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Ausweitung spezifizierter Arbeitsfreistellungen

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4. PERSPEKTIVEN DER ARBEITSZEITPOLITIK

4.6 Ausweitung spezifizierter Arbeitsfreistellungen

Unter spezifizierten Freistellungen werden solche Formen der Arbeitszeitverkürzung verstanden, die an bestimmte Bedingun-gen wie Teilnahme an Weiterbildung, Elternarbeit etc. ge-knüpft sind und die ihre Begründung zwar nicht primär in be-schäftigungspolitischen Arbeitsmarkteffekten finden, die je-doch durch eine Reduzierung der individuellen Arbeitszeit in gewissem Umfang Neueirrstellungen nach sich ziehen können. Die folgenden Überlegungen orientieren sich an verschiedenen Vor-schlägen, die auf der Basis von Modellannahmen auf ihre Ar-beitsmarkteffekte durchgerechnet wurden (vgl. KURZ-SCHERF, 1987; SCHÄFER, 1987). Wir beziehen uns im folgenden auf diese Berechnungen, da wir die Basisannahme des Modells, Wochenar-beitszeit 1990 von 37 Stunden, mit der von uns vorgeschlage-nen Subventionierung einer Wochenarbeitszeitverkürzung für erreichbar halten und sich bei einem geringeren Volumen der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung allenfalls Veränderungen in der Größenordnung der Effekte ergeben.

o Arbeitszeitverkürzungen für besonders belastete Gruppen Verkürzte Arbeitszeiten für Schichtarbeit, gesundheitlich

be-sonders belastende Arbeit und Nachtarbeit sind bereits heute Bestandteil von vielen Tarifverträgen. Sie sind geeignet, in gewissem Maß einem Verschleiß der Arbeitskraft entgegenzuwir-ken bzw. die besonderen Belastungen zu mildern. Obwohl es si-cherlich ein Ziel bleiben sollte, solche Arbeitsbedingungen weitgehend abzubauen, ist zu überdenken, inwieweit im Rahmen einer gesetzlichen Arbeitszeitregelung generelle Mindestfrei-zeiten bei belastenden Arbeitsplätzen festgeschrieben werden, die dann von den Tarifparteien konkret ausgefüllt werden kön-nen. Die Aufgabe des Staates läge darin, mit einem Rahmenge-setz eine verbindliche Mindestreduzierung festzulegen. SCHÄ-FER geht in seiner Modellrechnung davon aus, daß ca. 7 Mio.

Arbeitnehmer an Arbeitsplätzen beschäftigt sind, die als be-sonders belastend anzusehen sind. Reduzierte man die Arbeits-zeit für diese Gruppe um weitere 6 Stunden wöchentlich, so ergäbe sich daraus ein Effekt auf das Arbeitsvolumen im Jahr von 1,764 Mio. Stunden.

o Arbeitszeitverkürzung für Eltern

Die zur Zeit geltende Regelung eines Erziehungsurlaubs mit Erziehungsgeld wird den besonderen Problemen erwerbstätiger Eltern kaum gerecht. So ist das Erziehungsgeld in seiner Höhe (max. 600 DM monatlich) und in der Dauer seiner Gewährung nicht geeignet, beiden Elternteilen tatsächlich eine Wahlmög-lichkeit zu eröffnen. Faktisch kann nur der Elternteil, der einen geringeren Verdienst hat und dessen Ausfall nicht so gravierend für das Familieneinkommen ist, diesen Erziehungs-urlaub in Anspruch nehmen. Die nun gleichzeitig mögliche Teilzeitbeschäftigung muß vom Arbeitgeber angeboten werden, ein Rechtsanspruch darauf besteht nicht, und sie muß unter-halb der Versicherungsgrenze der Arbeitslosenversicherung

liegen. Daneben sind Kündigungsschutz und die Rückkehrmög-lichkeit an den ursprünglichen Arbeitsplatz nur unzureichend gewährleistet. Schon seit längerer Zeit wird deswegen über andere Formen des Elternurlaubs diskutiert, eine Notwendig-kai t, die sich auch und gerade im Hinblick auf die weiter steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen zeigt. Verschiedene Modelle sind möglich:

- generelle Verlängerung des Elternurlaubs auf ein .Jahr, mit einer Kompensation des entgangenen Einkommens in Höhe von 90 % (wie es auch in Schweden der Fall ist);

- generelle Freistellungsregelungen für Eltern von Kle.inkin-dern .zur Kiriderbetreuung (in Schweden 60 Tage pro Jahr bei Krankheit von Kindern unter zwölf Jahren);

- Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung für Eltern mit Kind.ern (in Schweden besteht ein solcher Rechtsanspruch für Eltern mit Kindern unter acht Jahren, die Reduzierung der tägli-chen Arbeitszeit auf sechs Stunden erfolgt ohne Lohnaus-gleich).

Die schwedischen Regelungen haben die Integration von Frauen in das Beschäftigungssystem nachweislich erhöht, und sie füh-ren gleichzeitig zu einer b~sseren, auch flexibleren Form der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit (SCHETTKAT, 1987a). Diese Formen gesellschaftlich erwünschter Familienar-beit können - wie in Schweden - auf der Basis eines von Ar-beitgebern und Staat finanzierten Versicherungssystems erfol-gen (in Schweden ist die Elternversicherung Bestandteil der allgemeinen Krankenversicherung). Die Inanspruchnahme erwei-terter Elternfreistellungen durch Männer und Frauen wird, auch nach den Erfahrungen in Schweden, vor allem dadurch be-einflußt, wie hoch die Kompensation des entgangenen Einkom-mens ist und inwieweit berufliche Nachteile hinsichtlich der

Eingruppierung, der Arbeitsbedingungen, der Aufstiegsmöglich-keiten und der Qualifizierungschancen vermieden werden.

Eine Erweiterung der bundesdeutschen Elternurlaubsregelungen sowie der Freistellungszeiten für Kinderbetreuung und Kinder-erziehung über das jetzige Erziehungsgeld/-urlaubsgesetz hin-aus nach schwedischem Vorbild wäre auch bei uns geeignet, Fa-milie und Beruf kombinierbar zu machen. Dies wäre nicht nur ein positiver Beitrag zur Familienpolitik, der über tradierte Formen dieses Politikbereichs hinausginge, sondern eröffnete auch beschäftigungspolitische Optionen.

Bei der Neuregelung des Elternurlaubs und der Freistellungs-zeiten für Väter und Mütter scheint uns eine gesetzliche Rah-menregelung, entsprechend der bisherigen Kompetenz des Bundes bei Mutterschafts-/Erziehungsurlaub, sinnvoll und notwendig.

In die schon erwähnte Modellrechnung wurden zwei Formen der Elternfreistellung einbezogen:

- eine Reduzierung der wöchentlichen Stunden für die Dauer von drei Jahren person, die Kinder bis zum Alter von 6

Arbeitszeit um zehn für jede

Erziehungs-Jahren hat, und

- eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit um fünf Stunden für die Dauer von fünf Jahren für jede Erziehungs-person, die Kinder zwischen 7 und 16 Jahren hat.

Sollten alle (geschätzten) 10 Mio. Berechtigten eine solche Regelung in Anspruch nehmen, würde das das Arbeitsvolumen der Beschäftigten um ca. drei Mio. Arbeitsstunden verringern.

o Weiterbildung während der Arbeitszeit

Auf die zunehmende Bedeutung beruflicher Weiterbildung wird in einem späteren Kapitel eingegangen; hier soll nur kurz die

Dimension der damit verbundenen Arbeitszeitverkürzung ange-schnitten werden. Die Forderung nach Verankerung eines für alle gültigen Bildungsurlaubs ist so alt wie die Diskussion um die Etablierung des Weiterbildungsbereichs als viertem Be-reich des öffentlichen Bildungswesens. Realisiert wurden Bil-dungsurlaubsmöglichkeiten als generelles Recht jedoch nur in einigen _wenigen Bundesländern, und unter dem Druck, der von anhaltender Arbeitslosigkeit einerseits und steigender Ar-beitsbelastung andererseits ausgeht, nahm die Inanspruchnahme dieses Rechts in den letzten Jahren ab. Aufgrund der Erfah-rung, daß ein gesetzlich garantiertes Recht auf Bildungsur-laub nur dann tatsächlich zu realisieren ist, wenn die Ar-beitgeber ebenfalls ein Interesse an Weiterqualifizierung signalisieren ~nd die Weiterbildungsteilnahme aktiv fördern, scheint es notwendig, neben einer gesetzlichen Rahmenverein-barung die Teilnahme an Bildungsurlaub und Weiterqualifizie-rung während der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf ta-rifvertraglicher Ebene festzuhalten. Modelle für g~setzliche

Rahmenformulierungen findet man z. B. in den skandinavischen Ländern.

Ein Modell einer Weiterentwicklung der Qualifizierungsmög-lichkeiten in der Bundesrepublik wird in Kapitel 7 entwik-kelt. Grobe Schätzungen aus vergangenen Jahren kommen zu dem Ergebnis, daß die bundesweite Einführung eines vierzehntägi-gen bezahlten Bildungsurlaubs mit einer arbeitszeitverkürzen-den Wirkung schon bei einer Inanspruchnahme durch nur 10 %

der abhängig Beschäftigten zu einer Entlastung des Arbeits-marktes um 100.000 Erwerbspersonen beitragen würde (SEIFERT, 1976). Hier erschließt sich also auch ein weiteres beschäfti-gungspolitisches Potential.

Die unmittelbaren beschäftigungspolitischen Effekte solcher spezifizierten Freistellungen werden natürlich nicht so hoch sein wie die rechnerisch ermittelte Reduzierung des Arbeits-valumens der Beschäftigten. Allerdings haben spezifizierte

Freistellungsregelungen den Vorteil, daß sie ein relativ fle-xibel einzusetzendes Instrument sind und neben arbeitszeitpo-litischen Effekten sinnvolle gesellschaftspolitische Optionen eröffnen. Sie tragen dazu bei, die Flexibilität des Arbeits-kräfteeinsatzes auch im Arbeitnehmerinteresse zu erhöhen und leisten daneben einen Beitrag zu einer nicht-tradierten Fami-lienpolitik und einer intensiveren Förderung der beruflichen Weiterbildung. Erfahrungen vor allem aus den skandinavischen Ländern zeigen, daß sie, je nach Regelung der Finanzierung, zwar einen Kostenaufwand für Unternehmen oder Staat darstel-len, der jedoch durch die damit verbundene höhere Flexibili-tät kompensiert werden kann.

5. ERHALTUNG UND FÖRDERUNG VON BESCHÄFTIGUNG IM PRIVATEN

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