ie Securvita verbreitete Jubel- stimmung: Der Gerichtsbe- schluss sei „ein Erfolg für die seriösen Naturheilverfahren und für die Versicherten“, sagte Birgit Radow, Vorstandssprecherin der Be- triebskrankenkasse. Das Bundesver- sicherungsamt habe versucht, die Se- curvita BKK „mit dirigistischen Mit- teln und der Anordnung eines Sofort- vollzugs“ daran zu hindern, den Versi- cherten Kosten für Homöopathie, an- throposophische Medizin, Pflanzen- und Naturheilkunde zu erstatten. Ra- dow: „Dagegen haben wir uns erfolg- reich gewehrt.“
Der Sieg der Securvita ist aber nur ein Teilerfolg, denn das Gericht hatte lediglich eines entschieden: das Bundesversicherungsamt kann die Betriebskrankenkasse nicht dazu ver- pflichten, ab sofortkeine Heilmittel, Untersuchungs- und Behandlungsme- thoden der vier genannten Therapie- richtungen mehr zu erstatten. Obdie Kasse sie erstatten darf, ist noch nicht geklärt. Bis die Verhandlung stattfin- det, werden nach Auskunft von Rich- ter Heinz-Dieter Klingauf noch meh- rere Monate verstreichen. „Vorher sind umfangreiche empirische Unter- suchungen erforderlich“, sagte er.
Klingauf will ermitteln, ob und inwie- weit andere Kassen die strittigen Lei- stungen erstatten.
Die Securvita ist zuversichtlich, auch in der Verhandlung zur Hauptsa- che den Gerichtssaal als Sieger zu ver- lassen. „Im Sozialgesetzbuch heißt es, dass ,Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Thera- pierichtungen‘ von den Leistungen der Krankenkassen ,nicht ausgeschlossen‘
sind“, kommentiert Norbert Schnor- bach, Pressesprecher der Krankenkas- se. „Im Juristendeutsch bedeutet das, dass solche Methoden wie Homöopa- thie, antroposophische Medizin, Pflan- zen- und Naturheilkunde in den Lei- stungskatalog der Kassen gehören.“
Die Versicherten wissen die Großzü- gigkeit der Securvita zu schätzen: der Zulauf an Mitgliedern ist groß.
Beim Bundesversicherungsamt (BVA) beobachtet man die Erstat- tungspraxis der Kasse mit Skepsis. In der Regel entscheidet der Bundesaus- schuss der Ärzte und Krankenkassen, welche Behandlungsmethoden zu den GKV-Leistungen gehören und welche
nicht. Fällt das Votum positiv aus, werden Untersuchungen, Behandlun- gen oder Heilmittel gleich in den Ein- heitlichen Bewertungsmaßstab aufge- nommen; die Abrechnung ist damit geregelt. Bei negativem Votum ist klar: Keine gesetzliche Krankenkasse darf die abgelehnte Leistung erstat- ten. Zu den von der Securvita gezahl- ten Verfahren hat sich der Ausschuss bislang allerdings weder positiv noch negativ geäußert.
Aufsichtsbehörde
kritisiert Erstattungspraxis
Für das BVA ist die Rechtslage trotzdem eindeutig: „Hat der Bundes- ausschuss bestimmte medizinische Leistungen noch nicht beurteilt, kann sie eine Krankenkasse nur im Fall eines Systemmangels erstatten“, sagt BVA-Referatsleiter Jürgen Grabow- ski. Er beruft sich dabei auf mehre- re Urteile des Bundessozialgerichts vom September 1997. „Systemmangel heißt: der Medizinische Dienst der Krankenkassen muss bestätigen, dass einem bestimmten Patienten inner- halb des Systems, also mit den vom Bundesausschuss anerkannten Me- thoden, nicht geholfen werden kann“, erklärt er. „Außerdem muss die alter- native Leistung grundsätzlich und im geprüften Einzelfall zur Therapie ge- eignet sein.“
Weil die Securvita aber nicht je- den Einzelfall vom Medizinischen Dienst prüfen lässt und auch keine Modellvorhaben angemeldet hat, um die Wirksamkeit von alternativen Me- thoden zu prüfen, verpflichtete die Aufsichtsbehörde die Kasse im ver- gangenen Jahr, zurückhaltender mit
den Geldern der Versicherten umzu- gehen. Sie dürfe keine Kosten für Heilmittel, Untersuchungs- und Be- handlungsmethoden mehr überneh- men, die der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht aus- drücklich als erstattungsfähig aner- kannt habe. Das Amt untersagte der Kasse auch, mit ihrem alternativen Leistungskatalog zu werben. Wettbe- werbsverzerrungen zu Lasten der an- deren gesetzlichen Krankenkassen sollten dadurch vermieden werden.
Die Securvita reagierte mit einer Kla- ge gegen die Aufsichtsbehörde.
Richter Klingauf vom Sozialge- richt Lübeck ließ in seiner Begrün- dung vom 6. Januar bereits ahnen, wohin der Weg in der Hauptver- handlung führen könnte: Nach vor- läufiger Überprüfung sei „zweifel- haft“, dass die Anordnung des BVA in vollem Umfang bestehen bleibe, schrieb er. „Die Kosten für einzelne im Leistungskatalog enthaltene neue Untersuchungs- und Behandlungs- methoden werden auch von anderen Krankenkassen teilweise erstattet.“
Darüber hinaus erscheine es „un- verhältnismäßig“, in jedem Einzelfall eine Prüfung durch den Medizi- nischen Dienst zu verlangen. Die Securvita betreut nach eigenen An- gaben täglich 200 Versicherte, die nach alternativen Methoden behan- delt werden.
Doch wie auch immer der Lü- becker Richter entscheidet, der Streit wird in die nächste Runde gehen. Ge- gen den Beschluss vom 6. Januar will BVA-Referatsleiter Grabowski Be- schwerde einlegen. In der Hauptsache wird letztlich das Bundessozialgericht entscheiden. Bis es so weit ist, könnten Jahre vergehen. Alexandra Endres A-83
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 3, 21. Januar 2000