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Archiv "Kernproblem: Das Sterbenlassen" (25.01.1990)

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sen keine Berücksichtigung findet (21, 43). Einige Autoren monieren außerdem zu hohe administrative Ausgaben infolge des umfangreichen zusätzlichen Aufwandes im Bereich der Dokumentation und Leistungs- abrechnung und übrigens auch eine im Vergleich zum kanadischen Sy- stem (welches nicht auf DRG be- ruht) geringere Effizienz hinsichtlich der Kostendämpfung (15).

5. Indirekter Bezug zur Bundespflegesatz- verordnung

Es soll an dieser Stelle nicht die mögliche Übertragbarkeit des US- amerikanischen Fallpauschalsystems erörtert werden — darauf wurde im Gutachten des Bundesarbeitsmini- steriums ausführlich eingegangen (11). Einen Teilaspekt der in den USA gesammelten Erfahrungen hal- ten wir aber auch im Hinblick auf die derzeit gültige Bundespflegesatzver- ordnung für bedeutsam. Die danach vorgeschriebene sogenannte Ll-Sta- tistik, in der (Haupt-)Diagnosegrup-

6. Fazit

Die Einführung des prospekti- ven, auf diagnosebezogenen Fall- pauschalen beruhenden Abrech- nungssystems für einen Teil der Krankenversicherten in den USA verband sich mit großen Hoffnungen auf eine Eindämmung des Kostenan- stiegs im Krankenhausbereich. Ob- wohl es Indizien dafür gibt, daß die Kostendämpfung trotz nach wie vor hoher Steigerungsraten teilweise ge- lungen ist, steht der Nachweis aus, daß die im Bereich der Krankenver- sicherung eingesparten Kosten nicht in andere Bereiche verlagert wurden.

Darüber hinaus ergeben sich aus einer Vielzahl von Arbeiten sehr konkrete Anhaltspunkte dafür, daß das neue Abrechnungssystem, des- sen wirtschaftliche Anreize aus- schließlich auf eine Kostensenkung zielen, die Qualität der stationären Versorgung (systembedingt) negativ beeinflussen kann. Es ist unter die- sen Umständen nicht verwunderlich, daß gerade die Bemühungen um die

pen lediglich dreistellig nach der ICE-9 erfaßt und eventuell durchge- führte Operationen bisher — abgese- hen von der reinen Anzahl — nicht näher spezifiziert werden, soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in die Pflegesatzverhandlungen ein- gehen.

Zwar ist nicht näher definiert, in welcher Form dies geschehen soll;

naheliegend wäre aber der Gedanke an die vergleichende Beurteilung der Krankenhäuser. Dazu eignen sich al- lerdings die im Hinblick auf den Be- handlungsaufwand sehr heterogenen Diagnosegruppen der ICD-9 nicht.

Aus den Erfahrungen in den USA ergibt sich, daß selbst die gezielt für diese Zwecke entworfenen, nach we- sentlich differenzierteren Kriterien gebildeten DRG vielfach nicht aus- reichen, um homogene Fallgruppen zu bilden. Da diese letztlich nicht nur für ein Fallpauschalsystem, son- dern auch für sinnvolle Kranken- hausvergleiche erforderlich sind, hal- ten wir es — wie bereits früher festge- stellt (34, 35, 36) — für fraglich, ob die L1-Statistik für derartige Zwecke einsetzbar ist.

Qualitätssicherungs seit Einführung dieses Systems in den USA einen deutlichen Aufschwung erfahren ha- ben (4).

Auch wenn eine endgültige Ent- scheidung über Nutzen oder Scha- den des Medicare-Fallpauschalsy- stems derzeit noch nicht getroffen werden kann, sollte eine Erkenntnis aus den USA auch bei uns gebühren- de Berücksichtigung finden: „There ist a fine line between cost contain- ment and compromised care." (6).

(Literatur bei den Verfassern. Die Ziffern in Klammern beziehen sich auf die Literatur beim Sonderdruck.)

Anschrift der Verfassen

Dr. med. Thomas Mansky Dipl.-Psych. Christoph M. Erben Prof. Dr. med. Peter C. Scriba Medizinische Universität zu Lübeck Klinik für Innere Medizin

(Direktor: Prof. Dr. med.

Peter C. Scriba) Ratzeburger Allee 160 2400 Lübeck

Kernproblem:

Das Sterbenlassen

„Intensivmedizin — Leben um je- den Preis?" fragte die Süddeutsche Zeitung auf ihrem „Gesundheitsfo- rum" in München. Eine eindeutige, allseits zufriedenstellende Antwort gab es nicht Immerhin führte die Aussprache zu einigen Ergebnissen, auf die man sich bei der weiteren Su- che nach der Wahrheit stützen kann.

Zum Beispiel, daß die Entscheidung über Beginn und Ende einer Inten- sivbehandlung eine Sache des Dis- kurses unter Einbeziehung aller Be- teiligten sein müsse; daß sie mög- lichst öffentlich zu geschehen habe;

daß der Patient, soweit er dazu in der Lage sei, das letzte Wort haben sollte; daß intensivmedizinische Maßnahmen nicht von juristischen Regeln, sondern nur vom ärztlichen Gewissen abhängen dürften. Aber auch, daß im Bereich der Intensiv- medizin von „Lebensqualität" nur mit äußerster Vorsicht gesprochen werden dürfe, weil dieser Modebe- griff sich mit den subjektiven Ein- schätzungen des einzelnen Patienten nicht in Einklang bringen lasse. Al- lerdings schloß die Ausschau nach verbindlichen Festpunkten für inten- sivmedizinisches Handeln bei den Ärzten nicht aus, daß sie sich bezüg- lich dieser jungen, fachübergreifen- den Sparte schon auf einem sicheren Boden bewegen.

In den millionenfach bewährten drei Kategorien der Rettung von Le- ben unter schwierigsten Bedingun- gen — Behandlung, Pflege und Über- wachung — wollten sie am liebsten gar keine Besonderheit, sondern nur die Spitze einer stetigen Entwicklung sehen, die mit der Ausweitung des ärztlichen Aktionsfeldes im Zeitalter der Aufklärung begonnen hat. Über ständige Fortschritte in Diagnostik und Therapie habe sie zunächst zur gesamten „modernen" Medizin und nunmehr zu bislang unvorstellbaren ärztlichen Methoden und Maßnah- men geführt. Doch eben weil — allen sichtbaren Erfolgen zum Trotz — die Intensivmedizin immer noch an Ver- messenheit denken lasse, brauche man nunmehr Verhaltensregeln, die A-198 (30) Dt. Ärztebl. 87, Heft 4, 25. Januar 1990

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festlegen, was die Ärzte dürfen und nicht dürfen, sie aber auch vor Kritik und Angriffen einzelner Personen oder ganzer gesellschaftlicher Kräfte schützen.

Zunächst nur vorsichtig und am Rande, dann aber zunehmend un- umwunden und zentral, trat das Kernproblem zutage, unter dessen Druck sich die Intensivmediziner spüren: „Wie halten wir es mit dem Sterbenlassen?" Wann darf die le- benserhaltende Maschinerie abge- schaltet, wann ein Tubus entfernt werden? Was muß geschehen, damit dem Arzt der Vorwurf erspart blei- ben kann, das Leben eines Kranken willkürlich beendet zu haben?

Wie schwer diese Fragen gerade deutschen Ärzten auf der Seele lie- gen, offenbarte der Beitrag eines Gy- näkologen, der das Kind mutig beim Namen nannte: „Als einem Mitglied meiner Generation und einem Men- schen in der Geschichte unseres Landes ist es für mich absolut un- denkbar, aktive Euthanasie zu lei- sten." Da war nun der gern gemiede- ne, noch immer mit Mißtrauen, Angst, Empörung und Abscheu be- setzte Begriff in der Diskussion, und sogleich weitete er sich auf die Frage nach aktiver und passiver Sterbehilfe aus.

Erst als die Scheu vor dem poli- tisch mißbrauchten und ebensooft mißverstandenen wie mißdeuteten Begriff überwunden war, brauchten die Intensivmediziner mit dem Sor- genpaket, das sie umtreibt, nicht mehr hinter dem Berg zu halten.

Und erst jetzt zeigte sich auch die Gefährlichkeit der Gratwanderung, auf der sie sich ohne ausreichende und verbindliche, mit dem Konsens der Gesellschaft ausgestattete Siche- rungen befinden.

Die Fragen ergänzten und über- schnitten sich, mit jedem neuen Aspekt wuchs ihre Kumulation. Wie steht es mit dem humanitären Auf- trag des Arztes, wenn es im unheil- baren Endstadium keine Hoffnung mehr gibt? Wiederbelebungsversu- che bei Herzstillstand? Darf der Arzt

„weitermachen", wenn er im Blick auf die wahrscheinlich trostlose Zu- kunft eines Menschen bei sich selbst wünscht, der Patient möge dies nicht überleben? Darf er „Gehirnkrüppel"

in ein „Weiterleben" führen? Was rechtfertigt den Entschluß, nur noch ein Sterben, nicht aber mehr ein Le- ben zu verlängern? Andererseits:

Was berechtigt einen Arzt, eine Überlebenschance oder gar ein Le- bensrecht zu bestreiten?

Zu solchen inneren Konfliktfra- gen kamen äußere. Wie steht es mit den nicht unmittelbar Betroffenen, den Angehörigen, der oft noch nicht ausreichend informierten und viel- fach noch Horrorvisionen anhängen- den Öffentlichkeit? Begreifen sie überhaupt den Unterschied zwischen aktiven und passiven Maßnahmen — etwa einer tödlich wirkenden Spritze und dem Abschalten der Beatmung?

Sind sie bereit, dem Arzt bei seinen oft quälenden Überlegungen und Entscheidungen zu folgen?

Neigen sie nicht allzu leicht da- zu, sich dem Trend zur Forensisie- rung der Medizin anzuschließen und dem Arzt ein so nicht tragbares Maß an Verantwortung aufzubürden?

Verstehen sie, daß sich Probleme der Intensivmedizin weit in deren Vorfeld verlagert haben, so daß sie schon bei der Entscheidung begin- nen, welcher von mehreren Patien- ten der Intensivmedizin zugeführt werden soll, und daß es sich dabei nahezu um eine Form der oft verru- fenen Triage handelt? Ist ihnen schließlich klarzumachen, daß auch intensiv-medizinische Maßnahmen vom Krankheitsverlauf überholt wer- den können?

Die Gesprächspartner bekunde- ten überraschend weitreichendes Verständnis für die Sorgen der In- tensivmediziner. Reichten ihre Äu- ßerungen auch von Selbstverständ- lichkeiten über Trostworte bis zur willkommenen Ermunterung, so ver- mochten dennoch einige von ihnen, konkrete Wegweisungen für künfti- ges Denken und Handeln zu setzen.

Hier folgen etliche Stichworte, die eine Vorstellung von der Bandbreite der Stellungnahmen vermitteln.

Aus juristischer Sicht: Alleinige Kompetenz und unbestrittene Füh- rungsrolle des Arztes bei Maß und Zeitpunkt seines Handelns; Respekt vor den immanenten Grenzen der ärztlichen Pflicht zur Hilfeleistung;

Zweifel an der Autonomie des Pa- tienten; Warnung vor der Versu-

chung, den Patienten zum Alibi für ärztliches Handeln zu machen; keine vermeidbaren Eingriffe in das Leben des Patienten; Distanz gegenüber allzu glatten Kriterien, aus denen sich ärztliche Entscheidungen ablei- ten lassen; Ausbau der Richtlinien über die Sterbehilfe und Präzisie- rung der „Einbecker Empfehlun- gen".

Aus theologischer Sicht: Verur- teilung jeder qualitativen Bewertung von Leben im Sinne von lebenswert und lebensunwert; leibliches Leben des Menschen kein Höchstwert; För- derung und Schutz des Lebens, so- lange es vernünftigerweise in den Dienst der personalen sittlichen Ent- scheidung gestellt werden kann; ja zur Intensivtherapie auch in Fällen mit nur geringer Hoffnung; nein zu künstlicher Verlängerung bloßen Dahinvegetierens; Sterbenlassen vertretbar; keine Intensivmedizin ge- gen den ausdrücklichen Wunsch des Patienten; keine Pflicht des Arztes, Leben bis zum letzten Atemzug zu erhalten.

Aus sozialethischer Sicht: Leben nicht um jeden, aber doch um jeden vernünftigen Preis erhalten; Klarheit darüber schaffen, was „vernünftig"

ist, und wer über das Vernünftige be- findet; Vorrang der Humanität und der Verantwortung vor Ausschöp- fung der medizinischen Möglich- keiten; Diskurs als einziges Mittel der Wahl bei der Bestimmung des einzuschlagenden Weges.

Die Übereinstimmung zwischen den Intensivmedizinern und ihren nicht-medizinischen Kommentato- ren war nicht, wie danach formuliert wurde, „verblüffend". Aber sie reich- te in der Tat unerwartet weit — zu- mindest in den Denkansätzen. In drei Punkten zeichnete sich sogar die Hilfestellung ab, um die es den Ärz- ten ging. Zwei davon fanden ihre un- geteilte Zustimmung: daß die Inten- sivmedizin beständig auf ihre eigent- lichen Zwecke zu überprüfen sei, und daß nicht jede Form der Lebens- verlängerung als Ausdruck eines ho- hen ärztlichen Ethos zu gelten ha- ben.

Über den dritten durften sie

sich freuen: Auch in Zukunft solle es keine Einengung der Intensivmedi- zin durch ökonomische Begrenzun- gen geben. Kurt Gelsner Dt. Ärztebl. 87, Heft 4, 25. Januar 1990 (31) A-199

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