• Keine Ergebnisse gefunden

Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

Im Dokument I 88 - 17 (Seite 88-95)

6. ÖFFENTLICHE BESCHÄFTIGUNG UND ZWEITER ARBEITSMARKT 1 Reguläre Beschäftigung

6.2 Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

Staat, anders als private Arbeitgeber, wenn er an einer be-schäftigungswirksamen Verkürzung der Arbeitszeit interessiert ist, eine Gar·antie zum vollen Personalausgleich geben könn·te und die Gewerkschaften in der Tarifrunde 1988 auf einen Teil des Lohnzuwachses verzichtet haben, werden die Ersatzeinstei--lungen als Folge der Arbeitszeitverkürzungen unter den rech--nerischen Effekten liegen.

Da wir davon ausgehen, daß außer den durch Arbeitszeitverkür-zungen notwendigen Neueinsteilungen keine rasche Ausweitung der regulär finanzierten öffentlichen Beschäftigung zum Abbau der Arbeitslosigkeit von den Gemeinden und den Ländern aus eigenen Mitteln finanziert werden wird, möchten wir an dieser Stelle noch einmal für eine quantitative und qualitative Aus-weitung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen plädieren.

6.2 Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehören zum Standard-Instrumen-tarium öffentlicher Arbeitsmarktpolitik. Ursprünglich sollten sie der vorübergehenden Schaffung zeitlich begrenzter Ersatz-arbeitsplätze im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich die-nen. Im Zuge anhaltender Massenarbeitslosigkeit haben sie

sich zu einem der wichtigsten Instrumente zur Entlastung des

Arbeitsmarktes entwickelt. So waren im Jahresdurchschnitt 1987 knapp 110.000 Personen in ABM beschäftigt; dies ergibt eine Verringerung der jahresdurchschnittliehen Arbeitslosen-zahl um 140.000 Personen. Werden zusätzlich noch Multiplika-toreffekte berücksichtigt, schätzt das IAB den Beschäfti-gungseffekt von ABM auf 154.000 Personen (BACH/KüHLER/SPITZ-NAGEL, 1986: 372; KÜHL, 1988). Der Anteil der ABM-Beschäftig-ten an allen Arbeitnehmern beträgt damit knapp 0,6 %.

ABM entlasten alle öffentlichen Haushalte erheblich: Das IAB hat errechnet, daß die unmittelbare Entlastung, d.h. die in-folge der Beschäftigung von Arbeitslosen eingetretene Entla-stung, 1985 25.000 DM pro Person und Jahr betrug. Addiert man die mittelbare Entlastung hinzu, d.h. die, die sich aus Vor-leistungs- und Einkommensmultiplikatoreffekten ergibt, so er-höht sich die fiskalische Entlastung um 10.000 DM je Teilneh-mer und Jahr auf insgesamt 35.000 DM (vgl. Tabelle 6.2). Die-sen Entlastungen stehen die Kosten für ABM gegenüber: Sie be-trugen 1985 knapp 39.000 DM pro Teilnehmer. Je nach dem, wel-che Entlastungseffekte man annimmt, finanzieren sich ABM zu 65 % (unmittelbare Effekte) bzw. 91 % (mittelbare und unmit-telbare Effekte) selbst. Fast die Hälfte der fiskalischen Entlastung fällt beim Bundeshaushalt an, da etwa 50 % der Ar-beitslosen die vom Bund finanzierte ArAr-beitslosenhilfe bezogen hatten, während der Haushalt der BA kaum entlastet wird. 1985 betrug die fiskalische Entlastung des Bundeshaushaltes durch ABM 1,1 bzw. 1,3 Mio. DM (unmittelbare/mittelbare Entla-stung).

Die Einsparungen im Bundeshaushalt durch Arbeitsbeschaffungs-programme sind also erheblich. Im Rahmen seiner arbeitsmarkt-politischen Kompetenzen kann der Bund prinzipiell Haushalts-mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereitstellen (vgl.

§ 96 AFG); auch die Länder können zusätzliche Mittel zur Ver-fügung stellen. 1986 finanzierte der Bund mit ca. 70 Mio. DM ABM mit. Mit der 8. Novelle des AFG zog sich der Bund

aller-Unmittelbare Entlastung Gesamtentlastung 1)

je geförderten bei 87.000 geförder- · je geförderten bei 87.000 geförder-Kostenträger Arbeitnehmer ten Arbeitnehmern Arbeitnehmer ten Arbeitnehmern

in DM in Mio. DM I in % in DM in Mio. DM in%

Bundesanstalt für Arbeit 3.416 297 13,6 5.864 510 16,6

Bund 12.627 1.099 50,3 15.524 1.351 44,0

Länder 2.458 214 9,8 3-538 308 10,0

Gemeinden 1.740 151 6,9 2.614 227 7,4

Rentenversicherung 4.034 351 16,0 6.068 528 17,2

Krankenversicherung 866 75 3,4 1.717 149 4,8

Insgesamt 25.141 2.187 100 35.325 3.073 100

- - - - - - - - -- - - -- - - ·

'

1) Einschließlich der Minderausgaben und Mehreinnahmenaufgrund mittelbarer Beschäftigungs-effekte.

Quelle: Berechnungen des IAB; BACH/KOHLER/SPITZNAGEL, 1986.

CO 0\

dings aus der Mitfinanzierung der ABM zurück; mit der nun an-stehenden 9. Novelle ist für 1989 eine prinzipielle Ein-schränkung auch der ABM intendiert, die aus dem Haushalt der BA finanziert werden. Damit wird ein beschäftigungspolitisch sehr wirksames Instrument trotz anhaltender Arbeitslosigkeit aus finanziellen Gründen eingeschränkt - obwohl gerade der Bundeshaushalt durch ABM stark entlastet wird.

Angesichts der Beschäftigungsentwicklung scheint jedoch der entgegengesetzte Weg notwendig: eine Ausweitung der Arbeits-beschaffungsmaßnahmen und eine Bereitstellung von Mitteln aus dem Bundeshaushalt. Eine solche quantitative und qualitative Ausweitung der ABM ist vor allem unter zwei Gesichtspunkten erforderlich: Selbst wenn die von uns präferierte Arbeits-zei tverkürzung im privaten und öffentlichen Sektor durchge-setzt werden kann, bestehen Zweifel, ob eine Beschäftigungs-ausweitung auch den Gruppen unter den Arbeitslosen zugute kommt, die als schwer zu Vermittelnde schon lange ohne Be-schäftigung sind und die mit zunehmender Dauer ihrer Arbeits-losigkeit ihre berufliche Qualifikation, ihre Arbeitsmotiva-tion und schließlich ihre Arbeitsfähigkeit verlieren.

Zur Verbesserung ihrer Beschäftigungschancen und zur Er-schließung neuer Felder öffentlicher Dienstleistungs- und Versorungsangebote erscheint eine Ausweitung der Ar bei tsbe-schaffungsmaßnahmen in gesellschaftlichen Bedarfsbereichen notwendig. Würde sich der Bund mit eigenen Finanzmitteln an einer Ausweitung der ABM beteiligen, so wäre denkbar, über die bisher im AFG geregelten Konditionen und Fördermöglich-keiten hinauszugehen:

- Eine wesentliche Hürde bei der Ausweitung öffentlicher Ar-beitsbeschaffungsmaßnahmen besteht darin, daß die mit ABM ausgeführten Arbeiten "zusätzlich" zu den regulären Aufga-ben der Verwaltung oder des Trägers sein müssen, d.h. ohne ABM nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt

durchge-führt werden. Dieses "Zusätz lichkei tskri terium" soll eine Substitution regulärer Beschäftigung durch ABM verhindern.

Dies gelingt jedoch in der Praxis nicht: Stellenstreichun-gen und Personalabbau haben in vielen Gemeinden schon heute dazu geführt, daß Pflichtaufgaben nur mehr eingeschränkt wahrgenommen werden und ABM-Kräfte wesentliche Aufgabenbe-reiche abdecken. Alle Erfahrungen zeigen, daß ein vages

"Zusätzlichkeitskriterium" nicht vor Substitution schützt, sondern allein die Orientierung an der bisherigen und zu-künftigen Beschäftigtenzahl. Ein Verfahren, bei dem die über eine im voraus festgelegte hinausgehende Beschäftigung als "zusätzlich" definiert wird und nur die Träger AHM-Kräfte beschäftigen können, die in einem definierten Zeit-raum kein Personal reduziert haben, könnte zu einer Auswei-tung von ABM genauso beitragen wie das Erschließen neuer~

noch nicht bearbeiteter Aufgabenfelder. Gleichzeitig müßten die Träger zur Aufrechterhai tung ihrer Besch.äftigtenzahl während der Laufzeit der ABM verpflichtet werd.en; . .die Per-sonal- und Betriebsräte sind als Mitwirkungs- und Kontroll-instanz zu beteiligen.

- Die ABM-Beschäftigung muß in Bezahlung, Status etc. den Be-schäftigungsbedingungen der regulär Beschäftigten gleichge-stellt sein; d.h. ABM-Beschäftigte werden von den Maßnahme-trägern nach Tarif bezahlt. Es gilt für sie die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit. Teilzei tbeschäft:igungen so11.en nur auf eigenen Wunsch oder in höheren Vergütungsgruppen ange-boten werden.

Die ABM-Beschäftigung muß mindestens für ein Jahr, maximal bis zur Dauer von .fünf Jahren angeboten werden, um die ~ür

die Betroffenen selbst und die Qualität der Arbeit negati-ven Effekte dauernder Rotation aufzuheben.

- Die Art der Arbeiten muß den Fähigkeiten und Möglichkeiten der bevorzugten Zielgruppen angepaßt sein: Für jugendliche

Arbeitslose sind solche ABM zu bevorzugen, in denen hohe Anteile an beruflichen Qualifizierungsmöglichkeiten

enthal-ten sind; ähnlich sollten ABM-Programme für Frauen so ge-staltet werden, daß sie auch Berufsrückkehrerinnen oder Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit der Weiterentwicklung beruflicher Fähigkeiten bieten. Andererseits sind bei älte-ren, berufserfahrenen Arbeitslosen ABM angebracht, in denen entsprechende Qualifikationen eingesetzt und weiterentwik-kelt werden können, während für längerfristig Arbeitslose neben der Bereitstellung von Beschäftigungsmöglichkeiten auch Phasen der psychosozialen Betreuung angebracht sind.

Eine solche Differenzierung der ABM nach Zielgruppen bein-haltet zwar immer auch die Gefahr der Stigmatisierung und der Ghettoisierung einzelner Gruppen und zwar entlang von Merkmalen, die der einzelne individuell zum Teil gar nicht verändern kann. Hinter einer solchen Differenzierung steckt jedoch auch der Gedanke, auch bei einer ABM-Beschäftigung von den·Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten des ein-zelnen auszugehen. ABM-Politik, die dies nicht berücksich-tigt, kann die Folge haben, daß ABM-Beschäftigung indivi-duell und gesellschaftlich als "Abschiebegleis" empfunden wird.

- Dies gilt auch für die mit ABM durchzuführenden Arbeiten:

Sind diese Arbeiten nur "Resttätigkeiten" oder ohne inhalt-lichen und organisatorischen Bezug geschaffene Zusatztätig-keiten, so taucht relativ schnell der Vorwurf der "Beschäf-tigungstherapie ohne Perspektive" auf. Werden die ABM-Kräf-te dagegen eingesetzt, um neue Bedarfsfelder zu erschlie-ßen, experimentelle Programme zu beginnen, und/oder sind sie voll in den regulären Betrieb der Verwaltung oder des Trägers integriert, so besteht immerhin die Chance, eine dauerhafte Verankerung neuer Aufgabenbereiche zu erwirken oder sich mit regulären Arbeiten zu qualifizieren, um da-durch die Möglichkeit für ein Überwechseln in eine Plan-stelle zu erleichtern. Das Problem, daß ABM-Beschäftigte

oftmals "Beschäftigte zweiter Klasse" sind, resultiert vor allem aus der arbeitsrechtlichen und lohnmäßigen Schlech-terstellung und der kurzen Befristung der Arbeitsverträge.

Hier würden die genannten Bedingungen Abhilfe schaffen, so daß in der täglichen Arbeitspraxis kein Unterschied zwi-schen ABM-Beschäftigten und regulär Beschäftigten entstehen müßte.

Die Finanzierbarkeit eines quantitativ und qualitativ .erheb ... · lieh ausgeweiteten ABM-Programms durch den Bundeshaushalt ha-ben REISSERT/SCHARPF/SCHETTKAT demonstriert (vgl. ebenda 1987): In ihrem Modell gingen sie von einem ABM-Programm für alle Langzeitarbeitslosen in der Größenordnung von 650.000 ABM-Plätzen atis. Würde man mit Hilfe von ABM in dieser Grö ...

ßenordnung Beschäftigung schaffen, so würde dies netto, d.h~

unter Berücksichtigung der Kosten und Entlastungen:, etwa 9 Mrd. DM im Jahr kosten. Dies wäre ein zusätzliche.r Aufwand, von 1

,s

% des öffentlichen Gesamthaushaltes. Gemes~en an:·den finanziellen Dimensionen der Steuerreform wäre ein solch.es finanzielles Engagement des Bundes keineswegs überdimensio-niert und unmittelbar beschäftigungswirksam.

Im Dokument I 88 - 17 (Seite 88-95)