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I 88 - 17

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FS I 88 - 17

P o t e n t i a l e a k t i v e r A r b e i t s m a r k t - und B e s c h ä f t i g u n g s p o l i t i k

F r i e d e r i ke Mai e r R o n a l d S c h e t t k a t

November 1988

ISSN N r . 1 0 1 1 - 9 5 2 3

D i e S t u d i e wurde im A u f t r a g d e s M i n i s t e r s f ü r A r b e i t , G e s u n d h e i t und S o z i a l e s d e s L a n d e s N o r d r h e i n - W e s t f a l e n e r s t e l l t .

Forschungsschwerpunkt Arbeitsnarkt und Beschäftigung (IINV)

Research Unit Labour Market and Enploynent (UM)

(2)
(3)

Labour Market and Employment (IIM) Reichpietsch-Ufer 50

1000 Berlin 30

(4)
(5)

Auch bei optimi sti sehen Annahmen über das Wirtschaftswachstum ist nicht davon auszugehen, daß die Arbeitsmarktprobleme in der Bundesre- publik Deutschland ohne eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungs- politik gelöst werden können. In dieser Studie werden deswegen An- satzpunkte für eine beschäfti gungsori enti erte Po 1 i ti k benannt; Aus- gangspunkt ist dabei die Feststellung, daß ohne eine weitere Verkür- zung der Arbeitszeit und ohne eine Erhöhung direkter öffentlicher Beschäftigung keine Beseitung der Arbeitslosigkeit zu erwarten ist.

Als zentrale Bereiche aktiver Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik werden die staatliche Förderung der Wochenarbeitszeitverkürzung, die Erweiterung von Freistellungs- und Beurlaubungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer sowie die Ausweitung öffentlicher Beschäftigung, u.a.

mit Hilfe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auf ihre Beschäftigungs- wirksamkeit und ihre Finanzierbarkeit untersucht. Es kann gezeigt werden, daß solche Maßnahmen beschäftigungspolitisch wirksam sind.

Sie sind auch finanzierbar: Setzt man die Mittel, die zur Finanzie- rung von Arbeitslosigkeit aufgewandt werden müssen, zur Finanzierung beschäftigungsfördernder Maßnahmen ein, so könnten damit Arbeits- plätze für einen beträchtlichen Teil der Arbeitslosen geschaffen werden.

Potentials of an active labour market and employment policy Abstract

Even with optimistic assumptions on economic growth rates one can not expect that the labour market problems in the Federal Republic of Germany can be solved without an active labour market and employment policy. This study examines the potentials for an employment oriented policy and starts with the statement that without a further reduction of working times and without an increase of employment in the public sector there will be no reduction of unemployment. Main fields of an active labour market and employment policy are public help for a further reduction of the weekly working time, the extension of paid leaves for the employees, and the expansion of employment in the public sector by job creation programmes. The conclusion isthat these measures will have a great quantitative effect an employment.

Consi deri ng all the money the government needs to fi nance unem- ployment the study shows that employment policy can be realized by spending money to create employment.

(6)
(7)

Seite

0. VORWORT 7

1 . KEINE AUTOMATISCHE ENTLASTUNG DES ARBEITS-

MARKTES VOR ENDE DIESES JAHRHUNDERTS 9 1.1 Ein Jahrzehnt mit Massenarbeitslosigkeit 9 1.2 Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum

und Beschäftigung 13

1.3 Die Beschäftigungsentwicklung im Aufschwung

der 80er Jahre 14

1.4 Die Arbeitsmarktentwicklung bis zum Jahre 2000 18 2. WIRTSCHAFTSTHEORETISCHE GRUNDKONZEPTIONEN UND

DARAUS ABGELEITETE POLITIKVORSCHLÄGE 22

2.1 Übersicht 22

2.2 Angebotsorientierte Politikvorschläge 23

2.3 Nachfrageorientierte Politik 30

2.4 Arbeitsumverteilungspolitik 33

3. PEKUNIÄRE KOSTEN UND EINSPARUNGEN BESCHÄFTIGUNGS- POLITISCHER MASSNAHMEN: ASYMMETRIE IN DEN ÖFFENT-

LICHEN HAUSHALTUNGEN 37

3.1 Die Kosten der Arbeitslosigkeit und ihre Träger 37 3.2 Die Entwicklung der Kosten der Arbeitslosigkeit

in den einzelnen Haushalten 43

4. PERSPEKTIVEN DER ARBEITSZEITPOLITIK 48

4.1 Wochenarbeitszeitverkürzung 49

4.2 Begrenzung der Oberstunden 55

4.3 Flexibilisierung individueller Arbeitszeiten 57

4.4 Ausweitung der Teilzeitarbeit 58

4,5 Verkürzung der Lebensarbeitszeit 62 4,6 Ausweitung spezifizierter Arbeitsfreistellungen 68

(8)

5 . 1 5. 2 5. 3

6.

6 • 1 6.2

7.

8 . 9.

PRIVATEN SEKTOR Lohnkostenzuschüsse

Kurzarbeit zur Erhaltung von Beschäftigung Förderung von Existenzgründungen

ÖFFENTLICHE BESCHÄFTIGUNG UND ZWEITER ARBEITS- MARKT

Reguläre Beschäftigung

Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen FÖRDERUNG DER BERUFLICHEN WEITERBILDUNG ZUSAMMENFASSENDE SCHLUSSFOLGERUNGEN LITERATUR

74 74 77 79

82 82 84

91

99

107

(9)

Tabelle 1.1: Die Entwicklung der registrierten Arbeits-

losigkeit in der Bundesrepublik seit 1970 10 Tabelle 1.2: Die Beschäftigungsentwicklung und ihre Kom-

ponenten in der Bundesrepublik seit 1977 16

Tabell~ 3.1: Die Struktur der Arbeitslosigkeit nach

Leistungsempfang 39

Tabelle 3.2: Die Kosten der Arbeitslosigkeit 1985 nach

den Berechungen des !AB 41

Tabelle 3.3: Ausgaben der Gebietskörperschaften für

Sozialleistungen 45

Tabelle 4.1: Modellrechung: Änderung des Arbeitskräfte- bedarfs und der realen Lohnstückkosten bei unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen mit konstanten Reallöhnen und bei unterschied-

lichen Raten des Wirtschaftswachstums 54 Tabelle 6.1: Anteil der im Bereich der Human-Dienste

Beschäftigten an der Gesamtzahl der Be- schäftigung in Schweden, Großbritannien,

USA und der Bundesrepublik (in %) 83 Tabelle 6.2: Institutionelle Verteilung der Minderaus-

gaben und Mehreinnahmen durch ABM 1985

(Jahresbasis) 86

(10)

Graphik 1 • 1 : Komponenten der Arbeitsmarktentwicklung in

der Bundesrepublik Deutschland seit 1960 1 2 Graphik 1 . 2 : Die Arbeitsmarktbilanz bis zum Jahre 2000 1 9 Graphik 4 • 1 : Die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs

bei Nullwachstum 52

Graphik 4. 2: Die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs

bei 3 % Wachstum 52

VERZEICHNIS DER OBERSICHTEN

Übersicht 2.1: Klassifikation der Zielrichtung unter-

schiedlicher Arbeitszeitpolitiken 35

(11)

0. VORWORT

Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Autoren beauftragt, eine Studie zu den Potentialen aktiver Beschäftigungspolitik zu erstel- len. Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Fragestellung erfordert die Herausarbeitung der zukünftigen Relevanz von Beschäftigungspolitik sowie die Identifikation relevanter Zu- sammenhänge der gegenwärtigen und vergangenen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung (Kapitel 1). Erforderlich ist auch die Einordnung der wirtschaftspolitischen Grundkonzep- tionen und daraus entwickelter Politikvorschläge, um Hand- lungsoptionen in ihrer theoretischen Wirksamkeit und in der Fristigkei t ihrer ~rfolgsaussichten einzuschätzen zu können

(Kapitel 2).

Neben der· Infragestellung der generellen Wirksamkeit aktiver Beschäftigungspolitik wird als pragmatische Hürde immer wie- der ihre Finanzierbarkeit in der Diskussion angeführt. Es ist deshalb in der Bundesrepublik, wo die Vollbeschäftigung mehr als in vergleichbaren Ländern in Konkurrenz zu anderen wirt- schaftspolitischen Zielen (Geldwertstabilität, Haushaltskon- solidierung) steht, in einer Studie über die Potentiale akti- ver Beschäftigungspolitik unabdingbar, insbesondere ihre Fi- nanzierbarkeit sowohl in genereller als auch in maßnahmespe- zifischer Sicht darzustellen (Kapitel 3 ff.).

Die Maßnahmen aktiver Beschäftigungspali tik "unterhalb der Globalsteuerungsebenen" sind differenziert nach der Arbeits- zeitpolitik (Kapitel 4), der Erhaltung und Förderung von Be- schäftigung im privaten Sektor (Kapitel 5), der öffentlichen Beschäftigung und dem "zweiten Arbeitsmarkt" sowie nach der langfristig wichtigen Förderung beruflicher Weiterbildung

(Kapitel 6).

(12)

Abschließend wird in Kapitel 7 zusammenfassend die ökonomi- sche Erfolgswahrscheinlichkeit einer auf den Aufbau der Mas- senarbeitslosigkeit gerichteten aktiven Beschäftigungspolitik dargestellt.

Am WZB/AMB haben wir von unseren Kollegen zahlreiche Anregun- gen erhalten, die in diese Arbeit eingeflossen sind. Insbe- sondere haben uns Peter Auer und Günther Schmid mit kollegia- ler Kritik geholfen. Der vorliegende Text wurde mit außeror- dentlichem Engagement vom Wissenschaftlichen Text-Dienst

(WTD), namentlich Angelika. Zierer-Kuhnle, erstellt.

Friederike Ma.ier Ronald Schettkat

(13)

1. KEINE AUTOMATISCHE ENTLASTUNG DES ARBEITSMARKTES VOR ENDE DIESES JAHRHUNDERTS

1.1 Ein Jahrzehnt mit Massenarbeitslosigkeit

Als 1974/75 die registrierte Arbeitslosigkeit in der Bundes- republik Deutschland deutlich anstieg und sich die Arbeitslo- senquote der 5 %-Grenze näherte, befürchtete man eine ernst- hafte Gefährdung der bundesrepublikanischen Gesellschaftsord- nung. Mittlerweile leben wir seit fünf Jahren mit einer regi- strierten Arbeitslosigkeit, die das damals vorstellbare Aus- maß weit übertrifft, denn seit 1983 liegt die registrierte Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik im Jahresdurchschnitt bei über 2 Mio. Personen. Dies entspricht einer Arbeitslosen- quote von mehr als 9 %. Unberücksichtigt ist in diesen Zahlen noch die Stille Reserve, also die nicht registrierte Arbeits- losigkeit, die zur Zeit auf rund 1,2 Mio. Personen geschätzt wird (vgl.· IAB, 1986). In der Bundesrepublik sind also gegen- wärtig insgesamt deutlich mehr als 3 Mio. Personen arbei ts-

los.

Unsere Gesellschaftsordnung wurde durch die Massenarbeitslo- sigkeit keineswegs gefährdet. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: In der wirtschaftstheoretischen und auch der allge- meinen gesellschaftspolitischen Diskussion trat eine Rückbe- sinnung auf konservative Werte und Politikmuster ein (vgl.

ROTHSCHILD, 1987). Die Bemühungen, das Ausmaß der Arbeitslo- sigkeit zu verharmlosen, nehmen nicht ab. So wird versucht, die Millionenzahl von registrierten Arbeitslosen "kleinzu- rechnen", weil Arbeitslose gar nicht arbeiten wollen, sondern es nur auf die Arbeitslosenunterstützung abgesehen haben, weil sie nicht qualifiziert genug oder falsch qualifiziert

sind, weil sie gesundheitlich eingeschränkt sind oder weil sie sich von den Idealen der Erwerbsgesellschaft - der Er- werbsarbei t - blenden lassen und doch in außererwerbswirt- schaftlichen Bereichen sehr viel besser aufgehoben wären

(14)

(vgl. kritisch dazu ROTHSCHILD, 1978). Die Erklärungs- und Verharmlosungsversuche von Massenarbeitslosigkeit waren so- wohl in der allgemeinen politischen als auch in der wirt- schaftstheoretischen Diskussion ständig zu beobachten. Welche Variante davon auch immer gewählt wird, die Erklärungskraft derartiger Ansätze, die fast immer die Gründe für Arbeitslo- sigkeit beim Individuum festmachen, ist gering, denn es kann nicht plausibel gemacht werden, warum sich ein solcher drama- tischer Wandel im Verhalten der Arbeitsanbieter (Arbeit- nehmer) in der Bundesrepublik in den letzten Jahren vollzogen haben soll.

Tabelle 1.1: Die Entwicklung der registrierten Arbeitslosig- keit in der Bundesrepublik seit 1970

Jahr Arbeitslose* Arbeitslo-

(in1.000) senquote**

insgesamt insgesamt Männer Frauen (in %)

1 970 149 93 56 0,7

1 971 1 85 1 01 84 0,8

1 972 246 1 41 106 1 ' 1

1973 274 150 124 1 '2

1974 583 325 258 2,6

197 5 1 • 07 4 623 452 4,7

1976 1 . 06 0 567 494 4,6

1 977 1 . 030 518 512 4,5

1978 993 489 504 4,3

1 979 876 417 459 3,8

1980 889 426 463 3,8

1 981 1 . 2 7 2 652 619 5,5

1 982 1 . 833 1 . 0 21 812 7,5

1983 2.258 1 . 2 7 3 985 9' 1

1 984 2.266 1 . 2 7 7 989 9 ' 1 1985 2.304 1 . 289 1 . 01 5 9,3 1986 2.228 1 . 2 00 1 . 028 9,0

* Jahresdurchschnittswerte

** Registrierte Arbeitslose in Relation zu den abhängig Be- schäftigten

Quelle: ANBA.

(15)

Der Versuch, das Problem wegzudefinieren, das allein schon durch registrierte Arbeitslosigkeit dokumentiert wird, und die Individualisierung der Ursachenzurechnung mag bei Ar- beitslosenquoten von weniger als 1 % plausibel sein. Die auf individuellen Wahlhandlungen beruhende Erklärung der Arbeits- losigkeit verliert aber ihre Plausibilität, wenn sie zur Er- klärung der Millionenarbeitslosigkeit herangezogen werden soll (vgl. SCHETTKAT, 1987a), und -ist deshalb nur als Ver- harmlosungsversuch zu begreifen, der die von Arbeitslosigkeit Betroffenen weiter in die Isolation treiben soll.

Arbeitslosigkeit in Millionenhöhe ist nicht nur ein gesell- schaftspoli tischer Skandal, sondern ist auch in hohem Maße gesamtwirtschaftlich irrational. Massenarbeitslosigkeit ist aktuell sehr kostspielig, weil Arbeitslose Unterstützung er- halten müssen und ihre Nichtbeschäftigung Einkommens- und/

oder Freizeitverzicht für die Beschäftigten insgesamt bedeu- tet. Die zukünftigen Lasten, die durch heutige Arbeitslosig- keit produziert werden, sind unabschätzbar; unstrittig werden sie aber auf unsere Gesellschaft zukommen.

Es ist also dringend geboten, die Maßnahmen aufzuzeigen, die zu einer raschen Verringerung der Arbeitslosigkeit führen können und die nicht von vorneherein an dem (Nicht-)Finan- zierbarkeitsargument scheitern müssen. Bevor konkrete Maßnah- men zum Abbau der Arbeitslosigkeit diskutiert werden können,

ist es notwendig, die zurückliegende Entwicklung knapp zu analysieren, die voraussichtliche zukünftige Entwicklung dar- zustellen und die Erfolgswahrscheinlichkeit wirtschaftspoli- tischer Grundkonzeptionen und Empfehlungen zu skizzieren.

(16)

Graphik 1.1: Komponenten der Arbeitsmarktentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1960

388- 288- 268- 248- 228- 288- 188- .168- 148- 128 188 88- 68-

1,69

Jahr

8- 7 6 5

..

3- 2- 1- 8- -1- -2 -3- -4-

-s-

•6-

1'69

Jaht

Indices (1960

=

100 %)

Produktivität je Erwerbsstd.

....--.----

.fllll" BIP

Erwerbstätige

- - - - - .. .. - -.. - ..

-.

-···-···-···~ Arbeitsvolumen

65

Veränderungsraten (in % des Vorjahres)

65 7B 75 BB 85

BIP

Produktivität je Erwerbsstd.

Quelle: Statistisches Bundesamt, IAB.

(17)

1.2 Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung

Wirtschaftswachstum wird häufig als die dominante Variable für die Entwicklung des Beschäftigungsniveaus und damit im- plizit auch für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit darge- stellt. Die Entwicklung der Komponenten des Arbeitsmarktge- schehens in der Bundesrepublik zeigt jedoch deutlich, daß diese vereinfachende Gleichsetzung so nicht gilt. In der Bun- desrepublik betrug die Wachstumsrate des realen Bruttein- landsproduktes (BIP) während der "Goldenen 60er Jahre" im Zehn-Jahres-Durchschnitt rund 4,9 %, aber dennoch nahm die Beschäftigung, gemessen durch die Zahl der Erwerbstätigen, nicht zu, sondern blieb ungefähr konstant. Die Zahl der ins- gesamt gearbeiteten Stunden (Arbeitsvolumen) ging sogar auch während der 60er Jahre zurück, so daß das konstante Beschäf-

tigungsniveau durch die sinkende durchschnittliche Arbeits- zeit je Erwerbstätigen erreicht wurde (vgl. Graphik 1 .1).

Die während der 60er Jahre in der Bundesrepublik aufgetretene Arbeitskräfteknappheit und die daraus resultierende Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer ist also nicht durch das Wirt- schaftswachstum alleine zu erklären, sondern ist auch darin begründet, daß es gleichzeitig zu einem Rückgang des deut- sehen Erwerbspersonenpotentials kam, das neben demographi- sehen Ursachen auch auf institutionelle Faktoren, wie die Einführung der dynamisierten Rente und die Mitte der 60er Jahre einsetzende verstärkte Bildungsbeteiligung breiterer Bevölkerungsschichten, zurückzuführen ist (vgl. SCHETTKAT, 1987a). Unstrittig wäre es ohne das Wirtschaftswachstum der 60er Jahre zu einer ungünstigeren Beschäftigungsentwicklung gekommen, aber es ist festzuhalten, daß das damalige Wirt- schaftswachstum alleine auch in der für heutige Zeiten außer- ordentlichen Größenordnung nicht zu einer höheren Zahl der insgesamt gearbeiteten Stunden (Arbeitsvolumen), was ja der valideste Indikator für die Überprüfung des Zusammenhanges

(18)

von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ( -svolumen) ist, geführt hat. Zu einem höheren Arbeitsvolumen im Vergleich zum Vorjahr kam es in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepu- blik in den letzten 25 Jahren immer nur nach einem deutlichen konjunkturellen Einbruch. Im langfristigen Trend nimmt das Arbeitsvolumen aber deutlich ab (Graphik 1 .1), was auf den arbeitssparenden technischen Fortschritt zurückzuführen ist (vgl. MATZNER/SCHETTKAT/WAGNER, 1988).

Auch der internationale Vergleich zeigt, daß die Gleichset- zung von Wirtschaftswachstum mit positiver Beschäftigungsent- wicklung kaum eine empirische Basis hat: In der Bundesrepu- blik nahm das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1973 bis 1981 um jahresdurchschnittlich rund 2 % zu, und die Zahl der Erwerbs- tätigen ging gleichzeitig um insgesamt rund 5 % zurück. In Schweden betrug dagegen das Wachstum des BIP j ahresdurch- schnittlich nur rund 1,5 %, die Zahl der Beschäftigten nahm aber insgesamt um rund 9% zu (vgl. SCHETTKAT, 1987a). Die Korrelation zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigungs- entwicklung ist denn auch äußerst gering, wenn alle OECD-Län- der berücksichtigt werden (vgl. SCHARPF, 1987b). Neben dem Wirtschaftswachstum, das selbstverständlich auch einen Ein- fluß auf die Beschäftigungsentwicklung hat, ist die gesell- schaftliche Organisation des Arbeitsprozesses von Bedeutung, wie sie u .. a. auch in unterschiedlichen Arbei tszei tarrange- ments und verschiedenen sektoralen Wirtschaftsstrukturen zum Ausdruck kommt.

1 . 3 Die Beschäftigungsentwicklung im Aufschwung der 80er Jahre

1982 war in der Bundesrepublik der vorerst letzte konjunktu- relle Tiefpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung mit einer negativen Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 0,6 % erreicht. Seither sind die Wachstumsraten positiv; 1986

(19)

verzeichneten sie ihren bisherigen Höhepunkt mit 3 % (vgl.

IFO, 1986/87). Das jahresdurchschnittliche Wirtschaftswachs- tum betrug von 1982 bis 1986 rund 2,4 Prozentpunkte, was aber die Höhe der Arbeitslosigkeit kaum wirksam vermindern konnte, wie die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Tabelle 1.1 verdeutlicht. Als Begründung für die Nichtsichtbarkeit des Aufschwungs auf dem Arbeitsmarkt wird die demographische Wel- le angeführt, die dazu führte, daß mehr Jugendliche auf den Arbeitsmarkt traten, als ältere Arbeitnehmer ausschieden.

Dies war so, obwohl die Vorruhestandsregelung von 1984 sowie die "59er-Regelung", nach der ältere Arbeitslose dem Arbeits- markt trotz Leistungsbezugs nicht mehr zur Verfügung stehen müssen und auch nicht mehr in der Statistik auftauchen, ar- beitsangebotsmindernd und im letzten Falle direkt die regi- strierten Arbeitslosenzahlen reduzierend wirkten. Es wird denn auch von den politisch Verantwortlichen darauf verwie- sen, daß zwar der Aufschwung noch nicht an den Arbeitslosen- zahlen abzulesen ist, aber doch eine beachtliche Zunahme der Beschäftigung erreicht wurde. Es lohnt sich also, die Be- schäftigungsentwicklung und ihre Komponenten genauer zu be- trachten.

Gemessen an der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt, also der abhängig und der selbständig Beschäftigten, war 1980 der Hö- hepunkt erreicht; in den 80er Jahren sinkt das Niveau mit einer leichten positiven Entwicklung seit 1985. Dennoch liegt die Erwerbstätigenzahl 1985 unter der des Jahres 1977 (vgl.

Tabelle 1 .2). Betrachtet man nur die abhängig Beschäftigten- gemessen durch die sozialversicherungspflichtig Beschäftig- ten-, so zeigt sich, daß die Entwicklung hier insgesamt gün- stiger ist. 1985/86 liegt die Zahl der sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigten zwar noch unter ihrem Höchstwert von 1980, aber um rund 2,5 Prozentpunkte über dem Wert von 1977.

Auch 1984 wird der Wert von 1977 nicht unterschritten.

(20)

Tabelle 1.2: Die Beschäftigungsentwicklung und ihre Komponen- ten in der Bundesrepublik seit 1977

sozialversicherungspflichtig Beschäftigte* Arbeitsvolumen

Jahr Erwerbs- insge- nur nur Auszu- Erwerbs- Beschäf-

tätige samt Vollzeit Teilzeit bildende tätige tigte

(in 1.000) (in Mio. Std.)

1977 25.490 19.880 17.030 1.449 1.410 45.901 38.253 1978 25.644 20.088 17.078 1. 512 1.501 45.771 38.133 1979 25.995 20,573 17.353 1.576 1.636 45.854 38.439 1980 26.278 20.954 17.594 1.664 1. 691 45.940 38.755 1981 26.092 20.864 17.475 1. 731 1.659 45.181 38.150 1982 25.651 20.472 17.147 1. 777 1.548 44.584 37.528 1983 25.272 20.147 16.707 1.784 1.656 43.804 36.759 1984 25.298 20.040 16.492 1.836 1.713 43.688 36.639 1985 25.474 20.378 16.700 1. 881 1.798 43.366 36.399

1986 25 0 726 20.730 - 1.951

-

43.479 36.579

1977 = 100

1977 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

1978 100,6 101,0 100,3 104,3 106,4 99,7 99,7

1979 102,0 103,5 101,9 108,7 116,0 99,9 100,5

1980 103,1 105,4 103,3 114,8 120,0 100,1 101,3

1981 102,4 104,9 102,6 119,5 117,6 98,4 99,7

1982 100,6 103,0 100,7 122,6 109,8 97,1 98,1

1983 99,1 101,3 98,1 123,1 117,4 95,4 96,1

1984 99,2 100,8 96,8 126,7 121,5 95,2 95,8

1985 99,9 102,5 98,1 129,8 127,5 94,5 95,2

1986 100,9 104' 3 - 134,6 - 94,7 95,6

* am 30. Juni

Quelle: ANBA, IAB.

(21)

Zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten werden in der Bundesrepublik die Vollzeitbeschäftigten (mehr als 36 Stunden pro Woche), die Teilzeitbeschäftigten (36 Stunden und weniger pro Woche) sowie die Auszubildenden, die aufgrund des dualen Ausbildungssystems einen Arbeitsvertrag haben und des- halb auch Beschäftigte sind, gezählt. Die Analyse der Kompo- nenten der Entwicklung der Zahl abhängig Beschäftigter macht sofort klar, daß der positive Trend vor allem auf die zuneh- mende Zahl teilzeitarbeitender Arbeitnehmer (36 Stunden und weniger) sowie auf die zunehmende Zahl der Auszubildenden zu-

rückzuführen ist. Nur aufgrund der Entwicklung dieser Teil- gruppen liegt das Niveau der sozialversicherungspflichtig Be- schäftigten seit 1983 über dem von 1977. Betrachtet man nur die Vollzeitbeschäftigten, so ist seit 1983 ein niedrigerer Wert als 1977 zu konstatieren. Der auffallend geringe Wert 1984 ist darauf zurückzuführen, daß hier Stichtagsdaten zum 30. Juni herangezogen wurden und im Sommer des Jahres 1984 der Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Druckindustrie gerade in den Zeitraum dieses Stichtages fiel, weshalb die Zahl der Sozialversicherungspflichtigen 1984 ar- beitskampfbedingt niedriger ausfällt.

Wie oben bereits erwähnt, ist die Entwicklung des Arbeitsvo- lumens der Valideste Indikator für die Beurteilung der Be- schäftigungsentwicklung, soweit sie auf Veränderungen des Wirtschaftswachstums zurückgeführt werden soll. Hier zeigt sich (vgl. Tabelle 1 . 2), daß sowohl das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen insgesamt als auch das der abhängig Beschäf- tigten seit 1980 - dem vorläufigen Höhepunkt - beständig zu- rückgeht. Am Arbeitsvolumen - der Zahl der insgesamt gear- beiteten Stunden - ist somit der Aufschwung vollkommen vor- beigegangen. Mithin ist auch in den 80er Jahren die Beschäf- tigungsentwicklung insgesamt nicht alleine auf Wirtschafts- wachstum, sondern vielmehr wesentlich auf die veränderte Ar- beitsorganisation in bezug auf die Arbeitszeiten der Beschäf- tigten zurückzuführen.

(22)

Die Beschäftigungsentwicklung bei den Vollzeitbeschäftigten (mehr als 36 Stunden pro Woche), die seit 1984 ebenfalls an- steigt, ist wesentlich auf die Arbeitszeitverkürzung in der Metall- und Druckindustrie zurückzuführen (vgl. hierzu STIL- LE/ZWIENER, 1987). Die Beschäftigungszunahme in der Bundesre- publik während der 80er Jahre ist also zu einem Gutteil auf die steigende Zahl der Auszubildenden, die Zunahme der Teil- zeitarbeit und die seit 1983 durch kollektive Arbeitszeitver- kürzungen stabilisierte Entwicklung auch bei den Vollzeitbe- schäftigten zurückzuführen.

1.4 Die Arbeitsmarktentwicklung bis zum Jahre 2000

Das IAB (vgl. KLAUDER/SCHNUR/THON, 1985) erstellt Projektio- nen von Arbei tsmarktbilanzen, in denen die Entwicklung von Arbeitsangebot (Erwerbspersonenpotential) und Arbeitsnachfra- ge (Beschäftigte) einander gegenübergestellt werden .. Bereits zu Beginn der 70er Jahre wurden mit Hilfe der !AB-Projektio- nen die heutigen Arbeitsmarktprobleme vorausgesagt. Es han- delt sich dabei um Projektionen, die jeweils unterschiedliche Politikvarianten berücksichtigen. Sie gehören zu den treffsi- chersten Projektionen in der Ökonomie, deren vorausgesagte Entwicklungen insgesamt (leider) eingetreten sind. Es gibt also gute Gründe für die Annahme, daß diese Projektionen auch die zukünftige Entwicklung relativ genau abbilden. Durch die in den Projektionen angegebenen unterschiedlichen Entwick- lungspfade wird verdeutlicht, daß die Zukunft des Arbeits- marktes nicht eindeutig determiniert ist, sondern vielmehr der politischen Gestaltbarkeit unterliegt.

(23)

Graphik 1.2: Die Arbeitsmarktbilanz bis zum Jahre 2000

30 Mio.

29 28 27 26 25 24 23

1965

Arbeitsangebot (Erwerbspersonen)

Arbeitsnachfrage (Beschäftigung)

1970 1975

Annahmen der Projektionen:

Erwerbspersonenpotential:

1980

..".."

---

...

~

.. /

-·-.

registrierte Arbeitslose +

·Stille Reserve

~.

1985 1990 1995 2000

obere Variante

mittlere Variante

untere Variante

obere Variante

mittlere Variante

untere Variante

Arbeitsnachfrage (Beschäftigung):

obere Variante:

betonter Anstieg der Frauener- werbsbeteiligung der Deutschen:

Zuwanderungsüberschuß bei Aus- ländern

starker Strukturwandel;

3,0

%

Wirtschaftswachstum, 2,8

%

Produktivitätsanstieg je

Erwerbstätigen,

1,2

%

Arbeitszeitverkürzung, jeweils pro Jahr im Zeitraum 1982/2000

mittlere Variante:

Erwerbsbeteiligung entsprechend langfristigen Tendenzen;

Nullwanderung bei Ausländern

mittelstarker Strukturwandel;

2,5

%

Wirtschaftswachstum, 2,5

%

Produktivitätsanstieg je

Erwerbstätigen,

1,0

%

Arbeitszeitverkürzung, jeweils pro Jahr im Zeitraum 1982/2000

untere Variante:

abgeschwächter Anstieg der Frauenerwerbsbeteilung der Deutschen,

Abwanderungsüberschuß bei Ausländern

wenig Strukturwandel;

1,2

%

Wirtschaftswachstum, 1,9

%

Produktivitätsanstieg je

Erwerbstätigen,

1,3% Arbeitszeitverkürzung, jeweils pro Jahr im Zeitraum 1982/2000

Quelle: KLAUDER/SCHNUR/THON, 1985.

(24)

·Die verschiedenen Varianten der Arbeitsmarktbilanz bis zum Jahre 2000 sind in Graphik 1.2 dargestellt. Selbst bei Annah- me einer optimistischen Entwicklung sowohl auf der Arbeitsan- gebots- als auch auf der Arbeitsnachfrageseite, also der gün- stigsten Entwicklung für den Arbeitsmarkt, wird unmittelbar klar, daß ein "Aussitzen" der Arbeitsmarktprobleme fatal wä- re. Zwar wird sich von der Angebotsseite der Druck auf den Arbeitsmarkt Mitte der 90er Jahre vermindern, doch führt die-

ses keineswegs auch bei sehr optimistischen Annahmen über das Wirtschaftswachstum von jahresdurchschnittlich 3 % - dies be- deutet eine Erhöhung der Güter und Dienstleistungen im Zehn- Jahres-Zeitraum um rund 35 % -, nicht zur Beseitigung der Ar- beitslosigkeit bis zum Ende dieses Jahrtausends. Man muß sich auch vergegenwärtigen, daß die aus heutiger Sicht hohen Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes von jahresdurch- schnittlich rund 5 % in den 60er Jahren eine absolute Steige- rung des Bruttosozialproduktes von 1985 um rund 78,8 Milliar- den DM bedeuten würden. 1965 bedeuteten 5 % Wachstum des Bruttosozialproduktes aber nur eine Erhöhung um absolut 46,5 Milliarden DM. Relativ würde diese Steigerung Mitte der 80er Jahre einer Wachstumsrate von rund 2,9 % des Bruttosozialpro- duktes entsprechen, fast exakt dem Wert, der 1985 (3 %) im bisherigen Höhepunkt der Konjunkturentwicklung erreicht wurde.

Von seiten der Arbeitsnachfrage wird bei einem Wirtschafts- wachstum von 2, 5 % und einer in der Projektion angenommenen Arbeitszeitverkürzung von 1 % pro Jahr, was etwa einer Ver- kürzung der Wochenarbeitszeit um 30 Minuten jährlich ent- spricht, die Beschäftigung lediglich konstant bleiben. Eine Arbeitsmarktentlastung ist in dieser Situation nur von der Arbeitsangebotsseite her zu erwarten. Diese wird aber nicht

ausreichen, um die Arbeitslosigkeit spürbar zu vermindern.

Deutlich verschlechtern wird sich die Arbeitsmarktlage gegen- über der heutigen Situation, wenn nur ein geringes Wirt-

(25)

schaftswachsturn erreicht wird. Dann wird es - trotz Rückgang des Arbeitsangebotes - keine Entlastung des Arbeitsmarktes geben. Es müssen also alle Anstrengungen unternommen werden, um die Wirtschaftswachstumsraten möglichst hoch zu halten, wobei diese Wachstumsstrategie nicht mit einer "Betonierung der Landschaft", wie häufig behauptet, gleichgesetzt werden muß. Vielmehr bieten sich zahlreiche Felder (vgl. MEISSNER, 1986; MEISSNER/ZINN, 1984; BRUNOWSKY/WICKE, 1984), die um- weltschonendes Wirtschaftswachstum erlauben, und eine Steige- rung des Bruttosozialproduktes ist teilweise sogar die Vor- aussetzung für allseits befürwortete Umweltverbesserungen.

(26)

2. WIRTSCHAFTSTHEORETISCHE GRUNDKONZEPTIONEN UND DARAUS ABGELEITETE POLITIKVORSCHLÄGE

2.1 Obersicht

Prinzipiell unterscheiden sich die Analysen zu den Ursachen der Arbeitslosigkeit und die daraus entwickelten Therapievor- schläge in der Hervorhebung der Angebotsseite oder der Nach- frageseite des Gütermarktes. Zum einen wird konstatiert, daß die wirtschaftlichen Probleme auf der Angebotsseite des Gü- termarktes liegen und deshalb auch nur angebotsorientierte Maßnahmen zur Beseitigung der "klassischen" Arbeitslosigkeit geeignet sind. Auf der anderen Seite des Spektrums wird die Meinung vertreten, daß es sich keineswegs um Angebotsprobleme am Gütermarkt, sondern vielmehr um eine Nachfrageschwäche handelt. Die Angebotsprobleme werden hier als gering einge- stuft, und wenn die Unternehmen nur genügend Absatzchancen sehen würden, dann stiege auch das Produktionsniveau an, und damit würde die "keynesianische" Arbeitslosigkeit beseitigt.

Trifft eine der beiden Ursachenanalysen uneingeschränkt zu, dann kann die von der jeweiligen "Gegenseite" empfohlene The- rapie nicht zum Erfolg führen (vgl. als Übersicht BOYER/

PETIT, 1981).

Zu den skizzierten Differenzierungen der beiden wirtschafts- wissenschaftlichen "Grund-"Schulen, deren Therapievorschläge

im Kern immer auf eine Erhöhung des Wirtschaftswachstums und ihre beschäftigungspolitische Hoffnung damit eine Ausweitung des Arbeitsvolumens, also der insgesamt gearbeiteten Stunden, setzen, ist in der beschäftigungspolitischen Diskussion der letzten Jahre die Arbei tsumverteilung als weitere Therapie gegen die Arbeitslosigkeit hervorgetreten. Wenn man die Ex- trempositionen zwischen Wachstumspolitik und Arbeitsumvertei- lungspolitik aufgreift, dann wird man sehen, daß die Trennli- nie quer zu den beiden prinzipiellen Theorieansätzen ver- läuft. Es finden sich Befürworter einer Wachstumsstrategie

(27)

wie auch einer Arbeitsumverteilungsstrategie sowohl unter den Neoklassikern als auch unter den Keynesianern. Allerdings treten auch hier deutliche Unterschiede hervor, wenn es um die Einschätzung geeigneter Instrumente einer auf Arbeitsum- verteilung gerichteten Politik geht.

Hier ist zwar nicht der Raum für eine dezidierte theoretische Auseinandersetzung mit den Wirtschaftspalitischen Grundkon-

zeptionen gegeben, und ein Aufgreifen der einzelnen Facetten dieser zum Teil sehr vielfältigen Theoriegebäude ist an die- ser Stelle unmöglich, aber dennoch ist zumindest eine kurze Auseinandersetzung mit den wirtschaftspolitischen Grundoptio-

nen notwendig, um ihre Wirksamkeit und ihre Wirkungsbedingun- gen einordnen zu können. Im folgenden werden zunächst die an- gebotsorientierten Politikempfehlungen diskutiert, bevor die nachfrageorientierten Politikvorschläge aufgegriffen werden.

Abschließend werden die auf eine Arbeitsumverteilung gerich- teten Vorschläge nach ihrer Zielrichtung systematisiert und allgemeiner diskutiert, da diese Vorschläge detailliert in den späteren Kapiteln berücksichtigt werden.

2.2 Angebotsorientierte Politikvorschläge

Die angebotsorientierten, neoklassischen Politikvorschläge haben die beschäftigungspolitische Diskussion seit Mitte der 70er Jahre bestimmt; zu Beginn der 80er Jahre hatten sie mit einer konservativen Grundstimmung auch in der Bundesrepublik zunehmende Beachtung gefunden. Es soll allerdings nicht ver- kannt werden, daß angebotsorientierte Politikvorschläge seit

langem vorgetragen werden und hier insbesondere die Mehrheit im Sachverständigenrat, das Kiel er Institut für Wel twirt- schaft und in letzter Zeit der Kronherger Kreis diese Politik propagiert haben. Im Kern stützen sich alle Vorschläge auf die Überzeugung, daß der Markt prinzipiell ein geeignetes Steuerungsinstrument für die Wirtschaft ist und zum gesamt-

(28)

wirtschaftlichen Gleichgewicht hinführt. Der privatwirt- schaftliche, marktmäßig organisierte Sektor ist dem staatli- chen Sektor überlegen. Aus diesem Grund wird neben einer Ver- besserung der Angebotsbedingungen auch eine Reduzierung der staatlichen Aktivitäten gefordert, die nicht zuletzt mit der Leistungsfeindlichkeit von Steuern und Sozialabgaben begrün- det wird. Die auf den Arbeitsmarkt gerichteten Vorschläge sind im Kern auf eine Lohnkostensenkung gerichtet, die teils direkt, teils vermit tel t über komplexere Zusammenhänge zu einer höheren Beschäftigung führen soll. "Für die Arbeits- märkte gilt, wie für fast alle anderen Märkte auch, daß die Nachfrage geringer wird, wenn der Preis steigt. Steigt der Preis der Arbeit über den markträumenden Preis, so entsteht Arbeitslosigkeit." (KRONBERGER KREIS, 1986: 3)

Hinter dem Grundtheorem "niedrigerer Lohn

=

mehr Beschäfti- gung" stehen theoretisch durchaus unterschiedliche Wirkungs- mechanismen: Einerseits wird wie in dem obigen Zit~t ein di- rekter Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Arbeitsnachfrage (Beschäftigung) hergestellt, andererseits wird aber auch auf sehr viel komplexere Kausalitätsketten zurückgegriffen, bei denen sich die positiven Beschäftigungseffekte einer Lohn;Sen- kung nur indirekt über Nachfrageerhöhung oder Substitutions- effekte ergeben. Vernachlässigt wird aber in den neoklassi- schen Argumentationslinien die Doppelfunktion des Lohnes, der zwar einerseits Kostenfaktor ist, aber andererseits auch Ein- kommen für die abhängig Beschäftigten darstellt und deshalb auch ein wichtiger Nachfragefaktor ist. Eine Lohnsenkung kann zu einer Verschiebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage- kurve nach unten führen; sie hat damit zwei sich gegenseitig kompensierende Effekte:

1 . Sie führt zu geringeren Kosten und ermöglicht damit eine Preissenkung, die eine Ausweitung von Produktion und Be- schäftigung bewirken kann.

(29)

2. Sie führt zu Einkommensverlusten bei den abhängig Beschäf- tigten und damit zu einer Verminderung der Nachfrage, was tendenziell den Absatz und in Folge Produktion und Be- schäftigung reduziert.

Der Gesamteffekt einer Lohnkostensenkung hängt also, gibt man die partialanalytische ceteris-paribus-Klausel auf, von der relativen Stärke dieser beiden Effekte ab und kann nicht von vorneherein bestimmt werden.

Dennoch ist für neoklassisch orientierte Ökonomen die Analyse jeweils klar: Wenn Arbeitslosigkeit auftritt, dann ist dies immer auf einen zu hohen Lohn zurückzuführen (Mindestlohnar- beitslosigkeit). Alle Therapievorschläge zielen deshalb dar- auf ab, entweder das Lohnniveau insgesamt oder aber die Lohn- struktur als nicht marktgerecht, weil von den Gewerkschaften (mit-)bestimmt, darzustellen. Die private Wirtschaft wird in der Argumentation durch institutioneile, marktwidrige Ein- griffe aus dem Gleichgewichtszustand gebracht (Eurosklerose, GIERSCH, 1985), zu dem sie sonst -bei freiem Spiel der Kräf- te - stets tendieren würde. Die Annahme der Stabilität der privaten Wirtschaft macht die neoklassische Wirtschaftstheo- rie auch für konservative Politik in Krisenzeiten so attrak- tiv: Politik hat nur für "marktgerechte" Rahmenbedingungen zu sorgen, und die Kräfte des Marktes werden zum Optimum führen.

Bleibt Arbeitslosigkeit bestehen, so ist dies nicht einer verfehlten (nicht vorhandenen) Beschäftigungspolitik anzula- sten, sondern liegt am marktwidrigen Verhalten der Tarifpar- teien (Gewerkschaften).

Neben der allgemeinen Reduzierung des Reallohnniveaus wird vor allem auf die Veränderung der Lohnstruktur oder der Lahn- kostenstruktur abgestellt. So wird angeführt, daß die Lohnne- benkosten zu hoch sind. Da sich die Unternehmen ohnehin nicht an den Nettolöhnen ihrer Beschäftigten orientieren, sondern an den für sie insgesamt entstehenden Lohnkosten, zu denen

(30)

natürlich auch die Lohnnebenkosten (überwiegend Beiträge der Arbeitgeber zur Sozialversicherung) zu rechnen sind, kann sich das Argument, wenn es denn die bisherige Lohnkostenargu- mentation erweitern soll, nur auf die unterschiedliche Varia- bilität der Lohnkostenbestandteile beziehen. Lohnnebenkosten werden häufig mit fixen Lohnkosten gleichgesetzt, die pro Be- schäftigten entstehen und die unabhängig von der Arbeitszeit sind. Je höher die fixen Lohnkostenbestandteile pro Beschäf- tigten, desto attraktiver ist es für das Unternehmen, Über- stunden anzuordnen statt Neueinsteilungen vorzunehmen, denn mit einer Neueinstellung würden fixe Lohnkostenbestandteile anfallen, die durch die Ausweitung. der Ar bei tszei t der be- reits Beschäftigten vermieden werden können.

Variable und fixe Lohnkosten können allerdings nicht uneinge- schränkt mit Lohnhaupt- und Lohnnebenkosten gleichgesetzt werden. Lohnhaupt- und Lohnnebenkosten werden vor allem durch die institutionelle Abgrenzung definiert. So zählen z.B. So- zialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber zu den Lohnnebenko- sten. Diese sind aber keinesfalls mit den fixen Lohnkosten gleichzusetzen, denn Sozialversicherungsbeiträge sind direkt an die Einkommen (und damit weitgehend auch an die individu- elle Arbeitszeit) gebunden; fixe Bestandteile der Lohnneben- kosten für die Sozialversicherung treten nur bei den Beschäf- tigten auf, die Einkommen oberhalb der Bei tragsbemessungs- grenze für die Sozialversicherung beziehen. Dies sind ganz überwiegend männliche Angestellte in exponierten betriebli- chen Positionen, deren Anstellungsverhältnisse relativ unab- hängig von der aktuellen Produktionsmenge sind (vgl. SCHETT- KAT, 1984). Insgesamt muß deshalb die Argumentation, die sich auf die beschäftigungspolitische Wirkung der fixen Lohnbe- standteile stützt, empirisch stark relativiert werden. Eine Gleichsetzung von fixen Lohnkosten und Lohnnebenkosten überwiegend Sozialversicherungsbeiträge ist jedenfalls nicht gerechtfertigt.

(31)

Eine Änderung der Lohnstruktur durch eine Lohnsenkung bzw.

eine deutliche relative Verlangsamung ihres Anstieges wird auch für einige Gruppen des Arbeitsmarktes empfohlen, weil dadurch der Rationalisierungsdruck auf ihre Arbeitsplätze nachließe. Das Argument zielt also auf eine Veränderung der Relation von Kapital- und Arbeitseinsatz zugunsten der Ar- beit. Insgesamt sind hierbei zwei unterschiedliche Argumenta- tionsstränge zu unterscheiden, bei denen der eine eher auf der Ebene des Einzelunternehmens ansetzt und der andere die Gesamtwirtschaft im Auge hat. Auf der einzelwirtschaftlichen Ebene wird darauf abgehoben, daß eine "Entzerrung" der Lohn- struktur, aber auch eine Senkung des Lohnniveaus insgesamt zu einer Verminderung des Einsatzes von Kapital und zu einer Er- höhung des Einsatzes von Arbeit führe. Dies könnte vor allem den weniger qualifizierten Arbeitnehmern zugute kommen, weil insbesondere in den unteren Lohngruppen die Lohnkosten als

"verzerrt" angesehen werden. Hier hat die Mindestlohnpolitik den Effekt gehabt, daß die Löhne über der Grenzproduktivität der Arbeit liegen, so daß gerade diese Arbeit durch Kapital substituiert wurde.

Durch die "Entzerrung" der Lohnstruktur soll also vor allem der weitere Einsatz von Maschinen zugunsten der lebendigen Arbeit verhindert oder sogar insgesamt zurückgeschraubt wer- den (vgl. WICKSELL, 1934). Grundsätzlich ist fraglich, welche Mechanismen zu dem empirisch zu beobachtenden Rückgang des Arbeitseinsatzes in den weniger qualifizierten Bereichen ge- führt haben. Es ist nicht eindeutig zu klären, ob die Arbeit in den unteren Lohngruppen deshalb durch Maschinen substitu- iert wurde, weil sie relativ teuer geworden ist, oder ob die- se Arbeitsaufgaben mechanisiert wurden, weil sie durch die dort gegebenen repetitiven Arbeitsvorgänge einer Mechanisie- rung besonders leicht zugänglich waren.

Für welche Argumentation man sich auch entscheidet, grund- sätzlich richtet sich dieses Argument gegen einen Struktur-

(32)

wandel hin zu einer höheren Produktivität. Es ist generell die Frage zu stellen, ob eine Strategie, die bei im Prinzip gleicher Güterzusammensetzung des Outputs auf eine Verminde- rung der Produktivi tätszuwächse oder gar auf eine Verringe- rung des Produktivitätsniveaus zielt, gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist, führt sie doch dazu, daß mehr Arbeit als not- wendig eingesetzt wird, die Gesellschaft also unter ihrem po- tentiellen Wohlfahrtsniveau verbleibt. Eine solche Strategie, würde sie funktionieren, wäre in hohem Maße fortschritts- und technikfeindlich. Die durch weitere Produkti vi tätszu.wächse entstehenden Verteilungsprobleme würden durch den Verzicht auf Effektivitätssteigerung gelöst werden, was gesamtgesell- schaftlich suboptimal i~t. So gesehen wäre eine Niedriglohn- st rategie "Mas·chinenstürmerei" mit ökonomischen Mitteln.

Die Produktivität einer Volkswirtschaft insgesamt hängt nicht zuletzt von der sektoralen Wirtschaftsstruktur ab, weil in den einzelnen Sektoren unterschiedliche Produktivitätsniveaus und Produktivitätszuwächse erzielt werden. Eine Zunahme des Dienstleistungssektors mit geringerer Produktivität bedeutet auch eine Verminderung der gesamtwirtschaftlichen Produktivi- tätsniveaus bzw. des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsan- stieges.

Gerade für personenbezogene private Dienstleistungen wird empfohlen, die Löhne der niedrigen Produktivität anzupassen.

Bei niedrigeren Löhnen und damit auch niedrigeren Preisen für personenbezogene private Dienstleistungen könnte die Nachfra- ge intensiviert werden. Dies wäre aber nur dann möglich, wenn parallel zu den Lohnsenkungen im Dienstleistungsbereich die kaufkräftige Nachfrage aus anderen Bereichen erhalten bleibt.

Dies könnte durch eine entsprechend krasse Differenzierung von Einkommens- und damit auch Lebenssituationen erreicht werden. So wären einerseits die Bedingungen für ein billiges Dienstleistungsangebot und andererseits genügend Nachfrage nach diesen Leistungen geschaffen. Daß hohe Einkommensdiffe-

(33)

rentiale durchaus geeignet sind, die Nachfrage nach privaten Dienstleistungen zu stimulieren, zeigen die Strukturen in Entwicklungsländern, in denen heute noch praktisch jeder

"Mi ttelstandshaushal t" Hauspersonal beschäftigen kann. Und auch der Beschäftigungsboom in den USA während der letzten Jahre geht zu einem beträchtlichen Teil auf niedrig bezahlte Dienstleistungen zurück (vgl. APPELBAUM, 1988). So begrenzt hat also eine Lohnkostenpolitik, die auf eine stärkere Lohn- und Einkommensdifferenzierung setzt, durchaus Erfolgschancen.

Ein hoher Anteil personenbezogener Dienstleistungen mit ge- ringem Lohn- und Qualifikationsniveau ist charakteristisch für unterentwickelte Länder, die fast immer eine krasse Ein- kommensdifferenzierung aufweisen (vgl. VÖLCKER, 1986). Eine Ausweitung des Dienstleistungssektors durch "bad jobs" bestä-

tigt deshalb nicht die Drei-Sektoren-Hypothese, nach der die Dienstleistungsnachfrage mit steigendem Einkommen zunehmen sollte; das Gegenteil ist der Fall: Die zunehmende Dienstlei- stungsbeschäftigung würde auf einer relativen Verarmung der unteren Einkommensschichten und nicht auf einem allgemeinen Anstieg des Einkommensniveaus basieren (vgl. SCHETTKAT,

1987c).

Anders als die nur über eine starke Lohndifferenzierung mög- liche Ausweitung der privaten personengebundenen Dienstlei- stungen sind die Vorschläge für eine Angleichung der Lohndif- ferentiale durch Absenkung der gehobenen Einkommensgruppen im öffentlichen Dienst zu beurteilen. Unter der Prämisse, daß die Abgaben für die Finanzierung öffentlicher Dienstleistun- gen nicht weiter zu erhöhen sind und deshalb die öffentliche Beschäftigung nicht expandieren kann, wird - in Anlehnung an die für den öffentlichen Sektor dann gültige Lohnfondtheorie - empfohlen, "zu überlegen, ob nicht der Einkommensanstieg im Bereich traditioneller Akademikergehälter auf eine Realein- kommenssicherung begrenzt werden könnte ... Es läßt sich zei- gen, daß allein mit einer derartigen Maßnahme alle zur Zeit

(34)

arbeitslosen Hochschulabsolventen innerhalb von zwei Jahren im öffentlichen Dienst eingestellt werden könnten, ohne daß der Personalkostenanteil des Staates steigt" (vgl. KRUPP, 1986: 250).

2.3 Nachfrageorientierte Politik

"Die beschäftigungspoli tisc.he Konzeption seit 1982 kann als Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung für Vollbeschäf- tigungspolitik gesehen werden." (KÜHL, 1987: 10) Diese mit der politischen Wende eingeleitete Verschiebung der Prioritä- ten der Wirtschaftspolitik weg vom Vollbeschäftigungsziel stellte die Korisolidierung der öffentlichen Haushalte und die Geldwertstabilität in den Vordergrund. Eine Ausweitung äf- fen tlicher Aufgaben und damit verbundener Ausgaben werden kaum mehr als sinnvoll erachtet. Privatisierung ist das Zau- berwort der 80er Jahre, mit dem zahlreiche öffentlic~e Aufga- ben durch Privatanbieter substituiert werden sollen. Der Markt als Steuerungsinstrument von Angebot und Nachfrage soll auch bei diesen Leistungen in Aktion treten. Dies ist verwun- derlich, denn es war gerade die Erkenntnis, daß der Markt eben nicht in der Lage ist, eine optimale Versorgung mit al- len Gütern und Diensten zu sichern, die zur Übernahme dieser Aufgaben durch die öffentliche Hand führte. Nicht nur aus so-

zialen und Gerechtigkeitsgesichtspunkten heraus ist es not- wendig, Leistungen wie die des Bildungssystems öffentlich an- zubieten oder zu fördern, denn eine nur an der kaufkräftigen privaten Nachfrage ausgerichtete Bildungspolitik würde zu einer gesellschaftlich suboptimalen Inanspruchnahme führen.

Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik geriet in den 70er Jahren in Mißkredit, weil angeführt wurde, daß sie le- diglich kurzfristig in der Lage sei, die.Beschäftigung zu er- höhen; sie entfache "Strohfeuer" und keine dauerhaften Wachs- tums- und Beschäftigungschancen. Die staatliche Defizitfinan-

(35)

zierung verdränge private Investoren (crowding out) und ge- fährdet somit die "solide" Basis für zukünftiges Wirtschafts- wachstum. Bei expansiver Finanzpolitik war es nicht möglich, öffentliche Defizite aus der Rezession im Aufschwung abzubau- en, und das Zinsniveau erreichte durch die Bundesbankpolitik vorher nicht gekannte Höhen, weshalb die Zinslasten des Staatshaushaltes ständig zunahmen und eine heftige Debatte um die Staatsverschuldung und ihre Grenzen auslösten. Anders als in den 60er Jahren trat in den 70er Jahren auch das Problem gleichzeitiger Stagnation und Inflation (Stagflation) auf, ausgelöst durch einen gleichzeitigen Nachfrageausfall und Ko- stensteigerungen infolge der Ölpreissteigerungen (vgl. für eine ausführliche Darstellung SCHARPF, 1987a). Dies veranlaß- te die Bundesbank, die sich ausschließlich an dem Ziel eines stabilen Geldwertes orientiert, eine restriktive Geldpolitik zu betreiben. Die positiven Effekte der Konjunkturprogramme, die keineswegs alle kurzfristig angelegt waren (z.B. das Zu- kunftsinvesti tionsprogramm - Z IP), wurden also durch eine mangelnde Unterstützung durch die Geldpolitik in ihrer Wirk- samkeit begrenzt.

Die Befürworter öffentlicher Beschäftigungsprogramme führen aber dennoch eine Reihe von Erfolgen ins Feld. Von 1976 auf 1980 hat sich die Zahl der Beschäftigten immerhin um nahezu 1 Million erhöht und lag sogar über dem Wert vor dem Wirt- schaftseinbruch im Jahre 1973. Allerdings ging dieser Be- schäftigungs anstieg mit sinkendem Arbeitsvolumen einher, so daß auch hier die Arbeitszeitkomponente wesentlich zur Ver- besserung der Beschäftigungslage beigetragen hat. Auch die Arbeitslosenzahl ging, wenn auch weit weniger deutlich, in dem genannten Zeitraum zurück. Aufgrund der "demographischen Welle" kam es trotz Erhöhung der Beschäftigung nicht zu einem proportionalen Abbau der Arbeitslosigkeit, und einige ar- beitsangebotsmindernde Maßnahmen, wie die flexible Alters- grenze und die Erhöhung der Bildungsbeteiligung, zeigten nicht mehr die Effekte, die einen weiteren Anstieg der Ar-

(36)

beitslosigkeit hätten verhindern können. Dennoch trat von dieser Seite her eine erhebliche Arbeitsmarktentlastung ein (vgl. SCHETTKAT, 1987a).

In zusätzliche Schwierigkeiten geriet das Konzept der Global- steuerung durch den Versuch der sozialistischen Regierung in Frankreich, mit Hilfe eines großen Ausgabenprogrammes die französische Wirtschaft anzukurbeln. Es zeigte sich, daß ein einzelnes Land bei hoher außenwirtschaftlicher Verflechtung nicht mehr in der Lage ist, mit den Instrumenten der Global- steuerung das wirtschaftliche Aktivitätsniveau des Landes zu heben, weil ein Großteil des so geschaffenen Nachfragepoten- tials "verpufft". Hier ist zwar nicht der Raum, um die um- fangreiche wirtschaftspolitische Debatte um die Erfolgsbedin- gungen und Erfolgschancen einer auf Wirtschaftswachstum ge- richteten Beschäftigungspolitik en d~tail zu diskutieren.

Dennoch ist es bei aller Skepsis gegenüber der Erfolgswahr- scheinlichkeit einer nationalstaatliehen Nachfragepolitik doch erstaunlich, daß in Zeiten zunehmend erkennbarer Zu- kunftslasten, wie sie durch die Situation unserer physischen Umwelt zutagetreten, und gleichzeitiger hoher Arbeitslosig- keit die notwendigen Maßnahmen zur Umweltreparatur nicht in Angriff genommen werden. Gerade jetzt bietet sich die Chance, wenigstens einige Zukunftslasten abzubauen, anstatt sie der

Zukunft aufzubürden.

Neben dem Umweltschutz, der als gesellschaftliches Ziel in- zwischen ja unstrittig ist, existieren noch zahlreiche weite- re Felder des gesellschaftlichen Bedarfs, dessen Befriedigung als Zukunftsinvestition und nicht als Konsumption zu klassi- fizieren ist. Hierzu zählen eine Modernisierung der Verkehrs- infrastruktur, Wohnungsbau und Stadterneuerung, soziale Dienstleistungen, Energieeinsparungen etc. Aber auch im.Bil- dungs- und Weiterbildungsbereich besteht zusätzlicher Bedarf, denn bei weiter anhaltendem Strukturwandel, der Einführung moderner Technologien und Produktionsverfahren werden die An-

(37)

forderungen an die Qualifikationen der Beschäftigten zuneh- men. Gerade jetzt ist auch eine Situation gegeben, in der das Risiko einer zu hohen Geldentwertung kaum noch plausibel ge- gen expansive wirtschaftspolitische Maßnahmen angeführt wer- den kann. Die Inflationsrate in der Bundesrepublik war zeit- weise sogar negativ, und aus den USA steigt der Druck auf die Bundesregierung zum Ergreifen expansiver Wirtschaftspali ti- scher Maßnahmen, damit auch die Weltkonjunktur gestützt wird.

Das Zinsverbilligungsprogramm der Bundesregierung wurde schon im Vorfeld als im Volumen nicht ausreichend und aus den eige- nen Reihen der Regierungskoalition aufgrund der nur indirek- ten Wirkung auf die privaten und kommunalen Investitionsent- scheidungen als ungeeignet (SCHARRENBROICH, vgl. Handelsblatt 1987) angesehen.

Vorschläge für wirksame expansive wirtschaftspolitische Maß- nahmen liegen seit langem vor (z.B. DIW, 1978) und könnten die Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik verbessern.

Doch selbst bei erfolgreicher Wirtschaftsankurbelung würden auch umfangreiche Programme nicht ausreichen, um die Arbeits- losigkeit tatsächlich spürbar zu reduzieren (vgl. Kapitel 1).

Ein zusätzlicher Beitrag der Arbeitszeitpolitik wäre auch dann noch notwendig. In der gegenwärtigen Situation werden konjunkturstützende Maßnahmen aber auch nicht in erster Linie gefordert, um den hohen Sockel an Arbeitslosigkeit zu redu- zieren, sondern um einem drohenden weiteren Beschäftigungsab- bau entgegenzuwirken.

2.4 Arbeitsumverteilungspolitik

In diesem Abschnitt soll auf die Arbeitszeitverkürzungspoli- tik nur allgemein eingegangen werden, da spezifische Politi- ken im Kapitel 4 ausführlich diskutiert werden. Noch vor we- nigen Jahren, als die IG Metall und die IG Druck erstmals versuchten, eine Arbeitszeitverkürzung aus beschäftigungspo-

(38)

litischen Motiven durchzusetzen, wurden die Befürworter die- ser Politik als wissenschaftlich unqualifiziert und unredlich dargestellt. Die Arbeitszeitverkürzung vernichte Arbeitsplät- ze und führe ·nicht zu mehr Beschäftigung - so der Vorwurf (vgl. z.B. Wissenschaftlicher Beirat BMWI, 1983). Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, und es zeigt sich angesichts der Durchsatzung der Arbeitszeitverkürzung in der Metall- und Druckindustrie, daß dadurch sehr wohl positive Beschäfti- gungseffekte eingetreten sind. Allerdings fallen die Schät- zungen dieser Effekte unterschiedlich hoch aus, aber negative Werte wurden in keiner Studie mehr behauptet.

Dennoch waren die Beschäftigungseffekte der 1,5-stündigen Ar- beitszeitverkürzung nicht groß genug, um die Arbeitslosigkeit spürbar zu vermindern. Das DIW (vgl. STILLE/ZWIENER, 1987) schätzt den Beschäftigungseffekt auf rund 50.000 Arbeiter, die IG Metall selbst spricht von 90.000 zusätzlichen Beschäf- tigten. Gesamtmetall nimmt einen Beschäftigungseffekt von rund 20.000 Personen an, die aufgrund der Arbeitszeitverkür- zung eingestellt wurden, wobei aber der überwiegende Teil der positiven Beschäftigungswirkung auf die Flexibilisierungskom- ponente, die in den Tarifverträgen von 1984 enthalten ist, zurückgeführt wird. Ein negativer Beschäftigungseffekt wird aber auch hier nicht behauptet.

Die Analyse der Arbeitsmarktentwicklung und der Arbeitsmarkt- projektionen macht deutlich, daß ein Beitrag der Arbeitszeit- pali tik unabdingbar ist, wenn die Ar bei tslosigkei t bis zum Ende dieses Jahrtausends spürbar vermindert werden soll. Dies ist auch dann noch der Fall, wenn Wachstumsanstrengungen er- folgreich sind und wenn die öffentliche Beschäftigung ausge- weitet wird. Unter dem Label "Arbeitszeitverkürzung" werden allerdings nicht nur die tariflichen Wochenarbeitszeitverkür- zungen, sondern auch vermehrte Teilzeitarbeit, Überstundenab- bau, eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, sowie Bildungs- und Erziehungsurlaube und Sabbatjahre diskutiert. Unter be-

(39)

schäftigungspolitischen Gesichtspunkten lassen sich diese un- terschiedlichen Arbeitszeitverkürzungspolitiken danach klas- sifizieren, ob sie auf eine Erhöhung der Beschäftigtenzahl (gemessen in Personen) oder auf eine Umverteilung des Ar- beitsvolumens zwischen einzelnen Gruppen bei konstanter Be- schäftigtenzahl zielen.

Obersicht 2.1: Klassifikation der Zielrichtung unterschiedli- cher Arbeitszeitpolitiken

Arbeitszeitverkürzung ist gerichtet auf Erhöhung der

Beschäftigtenzahl

- allgemeine, tarifliche Wochenarbeitszeitver- kürzung

- Abbau von Überstunden - Ausweitung von Teilzeit-

arbeit - Teilrente

- Erziehungsurlaube - Bildungsurlaube - Sabbatjahre

Arbeitsumverteilung zwi- schen Gruppen bei konstan-

ter Beschäftigtenzahl - Reduzierung der Alters-

grenze in der Rentenver- sicherung

- Vorruhestand

Vorruhestandsregelungen sowie alle Reduzierungen der Renten- altersgrenze sind nicht auf eine Erhöhung der Beschäftigten- zahl, sondern auf eine Umverteilung der Beschäftigungschancen gerichtet, denn es sollen ältere Beschäftigte aus dem Er- werbsleben ausscheiden und jüngeren Arbeitnehmern damit eine Beschäftigungschance geboten werden. Es geht also um eine in-

(40)

tergenerationale Umverteilung der Arbeit, die zwar zum Abbau von Arbeitslosigkeit geeignet sein kann, aber nicht auf eine Erhöhung d·er Beschäftigtenzahl gerichtet ist, ja das Gegen- teil kann vielmehr eintreten, wenn nicht alle freiwerdenden Arbeitsplätze erneut besetzt werden.

Die Inanspruchnahme einer Rente führt in der Regel zum unwi- derruflichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Dies ist so- lange kein Problem, wie die Inanspruchnahme der Rente auf- grund einer freiwilligen Entscheidung erfolgt. Problematisch wird es aber, wenn ältere Arbeitnehmer in Rente "gezwungen"

und so dauerhaft marginalisiert (vgl. BERGLIND, 1981) werden.

Gesellschaftspolitisch und aufgrund der durch demographische Entwicklungen ·zukünftig ansteigenden Rentenzahlungen und da- mit einhergehenden intergenerativen Verteilungsproblernen ist eine weitere Reduzierung der Rentenaltersgrenzen kaum noc.h sinnvoll. Die allgerneine Wochenarbeitszeitverkürzung, der Ab- bau von Überstunden und die Ausweitung von Teilzeitbeschäfti- gungen - auch im Zusammenhang mit der Teilrente - usw. sind dagegen auf eine Erhöhung der Beschäftigtenzahlen gerichtet.

Die Arbeitszeit der Beschäftigten wird hier reduziert, aber der Erwerbsstatus wird beibehalten, und eine Einstellung zu- sätzlicher Beschäftigter ist intendiert. Zur Ausweitung der Partizipationschancen am Erwerbsleben sind diese Regelungen deshalb prinzipiell besser geeignet. Hierauf wird in Kapitel 4 detaillierter eingegangen.

(41)

3. PEKUNIÄRE KOSTEN UND EINSPARUNGEN BESCHÄFTIGUNGSPOLI- TISCHER MASSNAHMEN: ASYMMETRIE IN DEN ÖFFENTLICHEN HAUSHALTUNGEN

3.1 Die Kosten der Arbeitslosigkeit und ihre Träger

Abgesehen von allen menschlichen Schicksalen, die hinter den Arbeitsmarktstatistiken verborgen bleiben, abgesehen vom Ver-

lust an Qualifikationen, vom Verlust der Arbeitsfähigkeit (vgl. MILES, 1983), erfordert auch das "Aussitzen" der Ar- beitslosigkeit Milliardenbeträge. Allein die Ausgaben für das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe betrugen 1986 23,2 Milliarden DM. Hierin sind allerdings nicht nur die Transfer-

zahlungen an die Arbeitslosen (Arbeitslosengeld und Arbeits- losenhilfe), sondern auch die Beträge enthalten, die von der Bundesanstalt für Arbeit an die gesetzliche Renten- und Kran- kenversicherung zu überweisen sind. Darüber hinaus sind aber auch Teile der Sozialhilfe und des Wohngeldes zu berücksich- tigen, die zusätzlich noch durch die verminderten Einnahmen in den öffentlichen Haushalten bestimmt werden. Das IAB schätzt die fiskalischen Gesamtkosten der Arbeitslosigkeit für 1985 auf rund 56 Milliarden DM (vgl. Tabelle 3.2), die zu rund 45 % aus Mehrausgaben und zu rund 55 % aus Mindereinnah- men in den öffentlichen Haushalten bestehen. Zahlungen an Ar- beitslose machen nur etwa 30 % der gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit aus (vgl. SPITZNAGEL, 1985).

Durch Arbeitslosigkeit entstehen neben den Ausgaben auch Ko- sten, die aus dem Verzicht auf Produktion bestehen. Gesell- schaften mit hoher Arbeitslosigkeit leben nicht über ihre Verhältnisse, sondern ganz im Gegenteil: Sie leben unter ih- ren Möglichkeiten. Allerdings sind die Opportunitätskosten des Verzichts auf die Produktion von Gütern und Dienstlei- stungen nur schwer zu bestimmen; unstrittig ist allerdings, daß sie existieren. Das IAB (vgl. SPITZNAGEL, 1985) rechnet bei seinen Kostenanalysen zur Arbeitslosigkeit mit verminder-

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