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ur selten sind sich die Leser des DÄ so einig über die Bewertung eines Artikels wie bei dem von Ek- kehard Ruebsam-Simon. Die Mehrzahl äußerte sich uneingeschränkt positiv:„Das war die intelligenteste und zutref- fendste Charakterisierung unseres Be- rufsstandes, die ich jemals gehört oder gelesen habe“, schreibt zum Beispiel Dr.
med. Ulrich Rüegger. Und auch Dr.
Christiane Siefert-Ajati meint: „Ich habe selten eine so treffende Analyse unserer Situation und deren Ursachen gelesen.“
Dr. Dietrich Meißner gratuliert Rueb- sam-Simon zu der seiner Meinung nach
„tiefgründigen Analyse der Krisensitua- tion in der Ärzteschaft Deutschlands“.
Viele Ärztinnen und Ärzte loben den Autor vor allem für seinen Mut, die Pro- bleme unverblümt auf den Punkt zu bringen. So kommentiert Dr. med. Ru- dolf Jakob: „Endlich emotionsfrei den Kern getroffen“, und auch sein Kollege Christian Ulrich freut sich über den
„analysierenden Mut, die schwachsin- nige Selbstausbeutung der deutschen Ärzte aufzuzeigen“. Durch Ruebsam- Simons „schonungsloses“ Ansprechen von „[. . .] Dingen, die man eigentlich weiß, aber aus reinem Selbstschutz ver- leugnet [. . .]“, sei ihr ein „Licht aufge- gangen“, ergänzt sogar eine Leserin.
Nachdem man nun, auch aufgrund von Ruebsam-Simons Artikel, einsehe, wie kritisch die Situation für die Ärzte in Deutschland sei, werde es Zeit, sich auf seine kämpferischen Tugenden zu besin- nen, fordert der Neurologe und Psychia- ter Dr. med. Ulrich Zimmerer. „Schließ- lich leisten wir ehemaligen Einserschüler und Einserstudenten durch unsere effizi- ente, hoch qualifizierte, von spezialisier- tem Wissen und reicher Erfahrung glei- chermaßen getragene Arbeit einen im- mensen Beitrag [. . .] zur Volksgesund-
heit.“ Ähnlich kämpferisch zeigen sich auch andere Kollegen. So spornt Dr. med.
Rudolf Jakob seine Kollegen an: „Raus aus dem Glaskasten, weg mit der elitären Eitelkeit und rein ins raue Leben!“
Daran, dass Ärzte zum Widerstand taugen, glauben jedoch nicht alle Leserin- nen und Leser. Dr. med. Dr. rer. pol. Man- fred Kerschreiter zum Beispiel meint, ärztliche Bereitschaft zur Hilfe vertrage sich nicht mit einer Verweigerungshal- tung. Recht gibt ihm ein Würzburger Kol- lege. Nach Meinung von Dr. med. Man- fred Doerck ist es „[. . .] nicht zu fassen, dass 370 000 akademisch ausgebildete, mehr oder weniger elitäre Mitglieder un- serer Gesellschaft eine plötzliche Bedeu- tungsumkehr akzeptieren oder minde- stens praktizieren sollen“. So sei „statt einmütigen Aufschreis und strikter Ver- weigerung“ nur ein „eher schlapper Pro- test“ seitens der Ärzteschaft gekommen.
Ärzte müssen umdenken
Kritik an der Ärzteschaft übt auch Dr.
med.Volker Grebe. Um überhaupt aktiv sein und Reformen durchführen zu kön- nen, müssten viele Ärzte zunächst ler- nen, umzudenken. Denn seiner Auffas- sung nach ist es „[. . .] die niedergelasse-
ne Ärzteschaft selbst, die in unbegreifli- cher Selbstblockade und ideologischer Verweigerungshaltung dem Staat eine über das notwendige Maß hinausgehen- de administrative und legislative Befas- sung mit dem Finanzierungsproblem und nun auch Qualitätsproblem im Ge- sundheitswesen aufnötigt“. Ruebsam- Simons „Gegenmaßnahmen“ hält Gre- be deshalb auch für nicht realistisch.
Gleicher Meinung ist Dr. Joachim F.
Grüner. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie unterstellt Ruebsam-Simon,
„[. . .] offensichtlich ein Opfer der Sozia- lisation, die er anprangert, zu sein, [er- wartend], dass ein Deus ex machina die richtigen Studenten aussucht, die Chef- ärzte in die Schranken weist, die KVen erleuchtet und womöglich uns Ärzten die Kontrolle über die Ökonomie ver- schafft.“ Auch Dr. med. Friedrich Wein- berger glaubt nicht an den Erfolg der Lösungsvorschläge Ruebsam-Simons.
Sie entstammten „[. . .] der Mottenkiste der Neomarxisten von Horkheimer und Ardorno bis Marcuse und Habermas“.
Einigkeit besteht bei vielen Ärztin- nen und Ärzten darüber, dass eine Ur- sache der Misere die KV ist. Während manche Ärzte, wie zum Beispiel Dr.
med. Dr. rer. pol. Manfred Kerschrei- ter, noch moderat fragen „[. . .] was soll aus den Ärztekammern und KVen wer- den?“, fordern Kollegen wie Grüner rigoros den Verzicht „auf unser Kartell, die KV“. Denn, so ergänzt ein weiterer Kollege, die Mehrzahl der KV-Mit- arbeiter sei im Wesentlichen nur mit sich selbst beschäftigt und keine Inter- essenvertretung der Ärzte mehr. Sie verbrauchten das Geld, das von Ärzten erarbeitet werde, und seien in der Re- gel nach 16 Uhr nicht mehr erreichbar.
Und auch Dr. med. Frank Kaiser kann aus Ruebsam-Simons „noch moderater Bestandsaufnahme des Grauens im deutschen Arztalltag“ nur ein Fazit ziehen: „Kollektive Rückgabe der Kas- senzulassung aller Vertragsärzte und Behandlung nur gegen Vorkasse be- ziehungsweise Kostenerstattung, un- ter Betreuungstellung aller KV/KBV- Mandatsträger wegen langjährig be- wiesener Realitätsverkennung/Wahr- nehmungsstörungen, politischer Des- orientiertheit und vorsätzlich kriminel- len Verhaltens gegenüber ihren Mit- gliedern [. . .].“ Martina Merten T H E M E N D E R Z E I T
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A3386 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 5013. Dezember 2002
Arztberuf in der Krise
Den Kern getroffen
Ekkehard Ruebsam-Simon, Autor des DÄ-Artikels „Verände- rung beginnt im Kopf“ (Heft 43/2002), spricht vielen Ärztinnen und Ärzten aus der Seele. Dies zeigt die überwiegend positive Resonanz auf seine Analyse der ärztlichen Krisensituation.
Fotoarchiv des St.Hedwig-Krankenhauses