Vom Baby
zum Kleinkind
Sabina Pauen
Beobachtung, Begleitung
und Förderung in den ersten Jahren
Vom Baby zum Kleinkind
Sabina Pauen
Vom Baby zum Kleinkind
Beobachtung, Begleitung und Förderung in den ersten Jahren
2. Auflage
ISBN 978-3-662-54932-2 ISBN 978-3-662-54933-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-54933-9
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Ursprünglich erschienen unter dem Titel: Vom Baby zum Kleinkind, Entwicklungs- tagebuch zur Beobachtung und Begleitung in den ersten Jahren
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Univ. Heidelberg Psychologisches Inst.
Heidelberg, Deutschland
Danksagung
Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die freundliche Un- terstützung der Jacobs Foundation, bei der ich mich an dieser Stelle von Herzen bedanken möchte! Die Stiftung hatte mir zunächst Gelegenheit gegeben, im Rahmen der Marbach-Kon- ferenzreihe weltweit führende Experten zum Thema „Early Childhood Development and Later Achievement“ an einen Tisch zu bringen, um über frühe Kindheit und ihre Bedeutung für das spätere Leben zu diskutieren. Sie hat mich im Anschluss auch ausdrücklich dazu ermutigt, mir Gedanken zu machen, wie neue Erkenntnisse entwicklungspsychologischer For- schung für die Praxis nutzbar gemacht werden können. Ohne diesen Appell sowie die Zusicherung großzügiger finanzieller Mittel für das Jacobs-Pauen-Projekt wäre es nicht möglich ge- wesen, die vorliegende Beobachtungs- und Dokumentations- hilfe zu erstellen. Mein Buch ist für alle geschrieben, die täglich mit Säuglingen und Kleinkindern zu tun haben und sich – so wie die Stiftung und ich – Gedanken darüber machen, wie sie Entwicklung bestmöglich fördern können.
Persönlich möchte ich an dieser Stelle auch Simon Sommer danken, der als mein direkter Ansprechpartner bei der Stiftung stets ein offenes Ohr für alle Fragen hatte und mich wunder- bar „gecoacht“ hat, damit ich alle Formalitäten richtig erle-
VI
dige, Anträge rechtzeitig einreiche und die Kommunikation mit dem Stiftungsrat gut gestalten kann.
Danken möchte ich auch Dipl.-Psych. Lena Ganser, die vom ersten Tag an im Jacobs-Pauen-Projekt mitgearbeitet hat. Sie war meine rechte und linke Hand, als es um die Konzeption des Buches und der zugehörigen Internet-Plattform (www.
mondey.de) ging. Ihre wertvollen Hinweise und ihr großes Engagement für die Sache haben das Projekt sehr schnell vorangebracht. Es ist eine große Freude, mit ihr zusammen- arbeiten zu dürfen!
Bevor das Buch in Druck ging, habe ich das Manuskript und die Meilenstein-Sammlung anderen Experten vorgelegt – wohl wissend, dass ihre Arbeitszeit sehr kostbar ist und sie viel zu tun haben. Trotzdem haben sich die Kollegen Zeit für ein Feedback genommen und mir damit geholfen, das Buch fachlich optimal zu gestalten. Mein besonderer Dank gilt Prof. Joachim Pietz (Kinderneurologe), Prof. Beate Sodian und Prof. Gisa Aschersleben (Entwicklungspsychologinnen mit Schwerpunkt soziale Entwicklung) sowie Prof. Manfred Holodynski (Entwicklungspsychologe mit Schwerpunkt Emotionspsychologie und Selbstregulation).
Gerade weil Linda Scheuermann nicht zu den Professoren- Kollegen gehört, hat ihr sorgfältiges Lesen des Manuskripts aus der Mutter-Perspektive ebenfalls wesentlich zur Optimie- rung beigetragen. Auch bei ihr möchte ich mich herzlich für alle guten Kommentare und Anregungen bedanken.
Schließlich möchte ich meiner Familie danken: meinem Le- benspartner Dr. Coryn Bailer-Jones und unseren drei Kindern Helena, Ezra und Cosima. Sie hatten wirklich viel Geduld mit mir, wenn ich am Wochenende oder in den Ferien am Buch gearbeitet habe, obwohl diese Zeit eigentlich für sie reserviert sein sollte. Wir freuen uns alle gemeinsam, dass das Werk nun fertig ist, und hoffen, dass sich die Mühe gelohnt hat!
Inhalt
1. Vom Baby zum Kleinkind . . . . � 1
Beobachtung, Begleitung und Förderung in den ersten Lebensjahren . . . . 1
Aufbau des Buches . . . . 6
Dokumentation von persönlichen Entwicklungsverläufen . . . . 9
2. Grobmotorik . . . . 15
Allgemeine Trends der grobmotorischen Entwicklung . . . . 16
Beziehung der Grobmotorik zu anderen Lebensbereichen . . . . 17
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 18
Kopfkontrolle . . . . 20
1 Das Köpfchen alleine heben . . . . 20
2 Den Kopf frei bewegen . . . . 22
Rumpfkontrolle . . . . 24
3 Sich in Bauchlage mit gestreckten Armen aufstützen . . . . 24
4 Alleine sitzen . . . . 26
Beinkontrolle . . . . 28
5 Sich alleine zum Stand hochziehen . . . . 28
6 Stehen mit Festhalten . . . . 30
6 Stehen mit Festhalten . . . . 30
7 Alleine stehen . . . . 32
VIII
Fortbewegung am Boden . . . . 34
8 Sich selbstständig auf dem Boden rollen . . . . 34
9 Vorwärts auf allen vieren . . . . 36
Fortbewegung im Stehen . . . . 38
10 An Möbeln und Gegenständen entlang gehen . . . . 38
11 Vorwärts laufen . . . . 40
12 Rückwärtsschritte machen . . . . 42
13 Treppensteigen . . . . 44
Balance im Stehen . . . . 46
14 Bücken und Aufrichten im freien Stand . . . . 46
15 Frei auf einem Bein stehen . . . . 48
Hüpfen und springen . . . . 50
16 Ohne Festhalten auf der Stelle hüpfen . . . . 50
17 Alleine von einer Stufe/einem Absatz springen . . . . 52
Werfen und fangen . . . . 54
18 Wegwerfen eines Gegenstandes . . . . 54
19 Ball mit den Armen fangen . . . . 56
3. Feinmotorik . . . . 59
Allgemeine Trends der feinmotorischen Entwicklung . . . . 59
Beziehung der Feinmotorik zu anderen Lebensbereichen . . . . 60
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 61
Hand-Körper-Koordination . . . . 64
20 Die Hand gezielt zum Mund führen . . . . 64
21 Hände vor dem Körper zusammenführen und mit Fingern spielen 66 22 Handinnenflächen gezielt gegeneinander schlagen . . . . 68
Objekte greifen und halten . . . . 70
23 Gezielt nach dargebotenem Spielzeug greifen . . . . 70
24 Objekte im Zangengriff greifen und halten . . . . 72
25 Pinzettengriff . . . . 74
Objekte manipulieren . . . . 76
26 Gegenstände von einer Hand in die andere geben . . . . 76 Vom Baby zum Kleinkind
IX Inhaltsverzeichnis
27 Spielzeug in einer Hand drehen und wenden . . . . 78
28 Gegenstand mit beiden Händen getrennt bearbeiten . . . . 80
29 Mindestens drei Gegenstände stapeln . . . . 82
Essen und trinken . . . . 84
30 Alleine aus einem offenen Trinkgefäß trinken . . . . 84
31 Ohne Kleckern mit Löffel essen . . . . 86
Zeichnen . . . . 88
32 Mit Stift kritzeln . . . . 88
33 Gezielt Linien und Formen zeichnen . . . . 90
An- und ausziehen . . . . 92
34 Kleidungsstücke selbst ausziehen . . . . 92
35 Kleidungsstücke selbst anziehen . . . . 94
36 Grobe Reißverschlüsse alleine öffnen und schließen . . . . 96
37 Knöpfe alleine öffnen und schließen . . . . 98
4. Wahrnehmung . . . .101
Allgemeine Trends der Wahrnehmungsentwicklung . . . . 101
Nahsinne . . . . 101
Fernsinne . . . . 102
Hören . . . . 103
Sehen . . . . 103
Koordination von Hören und Sehen . . . . 105
Übergang zum Denken . . . . 105
Beziehung der Wahrnehmung zu anderen Lebensbereichen . . 106
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 107
Sehen . . . . 110
38 Objekte in Augenschein nehmen . . . . 110
39 Bewegten Gegenständen mit dem Blick folgen . . . . 112
40 Größere Bilder mit dem Blick erforschen . . . . 114
Hören . . . . 116
41 Blick auf Geräuschquelle richten . . . . 116
42 Sich nach Geräuschquelle hinter dem Rücken umdrehen . . . . 118
X Vom Baby zum Kleinkind
Erinnern . . . . 120
43 Verschwundenen Gegenständen hinterherschauen . . . . 120
44 Aktiv nach Gegenstand suchen, der zuvor komplett verdeckt wurde . . . . 122
5. Denken . . . .125
Allgemeine Trends der Denkentwicklung . . . . 126
Beziehung zwischen dem Denken und anderen Lebensbereichen . . . . 128
Was Sie beim Umgang mit den nachfolgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 129
Darstellen und symbolisieren . . . . 130
45 Körpergesten zur Verständigung einsetzen . . . . 130
46 Funktionshandlungen ausführen . . . . 132
47 Als-ob-Spiele durchführen . . . . 134
Räumlich ordnen . . . . 136
48 Objekte am richtigen Platz finden . . . . 136
49 Beginnendes Sortierverhalten . . . . 138
Planen . . . . 140
50 Gezielte Verkettung von Teilhandlungen . . . . 140
51 Kreativer Einsatz von Hilfsmitteln . . . . 142
52 Verschiedene Lösungswege ausprobieren . . . . 144
6. Sprache . . . .147
Allgemeine Trends der Sprachentwicklung . . . . 147
Beziehung zwischen Sprache und anderen Lebensbereichen . . 149
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 149
Laute . . . . 152
53 Gurren . . . . 152
54 Lautieren und brabbeln . . . . 154
55 Produktion verschiedener Lautkombinationen . . . . 156
XI Inhaltsverzeichnis
Silben . . . . 158
56 Einfache Silben verdoppeln . . . . 158
57 Kombinieren verschiedener Silben . . . . 160
Worte . . . . 162
58 Erste Worte verstehen . . . . 162
59 Erste Worte sprechen . . . . 164
60 Mindestens 50 unterschiedliche Worte aktiv verwenden . . . . 166
Besondere Worte . . . . 168
61 Verwendung von Finalwörtern . . . . 168
62 Verwendung von Mehrzahlwörtern . . . . 170
63 Verwendung von Farbworten . . . . 172
64 Verwendung der Worte „ich“ und „du“ . . . . 174
Sätze . . . . 176
65 Einfache Sätze verstehen . . . . 176
66 Zweiwortsätze bilden . . . . 178
67 Drei- und Mehrwortsätze bilden . . . . 180
68 Reden in anderen Zeiten . . . . 182
7. Soziale Beziehungen . . . .185
Allgemeine Trends der Entwicklung von sozialen Beziehungen 186
Beziehung der sozialen Entwicklung zu anderen Lebensbereichen . . . . 186
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 187
Nähe und Distanz regulieren . . . . 190
69 Auf Kontaktangebot mit Zuwendung reagieren . . . . 190
70 Auf Kontaktangebot mit Widerstand reagieren . . . . 192
71 Eigene Versuche zur Kontaktaufnahme starten . . . . 194
Vorsprachliche Kommunikation . . . . 196
72 Mimische Gesten imitieren . . . . 196
73 Körpergesten oder Laute imitieren . . . . 198
74 Abwechselnd aufeinander reagieren . . . . 200
75 Objekte anbieten/einfordern . . . . 202
XII Vom Baby zum Kleinkind
Gemeinsame Bezüge herstellen . . . . 204
76 Der Zeigegeste einer anderen Person folgen . . . . 204
77 Die Zeigegeste selbst benutzen . . . . 206
78 Geteilte Aufmerksamkeit . . . . 208
Fremde und vertraute Personen unterscheiden . . . . 210
79 Zurückhaltung gegenüber fremden Personen . . . . 210
80 Widerstand gegen Trennung von Bezugspersonen . . . . 212
81 Soziale Rückversicherung . . . . 214
82 Emotionale Rückversicherung . . . . 216
Kooperation im Alltag . . . . 218
83 Teilen . . . . 218
84 Aufforderungen nachkommen . . . . 220
85 Freiwilliges Helfen . . . . 222
Gemeinsam spielen . . . . 224
86 Assoziatives Spiel . . . . 224
87 Bewegungsspiel . . . . 226
88 Konstruktionsspiel . . . . 228
89 Rollenspiel . . . . 230
90 Regelspiel . . . . 232
8. Selbstregulation . . . .235
Allgemeine Trends der Selbstregulation . . . . 236
Auswirkungen der Selbstkontrolle auf andere Entwicklungsbereiche . . . . 238
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 239
Gefühle . . . . 240
91 Sich von vertrauten Personen beruhigen lassen . . . . 240
92 Beginnende Selbstberuhigung . . . . 242
Impulse . . . . 244
93 Impulse auf Verlangen anderer kontrollieren . . . . 244
94 Impulse eigenständig kontrollieren . . . . 246
XIII Inhaltsverzeichnis
Schlaf . . . . 248
95 Nachts durchschlafen . . . . 248
96 Nur ein Zwischenschlaf pro Tag . . . . 250
Ausscheidungen . . . . 252
97 Auf das Töpfchen oder die Toilette gehen wollen . . . . 252
98 Tagesverlauf ohne in die Hose/Windel zu machen . . . . 254
9. Gefühle . . . .257
Allgemeine Trends der Gefühlsentwicklung . . . . 258
Beziehung zwischen Gefühlen und anderen Lebensbereichen . . 259
Was Sie beim Umgang mit den folgenden Meilensteinen beachten sollten . . . . 261
Einfache Gefühle zeigen . . . . 262
99 Freude . . . . 262
100 Angst . . . . 264
101 Ärger . . . . 266
102 Traurigkeit . . . . 268
Über Gefühle reden . . . . 270
103 Über eigene Körperzustände reden . . . . 270
104 Über eigene Gefühle reden . . . . 272
105 Über Körperzustände und Gefühlsäußerungen anderer reden . . 274 Komplexe Gefühle zeigen . . . . 276
106 Stolz . . . . 276
107 Verlegenheit . . . . 278
108 Eifersucht . . . . 280
109 Trotz . . . . 282
110 Mitgefühl . . . . 284
111 Schuldgefühle . . . . 286
10. Wie stelle ich fest, ob sich ein Kind „normal“ entwickelt? . . . .289
MONDEY-Interaktiv und Entwicklungskalender . . . . 289
XIV Vom Baby zum Kleinkind
11. Schlusswort . . . .293 Die MONDEY-Kurzskala . . . .297 Entwicklungskalender . . . .323
Einleitung
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018
S. Pauen, Vom Baby zum Kleinkind, https://doi.org/10.1007/978-3-662-54933-9_1
Vom Baby zum Kleinkind
Beobachtung, Begleitung und Förderung in den ersten Lebensjahren
Babys sind faszinierende Wesen! Auf die meisten Erwachse- nen wirken sie wie Magneten: Man kann seine Augen nicht von ihnen lassen und beobachtet sie gerne – sogar im Schlaf.
Wenn sie dann langsam größer werden und rasch immer neue Fähigkeiten dazu gewinnen, gibt es jeden Tag kleine Entwicklungswunder zu bestaunen. Die Kinder lernen, ihre Bewegungen zu steuern, sie trainieren ihre Sinne und üben das Denken, beginnen zu sprechen, bauen Beziehungen auf und erweitern ihre Möglichkeiten, mit Gefühlen umzugehen. So vieles passiert in den ersten Lebensjahren!
Wer Babys oder Kleinkinder erzieht, ist meist sehr damit beschäftigt, das ganz normale Leben zu organisieren und fin- det oft keine Zeit, die zahlreichen Leistungen zu würdigen, die täglich von den Kleinen erbracht werden. Viele Eltern denken im Rückblick, wie schnell die Zeit vergangen ist, bis ihr Kind selbstständig geworden ist und fragen sich, wie das alles überhaupt möglich war. Manche bedauern, dass Sie nicht aufgeschrieben haben, wie diese Veränderungen zustande ka- men. Ähnlich geht es Erzieherinnen oder Tagesmüttern, die im Alltagsstress das Gefühl haben, dem einzelnen Kind nicht wirklich gerecht werden zu können. Doch was hindert uns ei-
2 Einleitung
gentlich daran, genau hinzusehen oder eigene Beobachtungen aufzuschreiben?
Ein Problem besteht darin, genau zu wissen, worauf man achten soll. Welche der vielen verschiedenen Fähigkeiten, die ein Kind in den ersten Lebensjahren erwirbt, sind wirklich wichtig? Und woran erkennt man sie? Ein weiteres Problem besteht darin, dass man nicht weiß, wie man Fortschritte am besten dokumentieren kann. Oft werden einfach Fotos oder Videos gemacht. Aber die ersetzen nicht das, worauf es wirk- lich ankommt: Sich bewusst zu machen, was gerade passiert, zu überlegen, warum es passiert, inwiefern es wichtig ist und wie man das Kind am besten in seiner weiteren Entwicklung unterstützen kann. Um solche Überlegungen anstellen zu können, muss man sich tatsächlich etwas Zeit nehmen. Dass diese Mühe sich lohnt, zeigen Entwicklungstagebücher, die bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben werden.
Zum damaligen Zeitpunkt läuteten sie den Beginn entwick- lungspsychologischer Forschung ein. Einzelne Menschen (da- runter z.B. auch der berühmte Wissenschaftler Jean Piaget) haben ihre Kinder genau beobachtet, diese Wahrnehmungen aufgeschrieben und ganze Theorien auf der Grundlage ihrer Dokumentation aufgestellt. Auch wenn das sicher ein Son- derfall ist, der sich nicht unbedingt auf „normale“ Eltern oder professionelle Kinderbetreuer übertragen lässt, wird daran deutlich, dass die genaue Betrachtung von Entwicklungs- prozessen einen sehr wichtigen Schlüssel zu guter Frühför- derung darstellt. Deshalb wurde auch das vorliegende Buch zur Beobachtung, Begleitung und Förderung in der frühen Kindheit geschrieben. Es richtet sich an alle, die privat oder professionell mit Babys und Kleinkindern zu tun haben. Das sind Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel genauso wie Krip- penerzieherinnen, Babysitter, Frühpädagogen oder Kinder-
Einleitung 3
ärzte. Mein Ziel ist es, modernes entwicklungspsychologisches Wissen über Veränderungen in den ersten drei Lebensjahren mit den Lesern zu teilen und dabei ein Format zu finden, das dazu anregt, Kinder genauer zu beobachten und ihre Entwick- lung objektiv zu dokumentieren. Dabei geht es nicht darum, den „warmen“ liebevollen Blick auf das Kind gegen einen ver- meintlich „kühlen“ Forscherblick einzutauschen. Vielmehr soll die Wahrnehmung für das Wunder der Entwicklung jedes einzelnen Kindes geschärft und die Bereitschaft gestärkt wer- den, Kinder unterstützend zu begleiten.
Wie wichtig es ist, dass wir uns Zeit nehmen, gerade in der frühen Kindheit genau hinzusehen, lehrt uns die Neuropsy- chologie: Anders als die meisten Tiere kommt der Mensch mit einem recht unreifen Gehirn zur Welt. Zwar sind schon fast alle Nervenzellen angelegt, aber es dauert noch eine ganze Weile, bis sie biologisch voll entwickelt und umfassend mit- einander verknüpft sind. Als Folge dieser Veränderungen ver- dreifacht sich das Gehirnvolumen des Kindes in den ersten Lebensjahren. Fände diese Entwicklung vor der Geburt statt, dann würde der Kopf wohl kaum durch den Geburtskanal passen. Es hat aber auch große Vorteile, die Vernetzung von Nervenzellen auf die Zeit nach der Geburt zu verlagern: Unser Gehirn kann sich so in enger Abstimmung mit den Erfah- rungen entwickeln, die wir täglich machen. Dadurch passt es sich optimal an seine Umwelt an. Nimmt man diese Feststel- lung ernst, so ergibt sich daraus eine wichtige Konsequenz:
Erwachsene, die viel mit Babys oder Kleinkindern zu tun haben, tragen eine hohe Verantwortung für die Zukunft der Kinder. Man muss sich immer neu überlegen, welche Rah- menbedingungen ein bestimmtes Kind am ehesten dazu an- regen, den nächsten Schritt zu tun. Es heißt aber auch, nichts Unmögliches zu verlangen und geduldig zu bleiben, wenn das
4 Einleitung
Kind aufgrund seines biologischen Reifegrades noch nicht in der Lage ist, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Um hier die richtige Balance zu finden, ist es hilfreich, sich vor Augen zu führen, wie groß die Herausforderungen sind, denen ein Kind mit jedem neuen Entwicklungsschritt begegnet.
Vielleicht erinnern Sie sich noch dunkel daran, wie sehr Sie ins Schwitzen gekommen sind, als Sie zum ersten Mal eine Schleife gebunden haben? Oder wie stolz sie waren, als Sie gelernt haben, von einer Mauer zu hüpfen? Da die bewusste Erinnerung oft erst mit vier oder fünf Jahren einsetzt, fällt es den meisten Erwachsenen schwer, sich in die Wirklich- keit eines kleinen Kindes hineinzuversetzen. Wir nehmen die riesigen Fortschritte, die in dieser Zeit stattfinden, oft als Selbstverständlichkeit wahr oder sind ungeduldig, wenn ein Kind länger als andere braucht, bevor ihm bestimmte Hand- lungen zuverlässig gelingen. Nur das Erreichen einiger weniger Fähigkeiten lässt unser Herz besonders hoch schlagen: das erste Lächeln, die ersten Schritte ohne fremde Hilfe, das erste Wort. Dabei gibt es noch so viel mehr Veränderungen, die Be- achtung verdienen! Wir sind nur noch nicht gewöhnt, gezielt nach ihnen Ausschau zu halten. Wenn Sie den eigenen Blick für die Entwicklung von Kindern schulen und Fortschritte bewusst wahrnehmen, macht die Begleitung der Kleinen noch mehr Freude. Denn wenn man genau hinschaut, tut sich fast täglich etwas.
Jedes Kind hat dabei seine eigenen Talente und sein ei- genes Tempo: Das eine fängt früh an zu reden, das andere stellt sich eher auf die Beine. Und jedes Kind kommt als kleine Persönlichkeit zur Welt: Das eine geht alles langsam an, das andere ist kaum zu bremsen. Kinder sind von Anfang an sehr verschieden und sie entwickeln sich auf ihre ganz persönliche Art und Weise. Wenn wir einzelnen Kindern wirklich gerecht
Einleitung 5
werden wollen, müssen wir solche Besonderheiten wahrneh- men und achten.
Auch wenn das Entwicklungstempo variieren mag – die Abfolge, in der bestimmte Fähigkeiten erworben werden, ist in der Regel nicht beliebig. Das kann man leicht an ein paar ganz einfachen Beispielen erkennen: Wohl kaum ein Kind wird den ersten Schritt alleine tun, ohne vorher selbstständig stehen zu können. Und nur äußerst selten passiert es, dass ein Kind gleich in ganzen Sätzen spricht, ohne vorher irgendwann zunächst Laute von sich gegeben zu haben. Entwicklung lässt sich für viele Bereiche als Aufbau von Teilfähigkeiten beschrei- ben. Keine Fähigkeit taucht plötzlich aus dem Nichts auf. Fast immer gibt es Vorstufen, die erst erreicht werden müssen, be- vor scheinbar plötzlich ein großer Fortschritt deutlich wird.
Entwicklungspsychologen studieren die Reihenfolge, in der wichtige Fähigkeiten erworben werden, und versuchen zu verstehen, wie diese Fähigkeiten aufeinander aufbauen.
Sie machen sich auch Gedanken darüber, wie man Kinder am besten unterstützen kann, den nächsten Entwicklungs- schritt zu tun. Wie bereits mehrfach betont, ist das „A“ und
„O“ dabei, dass das einzelne Kind in seinem individuellen Entwicklungsstand richtig gesehen wird. Wer das Kind un- terschätzt (z.B. aus Sorge, es könnte etwas passieren) tut ihm keinen Gefallen, weil es mit bestimmten Herausforderungen und Entwicklungsgelegenheiten gar nicht in Kontakt kommt.
Wer das Kind überschätzt (z.B. aus dem Gefühl heraus, der eigene Sohn / die eigene Tochter müsse das beste Kind von allen sein und sich am schnellsten entwickeln), überfordert es und macht es zur Projektionsfläche seiner eigenen Wünsche anstatt ihm wirklich gerecht zu werden.
Um zu wissen, was man zu einer gegebenen Zeit von einem Kind erwarten kann, vergleichen viele Eltern die Fähigkeiten
6 Einleitung 6 Einleitung
ihres Kindes aus Unsicherheit mit denen anderer Kinder.
Ständige Vergleiche richten den Blick auf das, was sein soll und nicht auf das, was ist. Eine geglückte Begleitung setzt voraus, dass wir bereit sind, uns erst einmal auf den Entwick- lungsweg des einzelnen Kindes einzulassen. Nur dann können wir nämlich versuchen, für das Kind passende Entwicklungs- gelegenheiten zu schaffen. Gleichzeitig möchten wir natür- lich wissen, ob bei dem von uns begleiteten Kind alles „im grünen Bereich“ ist. Machen Sie sich dabei bewusst, dass jedes Kind sein eigenes Entwicklungstempo hat und in manchen Bereichen vielleicht ‚früher dran‘ ist, als in anderen. Das ist völlig normal. Erst stark verzögert auftretende Entwicklungs- schritte geben Anlass, noch mal genauer hinzusehen. Wenn Sie dieses Buch nutzen, können Sie beides tun: Beobachten und dokumentieren Sie mit Freude die Fortschritte, die das Kind macht, und stellen Sie gleichzeitig fest, ob sich das Kind altersgemäß entwickelt. Damit das möglich ist, habe ich mit Unterstützung der Jacobs Foundation, einem Team von engagierten Wissenschaftlerinnen an der Universität Heidel- berg und zahlreichen Krippen-Erzieherinnen sowie Eltern ein Programm entwickelt, das sich MONDEY (Milestones of Normal Development in Early Childhood) nennt und in diesem Buch näher vorgestellt wird.
Aufbau des Buches
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert, die jeweils über be- deutsame Fortschritte in einzelnen Lebensbereichen informie- ren. Das gilt für (1) die Grobmotorik, (2) die Feinmotorik, (3) die Wahrnehmung, (4) das Denken, (5) die Sprache, (6)
Einleitung 7
soziale Beziehungen, (7) die Selbstregulation und (8) Ge- fühle. Die Auswahl dieser Bereiche entspricht dem von uns entwickelten MONDEY-Programm; sie richtet sich nach neuesten entwicklungspsychologischen Erkenntnissen und nach praktischen Erwägungen. Jeder Bereich hat im Buch seine eigene Farbkennung, die Sie auch am Rand der Seiten wiederfinden.
Zu Beginn jedes Kapitels finden Sie eine allgemeine Ein- leitung mit einem ganz knappen Überblick über die wich- tigsten Veränderungen innerhalb der ersten Lebensjahre. Die verschiedenen Lebensbereiche sind dann noch einmal in Teil- bereiche untergliedert.
Für jeden Teilbereich werden dann einzelne Fähigkeiten dargestellt, die ein Kind typischerweise in einer bestimmten Reihenfolge erwirbt. Diese Fähigkeiten werden „Milestones / Meilensteine“ genannt. Insgesamt enthält das Buch 111 Meilensteine, die ein normal entwickeltes Kind typischer- weise bis zum dritten Lebensjahr erwirbt. Dabei handelt es sich lediglich um eine Basissammlung. Auch wenn es in den ersten Lebensjahren noch viel mehr als nur 111 Fähigkeiten gibt, die Kinder hinzugewinnen, wurde ganz bewusst eine Auswahl der wichtigsten Meilensteine getroffen, damit Sie als Beobachter nicht die Übersicht verlieren. Denn wenn man auf zu viel auf einmal achten muss, entsteht leicht Verwirrung und Unsicherheit.
Bei der Auswahl geeigneter Meilensteine war ein wichtiges Kriterium, dass man die Fähigkeit auch ohne großes Vor- wissen oder intensives Training im Alltag beobachten kann.
Außerdem braucht man zur Überprüfung, ob der Meilenstein schon erreicht wurde, kein spezielles Testmaterial. Einige Mei- lensteine wurden aus anderen entwicklungsdiagnostischen Instrumenten übernommen, im vorliegenden Fall aber noch
8 Einleitung 8 Einleitung
präziser definiert. Andere Meilensteine wurden ganz neu for- muliert, weil sich erst in den letzten Jahren herausgestellt hat, dass sie wichtige Hinweise auf die weitere Entwicklung geben.
Die Sammlung innerhalb jedes Entwicklungsbereichs ist so geordnet, dass später auftauchende Fähigkeiten typischer- weise auch später aufgelistet sind. So steht im Bereich „Selbst- regulation“ unter der Überschrift „Schlaf regulieren“ als erstes der Meilenstein „Nachts durchschlafen“ und erst danach „Nur ein Zwischenschlaf pro Tag“, weil Kinder typischerweise erst lernen, nachts durchzuschlafen, bevor sie lernen, mit einer Schlafpause am Tag auszukommen. Es ist aber ganz wichtig, sich immer klar zu machen, dass die Reihenfolge nur inner- halb der Teilbereiche gilt und im Einzelfall durchaus auch ein- mal anders aussehen kann. Manchmal kommt es sogar vor, dass einzelne Meilensteine ganz übersprungen werden. Jedes Kind hat seinen eigenen Entwicklungsweg!
Damit Sie sich im Buch leicht zurechtfinden, sind alle Sei- ten zur Beschreibung der Meilensteine gleich aufgebaut: Pro Meilenstein wurde eine Doppelseite angelegt. Oben rechts sehen Sie ein Foto, das Ihnen ein Kind zeigt, das gerade das interessierende Verhalten ausführt. Daneben steht in einem Satz zusammengefasst, um welche Fähigkeit es sich handelt.
Das ist die Definition des Meilensteins. Auf der linken Seite finden Sie die Nummer des Meilensteins sowie eine genauere Beschreibung, die Ihnen helfen soll, die Verhaltensweise sicher zu erkennen und auch zu verstehen, worin für das Kind die besondere Herausforderung besteht. Ergänzt wird das Ganze durch Hinweise, wie Sie das Kind bestmöglich darin unter- stützen können, den Meilenstein zu erreichen.
Sie können das Buch am Stück lesen oder abends einfach zum Spaß darin blättern, wenn Sie etwas über den Aufbau
Einleitung 9
wichtiger Fähigkeiten in der frühen Kindheit lernen wollen.
Es ist aber auch gut möglich, das Buch zu nutzen, um die Entwicklung einzelner Kinder gezielt zu beobachten und zu dokumentieren. Auf diese Weise erstellen Sie für das Kind ein ganz persönliches Entwicklungstagebuch, in dem es später nachvollziehen kann, wann es welche Fähigkeiten erworben hat. Außerdem ist es dann möglich festzustellen, ob ein Mei- lenstein rechtzeitig oder verspätet erreicht wurde. Wie das geht, erklären wir im nächsten Absatz.
Dokumentation von persönlichen Entwicklungsverläufen
So, wie man aufschreiben kann, wann das Kind seinen ersten Zahn bekommt, kann man auch festhalten, wann es beispiels- weise zum ersten Mal alleine die Treppe hinabgestiegen ist, aus einer Tasse getrunken, ein Problem gelöst, einen ganzen Satz gesprochen, mit anderen zusammen etwas gebaut oder mitfühlend reagiert hat. Es kann sehr hilfreich sein, diese In- formationen verfügbar zu haben, um sich mit anderen darüber auszutauschen (z.B. wenn die Krippenerzieherin Elterngesprä- che führt oder wenn das Kind zur U-Untersuchung dem Kin- derarzt vorgestellt wird). Besonders bedeutsam werden solche Beobachtungen, wenn Anlass zur Sorge besteht, dass die Ent- wicklung verzögert verläuft. Da man das oft erst relativ spät erkennt, macht es Sinn, von Beginn an zu notieren, wenn neue Fähigkeiten auftauchen.
Das Buch bietet Ihnen die Möglichkeit zu prüfen, ob alles in Ordnung ist. Voraussetzung dafür ist, dass die eigene Be- obachtung sehr systematisch erfolgt. Wenn Sie das vorhaben,
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empfiehlt es sich, alle Meilensteine, die in einem bestimmten Alter interessant werden, zunächst einmal genau zu lesen.
Dafür finden Sie direkt im Anschluss an diese Einleitung eine Übersichtstabelle, in der steht, ab welchem Lebensmonat wel- che Meilensteine (erkennbar an der Nummer) typischerweise beobachtbar sind. Schreiben Sie sich die Nummern der zum Alter des Kindes passenden Meilensteine heraus und finden Sie dafür im Buch die passenden Seiten (auch hier sind alle Meilensteine nummeriert).
Machen Sie dann bei jeder Verhaltensweise, die Sie bereits mehr als einmal beim Kind beobachtet haben, auf der passen- den Buchseite unter „gekonnt“ einen Haken und notieren Sie außerdem das „heutige Datum“ im dafür vorgesehenen Feld.
Ist der Meilenstein noch nicht erreicht, beobachten Sie das Kind in den kommenden Tagen, Wochen oder Monaten und tragen Sie das Datum der „1. und 2. Beobachtung“ ein.
Wenn Sie lieber nicht direkt auf die Buchseiten schreiben möchten oder eine Übersicht über alle Meilensteine haben wollen, finden Sie im Anhang 1 zum Buch eine Kurzskala.
Auch hier können Sie Daten zur Bestandsaufnahme („ge- konnt“) und zur kontinuierlichen Dokumentation (1. und 2.
Beobachtungsdatum) eintragen.
Schließlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit der Do- kumentation, die für Sie zusätzliche Vorteile birgt: Legen Sie auf unserer kostenfreien Internetplattform www.mondey.de einen eigenen Account an und dokumentieren Sie interaktiv.
Damit unterstützen Sie unsere Forschung und können sich für das Kind auf der Grundlage Ihrer Daten eine persönliche Ent- wicklungsgeschichte oder ein Entwicklungsprofil erstellen lassen.
Außerdem steht Ihnen unsere Ampelfunktion zur Verfügung.
Die informiert Sie automatisch, ob einzelne Meilensteine rechtzeitig (grün-Schaltung) oder verspätet (gelb-Schaltung)
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erreicht worden sind und gibt zudem Bescheid, falls der Ver- dacht auf eine Entwicklungsverzögerung in einem bestimm- ten Entwicklungsbereich besteht (Rot-Schaltung). Genaue Informationen hierzu erhalten Sie unter www.mondey.de.
Am Ende des Buches im Anhang 2 haben wir für Sie einen Entwicklungskalender bereitgestellt, so dass Sie in jedem Fall nachschauen können, ob das beobachtete Kind einen gegebe- nen Meilenstein eher früh oder eher spät erreicht hat.
Es bereitet wirklich sehr viel Freude, die Entwicklung von Kindern bewusst zu verfolgen und zu dokumentieren! Dieses Buch möchte allen, denen Babys und Kleinkinder besonders am Herzen liegen, die Möglichkeit geben, dieses Bewusstsein zu schärfen. Wer sich ernsthaft darauf einlässt, die Entwick- lung eines Kindes zu dokumentieren, wird am Ende viel mehr entdeckt haben, als auf den Seiten dieses Buches geschrieben steht. Die Auswahl der Meilensteine, die das vorliegende Buch enthält, mag begrenzt sein – nicht aber die Anzahl der Ent- wicklungsschritte, die Sie bei jedem einzelnen Kind beobach- ten können, wenn Sie genau hinsehen. Nutzen Sie das Buch als
„Sprungbrett“ Ihrer persönlichen Entwicklung zum genauen Beobachter und Kenner der unglaublichen Fortschritte, die sich in den ersten Lebensjahren vollziehen. Viel Freude beim Lesen!
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Jeder Meilenstein hat im Buch eine bestimmte Nummer. Nach- folgend haben wir aufgelistet, ab wann jeder einzelne Meilenstein frühestens erreicht wird. So können Sie für jedes Kindesalter gezielt nachschauen, welche Nummern als nächstes interessant werden.
Prüfen Sie aber immer auch die Meilensteine für jüngere Kinder mit ab!
Meilensteine (Nummern) pro Entwicklungsbereich und Alter des Kin- des – Ab wann frühestens zu beobachten?
Entwicklungs-
bereich Entwicklungsalter des Kindes
0-6 Monate 6-12 Monate 12-18 Monate 18-24 Monate 24-32 Monate 32-36+ Monate
Grobmotorik 1, 2, 3 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11
12, 13, 14, 18
15, 16, 17,
19
Feinmotorik 20, 21, 23, 24, 26
22, 25, 27, 28
29, 30, 31, 32
33, 34, 35, 36
37
Wahrnehmung 38, 39, 40, 41, 52, 43
44
Denken, 45, 46,
48
47, 49, 50, 52
51 Sprache 53, 54,
55,
56, 57, 58, 59
60, 61, 65, 66
62, 63, 64, 67, 68
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Entwicklungs-
bereich Entwicklungsalter des Kindes
0-6 Monate 6-12 Monate 12-18 Monate 18-24 Monate 24-32 Monate 32-36+ Monate
soziale Ent- wicklung
69, 70, 71, 72, 74
73, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82,
83, 84, 85, 86, 87
88, 89, 90
Selbstregula- tion
91, 92, 95
93, 96 94 97 98
Gefühle 99,
100, 101
102 106, 107, 108, 109
103, 104, 105, 110, 111
Als nächstes führen wir Sie in die unterschiedlichen Entwick- lungsbereiche ein und erläutern jeden Meilenstein inhaltlich.
Grobmotorik
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018
S. Pauen, Vom Baby zum Kleinkind, https://doi.org/10.1007/978-3-662-54933-9_2
Grobmotorik
Motorik ist die Fähigkeit, sich zu bewegen. Während viele Säugetiere schon wenige Stunden nach der Geburt in der Lage sind, aufzuste- hen und selbstständig ihre Umgebung zu erkunden, gilt das nicht für Menschenkinder. Babys sind „Nesthocker“. Von alleine können sie sich noch nicht einmal umdrehen. Auf dem Rücken liegend gleichen sie kleinen Käfern, die mit den Beinchen (oder Ärmchen) rudern können – viel mehr ist noch nicht möglich.
Innerhalb der ersten Lebensjahre ändert sich das jedoch sehr schnell! So kann jedes normal entwickelte dreijährige Kind rollen, kriechen, stehen, laufen, balancieren, hüpfen und werfen. Dafür muss es seine Muskulatur kräftigen und verschiedene Bewegungs- abläufe einüben. Reifung und Erfahrung hängen dabei eng zu- sammen: Ein Neugeborenes ist noch viel zu schwach, um seinen Kopf zu heben, den Rücken stramm zu halten oder gar auf eigenen Beinen zu stehen. Die Muskeln, die es dafür braucht, reifen aber nur dann, wenn sie auch beansprucht werden. Ein Kind, das immer nur liegt oder getragen wird, wird sich grobmotorisch langsamer entwickeln als ein Kind, das sich viel bewegt.
Auch die Fähigkeit, Bewegungen verschiedener Gliedmaßen gut zu koordinieren, will geübt sein. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, wie schwer es war zu lernen, wie man Dreirad fährt, auf einer Schaukel schaukelt oder im Wasser schwimmt? Das hängt weniger damit zusammen, dass man so viel Kraft für diese Tätigkei- ten braucht, als vielmehr damit, dass man wissen muss, wie genau
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die Bewegung verschiedener Körperteile aufeinander abgestimmt werden soll. Grobmotorik erfordert Kraft und Erfahrung.
Man kann Kinder zwar unterstützen, sich neue Fähigkeiten an- zueignen, aber jede Hilfe wird nur dann effektiv sein, wenn das Förderangebot zur rechten Zeit kommt. Laufübungen werden ein Kind im Alter von fünf Monaten nicht dazu bringen, alleine zu gehen, während die gleichen Übungen ein paar Monate später eher effektiv sind. Auch das freie Sitzen kann das Kind nicht zu jeder beliebigen Zeit lernen, sondern erst, wenn die Rückenmuskulatur stark genug dafür ist. Startet man zu früh, kann das sogar schädliche Folgen haben! Es geht also darum, für jeden Entwicklungsstand die passenden Herausforderungen zu finden.
Allgemeine Trends der grobmotorischen Entwicklung
Die motorische Entwicklung von Kindern lässt sich durch zwei allgemeine Trends beschreiben: Mit dem cephalo-caudalen Trend („vom Kopf zum Schwanz“) ist gemeint, dass Kinder als Erstes lernen, durch Anspannung der Nackenmuskulatur den Kopf von einer Unterlage abzuheben, sich im nächsten Schritt mit gestärkten Rücken- und Armmuskeln im Liegen von einer Unterlage abstützen können und erst am Schluss genügend Kontrolle über ihre Beine er- langen, um zu rollen, zu robben, zu krabbeln, zu stehen und schließ- lich auch zu laufen, zu hüpfen und zu springen. Ihre Körperbeherr- schung entwickelt sich sozusagen „von oben nach unten“. Das ist aber nicht der einzige Entwicklungstrend.
Mit dem proximo-distalen Trend („von innen nach außen“) ist gemeint, dass Kinder erst ihren Rumpf (Bauch und Rücken) kon- trollieren, später die Arm- und Beinbewegungen und am Schluss
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