscht wurde, akute Belastungsreaktionen auf- wies, wollte unbedingt bleiben, er- zählt Biesold: „Viele empfinden es als Strafe, nach Hause geschickt zu werden.“ Langfristig sei die Pro- gnose, keine PTBS zu entwickeln, sogar besser, wenn die Soldaten vor Ort blieben.

Zurück in Deutschland, werden die Soldaten zu obligatorischen Rückkehrerbefragungen durch den Truppenarzt geschickt, der sie auch auf die Möglichkeit von Spätfolgen hinweist. Stellt der Arzt Anzeichen einer beginnenden PTBS fest, wer- den die Betroffenen zu zwei- bis dreitägigen Einsatznachbereitungs- seminaren beordert. Behandelt wer-

den Soldaten mit PTBS von Fach- ärzten, Psychologen und Psycho- therapeuten an den Bundeswehr- krankenhäusern oder auch im zivi- len Gesundheitswesen. „Die Solda- ten gehen jedoch eher zu den Ärzten und Therapeuten der Bundeswehr“, berichtet Biesold, „weil diese die besondere Situation der Soldaten kennen.“

Stigmatisierung entgegenwirken

„Das Problem ist eher, dass die Soldaten sich nicht eingestehen wollen, dass sie krank sind“, betont Biesold. Ähnlich wie bei Rettungs- sanitätern, Feuerwehrleuten und Polizisten fällt es auch Soldaten schwer, Hilfe zuzulassen. Notwen- dig seien daher in jedem Fall mehr Aufklärung und Information über psychische Erkrankungen der Truppe im Allgemeinen – auch

„um der Stigmatisierung von Be- troffenen offensiv entgegenzuwir- ken“. Ein betroffener Soldat hat sich beispielsweise darüber be- klagt, dass Soldaten mit sichtba- ren körperlichen Schäden eher als behandlungsbedürftig wahrgenom- men und als reintegrierbar an- gesehen würden als solche mit psychischen Problemen, schreibt

der Wehrbeauftragte im Jahres- bericht 2005.

Robbe sieht eine künftig stärkere Konzentration der Wehrmedizin auf Posttraumatische Belastungsstörun- gen als notwendig an. Wichtig sei insbesondere, die Forschung auszu- bauen – in einem eigenen Institut.

Infrage käme beispielsweise das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, das einen Behandlungsschwerpunkt PTBS hat. Schon jetzt können For- schungsaufträge im Bereich Psy- chotraumatologie zwar an zivile In- stitute vergeben werden, doch ande- re NATO-Partner verfügen über ei- gene Forschungseinrichtungen, die Auslandseinsätze entsprechend eva- luieren können.

Bei der Prävention von Einsatz- traumatisierungen hat die Bundes- wehr schon einiges auf den Weg ge- bracht – das Problem ist erkannt.

Die Fraktion Die Linke im Bundes- tag, die mit einer „Kleinen Anfrage“

die Bundesregierung zu einer Stel- lungnahme zum Umgang mit psy- chischen Störungen bei Soldaten aufgefordert hatte, stellt allerdings eine Präventionsmaßnahme an die erste Stelle – den Verzicht auf den Einsatz der Bundeswehr in den

Krisengebieten. n

Petra Bühring

UMSTRUKTURIERUNG

Die medizinische Versorgung der Soldaten findet in Bun- deswehrkrankenhäusern und bald auch in Fachsanitäts- zentren statt. Bundeswehrkrankenhäuser dienen zudem der Fort- und Weiterbildung des Sanitätspersonals der Bundeswehr. Seit 1970 stehen sie auch zivilen Patienten offen. Zurzeit gibt es noch acht Bundeswehrkrankenhäu- ser in Berlin, Hamburg, Bad Zwischenahn, Koblenz, Ulm, Leipzig, Hamm und Amberg. Die letzten drei werden im Zuge der Umstrukturierung geschlossen. Bad Zwischen- ahn wird mit der Ammerlandklinik in Westerstede koope- rieren. Im Zuge der Umstrukturierung werden 18 Fachsa- nitätszentren – über ganz Deutschland verteilt – errichtet.

Dort sollen jeweils fünf bis sieben verschiedene Fachärzte sowie Pflegepersonal tätig sein.

Kabul am 14. No- vember 2005:Bei einem Selbstmord- attentat wird ein deutscher Soldat getötet.

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