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FÖRDERUNG DER BERUFLICHEN WEITERBILDUNG

Im Dokument I 88 - 17 (Seite 95-103)

Dem quantitativen und qualitativen Ausbau der beruflichen Weiterbildung kommt für die weitere Zukunft eine erhebliche Bedeutung zu. Dies nicht allein deswegen, weil die Teilnahme an außerbetrieblicher Weiterbildung unmittelbar den Arbeits-markt entlastet, sondern weil die zukünftige Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitsmarkt erkennbar zu einem höheren Be-darf an beruflichen Qualifizierungsmöglichkeiten führen wird.

Nach allen vorliegenden Untersuchungen spielen berufliche Qualifikationen nicht nur eine Rolle bei der Realisierung in-dividueller Beschäftigungschancen (sowie bei der Zuweisung von sozialem Status und Einkommen), auch

gesamtgesellschaft-lich wächst der Bedarf an Qualifizierungsmöggesamtgesellschaft-lichkeiten.

Zieht man ein kurzes Resümee der Weiterbildungspolitik der vergangenen 18 Jahre, so sind jedoch Zweifel angebracht, ob das gegenwärtige Weiterbildungssystem von seiner institutio-nellen, finanziellen und qualitativen Entwicklung her geeig-net ist, auf die gewachsenen Anforderungen adäquat zu reagie-ren. Seit der Verabschiedung des AFG und des Berufsbildungs-gesetzes vor nunmehr 18 Jahren wurde das Weiterbildungssystem - entgegen den ursprünglichen Intentionen - nicht zu einem gleichberechtigten vierten Bereich des öffentlichen Bildungs-systems ausgebaut. Öffentliche Weiterbildungsförderung durch die Arbeitsverwaltung und Qualifizierung durch die Betriebe haben sich auseinanderentwickelt,

Eine große Rolle spielen die aus den Beiträgen zur Arbeitslo-senversicherung finanzierten Weiterbildungskurse der Bundes-anstalt für Arbeit, die zunächst dem beruflichen Aufstieg breiter Kreise der Arbeitnehmerschaft dienten und die Teil-nahme an beruflicher Weiterbildung durch ein großzügig ge-währtes Unterhaltsgeld ermöglichten. Im Zuge des Anstiegs der Arbeitslosigkeit und entsprechender finanzieller Engpässe im

Haushalt der BA wurde die öffentliche Weiterbildungsförderung auf einen immer enger definierten Kreis von Arbeitnehmern bzw. Arbeitslosen konzentriert, so daß heute eine öffentlich finanzierte Weiterbildung faktisch auf einen engen Personen-kreis konzentriert ist (vgl. STREECK u.a., 1987). Obwohl die BA im Laufe der letzten Jahre für bis zu 500.000 Personen pro Jahr kurz- und mittelfristig angelegte Fortbildungs- und Um-schulungsmaßnahmen anbieten kann und sich durch die Teilnahme an diesen Kursen die individuellen Beschäftigungschancen er-folgreicher Teilnehmer erhöhen (vgl. HOFBAUER/DADZIO, 1987), kann die AFG-Förderung kein Ersatz für eine systematische öf-fentliche Weiterbildungsförderung sein. Die aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung finanzierte Weiterbildung ist sinnvollerweiie auf Arbeitslose konzentriert worden. Sie ist in ihren quantitativen Dimensionen allerdings stark von der Entwicklung der Haushaltssituation der BA abhängig, und die Qualität und Fristigkeit ihrer Kurse ist oftmals eher von Ko-stengesichtspunkten als von bildungspolitischen Vorstellungen geleitet.

Gleichzeitig ist die Bedeutung der betrieblichen Weiterbil-dung weiter angestiegen. Immer mehr Betriebe in der Bundesre-publik haben erkannt, daß die Ressource "Mensch" im interna-tionalen und nainterna-tionalen Wettbewerb eine wesentliche Größe darstellt; die Aufwendungen der deutschen Wirtschaft für Wei-terbildung sind in den vergangeneu Jahren erheblich gestie-gen. Da jedoch betriebliche Weiterbildungspolitik nicht über-geordneten allgemeinen Zielen der Bildungspolitik verpflich-tet ist, sondern ein dem jeweiligen Unternehmensziel unterge-ordnetes Instrument der Personalentwicklung ist, ist sie not-wendigerweise betriebsspezifisch in den Inhalten der Qualifi-zierung und selektiv hinsichtlich des einbezogenen Personen-kreises. Eine Studie aus dem Jahr 1982/1983 kommt zu dem Er-gebnis, daß etwa 18 % aller Beschäftigten der untersuchten Industriebetriebe an betrieblicher Weiterbildung teilnahmen.

Nach Gruppen aufgeschlüsselt konnten nur 2, 6 % der an- und

ungelernten Arbeitnehmer, 8,0 % der Facharbeiter, aber 40,2 % der technischen und 39, 1 % der kaufmännischen Angestellten und 65,2 % der Führungskräfte an Weiterbildung teilnehmen (v.

BARDLEBEN u.a., 1986). Inhaltlich ist die von Betrieben ini-tiierte oder selbst angebotene Weiterbildung auf die Anforde-rung des einzelnen Betriebes oder des einzelnen Arbeitsplat-zes ausgerichtet. Die geringe Einbeziehung un- und angelern-ter Arbeitnehmer in berufliche Weiangelern-terbildung läßt die Vermu-tung zu, daß die Arbeitsplätze, an denen sie beschäftigt sind, keinen oder nur geringen Weiterbildungsbedarf auslösen.

Betriebliche Einarbeitung scheint die notwendigen Anpassungs-prozesse an diesen Arbeitsplätzen ausreichend abzudecken.

Folgt man den Prognosen des IAB über die Veränderungen des Bedarfs an Erwerbstätigen bis zum Jahre 2000, so wird der Be-darf an Arbeitnehmern, die keine formale Berufsausbildung ha-ben, in allen Tätigkeitsbereichen dramatisch abnehmen (KLAU-DER, 1987). An den Arbeitsplätzen, die heute noch von un- und angelernten Arbeitnehmern besetzt werden, werden dann zuneh-mend "formal qualifizierte" Personen arbeiten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen zwei Defizite des gegenwärtigen Wei~

terbildungssystems besonders gravierend: einerseits die Tat-sache, daß es sowohl im Bereich der AFG-Förderung als auch in der betrieblichen Weiterbildung an anerkannten Bildungsab-schlüssen fehlt, die erst eine Arbeitsmarkttransferierbarkeit von Qualifikationen ermöglichen (vgl. STREECK u.a., 1987);

andererseits die unübersehbare Selektivität der Weiterbildung hinsichtlich der Einbeziehung von bestimmten Arbeitnehmer-gruppen.

Aber auch zwischen den Betrieben sind Weiterbildungsmöglich-keiten ungleich verteilt: Während Großbetriebe in der Regel über eine ausgebaute Personal- und Berufsbildungsabteilung verfügen, die kontinuierlich betriebliche Weiterbildung orga-nisieren und die Entwicklungen externer

Weiterbildungsangebo-·te verfolgen und für Betriebsangehörige transparenter machen

kann, fehlt es insbesondere Klein- und Mittelbetrieben am Zu-gang zu Weiterbildungsträgern und an den innerbetrieblichen Umsetzungsmöglichkeiten (vgl. GARLICHS/MAIER, 1982).

Die fehlende finanzielle Unterstützung weiterbildungsinteres-sierter Arbeitnehmer durch öffentliche Unterhai tsgelder einerseits oder durch bezahlte Freistellung von der Arbeit andererseits hat schon in den vergangenen Jahren dazu ge-führt, daß die generelle Weiterbildungsteilnahme geringer qualifizierter Arbeitnehmer deutlich zurückging. Das ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß selbst initiierte Weiterbil-dung eine erhebliche Investition für den einzelnen ist. Un-tersuchungen des BIBB weisen z.B. darauf hin, daß ein Arbeit-nehmer, der ari einer zweijährigen Techniker-Fortbildung teil-nimmt, von der BA ein Darlehen über 30.000 DM erhält. Nach Abschluß des Lehrgangs müssen dann zehn Jahre lang monatlich 250 DM zurückgezahlt werden, d.h. etwa 10 % des Nettoeinkom-mens eines qualifizierten Facharbeiters (vgl. BERGN~R, 1986).

Für den Personenkreis, für den Weiterbildung zur Sicherung von Beschäftigungsmöglichkeiten immer wichtiger wird,

diese finanziellen Belastungen eine besondere Hürde.

sind

Aufgrund der gewachsenen Anforder:ungen müßte eine Neuorien-tierung des beruflichen Weiterbildtingssystems von der Prämis-se ausgehen, daß berufliche Weiterbildung in das allgemeine öffentliche Bildungssystem integriert werden und in diesem Rahmen gesetzlich, finanziell und inhaltlich so strukturiert sein muß, daß

weiterbildungsinteressierte Arbeitnehmer eine (öffentlich oder vom Arbeitgeber finanzierte) Einkommenssicherung er-halten,

- arbeitsmarktgängige Qualifikationen erworben werden können (Zertifizierung),

- der Zugang allen Interessierten offen steht, bzw. bisher vernachlässigte Gruppen besonders gefördert werden können,

- das Weiterbildungsgefälle zwischen Regionen, Betrieben ver-schiedener Größe und Branchen abgebaut werden kann.

Die Weiterbildungsförderung nach dem AFG kann für den Ausbau der Weiterbildung nur ein Teilbereich sein, denn die Erfah-rung zeigt, daß bei steigender Arbeitslosigkeit der Haushalt der BA notwendigerweise für die Qualifizierung der Arbeitslo-sen eingesetzt wird. Der Ausbau eines öffentlichen Weiterbil-dungsbereichs, der allen Bürgern offen steht, kann nur aus Steuermitteln erfolgen.

Sinnvoll ist deswegen eine Weiterentwicklung, die sich auf verschiedene, teilweise schon vorhandene institutionelle und finanzielle Regelungen stützt und diese in ein Gesamtkonzept integriert:

- Die Entwicklung inhaltlicher Qualitätsstandards ist nach dem Berufsbildungsgesetz auch schon heute im Weiterbil-dungshereich den Tarifparteien übertragen, wobei Anstöße für eine Vereinheitlichung auch von staatlicher Seite kom-men könnten (vgl. STREECK u.a., 1987).

- Die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung erfolgt heute in einigen wenigen Branchen aus einem Finanzierungs-fonds aller Betriebe der Branche, die dann von Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam verwaltet wird; Fondsfinanzie-rungen, die sich z.B. an der Lohnsumme pro Betrieb orien-tieren können, bieten den großen Vorteil, daß alle Betriebe entsprechend ihrer ökonomischen Stärke zur Finanzierung von gemeinsam genutzten Einrichtungen beitragen. Fondsmodelle schaffen darüber hinaus Anreize zur Intensivierung der Bil-dungsanstrengungen, da alle Betriebe unabhängig von ihrer Ausbildungsintensität zur Finanzierung beitragen müssen.

Solche Finanzierungssysteme führen damit zu einer gleichmä-ßigeren Verteilung der Kosten der Weiterbildung und werden auf betrieblicher Seite dazu beitragen, Weiterbildung

in-tensiver zu nutzen. In anderen OECD-Ländern werden solche Fondsmodelle praktiziert: So gibt es in Dänemark ein Bil-dungsurlaubsgesetz für Ungelernte, das allen Ungelernten das Recht auf sechs Monate Arbeitsfreistellung innerhalb von drei Jahren gibt. In Schweden existiert ebenfalls ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf Bildungsurlaub, der jeweils in Tarifverträgen konkret geregelt ist. Die Finanzierung dieses Bildungsurlaubs (Lohnfortzahlung) erfolgt in der Re-gel durch gemeinsam von Arbeitgebern und Gewerkschaften verwaltete Fonds, in die nur die Arbeitgeber (Schweden) oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Dänemark) Beiträge ein-zahlen und die aus dem staatlichen Haushalt Zuschüsse er-halten können (Schweden/Dänemark).

In der Bundesrepublik stehen prinzipiell verschiedene Mo-delle zur Finanzierung von Weiterbildung zur Verfügung: die aus Bei trägen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanz i·er-te Weii·er-terbildung der Arbeitsverwaltung, Branchenfonds wie bei der beruflichen Erstausbildung ( z. B. im Baugewerbe) oder Finanzierung durch die Arbeitgeber im Rahmen eines Weiterbildungstarifvertrages (der von verschiedenen

Gewerk-schaften angestrebt wird). In der Bundesrepublik dürfte eine gesetzliche Umlagefinanzierung politisch kaum durch-setzbar sein, allerdings fordern verschiedene Gewerkschaf-ten tarifvertragliche Fonds-Lösungen. Sie erlauben "bran-chennahe" und für den einzelnen Betrieb erreichbar·e Weite·r-bildungsangebote. Die Institutionalisierung der Fond.s kann dazu beitragen, daß die Entwicklung des Angebots nicht aus-schließlich externen, im Markt konkurrierenden Weiterbil-dungsträgern überlassen bleibt, da dies meist zu einer V-er-nachlässigung der Bedürfnisse von Kleinbetrieben und/oder ökonomisch weniger attraktiven Kursangeboten für spezifi-sche Arbeitnehmergruppen führt.

- Zur Einkommenssicherung bei Weiterbildung bieten sich - ne-ben Unterhaltsgeld nach dem AFG - zwei Formen an: eine

ge-setzliehe Regelung des bezahlten Weiterbildungsurlaubs, bei dem die Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber oder über den Fonds übernommen wird; gleichzeitig könnte die Arbeitsverwaltung

ihre Weiterbildungsmittel oder zusätzliche staatliche Mit-tel in Form eines regelgebundenen Zuschusses (vgl. SCHMID/

REISSERT/BRUCHE, 1987) dann für 'betriebliche Weiterbildung einsetzen, wenn bestimmte arbeitsmarktpolitische Kriterien erfüllt sind. Solche Kriterien könnten z.B. sein, daß die betroffenen Arbeitnehmer ohne Weiterbildung auf dem Ar-beitsmarkt nicht vermittelbar sind, den Betroffenen anson-sten gekündigt würde und ihnen mit Hilfe von beruflicher Qualifizierung neue Berufsfelder erschlossen werden, oder wenn sich die Weiterbildung speziell an Personen richtet, die sonst nicht qualifiziert werden, wie un- und angelernte Arbeitnehmer, Frauen und ausländische Arbeitnehmer. Auch eine Kombination von Weiterbildung mit Kurzarbeit erscheint in den Branchen, in denen ein massiver Abbau von Arbeits-plätzen zu erwarten ist, sinnvoll, ebenso wie die vorn aus-geführte Koppelung von Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizie-rungsmöglichkeiten.

- Institutionell stehen mit dem BIBB, der Arbeitsverwaltung, den Kammern, den Weiterbildungsträgern der öffentlichen Hand (Volkshochschulen) und den Tarifparteien ausreichend Akteure für die Entwicklung eines solchen

Weiterbildungssy-stems zur Verfügung, die zudem regional sehr gleichmäßig und flächendeckend arbeiten.

Die Einrichtung von Branchenfonds für Aus- und Weiterbildung kann auf der Basis von Tarifverträgen oder im Rahmen einer gesetzlichen Regelung erfolgen. Der Staat, der von einer in-tensiveren Weiterbildungsförderung nicht nur unmittelbare Ar-beitmarktentlastungen erwarten kann, sondern auch einen mit-telfristig sinnvollen Beitrag zur Bewältigung des gesamtwirt-schaftlichen Strukturwandels, könnte sich unmittelbar und di-rekt an Branchenfonds beteiligen, in dem z.B. Zuschüsse zum

Aufbau von Weiterbildungseinrichtungen gegeben werden (über die bisherige Förderung nach AFG und im Rahmen der Gemein-schaftsaufgabe regionaler Wirtschaftsförderung hinaus), und Gelder dafür bereitstellen, um Unterhaltsgelder für Arbeits-lose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte aufzustocken und die Entwicklung der inhaltlichen Kooperation zwischen den Tarif-parteien, den staatlichen Berufsbildungsexperten und der Bun-desanstalt für Arbeit voranzutreiben.

Eine stärker regulierende und die finanzielle Basis der Wei-terbildung stärkende Aktivität erscheint im Bereich der be-ruflichen Bildung gerade deswegen von Nöten, weil eine aus-schließlich dem Einzelinteresse der Betriebe bzw. der Markt-dynamik überlassene Berufsbildungspali tik suboptimale Ergeb-nisse bringt. Betriebe entwickeln nicht von sich aus gesamt-wirtschaftlich rationale Problemlösungen, wenn damit einzel-betriebliche Rentabilitätsinteressen gefährdet sind; sie s.ind ohne öffentliche Berufsbildungspolitik in der Rege~ nicht in der Lage, in eigener Regie oder durch eigenes Zutun arbeits-marktgängige Qualifikationen von der Breite und Tiefe zu er-zeugen, die über einzelne Arbeitsplätze oder Arbeitsplatz-gruppen hinaus die arbeitsmarktpolitisch wünschbare Beweg-lichkeit gewährleisten (vgl. SENGENBERGER, 1983). Gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Strukturwandels können sich ein-zelbetriebliche und gesamtwirtschaftliche Erfordernisse wei-ter auseinanderentwickeln. Diese Erkenntnis, die im Bereich der beruflichen Erstausbildung zu . einer dicht geflochtenen Kooperation zwischen Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften geführt hat, muß auf die Weiterbildungspolitik übertragen werden.

Im Dokument I 88 - 17 (Seite 95-103)