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Archiv "Die Bildungslawine rollt" (26.08.1976)

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Die Information:

Bericht und Meinung

73. Jahrgang / Heft 35 26. August 1976 Postverlagsort Köln

Redaktion:

Dieselstraße 2 Postfach 40 04 30 5000 Köln 40 (Lövenich) Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Die Bildungslawine rollt

Numerus clausus, Studentenzahlen, Bedarfsprognosen

Das große Verwirrspiel um den Numerus clausus ist in vollem Gange. Hohe und höchste Repräsentanten unseres Staates sind höchstpersönlich daran beteiligt. So der Bundeskanzler — als er im Juni ein Fünf-Punkte-Programm vor der Presse erläuterte, mit dem die Zulassungsbeschränkungen in den meisten Fächern beseitigt werden sollen. Zwei Punkte mehr in seinem Programm offerierte etwa zur gleichen Zeit Bildungsminister Helmut Rohde. Dessen Staatssekretär, Professor Dr. Reimut Jochimsen, der ebenfalls mit dem Numerus-clausus-Programm über Land zieht, äußerte, hier müßten noch rund 3000 zusätzliche Plätze geschaffen werden.

Selbst der Bundespräsident ließ es sich nicht nehmen, seinen Bei- trag zu dem Spiel zu leisten; er zog sogar am weitesten vor. Denn sein Vorschlag, den „Sprung ins kalte Wasser zu wagen", läuft dar- auf hinaus, die Hochschulen gänzlich zu öffnen und sich nicht erst mit langweiliger Bedarfsplanung aufzuhalten. Scheel propagierte in diesem Zusammenhang den Wert der Bildung „an sich", eine Ent- wicklung, die Frau Minister Dr. Katharina Focke, von der Tages- zeitung „Die Welt" auf den Ärztebedarf angesprochen, für diesen Bereich wohl nicht vorbringen kann. Dennoch will sie die medizi- nischen Fakultäten weit mehr als bisher öffnen, — in der Erwartung, daß mehr Ärzte auch mehr Konkurrenz und folglich mehr „Lei- stungsdruck" bedeuten.

Daß ausgerechnet in diesen Wochen die Numerus-clausus-Diskus- sion so angeheizt wird, hängt sicherlich mit dem Wahlkampf zusam- men, Doch wäre es verfehlt, etwa Helmut Schmidt lediglich ein kurzsichtiges taktisches Denken zu unterstellen. Ihm ist abzuneh- men, daß ihn bedrückt, welche Ausmaße der „unerträgliche Lei- stungsdruck an unseren Gymnasien" dank des Numerus clausus angenommen hat; daß ihn bekümmert, daß die Ausleseverfahren, die bereits sehr früh an der Schule einsetzen, zu einer falschen Erziehung „ganzer Generationen" führen. Mit dem Bundeskanzler sind in diesen Punkten wohl alle Kenner der Materie einer Mei- nung, selbst dann, wenn sie im Gegensatz zu ihm in der

weiten

Öffnung der Hochschulen keine Lösung sehen.

Zu einer

begrenzten

Öffnung über das heutige Maß hinaus sind selbst die Hochschulen bereit. Trotz ihrer Furcht vor einer Minderung

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 35 vom 26. August 1976

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„Was fängt der Modellstaat der Zukunft mit seiner Akademiker- schwemme an?”, fragt „medizin heute", das Gesundheitsmagazin der deutschen Ärzteschaft, in seinem August-Heft und zeich- net trübe Arbeitsaussichten auf den Baustellen der Zukunft, — wenn unsere überschüssigen Akademiker angesichts geringer werdender Bautätigkeit künftig überhaupt noch als Handlanger beschäftigt werden können ...

Karikatur: Otto Schwalge in

„medizin heute" 8/76 Die Information:

Bericht und Meinung Bildungslawine

derAusbildungsqualität, trotz Beein- trächtigung der Forschung durch ein Überhandnehmen der Ausbil- dungsfunktion der Universitäten hat sich die Westdeutsche Rekto- renkonferenz auf ihrer Jahresver- sammlung im Mai 1976 bereit er- klärt, eine „zeitlich begrenzte Überlastung als kalkuliertes und kontrollierbares Risiko für die Dau- er des durch die starken Jahrgän- ge gesteigerten Ausbildungsbe- darfs" wohlwollend zu prüfen. Auch die Interessenvertretung der Hoch- schullehrer, der Hochschulver- band, ist willens „zur Bewältigung einer Notsituation beizutragen, die mindestens 10 bis 15 Jahre anhal- ten wird".

Steiler Anstieg

der Zahl der Studienbewerber

Damit wäre die tiefere Ursache für die drohende Ausbildungsmalaise, die über Wahlkampfzeiten hinaus bestehen bleibt, angesprochen.

Aus der Geburtenentwicklung seit 1949 und der Bildungslawine, die in den letzten beiden Jahrzehnten diese Jahrgänge erfaßte, resultiert nämlich ein Steigen der Studienan- fängerzahlen bis etwa zum Jahre 1990; dabei wird die Zahl der Stu- dienbewerber ab 1980 sogar sehr steil ansteigen .und in den Jahren 1982/85 nach Schätzungen der Rektorenkonferenz bei 270 000 bis 280 000 liegen (zum Vergleich: 1976 waren es rund 185 000). Der Anteil der Studienanfänger in einem Al- tersjahrgang wird dann bei 25 Pro- zent liegen, gegenüber 20 Prozent heute und 5 Prozent vor 20 Jahren.

Erst 1995 wird die Nachfrage zu- rückgegangen sein und sich wie- der auf dem heutigen Stand bewe- gen.

Angesichts der heranrückenden Studentenmassen — Ergebnis nicht nur der demografischen Entwick- lung, sondern auch einer Bildungs- euphorie, die nach Schätzung des Bildungsplaners Paul Harro Piazo- lo heute 95 Prozent der Abiturien- ten auf die Hochschulen drängt ge- genüber 75 bis 80 Prozent zehn

Jahre zuvor — sind Überlegungen zur Steuerung des Numerus clau- sus längst überfällig. Da ist es eher schon verwunderlich, daß die Poli- tiker dieses Problem über viele Jahre hinweg den Fachleuten über- lassen haben. Offenbar haben sie hier kein Arbeitsfeld vermutet, das ihnen das Interesse weiter Bevöl- kerungskreise sichert. Solange vor-

wiegend die Medizin vom Numerus clausus getroffen war — immerhin schon seit Anfang der 60iger Jah- re! — mögen Sie sogar recht ge- habt haben.

Rohdes Sieben-Punkte-Programm

Was von der Bundesregierung an Fünf- oder Sieben-Punkte-Pro- grammen gegen den Numerus clausus angeboten wird, mutet an- gesichts der drängenden Probleme

allerdings eher wie ein Bluff an.

Rohdes Sieben-Punkte-Programm zum Beispiel besagt nichts ande- res, als

daß der Numerus clausus in den Fächern, in denen er bundesweit im Grunde genommen nicht be- steht oder nicht nennenswert ist, nicht mehr als solcher ausgewie- sen wird,

1> daß die Zulassungsbeschrän- kungen in den harten Numerus- clausus-Fächern wie Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie weiter bestehen bleiben müssen und le- diglich gemildert werden können,

> daß im übrigen jedoch alle Stu- denten einen Studienplatz bekom- men sollen — freilich nicht unbe- dingt im Fach und am Ort ihrer Wahl. Und das ist der Pferdefuß an diesem Programm. Unter diesen Bedingungen bekommt auch ohne 7-Punkte-Programm jeder einen Studienplatz!

Festzuhalten bleibt: der Numerus clausus in der Medizin wird auf ab- sehbare Zeit fortbestehen. Geplant ist jedoch, die Kapazitäten merk- lich auszuweiten. Staatssekretär Jochimsen spricht von rund 10 000 Studienanfängern der Humanmedi- zin! Gegenüber den heute gegebe- nen Studienanfängerzahlen zwi- schen 7500 und 8000 (verbindliche Zahlen weiß bislang niemand zu nennen) mutet Jochimsens Ver- sprechen an, als bereite sich die Bundesregierung auf einen beson- deren Kraftakt vor. Doch dem ist nicht so. In Wirklichkeit haben die Länder ihre Planungen längst an einem solchen Ziel ausgerichtet.

Aus den Empfehlungen des Wis- senschaftsrates zu den Rahmen- plänen für den Hochschulbau er- gibt sich nämlich: 1974 waren 48 000 Medizinstudienplätze vor- handen, für 1979 sind 58 000 anvi- siert und um das Jahr 1980 werden insgesamt 62 000 Studienplätze in

Fortsetzung auf Seite 2194

2192 Heft 35 vom 26. August 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

Katharina Focke:

Konkurrenz als

„Leistungsanreiz"

„In den letzten Jahren haben wir leider vielfach die Erfahrung machen müssen, daß selbst methodisch hervorragende Prognosen mit großer Vorsicht zu ge- nießen sind. Diese Erfahrung sollte da- her auch bei der Diskussion um den Ärztebedarf berücksichtigt werden. Es besteht einstweilen kein Anlaß zu laut- starken Forderungen oder überstürzten

Maßnahmen."

„Wir sind zur Zeit mitten in einer Dis- kussion zur strukturellen Weiterentwick- lung des Gesundheitswesens. Diese Diskussion wird erfreulicherweise zu- nehmend sachbezogener. Ohne das Er- gebnis dieser Diskussion erscheinen mir Aussagen über den zukünftigen Be- darf bei den einzelnen Gesundheitsbe- rufen zwar in jedem Falle interessant, aber eben doch mit sehr vielen Frage- zeichen versehen."

„Sicher: Die Zahl der Ärzte in der Bun- desrepublik ist in den letzten Jahren ganz erheblich gestiegen. Gerade auf dem Sektor der Krankenhausversor- gung ist seit Verabschiedung des Kran- kenhausfinanzierungsgesetzes die ärzt- liche, aber auch die pflegerische Ver- sorgung des Patienten grundlegend verbessert worden. Im Regelfall braucht heute niemand mehr über unzureichen- des Personal zu klagen. Und die fach- ärztliche Versorgung besonders in den Ballungsräumen kann sich sehen las- sen. Aber neben dieser erfolgreichen Bilanz in der EntWicklung der Ärztezah- len bleiben Aufgaben und Lücken, für die wir dringend mehr Ärzte und teil- weise auch anders ausgebildete Ärzte benötigen."

„Im Bereich der Medizin ist einstweilen wohl nur eine gewisse Auflockerung des Numerus clausus durch optimale Ausnutzung der vorhandenen Ausbil- dungskapazitäten realistisch. Dies auch dann, wenn jüngste Untersuchungen deutlich unterstrichen haben, daß der zügige Abbau des Numerus clausus als ein Hauptziel sozial-liberaler Bildungs- politik keineswegs utopisch ist. Aber auch die vorhandenen Ausbildungska- pazitäten in der Medizin machen es wahrscheinlich, daß die Zahl der Ärzte in den kommenden Jahren weiter stei- gen wird. Nach wie vor wiegen die ma- teriellen und immateriellen Vorteile des Arztberufes die damit verbundenen —

und bisweilen dramatisch überzeichne- ten — Belastungen offensichtlich bei weitem auf."

„Eine größere Zahl von Ärzten könnte sicher auch zu mehr Konkurrenz der Ärzte untereinander und damit zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit unserer ge- sundheitlichen Versorgung führen. Al- lerdings spricht die Erfahrung dafür, daß das Angebot an ärztlichen Leistun- gen — oder ganz einfach ausgedrückt:

die Zahl der verfügbaren Ärzte — ihrer- seits die Nachfrage ganz erheblich be- einflußt. Nicht Konkurrenz und gestei- gerte Leistungsfähigkeit, sondern ledig- lich eine Ausweitung des Leistungsum- fanges und damit ein erheblicher An- stieg der Ausgaben wären dann die Folge. Dies können wir nicht hinneh- men, denn es würde auch die bei der Eindämmung der Kostenentwicklung bereits erzielten Teilerfolge wieder in Frage stellen."

Hans Joachim Sewering:

Schäden durch Überbesetzung

„Der vor allem in den 60er Jahren zu beobachtende Mangel an jungen Ärz- ten in Krankenhäusern hat sich in den letzten Jahren in die freie Praxis verla- gert. Die schwach besetzten Jahrgänge standen zur Niederlassung an, konnten aber den Bedarf nicht decken. Es muß- te deshalb zu Engpässen in der ambu- lanten ärztlichen Versorgung kommen, die noch keineswegs überall behoben sind. IT)r• steile Anstieg der Nach- wuchszahlen an Ärzten wirkt sich nun einmal zunächst im Krankenhaus aus, weil jeder junge Arzt im Durchschnitt die ersten sechs bis acht Jahre seiner beruflichen Laufbahn im Krankenhaus arbeitet, bevor er sich niederläßt. Diese zeitliche Verzögerung zwischen der Zu- nahme der Approbations- und der Nie- derlassungszahlen ist es, welche der- zeit noch überwunden werden muß.

Dennoch ist auch in der ambulanten Praxis eine, wenn auch langsame, Zu- nahme der Ärzte schon jetzt zu beob- achten. So hat die Zahl der Kassenärz- te von 1960 bis Ende 1975 von 42 144 auf 54 249 zugenommen. Insgesamt stieg die Zahl der Ärzte in der Bundes- republik, einschließlich der voll tätigen Medizinalassistenten, in den letzten 25 Jahren um 105 Prozent. Es waren 68 000 im Jahre 1950 und sind jetzt

rund 140 000. Anfang 1976 trafen auf ei- nen berufstätigen Arzt 498 Einwohner."

„Wie wird es weitergehen? Von einem ,bevorstehenden Notstand' in der ärzt- lichen Versorgung kann keine Rede mehr sein, und es spricht ja auch nie- mand mehr davon. Es geht in den Dis- kussionen und Meinungsäußerungen jetzt nur noch um die Frage nach ge- nug oder zuviel Ärzten in der vor uns liegenden Zeit."

„Noch 1972 wurde der Bedarf an Stu- dienanfängern der Humanmedizin im Gesundheitsbericht der Bundesregie- rung mit jährlich 4500 angegeben. Das Bundeswissenschaftsministerium legte 1974 eine Studie über den Ausbildungs- bedarf für Mediziner bis zum Jahre 2000 vor.... Im Endergebnis wird eine um 50 bis 60 Prozent gesteigerte Nach- frage nach ärztlichen Leistungen bis zum Jahr 2000 behauptet und der Be- darf an Studienanfängern danach be- rechnet. Die Verfasser kommen zu dem Ergebnis, daß zur Deckung des unter- stellten Bedarfs eine jährliche Studien- anfängerzahl von 7500 erforderlich sei, was bedeutet, daß gegen Ende dieses Jahrhunderts ein Arzt für 340 bis 350 Einwohner zur Verfügung stünde. Abso- lut wären das gut 175 000 berufstätige Ärzte."

„Wer dem Ergebnis der Studie und da- mit der Zahl von 7500 Studienanfän- gern pro Jahr — die übrigens jetzt be- reits übertroffen wird — zustimmt, müß- te also auch bereit sein, die Frage zu beantworten, ob eine Arztdichte, wie sie diese Studie voraussagt und für notwendig hält, volkswirtschaftlich überhaupt verantwortet werden kann — von den zahlreichen Zweifeln an der Bedarfsprognose einmal ganz abgese- hen."

„Schon heute zeigt sich, daß es weni- ger die absoluten Arztzahlen sind, die uns beschäftigen und beschäftigen müssen, sondern die Verteilungsproble- me."

„Die steile Zunahme der Zahl der Ärz- te kann bei verantwortungsvoller Beur- teilung mit echtem Bedarf nicht mehr gerechtfertigt werden. Es sei denn, man denkt an das „Überlaufprin- zip". Ob die dadurch möglicherweise erhoffte Manipulierbarkeit dieser Be- rufsgruppe aber die Schäden der Über- besetzung eines so verantwortungs- trächtigen Berufes ‚rechtfertigen' könn- te, muß dahingestellt bleiben."

Quelle: „Die Welt", 24. Juli 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 35 vom 26. August 1976 2193

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Die Information:

Bericht und Meinung Bildungslawine

0 Fortsetzung von Seite 2192

Humanmedizin bereitstehen. Diese Kapazität läßt sich gut mit Jochim- sens Zahl vereinbaren.

Trotz anhaltendem Numerus clausus in der Medizin steigende Studentenzahlen

Manchem Vater, dessen Kind nicht Medizin studieren kann, werden auch 10 000 Plätze noch zu wenig sein. Doch so sehr es ihn — und solche Väter gibt es viele unter un- seren Lesern — bedrücken mag, die Wahrheit ist: Bereits heute stu- dieren mehr als genug junge Leute dieses Fach, denn 10 000 Studien- anfänger sprengen alle Bedarfs- rechnungen (dazu auch Professor Hans Joachim Sewering in einem auf Seite 2193 auszugsweise doku- mentierten Artikel in „Die Welt").

Noch 1973 hatte das Wissen- schaftsministerium durch die Firma McKinsey gutachten lassen, daß eine Studienanfängerzahl von 7500 alle vernünftigen Bedürfnisse des Jahres 2000 decken würde. Denn 7500 Studienanfänger, das bedeute immerhin einen „Ärzteausstoß" von rund 5000 über den „Ersatzbedarf"

hinaus. „Zusatzbedarf" läßt sich fast beliebig manipulieren, weshalb die Grenzen letztlich auch nicht al- lein nach dem „Bedarf" sondern nach dem Möglichen gesteckt wer- den müssen. 5000 Ärzte stehen nach McKinsey immerhin zusätz- lich für neue Aufgaben zur Verfü- gung: von der Psychiatrie über den öffentlichen Gesundheitsdienst bis zur Arbeitsmedizin. Doch die Er- wartungen der McKinsey-Gutach- ter, denen für das Jahr 2000 eine Arztdichte von 1:350 als angemes- sen erschien, sind bereits heute weit übertroffen. Die Anfängerzah- len dürften bereits jetzt um 500 pro Jahr über dem McKinsey-Soll liegen.

Die Bevölkerungsentwicklung, die die Firma McKinsey noch als kon- stant unterstellt hatte, ist rückläu-

fig. Das Statistische Bundesamt nimmt an, daß bis zum Jahre 1990 die deutsche Bevölkerung um 5,8 Prozent abnimmt (eine „Kompen- sation" durch Gastarbeiter ist in- zwischen höchst fraglich). Es be- darf daher keiner sonderlichen Prophetengaben, um zu sagen, daß die McKinsey-Annahmen für das Jahr 2000 bereits 1990, spätestens 1995 erfüllt sein dürften, und da- nach eben über-erfüllt sind.

Zu fragen ist daher, nach welchen Bedarfsvorstellungen Planer und Politiker arbeiten. Liest man den Beitrag von Frau Focke in der

„Welt" (Auszüge daraus sind auf Seite 2193 dieses Heftes doku- mentiert), dann muß man den Ein- druck gewinnen, daß sie offenbar keine Bedarfsvorstellungen hat, ja solche sogar ablehnt. Damit steht Frau Focke keineswegs allein.

Nicht wenige sozialliberale Politi- ker lehnen Bedarfsrechnungen ab.

Ungeliebte Bedarfsplanung — Ideologischer Hintergrund

Nicht etwa, wie Frau Focke es tut, weil die Materie zu kompliziert ist, sondern aus jenen ideologischen Gründen, die schon die allgemeine Bildungspolitik der letzten Jahre in die Irre geführt haben. Es ist der verständliche und doch frustrane Versuch, Chancengleichheit mittels Bildung zu schaffen, der dazu ver- führte, dem Auseinanderplatzen der Hochschulen mit stillem Wohl- gefallen zuzusehen. Ein heraufzie- hendes „akademisches Proletariat"

stört bei solchen ideologischen Motiven nicht. Im Gegenteil, es ist sogar gewollt, denn erst die Egali- sierung ist die letzte Konsequenz der Chancengleichheit. Als Trost wird den Egalisierten der Wert der

„Bildung an sich" gepriesen. In Kauf genommen, ja als wünschens- wert bezeichnet wird es, daß viele Akademiker heute schon und erst recht in Zukunft nicht mehr in ad- äquaten Positionen beschäftigt wer- den können. Eine Vergeudung von Steuergeldern, diese Methode, per Hochschule gehobene Allgemein-

bildung zu vermitteln! Die Bemü- hungen, dieses hehre Ideal der

„Bildung an sich" vorwärtsstreben- den jungen Leuten einzuimpfen, waren bisher zudem nicht sonder- lich erfolglich. Es wäre auch ein Zeichen von Resignation, sollte man auf Karriere verzichten und sich in Bildung bescheiden. Das Ende der Leistungsgesellschaft, deren Vorzüge auch die Bildungs- ideologen bisher genießen, wäre erreicht.

Viele Ärzte — steigende Leistungen, steigende Kosten

Für alle Studiengänge, die wie die Medizin eindeutig auf einen be- stimmten Beruf bezogen sind, war die „Bildung an sich" ohnehin nie von sonderlicher Bedeutung. Denn abgesehen von den wenigen, die später Romanciers oder Erdölma- nager werden, werden Medizinstu- denten immer noch Arzt. Und viele Medizinstudenten, das macht eben viele Ärzte. Wer sich daher mit der Entwicklung dieses Faches beschäf- tigt, wird einfach nicht umhin kön- nen, sich ohne ideologische Vor- eingenommenheit mit Bedarfspro- gnosen zu befassen. Davon befreit auch nicht die landläufige Erkennt- nis, die auch Frau Focke gewon- nen hat, daß Prognosen unsicher sind. Die Folgerung, dann einfach darauf zu verzichten, bedeutet nichts anderes, als die Entwicklung treiben zu lassen. Das ist weder politisch noch verantwortungsbe- wußt. Die erste Folge einer solchen Un-Politik wäre ein weiteres — und diesmal wahrhaftig explosives — Ansteigen der Kosten; nicht weil all die vielen Ärzte dann jeder für sich

„zuviel" verdienten (damit wäre es dann ohnehin schnell zu Ende), sondern weil jeder Arzt dank des fast unbegrenzten Bedürfnisses nach Gesundheit neue Leistungen schafft. Die Kassen, die kaum ein- mal von Ärztemangel, sondern meist von Mängeln in der Ärztever- teilung reden, haben das übrigens schon erkannt. Frau Focke hat es zwar auch gemerkt; sie zieht dar- aus aber keine Konsequenzen. NJ

2194 Heft 35 vom 26. August 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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