der Medizinischen Hochschule Hannover Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Stefan Bleich
und
dem Asklepios Fachklinikum Teupitz,
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Chefarzt: Prof. Dr. med. Stefan Kropp
Veränderung des Zigarettenkonsums bei Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnheilkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover
vorgelegt von Richard Christian Schura
aus Groß Strehlitz Hannover 2014
Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover Präsident: Professor Dr. med. Christopher Baum
Betreuer: Prof. Dr. med. Stefan Kropp
Referent: Prof. Dr. med. Thomas Hillemacher Korreferent: PD Dr. med. dent. Constantin von See
Tag der mündlichen Prüfung: 09.02.2015 Prüfungsausschussmitglieder:
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Nils-Claudius Gellrich Prof. Dr. med. Peter Vogt
Prof. Dr. med. Joachim Krauss
Inhaltsverzeichnis
Seite1 Einleitung 1
1.1 Problematik und Fragestellung 1
2 Allgemeiner Teil, Literaturübersicht 3
2.1 Tabakrauchabhängigkeit 3
2.1.1 Ätiologie und Entwicklung 3
2.1.2 Epidemiologie 5
2.1.3 Klassifikation nach ICD-10-GM 6
2.2 Mechanismen der Tabakrauchabhängigkeit 7
2.2.1 Chemie des Tabakrauchs 7
2.2.2 Tabakzusatzstoffe 8
2.2.3 Neurophysiologische Faktoren 9
2.2.4 Psychologische Aspekte 10
2.3 Gesundheitsgefahren 11
2.4 Bundeswehr 13
2.4.1 Aufstellung und Entwicklung 13
2.4.2 Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr 14
2.4.3 Einsätze im Überblick 15
2.4.4 Stressoren im Einsatz 16
2.4.5 Einsatz-assoziierte Psychotraumata 17
2.4.6 Tabakrauchen als Komorbidität psychischer Störungen 19
2.4.7 Präventionskonzept der Bundeswehr 20
3 Material und Methode 23
3.1 Allgemeiner Studienaufbau 23
3.1.1 Studiendesign 23
3.1.2 Studienablauf 24
3.2 Auswahl der Testinstrumente 25 3.2.1 Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit (FTNA) 25
3.2.2 Auswertung des FTNA 26
3.2.3 Gesundheitsfragebogen (PHQ) 27
3.2.3.1 Screening für psychosoziale Belastungsfaktoren
(PHQ-Stressmodul) 27
3.2.3.2 Auswertung des PHQ-Stressmodul 28
3.2.3.3 Screening für Depressivität (PHQ-9) 28
3.2.3.4 Auswertung des PHQ-9 29
3.2.3.5 Screening für somatische Symptome (PHQ-15) 30
3.2.3.6 Auswertung des PHQ-15 31
3.2.4 Soziobiographische Daten 31
3.3 Probandenauswahl 32
3.4 Einschlusskriterien 32
3.5 Ausschlusskriterien 32
3.6 Abbruchkriterien 33
3.7 Datenauswertung und Statistik 33
4 Ergebnisse 34
4.1 Merkmale des gesamten Untersuchungskollektivs 34
4.1.1 Alter 34
4.1.2 Familienstand und Beziehungsstatus 35
4.1.3 Bildung 36
4.1.4 Dienstverhältnis 37
4.1.5 Verpflichtungsdauer bei Zeitsoldaten 38
4.1.6 Laufbahngruppen 39
4.1.7 Einsatzerfahrung 39
4.2 Querschnittsauswertung 40
4.2.1 Raucherquote 40
4.2.2 Zigarettenabhängigkeit 41
4.2.3 Einsatzerfahrung und Rauchverhalten 43
4.3 Analyse longitudinaler Daten 45
4.3.1 Drop-Out-Analyse 45
4.3.2 Veränderung der Tabakabhängigkeit 47
4.3.2.1 FTNA-Punktwert in der Untersuchungsgruppe 47 4.3.2.2 Graduierung der Abhängigkeit in der Untersuchungsgruppe 47
4.3.2.3 FTNA-Punktwert in der Kontrollgruppe 48
4.3.2.4 Graduierung der Abhängigkeit in der Kontrollgruppe 49
4.3.2.5 Graphische Darstellung der Ergebnisse 50
4.3.3 Psychosoziale Stressfaktoren 51
4.3.3.1 Stressmodul-Punktwert in der Untersuchungsgruppe 52 4.3.3.2 Graduierung der Belastungsfaktoren in der
Untersuchungsgruppe 52
4.3.3.3 Stressmodul-Punktwert in der Kontrollgruppe 52 4.3.3.4 Graduierung der Belastungsfaktoren in der Kontrollgruppe 53
4.3.3.5 Graphische Darstellung der Ergebnisse 54
4.3.4 Depressive Symptomatik 55
4.3.4.1 PHQ-9-Punktwert in der Untersuchungsgruppe 55 4.3.4.2 Graduierung der Depressivität in der Untersuchungsgruppe 56
4.3.4.3 PHQ-9-Punktwert in der Kontrollgruppe 56
4.3.4.4 Graduierung der Depressivität in der Kontrollgruppe 57
4.3.4.5 Graphische Darstellung der Ergebnisse 58
4.3.5 Somatoforme Symptomatik 59
4.3.5.1 PHQ-15-Punktwert in der Untersuchungsgruppe 59 4.3.5.2 Graduierung der somatoformen Symptomatik in der
Untersuchungsgruppe 59
4.3.5.3 PHQ-15-Punktwert in der Kontrollgruppe 60
4.3.5.4 Graduierung der somatoformen Symptomatik in der
Kontrollgruppe 61
4.3.5.5 Graphische Darstellung der Ergebnisse 62
5 Diskussion 63 5.1 Diskussion der Methodik und Limitation der Studie 63 5.2 Diskussion der Probandenauswahl und Untersuchung 65
5.3 Diskussion des Studiendesigns 67
5.4 Diskussion der Einschlusskriterien 68
5.5 Diskussion der Ausschlusskriterien 68
5.6 Diskussion der eigenen Ergebnisse 69
5.6.1 Soziodemographische Merkmale 69
5.6.2 Militärische Merkmale 69
5.6.3 Diskussion der Querschnittsdaten 70
5.6.3.1 Raucherquote und Grad der Zigarettenabhängigkeit 70 5.6.3.2 Einfluss vorhandener Einsatzerfahrung auf das Rauchen bei
Ersterhebung 71
5.6.4 Diskussion der Drop-Out-Rate 73
5.6.5 Diskussion der Längsschnittstudie 74
5.6.5.1 Änderungen beim Zigarettenkonsum 74
5.6.5.2 Einsatz-assozierte psychische Belastungen 76 5.7 Diskussion der eigenen Ergebnisse im Vergleich
zu den anderen Autoren 78
5.8 Schlussfolgerungen 80
6 Zusammenfassung 81
7 Literaturverzeichnis 82
8 Anhang 93
Genehmigung 93
Lebenslauf 94
Danksagung 96
Erklärung zur Dissertation 97
Tabellenverzeichnis Seite Tab. 2.1 Bedeutende Klassen chemischer Verbindungen
und Einzelsubstanzen im Tabakrauch 7
Tab. 2.2 Übersicht und Wirkung von legalen Zusatzstoffen
in Feinschnitt-Tabakprodukten 8
Tab. 2.3 Biochemische Wirkung des Nikotins 9
Tab. 2.4 Übersicht Tabakrauchsubstanzen 12
Tab. 2.5 Laufende militärische internationale Einsätze der Bundeswehr 16
Tab. 2.6 Schema Drei-Phasen-Modell 21
Tab. 2.7 Schema Drei-Ebenen-Modell 21
Tab. 3.1 Untersuchungsablauf 23
Tab. 4.1 Alter im Untersuchungskollektiv 34
Tab. 4.2 Familienstand des Untersuchungskollektivs 35 Tab. 4.3 Übersicht der erreichten höchsten Bildungsabschlüsse 36 Tab. 4.4 Darstellung der Dienstverhältnisse der Probanden 37 Tab. 4.5 Verpflichtungsdauer bei Zeitsoldaten in Jahren 38 Tab. 4.6 Raucherquote in der Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen 40
Tab. 4.7 Gesamtpunktzahl beim Fagerström-Test 41
Tab. 4.8 Graduierung der Zigarettenabhängigkeit im Gesamtkollektiv 42 Tab. 4.9 Graduierung der Zigarettenabhängigkeit in Bezug
auf die Einsatzerfahrung 44
Tab. 4.10 Entwicklung der kontinuierlichen Beteiligung an der Studie 45
Tab. 4.11 FTNA Punktwerte der Raucher in der UG 47
Tab. 4.12 Graduierung der Tabakrauchabhängigkeit in der UG 47
Tab. 4.13 FTNA Punktwerte der Raucher in der KG 48
Tab. 4.14 Graduierung der Tabakrauchabhängigkeit in der KG 49
Tab. 4.15 PHQ-Stressmodul Punktwerte für die UG 51
Tab. 4.16 Ausprägung der psychosozialen Stressfaktoren in der UG 52
Tab. 4.17 PHQ-Stressmodul Punktwerte für die KG 52
Tab. 4.18 Ausprägung der psychosozialen Stressfaktoren in der KG 53
Tab. 4.19 PHQ-9 Werte der Punkt für die UG 55
Tab. 4.20 Schweregrad der depressiven Symptome
bei Soldaten der UG 56
Tab. 4.21 PHQ-9 Punktwerte der KG 56
Tab. 4.22 Schweregrad der depressiven Symptome
bei Probanden in der KG 57
Tab. 4.23 PHQ-15 Punktwerte in der UG 59
Tab. 4.24 Schweregrad der somatischen Symptome in der UG 59
Tab. 4.25 PHQ-15 Punktwerte in der KG 60
Tab. 4.26 Ausprägung der somatischen Symptomstärke in der KG 61
Abbildungsverzeichnis Seite
Abb. 4.1 Altersverteilung im Untersuchungskollektiv 34 Abb. 4.2 Familienstand des Untersuchungskollektivs 35 Abb. 4.3 Die erreichten höchsten Bildungsabschlüsse im UK 36 Abb. 4.4 Darstellung der Dienstverhältnisse der Probanden 37 Abb. 4.5 Verteilung der Verpflichtungsdauer bei Zeitsoldaten 38 Abb. 4.6 Darstellung der Stärke der Laufbahngruppen 39 Abb. 4.7 Darstellung der Auslandseinsatzerfahrung 39 Abb. 4.8 Raucherquote im gesamten Untersuchungskollektiv 40 Abb. 4.9 Darstellung der Gesamtpunktezahl des
Fagerström-Tests im Kollektiv 41
Abb. 4.10 Graduierung der Tabakrauchabhängigkeit im Gesamtkollektiv 42 Abb. 4.11 Raucherquote in Bezug auf die Einsatzerfahrung 43 Abb. 4.12 Graduierung der Tabakrauchabhängigkeit in Bezug
auf die Einsatzerfahrung 44
Abb. 4.13 Entwicklung der kontinuierlichen Beteiligung an der Studie 45
Abb. 4.14 Mittelwerte der FTNA-Punktwerte 50
Abb. 4.15 Graduierung der Tabakrauchabhängigkeit 50 Abb. 4.16 Mit PHQ-Stressmodul erhobene Mittelwerte
der Skalensummen 54
Abb. 4.17 Graduierung der psychosozialen Stressfaktoren 54
Abb. 4.18 Mit PHQ-9 erhobene Mittelwerte der Skalensummen 58 Abb. 4.19 Graduierung der depressiven Symptomatik
im Untersuchungszeitraum 58
Abb. 4.20 Mittelwerte der mit PHQ-15 erhobenen Skalensummen 62 Abb. 4.21 Ausprägung der somatischen Symptomstärke 62
Abkürzungsverzeichnis
BMVg Bundesministerium der Verteidigung
BS Berufssoldat
BwK Bundeswehrkrankenhaus
DEGS1 Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.
DKFZ Deutsches Krebsforschungszentrum
EinsFüKdoBw Einsatzführungkommando der Bundeswehr FCTC Framework Convention on Tobacco Control FKPG Freundeskreis der Panzergrenadiertruppe e.V.
FüSan Führungstab des Sanitätsdienstes FTNA Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit FWDL Freiwillig Wehrdienstleistender
ICD-GM International Statistical Classification of Diseases and Health Problems – German Modifications
ISAF International Security Assistance Force
KFOR Kosovo Force
NATO North Atlantic Treaty Organization
KG Kontrollgruppe
PHQ Patient Health Questionnaire
PHQ-S Stressmodul
PHQ-9 Depressionsmodul
PHQ-15 Modul zur Diagnostik somatischer Symptome PzGrenBtl Panzergrenadierbataillon
RKI Robert Koch-Institut
SaZ Soldat auf Zeit
RQ Raucherquote
SFOR Stabilisation Force
T0 Erhebungszeitpunkt 1 Monat vor dem Einsatz T1 Erhebungszeitpunkt mitten im Einsatz
T2 Erhebungszeitpunkt nach Einsatzende
T3 Erhebungszeitpunkt 3 Monate nach Einsatzende
UG Untersuchungsgruppe
WHO World Health Organization
1 Einleitung
1.1 Problematik und Fragestellung
Die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland befinden sich im stetigen Prozess der Transformation. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird eine Vielzahl neuer Risiken und Bedrohungen verzeichnet, die regional und zeitlich differenziert, in unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlicher Kombination auftreten (BMVg, 2013a). Um dieser Entwicklung zu entsprechen und die sicherheitspolitischen Interessen sowie die wachsende internationale Verantwortung Deutschlands zu tragen, wird die Bundeswehr zunehmend als militärisches Instrument im Ausland eingesetzt. Verstärkt durch ihre derzeitige strukturelle und personelle Ausrichtung stellt die Teilnahme an mehrmonatigen Auslandseinsätzen in Konfliktgebieten eine besondere Stressbelastung für deutsche Soldaten dar (Kowalski et al., 2012).
Seit Beginn der Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Missionen auf dem Balkan (Stabilisation Force – SFOR, Kosovo Force – KFOR) und Afghanistan (International Security Assistance Force - ISAF) steigt die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten, die ein ambulantes oder stationäres psychiatrisches Behandlungsangebot aufgrund einsatzbedingter Störungen in Anspruch nehmen (Bandelow et al., 2011; Wittchen et al., 2012). Die in diesem Zeitraum erhobenen Erkrankungsstatistiken der Bundeswehr belegen diese Entwicklung (Zimmermann et al., 2009; Kowalski et al., 2012), weshalb auch das Thema Stress in den Fokus der wehrmedizinischen Forschung gerückt ist (Hauffa et al., 2007).
Das Bundesministerium der Verteidigung hat sowohl das derzeit gültige Rahmenkonzept zur Bewältigung psychischer Belastungen von Soldaten als auch das medizinisch-psychologisches Stresskonzept zuletzt im Jahr 2004 überarbeitet (BMVg, 2004). Die vielfältigen Betreuungsmaßnahmen basieren auf dem Drei-Phasen-Drei-Ebenen-Modell, wobei stets die Prävention in der Einsatzvorbereitung im Vordergrund steht (Maercker, 2009). Das Ziel ist, durch realitätsnahe Ausbildung die Stärkung der psychischen Stabilität und das Erlernen des Umgangs mit potentiell traumatisierenden Ereignissen und
Belastungen zu gewährleisten, um mögliche Folgen von Distress bei Soldaten vorzubeugen. Im Vorfeld der Einsatzvorbereitung wird die physische und psychische Einsatzeignungs- und Verwendungsfähigkeit durch den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr geprüft, doch werden legale stoffliche Abhängigkeiten bei Soldaten truppenärztlich nicht erfasst und bei der Begutachtung nicht berücksichtigt. Die Betrachtung der Korrelation zwischen militärischen Belastungsbedingungen und Sucht ist in der wehrmedizinischen Forschung der deutschen Streitkräfte bis heute unzureichend beleuchtet worden, wobei dieser Thematik immer noch eine außerordentlich hohe Relevanz zuzuschreiben ist.
Dies soll in dieser Abhandlung am Beispiel der sozial akzeptierten und weltweit am weitesten verbreiteten Suchterkrankung, der Nikotinabhängigkeit durch Zigarettenkonsum (Gellert et al., 2012), untersucht werden.
Ziel der vorliegenden Studie ist dementsprechend eine Untersuchung dahingehend, wie sich die Teilnahme der Bundeswehrsoldaten am Auslandseinsatz in Konflikt- und Kriegsgebieten auf den Tabakrauchkonsum auswirkt. Hierfür wurden in einer prospektiven und multizentrischen Kohortenstudie deutsche Panzergrenadiere untersucht. Die Untersuchungsgruppe, die im Verlauf der Studie einen sechsmonatigen Kampfeinsatz in Afghanistan/Kunduz durchgeführte, wurde mittels standardisierter psychometrischer Testverfahren in vier Erhebungszeitpunkten analysiert. Probanden der Kontrollgruppe, deren Daten zeitgleich mit den gleichen Instrumenten erhoben wurden, gehörten der gleichen Truppengattung, jedoch einem anderen Verband an und nahmen in dem gesamten Untersuchungszeitraum an keinem Auslandseinsatz teil.
Die gewonnen Erkenntnisse können gegebenenfalls in die zukünftige Weiterentwicklung der Präventivmaßnahmen, Behandlungskonzepte sowie Anpassung der Begutachtung in der deutschen Truppenversorgung einfließen.
2 Allgemeiner Teil, Grundlagen
2.1 Tabakrauchabhängigkeit 2.1.1 Ätiologie und Entwicklung
Die Anfänge des weltweit verbreiteten Zigarettenkonsums sowie der damit verbundenen Nikotinabhängigkeit gründen in der Tabakkultur der amerikanischen Ureinwohner, die nach kulturhistorischen Erkenntnissen bereits im ersten Jahrtausend vor Christus vor allem bei rituellen Handlungen den Rauch getrockneter Tabakblätter inhaliert haben (Kappeler, 1991). Mit der Entdeckung des Kontinents durch Christoph Kolumbus 1492 sowie darauffolgend durch die Erforschung der Kulturen indigener amerikanischer Zivilisationen wurden die Europäer erstmalig auf die psychotrope Wirkung dieser Pflanze aufmerksam (Meyer et al., 1999). Der Tabak wurde je nach Einsatz präpariert, der Konsum erfolgte wahlweise durch Inhalation, durch eine nasale Einlage oder oral als Kaumasse sowie als topischer epidermaler Blattverband. Er wurde auch als Extrakt getrunken oder rektal verabreicht (Stewart, 1967).
Angehörige des Spanischen Kolonialreichs berichteten dies frühzeitig und brachten nun auch Tabaksamen auf die iberische Halbinsel (Kolte, 2006).
Botaniker kultivierten dort jene als Heil- und Zierpflanzen, dem Tabak wurde aber zunächst nur eine marginale Beachtung geschenkt (Brookes, 1952). 1560 überführte der französische Diplomat Jean Nicot dieses Nachtschattengewächs von Portugal nach Frankreich und verhalf der vermeintlich multipotenten Arzneimittelpflanze durch energisches Werben zur fortschreitenden gesellschaftlichen Akzeptanz sowie wachsender Popularität in der experimentell präventiven und kurativen medizinischen Anwendung (Corti, 1986a). Dies war der Grund, weshalb sie später von der Wissenschaft als herba nicotiana tabacum bezeichnet und das in ihr entdeckte psychoaktive Alkaloid als Nikotin benannt wurde (Anderson, 2009). Der Name Tabak wurde von dem antillischen Wort „tabaco“ oder „tavaco“ abgeleitet, welches ursprünglich das von den Ureinwohnern zum Rauchen benutzte Rohr bezeichnete. Die Europäer übertrugen später diesen Namen auf die damit
konsumierten getrockneten Blätter einer ihnen zunächst unbekannten Pflanze (Meyer et al., 1999).
Im Verlauf der folgenden zweihundertfünfzig Jahre fand eine nahezu globale Verbreitung der Anbaugebiete sowie des Verbrauchs von Tabakwaren statt.
Nicht unerhebliche Triebkräfte hierfür waren die weitreichende Hegemonie sowie militärischen Konflikte europäischer Mächte (Corti, 1986b). Begleitend manifestierte sich allmählich ein Wandlungsprozess beim Verwendungszweck der Tabakpflanze, ausgehend von reinem Panazee der Oberschicht hin zum Genuss- und Suchtmittel für die breite Masse (Enke, 1998). Die historische Tabakpolitik war länderübergreifend dabei stets ambivalent. Es wurden sowohl staatliche Monopole für Anbau und Vertrieb geschaffen als auch wahlweise Prohibitionen für den Tabakgebrauch erlassen; verbunden mit drastischen Strafen bis hin zu Todesurteilen (Corti, 1986a). Dabei spielte die Gesundheitspolitik weniger eine Rolle, vielmehr waren im 16. bis 17.
Jahrhundert religiöse Gründe und vor allem mit Hinblick auf den Rauchkonsum der Feuerschutz ausschlaggebend, doch konnten Verbote die Popularität des Tabaks nicht nennenswert eindämmen (Hess, 2004).
Mit der fortschreitenden technischen und ökonomischen Entwicklung stieg auch die Nachfrage nach der populären „Volksdroge“ Nikotin. Hersteller und Vertreiber von Tabak konnten ihre gesellschaftliche und ökonomische Präsenz konsolidieren und die wirtschaftlichen Interessen machtpolitisch schützen (Partoll, 2003). Die Inhaber der Staatsgewalt entschlossen sich deshalb, zunehmend den Tabakhandel sowie Konsum vollständig zu legalisieren, die ehemals als Heil- und Suchtmittel bekannten nikotinhaltigen Produkte in Genussmittel umzudeklarieren und mittels Tabaksteuer am wirtschaftlichen Erfolg finanziell zu partizipieren (Wagner, 2012).
Im Zuge der Industrialisierung wurde das Rauchen von Feinschnitt-Tabak in Form der Zigarette bis in die Gegenwart sowohl in Deutschland als auch weltweit die mit Abstand beliebteste Konsumart der herba nicotiana (Dieterich, 1998).
2.1.2 Epidemiologie
Das Tabakrauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit (DKFZ, 2009; WHO FCTC, 2013). Die dadurch verursachten zahlreichen Erkrankungen sind jährlich global für den Tod von über sechs Millionen Menschen verantwortlich. Der Konsum tötet statistisch beinahe jeden zweiten Abhängigen, die Hälfte dieser vorzeitigen Todesfälle tritt bereits im mittleren Lebensalter ein (WHO FCTC, 2013).
Die Datenerhebungen des Robert Koch-Instituts für das Jahr 2012 ergänzen den Mikrozensus 2009 des Bundesamtes für Statistik und stellen repräsentative Werte für Deutschland dar. Demnach sterben jährlich im Durchschnitt 850.000 Menschen in der Bundesrepublik, davon bis zu 110.000 an den Folgen des Tabakkonsums. 29,7 Prozent aller 18- bis 79-jährigen rauchen regelmäßig Zigaretten, Frauen mit 26,9 Prozent weniger häufig als Männer, deren Anteil bei 32,6 Prozent liegt (Lampert et al., 2013).
Insbesondere in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen Männer ist die Raucherquote mit 47 Prozent signifikant am höchsten.
Die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) des RKI zeigt weitere einschlägige Ergebnisse. Betrachtet und wertet man den Tabakrauchkonsum in Deutschland insgesamt gemäß der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation aus, so sind etwa 25 Prozent der Konsumenten mit täglich 20 Zigaretten und mehr starke Raucher. „Bezogen auf die Gesamtbevölkerung im Alter von 18 bis 79 Jahren kann die Prävalenz des starken Rauchens mit 8,3% beziffert werden, wobei der Wert für Frauen mit 6,0% unter dem Vergleichswert für Männer mit 10,6% liegt. Darüber hinaus sind Unterschiede im Rauchverhalten nach dem sozialen Status festzustellen.
Frauen und Männer mit niedrigem Sozialstatus rauchen etwa zweimal häufiger als Frauen und Männer mit hohem Sozialstatus. Noch deutlicher fallen die statusspezifischen Unterschiede in Bezug auf das starke Rauchen aus, und zwar insbesondere bei Männern“ (Lampert et al., 2013).
Aktuelle wissenschaftlich Erkenntnisse bezüglich Zigarettenkonsum bei Soldaten sowie Interaktionen zwischen Raucherverhalten und militärischen Einsatzbelastungen sind national (Trautmann et al., 2014) und international (Smith et al., 2008; Hooper et al., 2008; Granda-Orive et al., 2011; De Silva et al., 2012) in der Literatur belegt, doch sind die Ergebnisse ambivalent (siehe Kapitel 5.8).
2.1.3 Klassifikation nach ICD-10-GM
Rund 56% aller regelmäßigen Raucher werden als tabakabhängige Konsumenten betrachtet (Hoch et al., 2004). Das zwanghafte Rauchen von Tabakerzeugnissen wird im Klassifikationssystem ICD-GM (International Statistical Classification of Diseases and Health Problems – German Modifications) in der zehnten Revision 2014 der WHO (World Health Organization) als psychische Verhaltensstörung durch Tabak (F17.-) formuliert.
Für die Erstellung der Diagnose „Abhängigkeitssyndrom“ (ICD F17.2) sind die folgenden Kriterien definiert:
„Eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise besteht ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen.
Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben. Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom“ (Graubner, 2013).
„Bei bestehender Tabakabhängigkeit handelt es sich beim Entzugssyndrom (F17.3) um eine Gruppe von Symptomen unterschiedlicher Zusammensetzung und Schwere nach absolutem oder relativem Entzug der psychotropen Substanz, die anhaltend konsumiert worden ist. Beginn und Verlauf des Entzugssyndroms sind zeitlich begrenzt und abhängig von der Substanzart und der Dosis, die unmittelbar vor der Beendigung oder Reduktion des Konsums verwendet worden ist“ (Graubner, 2013).
2.2 Mechanismen der Tabakrauchabhängigkeit 2.2.1 Chemie des Tabakrauchs
Der Tabakrauch der Zigarette ist ein Aerosol mit Partikel- und Gasphase und wird in 2 Arten differenziert:
• Hauptstromrauch, entsteht beim Zug in der Glut- und Destillationszone bei Temperaturen bis 950ºC. Er wird durch den noch nicht verbrannten Tabak und das (Filter-)Mundstück hindurchgezogen und in die Mundhöhle, den Nasenrachenraum und bei inhalierendem Rauchen auch in die Lungenalveolen aufgenommen (DHS, 2003). Das Gasgemisch besteht hauptsächlich aus Kohlenmonoxid, Cyanwasserstoff, Benzol und beinhaltet mit der Partikelphase rund 9600 unterschiedliche chemische Verbindungen (Rodgman et al., 2013).
• Nebenstromrauch, entsteht bei etwa 500ºC zwischen den Zügen und wenn die glimmende Zigarette abgelegt wird. Die Partikel des Nebenstromrauchs sind kleiner, dringen leichter in die entferntesten Lungenalveolen ein und bleiben dort haften. Der Nebenstromrauch enthält zweieinhalbmal soviel Kohlenmonoxid wie der Hauptstromrauch und ist schadstoffreicher (DHS, 2003).
Klasse der
chemischen Verbindung
Einzel- substanzen
Klasse der
chemischen Verbindung
Einzel- substanzen
Amide, Imide, Lactame 240 Amine 200
Carbonsäuren, Anhydride 240 N-Nitrosamine 22
Lactone 150 N-Heterozyklen 920
Ester 475 Kohlenwasserstoffe 755
Aldehyde 110 Nitrile 105
Ketone 520 Saccharide 45
Alkohole 380 Ether 310
Phenole 285
Tab. 2.1: Bedeutende Klassen chemischer Verbindungen und Anzahl der Einzelsubstanzen im Tabakrauch (modifiziert nach: DKFZ Tabakatlas, 2009)
2.2.2 Tabakzusatzstoffe
Die Tabakhersteller fügen ihren Tabakprodukten zahlreiche Substanzen zu.
Damit wird die Zusammensetzung des Rauchs verändert, um den Zigaretten ein unverwechselbares Aroma zu geben, das Abbrennen zu steuern, Tabak feucht zu halten und das Austrocknen zu verhindern (Europäische Kommission, 2010).
Die Zusatzstoffe erhöhen zusätzlich die Abhängigkeit der Verbraucher, denn es werden negative Wirkungen bei der Inhalation von Tabakrauch unterdrückt sowie der regelmäßige Gebrauch gefördert (Baker et al., 2004).
Zusatzstoff Gesamtgewicht
des Tabaks Verwendung Tabakindustrie
Ammoniumverbindungen 0,3% Aromat, Abbrandgeschwindigkeit wird gesteuert
Dörrpflaumensaftkonzentrat 0,5% Aromat, Rauch wird weicher, überdeckt Bitterstoffe
Glyzerin 1,0-4,5% Austrocknungsschutz
Guarkernmehl 0,6-1,8% Aromat, Bindung des Tabaks wird stabilisiert Johannisbrot 0,2% Aromat, verringert reizende Wirkung des
Tabakrauchs
Kakao 0,3% Nikotinresorption in der Lunge wird verbessert Lakritz bis zu 4% Aromat, Schutz vor Austrocknung, harmonisiert
den Gesamtgeschmack, ermöglicht tiefere Inhalation
Menthol 0,01-2% Aromat, Betäubt den Rachen, erleichtert die Rauchinhalation
Propylenglykol 2,4% wasserbindende Substanz
Sorbit 0,3% verbessert Abbrand
Vanillin 0,05% Aromat
Zellulose 5-12% Bindemittel, Füllstoff, Rauchbildung wird gesteuert
Glucose 1,3-3,9% Aromat, Strukturverbesserung
Tab. 2.2: Übersicht und Wirkung von legalen Zusatzstoffen in Feinschnitt-Tabakprodukten (modifiziert nach: Europäische Kommission, 2010; DKFZ 2013)
2.2.3 Neurophysiologische Faktoren
Für die Entstehung der körperlichen Abhängigkeit beim Konsum von Zigaretten ist im Wesentlichen das Nikotin verantwortlich (Uchtenhagen et al., 2000). Der Effekt auf den Konsumenten ist bivalent, abhängig von Nikotindosis und Situation wirkt es als Antriebssteigerung (niedrigere) oder Sedierung (höhere).
Die Dosis wird über die Tiefe der Inhalation sowie Frequenz gesteuert. Das psychotrope Alkaloid wird als Gas beim Rauchen zum größten Teil durch die Lunge resorbiert, gelangt über die Blutbahn ins zentrale Nervensystem und bindet sich in kürzester Zeit an die nikotinergen Rezeptoren, wobei auch unterschiedliche Hormone und Neurotransmitter ausgeschüttet werden.
Neurotransmitter Wirkung
Dopamin Positive Befriedung und Lustempfinden
Noradrenalin Aktivitäts- und Konzentrationsförderung, Vigilanz Beta-Endorphin Stress- und Schmerzminderung
Acetylcholin Wahrnehmungssteigerung Vasopressin Gedächtnissteigerung
Serotonin Appetithemmung, Angstlösung, Beruhigung, Stimmungsaufhellung Serotonin (Überdosis) Nervosität, Schwindel, Schlaflosigkeit, Übelkeit
Tab. 2.3: Biochemische Wirkung des Nikotins modifiziert nach Balfour (1994) und Griesar et al. (2002)
Von den aufgeführten Transmittern ist es vor allem das Dopamin, das den größten Anteil bei der positiven Verstärkerwirkung des Nikotins hat (Watkins et al., 2000). Es stimuliert über dopaminerge Neuronen im Mittelhirn das Belohnungszentrum des Mesolimbischen Systems im Nucleus accumbens. Die Affinität des Nikotins an niktoinergen alpha4beta2-Acetylcholinrezeptoren ist prä- und postsynaptisch und führt zu einer generellen Aktivierung der Erregbarkeit sowie Adaption in den Neuronen (Batra, 2011). Durch das chronische Zigarettenrauchen steigt die Desensibilisierung dieser Rezeptoren und führt zu einer erhöhten Ausprägung ihrer Dichte (McGehee et al., 1995).
Der wiederholte Nikotinkonsum hat auch Einfluss auf die Transmission von Dopamin und Serotonin durch eine Reduktion der Aktivität der Cholinacetyltransferase (Trauth et al., 2000).
2.2.4 Psychologische Aspekte
Das Tabakrauchen ist ein erlerntes Verhalten. Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Abhängigkeit spielen klassische Lernmechanismen.
Eine der Grundlagen stellt die klassische Konditionierung dar, die im Jahre 1918 vom russischen Physiologen Iwan Pawlow entdeckt und beschrieben wurde (Hand, 1972). Im Falle des Rauchers wird ein Verhalten (Verlangen nach/und Konsum der Zigarette) durch einen Reiz ausgelöst. Dieser Stimulus steht zunächst vor der erworbenen Verknüpfung dem auslösenden Verhalten neutral gegenüber. Durch häufiges Wiederholen der Abfolge einer Reiz- Verhalten-Reaktion konditioniert und manifestiert sich diese Assoziation. Der auslösende Reiz ist sehr individuell, z.B. Emotion (z.B. Panik, Angst), Situation (Stress, Autofahrt, soziale Interaktion), der Anblick eines Objekts (z.B.
Zigarettenschachtel, Feuerzeug) oder Konsum (z.B. Kaffee, Alkohol). Die operante Konditionierung ergänzt dieses Lernprinzip. Denn folgt auf eine spezifische Aktion ein angenehmer Effekt, so wird dieses Verhalten in Zukunft häufiger gezeigt oder das Verhalten wird seltener auftreten, wenn negative Konsequenzen die Folge gewesen sind.
Auch das soziale Umfeld einer Person übt Einfluss auf ihr Verhalten aus, von dieser Interaktion leitet sich die Theorie des Modelllernens ab. Diese Lerntheorie beschreibt den kognitiven Lernprozess, der vorliegt, wenn ein Individuum (Beobachter) als Folge der Beobachtung des Verhaltens anderer Individuen (Modell) sowie der darauffolgenden Konsequenzen sich neue Verhaltensweisen aneignet oder schon bestehende Verhaltensmuster weitgehend verändert (Bandura, 1963). Eron (1987) fügte der Theorie Bedingungen hinzu, die besagen, dass zwischen Modell und Beobachter eine Ähnlichkeit sowie emotionale Beziehung zu bestehen und die soziale Macht und Status des Modells höher als die des Beobachters zu sein haben. Auch eine stellvertretende Verstärkung beim Modell muss bestehen; sieht also das beobachtende Individuum eine Konsequenz bei anderen Individuen, so wirkt sich das auf das Verhalten des Beobachters aus.
Im 1. Jahrhundert nach Christus schrieb der antike Philosoph Epiktet: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Vorstellung von den Dingen“ (Metzler, 1984). Kognitive Aspekte sind Bindeglieder zwischen den Lernprozessen. Die Wahrnehmung, Erwartung und Wertung des Individuums einer Situation hat einen bestimmenden Einfluss, ob beim Stimulus auch ein Handeln ausgelöst wird und sich eine Ausbildung von Verhaltensmustern entwickelt. So werden die negativen Attribute und Folgen des Zigarettenrauchens (z.B. Abhängigkeit, Morbidität, Kosten) zugunsten positiver Konsequenzen (z.B. Selbstsicherheit, Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Gewichtsabnahme) ausgeblendet. Ist die Sicht der Realität verzerrt, entstehen fehlerhafte Wahrnehmungen und Interpretationen, die für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen verantwortlich sein können (Beck, 1975).
2.3 Gesundheitsgefahren
Die vom Tabakrauchkonsum ausgehenden Folgen und Zusammenhänge für die Gesundheit sind in der Literatur inzwischen weitreichend beschrieben. Die detaillierte Darstellung soll nicht Bestandteil dieser Arbeit sein, weshalb nur ein Überblick über die Risiken und Gefahren gegeben wird.
Obwohl das Nikotin für die Entstehung der Abhängigkeit verantwortlich ist, sind es vor allem viele der weiteren Bestandteile und Zusatzstoffe im Tabak, die für die Komorbiditäten verantwortlich gemacht werden. Das Kohlenmonoxid schädigt die Gefäße und leistet dadurch Durchblutungsstörungen und Arteriosklerose Vorschub, während die Kondensatbestandteile vor allem bei der Entstehung von Krebserkrankungen eine Rolle spielen (Lampert, 2011). Die häufigsten Erkrankungen des Rauchens mit Todesfolge sind kardiovaskuläre Erkrankungen, chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen und Bronchialkarzinome (Ezzati et al., 2003).
Ferner wird die Regenerationsfähigkeit des Gewebes und das Immunsystem im Körper negativ beeinflusst, weshalb es nach Verletzungen oder operativen Eingriffen häufiger zu Störungen der Wundheilung kommen kann sowie ein
allgemein erhöhtes Risiko durch Infektionskrankheiten vorliegt (Nagachinta et al. 1987; Silverstein, 1992). Darüber hinaus schädigt das Rauchen die Augen, den Zahnhalteapparat und schränkt die Fruchtbarkeit ein (Huizink et al., 2006).
Ausgewählte gesundheitsgefährdende Substanzen im Tabakrauch:
Substanz Wirkung im Körper Sonstige Verwendung und Vorkommen
Acetaldehyd Karzinogen, reizt Augen und Atemtrakt Zwischenprodukt organischer Synthesen
Acrylnitril Karzinogen, Schwindel, Übelkeit, reizt Schleimhäute
Produktion von Acrylfasern und Plastik
Ammoniak Reizt Augen und Atemwege Putzmittel, Düngemittel Aromatische
Amine
Karzinogen, giftig Ausgangsprodukt bei Herstellung von Kunst+Farbstoffen
Arsen Karzinogen, Schleimhautreizung, giftig Rattengift
Benzol Karzinogen Antiklopfmittel im Benzin
Blausäure Schwindel und Erbrechen Pestizid Blei Karzinogen, Schäden am ZNS und an
den roten Blutkörperchen
Batterien
1,3-Butadien Karzinogen, reizt Augen und Atemwege Grundstoff für Autoreifen Cadmium Karzinogen, schädigt ZNS und PNS Batterien
Formaldehyd Karzinogen, reizt Augen und Atemwege Konservierungs- und Desinfektionsmittel Hydrazin Karzinogen, zytotoxisch Raketentreibstoff P-Hydrochinon Karzinogen, schädigt Bindehaut und
Hornhaut des Auges
Entwickler in der Fotografie Kohlenmonoxid Blockiert den Sauerstofftransport im Blut
und schädigt Blutgefäße
Autoabgase
Nickel Karzinogen, reizt Atemwege, giftig Batterien und Metalllegierungen
N-Nitrosamine Karzinogen Motoröle und Gummi
Phenol Karzinogen, giftig, reizt Auge und Schleimhäute
Herbizid und Pestizid Polonium-210 Karzinogen, stark radiotoxisch Alpha-Strahler
Nitromethan Karzinogen Treibstoff für Rennmotoren
Naphthalin Karzinogen Mottenkugeln und
Verbrennungsabgase
Styrol Karzinogen, Störung des ZNS Herstellung von Kunststoffen und Harzen
Toluol reizt Atemtrakt und Augen, Schlafstörung
Zusatz in Benzin, Lösungsmittel
Tab. 2.4: Übersicht Tabakrauchsubstanzen modifiziert nach DKFZ, (2009)
2.4 Bundeswehr
2.4.1 Aufstellung und Entwicklung
Gemäß den BMVg (2013b) stellen die historischen Wegmarken 1949, 1989 und 1994 eine außerordentlich hohe Bedeutung in der Geschichte der Bundeswehr dar:
1949 wurde mit der Verabschiedung des Grundgesetzes aus den westdeutschen Besatzungszonen der Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung, insbesondere nach dem Zusammenbruch des Landes am Ende des Zweiten Weltkrieges, sowie im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges wurden die Grundlagen für den Aufbau demokratischer Strukturen geschaffen. Auf dem Weg zur Integration in die westliche Staaten- und Sicherheitsgemeinschaft und der sequentiellen Wiedererlangung ihrer staatlichen Souveränität wurde die Bundesrepublik im Jahr 1955 Mitglied der NATO (North Atlantic Treaty Organization). Dem folgte die militärische Wiederbewaffnung und der Aufbau westdeutscher Streitkräfte. Als Leitbild der neuen parlamentarischen Armee wurde das Selbstverständnis der Soldaten als Staatsbürger in Uniform und das den Wesenskern der Bundeswehr definierende Konzept der Inneren Führung. Auftrag und Ausrichtung war primär die Territorialverteidigung mit Fokus auf die Bedrohungslage durch Staaten des Ostblocks, insbesondere der Sowjetunion. Die Doktrin zur Sicherung des Friedens war die „Massive Vergeltung“ im Rahmen der Bündnisverteidigung der NATO.
1989 markierte der Fall der Berliner Mauer den Beginn der friedlichen Revolution in den kommunistischen Staaten des Warschauer Pakts und leitete das Ende des Kalten Krieges ein. Die folgende Wiedervereinigung Deutschlands durch den Beitritt der Landesteile der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 veränderte das sicherheitspolitische Umfeld grundlegend. Im Vereinigungsprozess wurden auch die ehemaligen Angehörigen, Liegenschaften und Materialien der aufgelösten Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr integriert und wirkten
als gesellschaftspolitisches Beispiel zur weiteren Verwirklichung und Vollendung der deutschen Einheiten. Die militärischen Rahmenbedingungen und die sicherheitspolitische Situation für Deutschland haben sich in den folgenden Jahren grundlegend verändert. Die Bedrohungen zeichnen sich nach Ende der bipolaren Weltordnung bis heute durch eine ausgeprägte Unberechenbarkeit, Asymmetrie sowie fortschreitende Bedeutungslosigkeit von nationalstaatlichen Grenzen und geografischen Distanzen aus.
1994 legte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil die Basis zum Beschluss des Deutschen Bundestages für den bewaffneten Einsatz seiner Streitkräfte im Ausland. Mit dieser ersten parlamentarischen Mandatierung (Embargo der Vereinten Nationen gegen Jugoslawien und Überwachung des Flugverbots über Bosnien und Herzegowina) eines Kampfeinsatzes im Krisen- und Konfliktgebiet wurde eine bis heute bestehende grundlegende Veränderung der Bundeswehr hin zur einer „Armee im Einsatz“ markiert.
Infolge der Anschläge 2001, der erstmaligen Auslösung des Bündnisfalls der NATO sowie der globalen asymmetrischen Konfliktentwicklung insbesondere durch den internationalen Terrorismus veränderte sich das Einsatzspektrum sowie Anforderungsprofil der deutschen Streitkräfte signifikant.
2.4.2 Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr
Das Aufgabenspektrum sowie die verteidigungspolitischen Vorgaben der Bundeswehr werden wie folgt verbindlich definiert (BMVg, 2013a):
Auftrag:
• Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger
• Sicherung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands
• Beitrag zur Verteidigung der Verbündeten
• Beitragsleistung zur Stabilität und Partnerschaft im internationalen Rahmen
• Förderung der multinationalen Zusammenarbeit und europäischen Integration
Aufgaben:
• Landes- als Bündnisverteidigung im Rahmen der Nordatlantischen Allianz
• Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus
• Beteiligung an militärischen Aufgaben im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU
• Beiträge zum Heimatschutz umfassen Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Hilfeleistungen bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand
• Rettung und Evakuierung sowie Geiselbefreiung im Ausland
• Partnerschaft und Kooperation als Teil einer multinationalen Integration und globalen Sicherheitszusammenarbeit im Verständnis moderner
• Verteidigungsdiplomatie
• Humanitäre Hilfe im Ausland
2.4.3 Einsätze im Überblick
Die Bundeswehr verzeichnet seit 1960 über hundertdreißig internationale humanitäre Hilfseinsätze. Seit 1990 ist die außenpolitische Verantwortung der Bundesrepublik gewachsen, weshalb das militärische Engagement vielfältiger und differenzierter geworden ist. Deutschland beteiligt sich in Kooperation mit Verbündeten und Partnern an internationalen bewaffneten Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Derzeit befinden sich rund sechs tausend deutsche Soldatinnen und Soldaten im aktiven Auslandseinsatz; in den vergangenen Jahren waren es insgesamt mehr als 346.000 (BMVg, 2014).
Ferner ist in der Zielsetzung zur Neuausrichtung der Bundeswehr die Einsatzorientierung sowie die Fähigkeit definiert, zukünftig zeitgleich rund zehntausend Soldaten und Soldatinnen durchhaltefähig für militärische Auslandseinsätze vorzuhalten (BMVg, 2013a).
Einsatz Bezeichnung Einsatzgebiet Erstes Mandat
Mandats- obergrenze
ISAF International Security Assistance Force
Afghanistan,
Usbekistan 22.12.01 4.400
KFOR Kosovo Force Kosovo 12.06.99 1.850
ACTIVE
FENCE Operation Active Fence Türkei 14.12.12 400
UNMISS United Nations Mission in South
Sudan Südsudan 08.07.11 50
UNAMID United Nations / African Union
Mission in Darfur Sudan 15.11.07 50
OAE Operation ACTIVE
ENDEAVOUR Mittelmeer 16.11.01 700
UNIFIL United Nations Interim Force in
Lebanon Libanon 20.09.06 300
EUTM Mali
European Union Training
Mission in Mali Mali 28.02.13 180
MINUSMA
United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali
Senegal, Mali 28.02.13 150 EU
NAVFOR Atalanta
European Union Naval Force – Operation Atalanta
Horn von Afrika und angrenzende Seegebiete
19.12.08 1.400
Tab. 2.5: Laufende militärische internationale Einsätze der Bundeswehr (modifiziert nach: BMVg, 2014)
2.4.4 Stressoren im Einsatz
Im Rahmen der Ausübung ihres Dienstes, insbesondere in Auslandseinsätzen mit eskalierender Bedrohungslage, begegnen Soldaten besonderen Anforderungen und durchleben außergewöhnliche Situationen. „Beim Erleben kurzfristiger oder länger dauernder Extremsituationen wird die Fähigkeit zur Verarbeitung der Belastungen oft überfordert. Intensive, überwältigende und desorganisierende Erfahrungen zerstören Orientierungen und Halt gebende Selbst- und Weltbilder. Oft besteht die Belastung im Gefühl totaler Hilflosigkeit gegenüber den Verhältnissen im Einsatzland“ (Biesold, 2009).
Als spezifische einsatzbezogene Stressoren definierten Hoge et al. (2004) die Teilnahmen an Kampfhandlungen, das erlebte Ausmaß persönlicher Bedrohung sowie die Nachwirkungen von Gefechten und Exposition mit Gräueltaten.
Daneben wirken zugleich permanente psychische Belastungsfaktoren wie chronische Überforderung oder Unterforderung im Dienst, Trennung vom gewohnten sozialen Umfeld, fehlende Rückzugsmöglichkeit sowie Probleme mit Vorgesetzten und Kameraden (Hauffa et al., 2007).
Die individuelle Stressresistenz ist erheblich abhängig von den zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen. Diese stellen sich überwiegend in Form von sozialen Ressourcen dar (Waller, 2006). „Die Wahrscheinlichkeit, den traumatischen Stress nicht verarbeiten zu können, ist erhöht, wenn der Betroffene bereits vor dem kritischen Ereignis psychisch vulnerabel war“
(Ungerer et al., 2012).
Individuelle Risikofaktoren (nach Siol et al., 2004):
• Jugendliches oder hohes Lebensalter
• Zugehörigkeit zu einer sozialen Randgruppe
• Niedriger sozioökonomischer Status
• Mangelnde soziale Unterstützung
• Psychische oder physische Vorerkrankungen
• Familiäre Vorbelastung mit traumatischen Erfahrungen
2.4.5 Einsatz-assoziierte Psychotraumata
„Mit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wuchs das Interesse an diesem Themengebiet auch im deutschsprachigen Raum“ (Ungerer et al., 2012). Doch ist diese Thematik gänzlich nicht neu, bereits in der Antike wurde sie in Homers Kriegsepos „Ilias“
dargestellt (Shay, 1991).
Erste wissenschaftliche Aussagen und Beobachtungen der Neuzeit bezüglich Kriegsneurosen wurden im napoleonischen Zeitalter beschrieben, zunehmend nach dem deutsch-dänischen Krieg 1864 und dem deutsch-französischen Krieg
1870/1871 (Jones et al., 1995). Im Ersten und Zweiten Weltkrieg war die Zahl der an psychischen Störungen leidenden deutschen Frontsoldaten sehr hoch, wobei ein Wandel der Symptombilder im Vergleich beider Kriege festgestellt wurde (Zimmermann et al., 2004). Im Ersten Weltkrieg repräsentierte der Begriff des Kriegszitterers im Volksmund die dominant manifestierten Symptome der Erkrankten. Die „Kriegsneurosen“ wurden bei der Diagnostik vorwiegend den dissoziativen Störungen zugeordnet (Meyer et al., 1961).
Dagegen haben die Militärpsychiater im Zweiten Weltkrieg bei der Diagnose der traumatisierten Soldaten (damals weithin plakativ als „Magenkranke“
bezeichnet) vor allem psychosomatische und somatoforme Störungen, vorherrschend in Form der allgemeinen Körperschwäche sowie anhand von Beschwerden im gastrointestinalen Bereich, registriert (Bonhoeffer, 1947).
„Die psychogenen Symptome der Weltkriege und ihr Wandel können als das Produkt eines multifaktoriellen Geschehens betrachtet werden, das sich aus pathogenetischen und protektiven Faktoren im Prozess der Traumaadaptation zusammensetzt. In den verschiedenen Kriegsphasen und Szenarien scheinen sich immer wieder spezifische Konstellationen aus diesen traumatologischen Wirkfaktoren eingestellt zu haben, die in dem epidemischen Auftreten von psychischen Erkrankungen zum Ausdruck kamen“ (Zimmermann et al., 2004).
Daten einer aktuellen Studie belegen auch für die mandatierten Bundeswehreinsätze in Krisen- und Konfliktgebieten eine Korrelation zwischen militärischen Extrembelastungen und Erkrankungsraten der psychogenen Störungen (Wittchen et al., 2013). Dabei wurden Soldatinnen und Soldaten (n=1483) zwölf Monate nach Beendigung ihres Einsatzes in Afghanistan mit standardisierten Instrumenten untersucht und mit einer Kontrollgruppe (n=889) verglichen. Soldaten der Untersuchungsgruppe erlebten eine deutlich höhere Anzahl von belastenden Ereignissen, auch zeigte sich eine Assoziation mit den gestiegenen Prävalenz- und Inzidenzraten der Angststörungen, Substanzstörungen (Alkoholabusus), affektiven Störungen, akuten Belastungsreaktionen und der posttraumatischen Belastungsstörung.
Ferner konnten Ungerer et al. (2013) in einer Untersuchung zeigen, dass sich der Belastungscharakter eines Einsatzkontingents sowie die Unterschiede bei den einwirkenden einsatz-assoziierten Stressoren auf das Diagnosespektrum in der psychiatrischen Akutversorgung auswirken.
„Die Teilnahme an Auslandseinsätzen ist für die Soldatinnen und Soldaten mit häufigen belastenden Erfahrungen verbunden. Doch die überwiegende Mehrzahl aller Soldaten mit traumatischen Ereignissen kehrt ohne klinisch- bedeutsame Komplikationen aus dem Einsatz zurück“ (Wittchen et al., 2013).
2.4.6 Tabakrauchen als Komorbidität psychischer Erkrankungen
Die Tabakabhängigkeit ist eng mit dem Auftreten von psychischen Störungen verbunden (Meyer et al., 2004; John et al., 2004). Grant et al. (2004) erforschten, dass die Prävalenz des Tabakrauchens bei Personen mit psychischen Erkrankungen mit rund 50 Prozent etwa doppelt so hoch ausfällt wie die in der Gesamtbevölkerung. Ergebnisse einer Meta-Studie belegen, dass der Konsum von Zigaretten das Risiko von Angstsymptomen und Angststörungen erhöhen kann (Moylan et al., 2013). In der Querschnittstudie von Trautmann et al. (2014) konnte ein Zusammenhang zwischen Rauchen und psychischen Störungen bei Soldaten festgestellt werden, die kürzlich aus dem Kampfeinsatz zurückgekehrt sind.
2.4.7 Präventionskonzept der Bundeswehr
„Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sieht. Sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut“ (von Clausewitz, 1915).
Obwohl bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts vom preußischen General Claus von Clausewitz formuliert, ist diese Feststellung bis heute ein essentieller Baustein in der militärischen Prävention. Das BMVg (2004) definierte das
„Medizinisch-psychologische Stresskonzept der Bundeswehr“ zur Bewältigung psychischer Belastungen bei Soldaten. Die Präventionsmaßnahmen sollen sicher stellen, dass durch eine intensive und realitätsnahe Einsatzvorbereitung psychische Belastungen besser antizipiert, richtig erkannt und abgebaut werden (Maercker, 2009).
Die Grundannahmen (Biesold et al., 2001):
• Eine Stress-Reaktion ist eine normale Reaktion auf ein nicht normales Ereignis bzw. auf eine nicht normale, außergewöhnliche Situation
• Jeder kann unabhängig von Stellung und Dienstgrad davon betroffen sein
• Sie ist kein Anzeichen von Feigheit oder für eine Charakterschwäche bzw. für eine mit Defiziten behaftete Person
• Man kann sich vorbereiten und Strategien gegen Stress-Reaktionen lernen:
Stress-Desensibilisierung, Stärkung der psychischen Belastbarkeit vor dem Einsatz ist möglich
Tragende Säulen der Präventionsmaßnahmen der Bundeswehr sind das Drei- Phasen-Modell und das Drei-Ebenen-Konzept (BMVg, 2004).
Drei Phasen des Einsatzes
Phase 1 Vor dem Einsatz
(Vorbereitung)
• Auseinandersetzung mit den zu erwartenden Belastungen
• Maßnahmen zur Stärkung des inneren Gleichgewichts
• Organisatorische und administrative Maßnahmen zur Minimierung von Stressoren
Phase 2 Im Einsatz (Begleitung)
• Erkennen akuter phsychischer Belastungen und Stressreaktionen
• Sofortmaßnahmen zur Vermeidung von Folgeschäden
Phase 3 Nach dem Einsatz
(Nachbereitung)
• Reintegration
• Erkennen und Behandeln von Folgeschäden
Tab. 2.6: Schema Drei-Phasen-Modell (modifiziert nach: Biesold, 2010)
Drei Ebenen psychischer Betreuungsmaßnahmen
Ebene 1
Selbst- und Kameradenhilfe; Hilfe durch Vorgesetzte; Peers
Ebene 2
Truppenarzt, Truppenpsychologe
(unterstützt durch Militärpfarrer, Sozialarbeiter, Peers)
Ebene 3
Psychiater, Ärztlicher / Psychologischer Psychotherapeut
Tab.2.7: Schema Drei-Ebenen-Modell (modifiziert nach: Biesold, 2010)
Der Schwerpunkt der Vorbereitung bei den Auslandseinsätzen liegt in der Auswahl des Personals. Vor Beginn werden die in Frage kommenden Soldaten einer truppenärztlichen Untersuchung unterzogen, um ihre körperliche und seelische Fitness sowie emotionale Stabilität zu überprüfen. Danach werden
die geeigneten Soldaten in mehrwöchigen Lehrgängen auf den militärischen Auftrag vorbereitet sowie über Gefahrenlagen und Situationen im Einsatzland umfassend informiert. In realitätsnahen Rollenspielen und Schulungen werden kritische Situationen trainiert und Strategien zur Stressbewältigung erlernt. Das Führungspersonal wird gemäß ihrer Fürsorgepflicht speziell weiter ausgebildet, insbesondere hinsichtlich der militärischen Führung unter Belastung, der Stressbewältigung und in Bezug auf die Gesprächsführung mit Untergebenen.
In der Einsatzbegleitung ist vor allem die Erkennung von akuten psychischen Stressreaktionen wichtig, wie sie z.B. bei Großschadensereignissen oder nach Gefechten auftreten. Fachkräfte (Psychiater, Psychologen, Militärseelsorger) im Einsatzland können durch Sofortmaßnahmen die Betreuung übernehmen und psychischen Folgeschäden entgegenwirken oder diese vorbeugen. Für weitere Stressreduktion im Einsatz stehen den Soldaten diverse
Betreuungsmaßnahmen wie Sport, Unterhaltungs- und
Kommunikationsangebote sowie Kurzurlaub zur Verfügung. Die Angehörigen
der Soldaten können im Heimatland durch regionale
Familienbetreuungszentren beraten und informiert werden.
In der Einsatznachbereitung werden die Soldaten in den Rückkehreruntersuchungen durch Truppenärzte begutachtet und bezüglich psychischer Symptomatik befragt. Je nach Bedarf erfolgt dann die Einleitung in weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Ferner findet etwa ein bis zwei Monate nach Rückkehr aus dem Einsatzland das Einsatznachbereitungsseminar statt. In diesem dreitägigen Treffen im nichtmilitärischen Umfeld werden geordnet nach Einsatzverband Gruppengespräche unter Begleitung von Moderatoren durchgeführt. Die Teilnehmer haben dann die Möglichkeit, das erlebte miteinander offen anzusprechen, sich über die Erfahrungen auszutauschen, mögliche belastende Spannungen und Probleme abzubauen oder bei Bedarf Einzelgespräche sowie weitere Betreuungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Psychisch belastete Veteranen können in diesen Seminaren durch das anwesende Fachpersonal identifiziert und entsprechende adäquate individuelle psychologische Maßnahmen initiiert werden.
3 Material und Methoden
3.1 Allgemeiner Studienaufbau
Die Durchführung der prospektiven Kohortenstudie erfolgte multizentrisch. Die Untersuchung verglich randomisiert mit standardisierten psychometrischen Testverfahren zwei Gruppen von Soldaten der Bundeswehr, wobei die Datenerhebung in vier Zeitpunkten erfolgte. Die Untersuchungsgruppe besteht aus Soldaten, die während des Erhebungszeitraums einen militärischen Auslandseinsatz durchgeführt haben. In der zeitgleich untersuchten homogenen Kontrollgruppe erfolgte ausschließlich Ausbildung im Inland.
3.1.1 Studiendesign
Untersuchungsgruppe Kontrollgruppe Erfolgte Datenerhebung
T0
1 Monat vor Einsatzbeginn Mai 2012
Gleicher Zeitraum wie Untersuchungsgruppe
Soziobiographische Daten testpsychologische
Untersuchungen
T1
Einsatzmitte T0 + 4 Monate September 2012
T0 + 4 Monate testpsychologische Untersuchungen
T2
Unmittelbar nach Einsatzende T0 + 7 Monate
Januar 2013
T0 + 7 Monate testpsychologische Untersuchungen
T3
3 Monate nach Einsatzende T0 + 10 Monate
April 2013
T0 + 10 Monate testpsychologische Untersuchungen
Tab. 3.1: Untersuchungsablauf, T0 = Baseline
3.1.2 Studienablauf
Der Ablauf der Forschungsarbeit gliederte sich in die drei folgenden Phasen:
Phase I: Vorbereitung (06/2011 – 03/2012)
• Ausarbeitung, Prüfung und Druck des Studienmaterials
• Erstellung des statistischen Modells
• Erstellung der Datenmaske zur Dateneingabe
• Überprüfung und Anpassung von Fragebogen und Datenmaske anhand einer Stichprobe (n=20). Die Daten wurden nicht in die Auswertung integriert
• Erarbeitung und Einreichung des Ethikantrags. Zustimmung der Kommission
• Genehmigung durch das Ministerium (BMVg FüSan I1)
• Detailplanung der Organisation mit den beteiligten Verbänden
Phase II: Datenerfassung und Dateneingabe (04/2012 – 09/2013)
In diesem Zeitraum erfolgte die Erhebung der Daten in Untersuchungsgruppe und Kontrollgruppe durch die Mitarbeiter des Psychotraumazentrums der Bundeswehr (BwK Berlin und Regionale Sanitätszentren). Die Eingabe der Datensätze in die Datenmaske wurde begleitend durchgeführt und geprüft.
Phase III: Datenauswertung (05/2013 – 12/2013)
• Gewichtung aller Daten und der statistischen sowie inhaltlichen Auswertung
• Anpassung der Datenmaske und Erstellung der Syntax
3.2 Auswahl der Testinstrumente
Zur Untersuchung der Korrelation von Zigarettenkonsum und militärischer Einsatzbelastung wurden die folgend dargestellten standardisierten Instrumente zur Datenerhebung eingesetzt.
3.2.1 Fagerström-Test für Zigarettenabhängigkeit (FTNA)
Der Fagerström-Test ist allgemein gebräuchlich in der Diagnostik der Nikotinabhängigkeit durch Zigarettenkonsum. Die Suchtkriterien werden in sechs Fragen unterteilt, die Antworten werden kategorisiert und mittels der Gesamtpunkzahl die Nikotinabhängigkeit bestimmt, wobei verlässliche statistische Eigenschaften des Instruments belegt sind. Die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) wird mit 0,61 angegeben (Heatherton et al., 1991).
1.) Wann nach dem Aufstehen rauchen Sie Ihre erste Zigarette?
• Innerhalb von 5 Minuten 3 Punkte
• Innerhalb von 6 bis 30 Minuten 2 Punkte
• Innerhalb von 31 bis 60 Minuten 1 Punkt
• Nach 60 Minuten 0 Punkte
2.) Finden Sie es schwierig, an Orten, wo das Rauchen verboten ist (z. B.
in der Kirche, in der Bibliothek, im Kino, usw.), das Rauchen sein zu lassen?
• Ja 1 Punkt
• Nein 0 Punkte
3.) Auf welche Zigarette würden Sie nicht verzichten wollen?
• Die erste am Morgen 1 Punkt
• Andere 0 Punkte
4.) Wie viele Zigaretten rauchen Sie im Allgemeinen pro Tag?
• Mehr als 30 3 Punkte
• 21 bis 30 2 Punkte
• 11 bis 20 1 Punkt
• bis 10 0 Punkte
5.) Rauchen Sie am frühen Morgen im Allgemeinen mehr als am Rest des Tages?
• Ja 1 Punkt
• Nein 0 Punkte
6.) Kommt es vor, dass Sie rauchen, wenn Sie krank sind und tagsüber im Bett bleiben müssen?
• Ja 1 Punkt
• Nein 0 Punkte
3.2.2 Auswertung FTNA
Die Gesamtpunktzahl liefert eine zuverlässige Einschätzung der Stärke der Nikotinabhängigkeit:
• 0 bis 2 Punkte: sehr geringe Abhängigkeit
• 3 bis 4 Punkte: geringe Abhängigkeit
• 5 Punkte: mittelschwere Abhängigkeit
• 6 und 7 Punkte: schwere Abhängigkeit
• 8 und mehr Punkte: sehr schwere Abhängigkeit
3.2.3 Gesundheitsfragebogen (PHQ)
Die deutsche Version dieses modularen Selbstauskunftsfragebogens (Patient Health Questionnaire) für Patienten ist ein Screening-Instrument zur vorläufigen Diagnose und Beurteilung des Schweregrades von psychischen Störungen auf Syndromebene (nach DSM-IV und DSM-5). Interne Konsistenz nach Cornbachs Alpha werden mit zwischen 0,79 bis 0,88 als gut angegeben (Gräfe et al., 2004).
3.2.3.1 Screening für psychosoziale Belastungsfaktoren (PHQ-Stressmodul)
Zehn Fragen des PHQ berücksichtigen und erfragen Belastungsfaktoren im Stressmodul (Löwe et al., 2002):
• Sorgen über Ihre Gesundheit
• Sorgen über Ihr Gewicht oder Ihr Aussehen
• Wenig oder kein sexuelles Verlangen oder Vergnügen beim Geschlechtsverkehr
• Schwierigkeiten mit dem Ehepartner, Lebensgefährten, Freundin / Freund
• Belastung durch die Versorgung von Kindern, Eltern oder anderen Familienangehörigen
• Stress bei der Arbeit oder in der Schule
• Finanzielle Probleme oder Sorgen
• Niemanden zu haben, mit dem man Probleme besprechen kann
• Etwas Schlimmes, das vor kurzem passiert ist
• Gedanken an schreckliche Ereignisse von früher oder Träume darüber, z.B.
die Zerstörung des eigenen Heimes, ein schwerer Unfall, körperliche Gewalt oder eine sexuelle Handlung unter Zwang
Punktewert der 3 Antwortoptionen:
• nicht beeinträchtigt: 0 Punkte
• wenig beeinträchtigt: 1 Punkt
• stark beeinträchtigt: 2 Punkte
3.2.3.2 Auswertung des PHQ-Stressmodul
Für die Bestimmung des Schweregrades werden die Antworten mit einem Punktewert codiert und die Gesamtpunktzahl, die einen Wert zwischen 0 und 20 betragen kann, zur Klassifikation der Stressbelastung eingesetzt.
Punktwerte:
• 0 bis 4: Minimal ausgeprägte psychosoziale Stressfaktoren
• 5 bis 9: Mild ausgeprägte psychosoziale Stressfaktoren
• 10 bis 14: Mittelgradig ausgeprägte psychosoziale Stressfaktoren
• 15 bis 20: Schwer ausgeprägte psychosoziale Stressfaktoren
3.2.3.3 Screening für Depressivität (PHQ-9)
Das Depressionsmodul des PHQ ist ein aus neun Fragen bestehendes Instrument zur Diagnostik der Depressivität (Gräfe et al., 2004).
• Wenig Interesse oder Freude an Ihren Aktivitäten
• Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit oder Hoffnungslosigkeit
• Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen, oder vermehrter Schlaf
• Müdigkeit oder Gefühl, keine Energie zu haben
• Verminderter Appetit oder übermäßiges Bedürfnis zu essen
• Schlechte Meinung von sich selbst; Gefühl, ein Versager zu sein oder die Familie enttäuscht zu haben
• Schwierigkeiten, sich auf etwas zu konzentrieren, z. B. beim Zeitung lesen oder Fernsehen
• Waren Ihre Bewegungen oder Ihre Sprache so verlangsamt, dass es auch anderen aufgefallen sein könnte? Oder waren Sie im Gegenteil eher
„zappelig“ oder ruhelos und hatten dadurch einen stärkeren Bewegungsdrang als sonst?
• Gedanken, dass Sie lieber tot wären oder sich Leid zufügen möchten
Punktewert der 4 Antwortoptionen:
• Überhaupt nicht: 0 Punkte
• An einzelnen Tagen: 1 Punkt
• An mehr als die Hälfte der Tage: 2 Punkte
• Beinahe jeden Tag: 3 Punkte
3.2.3.4 Auswertung des PHQ-9
Zur Berechnung des Schweregrades der depressiver Stimmung werden die Antworten mit einem Punktewert codiert und die Gesamtpunktzahl, die einen Wert zwischen 0 und 27 betragen kann, zur Graduierung bestimmt.
Punktwerte:
• 0 bis 4: Minimale depressive Symptomatik
• 5 bis 9: Milde depressive Symptomatik
• 10 bis 14: Mittelgradige depressive Symptomatik
• 15 bis 27: Schwere depressive Symptomatik
3.2.3.5 Screening für somatische Symptome (PHQ-15)
Das PHQ-15-Modul ist ein Instrument zur Erfassung somatoformer Symptome.
Es besteht aus fünfzehn Fragen und gliedert sich in zwei Gruppen (Kroenke et al., 2002).
In der ersten Fragegruppe wird ermittelt, wie stark sich der Proband in den vergangenen vier Wochen durch die folgenden Beschwerden beeinträchtigt gefühlt hat:
• Bauchschmerzen
• Rückenschmerzen
• Schmerzen in Armen, Beinen oder Gelenken
• Menstruationsbeschwerden
• Schmerzen oder Probleme beim Geschlechtsverkehr
• Kopfschmerzen im Brustbereich
• Schwindel
• Ohnmachtsanfälle
• Herzklopfen oder Herzrasen
• Kurzatmigkeit
• Verstopfung, nervöser Darm oder Durchfall
• Übelkeit, Blähungen oder Verdauungsbeschwerden
Antwortoptionen und Punktwert:
• nicht beeinträchtigt: 0 Punkte
• wenig beeinträchtigt: 1 Punkt
• stark beeinträchtigt: 2 Punkte
In der zweiten Fragegruppe wird erfasst, wie oft sich die Probanden in den letzten zwei Wochen durch die folgenden und im PHQ-9-Fragekatalog aufgeführten Beschwerden beeinträchtigt gefühlt haben. Die Antwortoptionen und Punkte waren auch hier: