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Begrenzung der Oberstunden

Im Dokument I 88 - 17 (Seite 59-72)

4. PERSPEKTIVEN DER ARBEITSZEITPOLITIK

4.2 Begrenzung der Oberstunden

Parallel zu dieser durch die öffentliche Hand finanziell ge-förderten Verkürzung der Wochenarbeitszeiten sollten Initia-tiven zur Begrenzung der bezahlten Mehrarbeit (die nicht durch Freizeit ausgeglichen wird) ergriffen werden. Überstun-den sind prinzipiell eine Möglichkeit, betriebliche Engpässe, saisonale Schwankungen oder Auftragsspitzen abzufangen; sie stellen für die Unternehmen eine notwendige "Flexibilitätsre-serve" dar, mit der kurzfristige Schwankungen im Personalbe-darf ausgeglichen werden können. In vielen Unternehmen wird gegenwärtig eine Personalpolitik der "unteren Linie", d. h.

mit einem relativ niedrigen Bestand an dauerhaften Beschäfti-gungsverhältnissen, verfolgt,

geringfügige Auftragszuwächse

mit der Konsequenz, daß schon durch Überstunden und immer häufiger auch durch instabile Beschäftigungsverhältnisse (wie Zeitverträge/Leiharbeit) bewältigt werden (vgl. dazu die An-gaben der Betriebe im Überstundenbericht, BRINKMANN u. a., 1986).

1986 betrug die Zahl der bezahlten Mehrarbeitsstunden 1,6 Mio.; dies entspricht rein rechnerisch über 900.000 Voll-zeitarbeitsplätzen. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß ge-wisse Flexibilitätsreserven auf betrieblicher Ebene erhalten bleiben müssen, bietet die gesetzliche Beschränkung von Über-stunden angesi~hts dieser Dimension ein beschäftigungspoliti-sches Handlungspotential. Die Arbeitszeitsordnung (AZO) von 1938 und der neue Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sind in dieser Frage jedoch unzureichend. In den Rahmenvorgaben geht der neue Entwurf, was die M~glichkei­

ten der Ausdehnung der Arbeitszeit auf täglich 10 Stunden und wöchentlich 60 Stunden angeht, sogar über die bisherige

Rege-lung hinaus und erlaubt den Unternehmen so eine Fortsetzung der Personalpolitik der "unteren Linie".

Eine gesetzliche Regelung von Überstunden ist im Interesse einer alle Branchen und Arbeitnehmergruppen umfassenden Ver-einheitlichung geboten; im Rahmen von Tarifverträgen könnten dann weitere branchenspezifische Regelungen getroffen werden.

Der im Bundesrat abgelehnte Gesetzentwurf des Landes Nord-rhein-Westfalen sah eine sinnvolle gesetzliche Regelung der Überstundenproblematik vor: Danach sollten Arbeitszeiten, die die tarifliche Wochenarbeitszeit überschreiten (1986: wenn 39 Wochenstunden um acht Stunden monatlich überschritten wer-den), mit Freizeit ausgeglichen werden. Für den Freizeitaus-gleich war ein Dreimonatszeitraum vorgesehen, der bei drin-genden betrieblichen Erfordernissen um einen weiteren Monat verlängert werden konnte. Eine solche gesetzliche Begrenzung

der Mehrarbeit erhält einerseits die kurzfristige Flexibili-tät und schafft andererseits Umverteilungspotentiale und er-öffnet dadurch neue Beschäftigungschancen.

Die gegen eine Beschränkung von Überstunden vorgebrachten Ar-gumente, daß z.B. die benötigten Fachkräfte auf dem Arbeits-markt fehlen, scheinen uns in der vorgebrachten Pauschalität keinen Bestand zu haben: Durch betriebliche und

zwischenbe-triebliche Mobilitätsprozesse und eine intensivere Aus- und Weiterbildungspolitik von Betrieben und öffentlicher Hand sind diese Probleme wie auch schon in der Vergangenheit lös-bar.

Der Abbau von Überstunden stellt eine notwendige Ergänzung zur Strategie der Wochenarbeitszeitverkürzung dar, und er würde die volle Beschäftigungswirksamkeit der subventionier-ten Arbeitszeitverkürzung flankieren und darüber hinaus zu-sätzliche·Beschäftigungspotentiale erschließen.

4.3 Flexibilisierung individueller Arbeitszeiten

Die über die gegenwärtig üb liehen Gleitzeit-Regelungen hin-ausgehende Flexibilisierung individueller Arbeitszeiten bei einem gegebenen Arbeitszeitvolumen (vgl. Überblick bei SEI-FERT, 1986) ist ein von den Arbeitgeberverbänden präferiertes Modell der Arbeitszeitpolitik. Das primäre Interesse der Ar-beitgeber an diesen flexiblen individuellen Arbeitszeiten be-steht darin, den Arbeitskräfteeinsatz besser an den arbeits-täglichen, arbeitswöchentlichen, saisonal oder konjunkturell schwankenden Arbeitskräftebedarf anzupassen und durch die Vermeidung von Überstundenzuschlägen zusätzlich die Arbeits-kosten zu senken. Zugleich können flexible Regelungen auch im Einzelfall den (durch Familienpflichten oder Freizeitwünschen definierten) Interessen der Arbeitnehmer entgegenkommen. Al-lerdings unterscheiden sich die Bedürfnisse von Arbeitgebern

und Arbeitnehmern insoweit, als die Mehrheit der Arbeitnehmer nicht an einer weiteren Ausdehnung von Nacht-, Schicht- und Wochenendarbeit interessiert ist.

Die Auswirkungen flexibler Arbeitszeitregelungen auf das Be-schäftigungsniveau sind insgesamt eher negativ zu beurteilen:

In dem Maße, wie flexible Arbeitszeitformen dazu führen, den jeweiligen Arbeitsanfall zeitlich besser mit dem Arbeitskräf-teeinsatz zu synchronisieren, werden Leerzeiten ent.fallen, und die durchschnittliche Arbeitsintensität wird zunehmen (vgl. dazu die Ergebnisse von BIELENSKI/HEGNER, 1985). Das insgesamt nachgefragte Arbeitszeitvolumen wird sich dadurch reduzieren. Zu einer positiven Beschäftigungsentwicklung könnte es allenfalls dann kommen, wenn die so erreichte Lahn-kostenreduzierung zu Preissenkungen führt und eine entspre-chende zahlungskräftige Nachfrage dadurch mobilisiert wird.

4.4 Ausweitung der Teilzeitarbeit

Beschäftigungspolitische Hoffnungen richten sich deswegen we-niger auf eine generelle FlexibilisieTung der Arbeitszeit als vielmehr auf eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung.

Schon in den vergangenen Jahren ist die sozialversicherungs-pflichtige wie auch die nicht-versicherungs,sozialversicherungs-pflichtige Teil-zeitbeschäftigung angestiegen: 1985 waren 21,6 % der sozial-versicherungspflichtig beschäftigten Frauen und 1,1 % der Männer weniger als 36 Stunden in der Woche beschäftigt (vgl.

BRINKMANN/KOHLER/REYHER, 1986). Zu diesen 1,8 Mio. sozialver-sicherten Teilzeitbe~chäftigten kommen nach Schätzungen noch einmal rund 1,3 Mio. Nicht-Sozialversicherte, vor allem Frau-en, hinzu (BÜCHTEMANN/SCHUPP, 1986).

Die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung hat, wie vorne aus-geführt, die Zahl der Beschäftigten insgesamt erhöht; eine

Ausweitung des Beschäftigungsvolumens erfolgt dagegen auch mit dem vermehrten Einsatz von Teilzeitbeschäftigungen nicht.

Dagegen hat die Ausweitung von Teilzeitbeschäftigungen insge-samt und besonders im expandierenden Dienstleistungssektor zu einer Erhöhung der Zahl der beschäftigten Frauen und ihrem Anteil am Arbeitsvolumen beigetragen (vgl. BRINKMANN/KOHLER/

REYHER, 1986). Befragungen zeigen, daß vor allem auf Seiten der Frauen ein großes Interesse an Teilzeitbeschäftigung be-steht, da damit eine Möglichkeit bebe-steht, Berufstätigkeit mit familiären Aufgaben zu vereinbaren (vgl. LANDENBERGER, 1987).

Auch die positiven Stellungnahmen der Arbeitgeber zeigen, daß auch dort ein erhebliches Interesse an Teilzeitbeschäftigun-gen besteht, wobei zu fragen ist, ob die Interessenprofile von Arbeitgebern und Arbeitnehmern so ohne weiteres zusammen-passen.

Die bisherige Praxis überzeugt noch nicht, denn meist wird Teilzeitarbeit nur in gering qualifizierten und gering ent-lehnten Tätigkeiten angeboten; es fehlt an beruflichen Auf-stiegsmöglichkeiten, eine eigenständige Altersversorgung kann nur mangelhaft aufgebaut werden, und in vielen Tarifverträgen sind Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich des Kündigungsschut-zes, der Urlaubsregelungen, der betrieblichen Altersversor-gung etc. deutlich schlechter gesteilt als Vollzei tbeschäf-tigte.

Einer gesellschaftspolitisch wünschenswerten Ausweitung und Aufwertung der Teilzeitarbeit für Männer und Frauen stehen nicht nur die überkommenen Familienstrukturen, sondern auch die Prinzipien der Rentenversicherung entgegen, die eine aus-reichende Altersversorgung nur denjenigen bietet, die lebens-lang Vollzeit erwerbstätig waren oder als Ehepartner eines Vollzeit-Erwerbstätigen mitversorgt werden (vgl. SCHARPF/

SCHE.TTKAT, 1986). Dieser Zusammenhang begrenzt das Interesse an Teilzeit-Arbeitsplätzen mit entsprechend reduziertem Ar-beitseinkommen und Rentenbezügen auf "mi tverdienende"

Ehe-frauen und führt zu der Vermutung, daß ein Teil der heute ge-leisteten Teilzeitarbeit "unfreiwillig" ist.

Arbeitgeber sind in dem Maße an Teilzeitbeschäftigung inter-essiert, wie es mit ihrer Hilfe gelingt, den Arbeitskräfte-einsatz präziser an den betrieblichen Arbeitskräftebedarf an-zupassen. "Im Extremfall könnte also durch die Aufteilung vorhandener Vollzeit-Arbeitsplätze auf eine größere Anzahl von Teilzeit-Beschäftigten eine flexible, leistungsfähige-und.

kostengünstige Arbeitskraft-Reserve für den Fall einer not•

wendigen Produktionsausweitung vorgehalten werden.'' (SCHARPF/

SCHETTKAT, 1986: 270). Variable, individuelle Arbeitszeiten gehen gegenwärtig schon häufig mit Teilzei tbeschäft·igungen einher. Durch die Zunahme der Ar bei tsintensi tät kann eine Um'-wandlung von Vollzei t- in Teilzeitstellen

gesamtwirtschaft-lich zwar zu einer Erhöhung der Beschäftigtenzahlen bei tra~·

gen, für das Arbeitsvolumen insgesamt jedoch n.egativ se·in.

Bei der Beurteilung des gesellschaftspolitischen Nutzens einer Ausdehnung der Teilzeitarbeit als Beschäftigungsang.ebot·

für Frauen, die gezwungen sind, Familie und Beruf in dieser Weise zu vereinbaren, ist zwischen zw~ei verschiedenen Aspek~

ten zu unterscheiden. So zeigen Erfahrungen in anderen OBCD~

Ländern, daß ein vermehrtes Angebot an Teilzeitarbeitsplät~sn

die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt positiv unter~

stützen und unter gewissen Rahmenbedingungen des Arbeits'-· un:d Sozialsystems flexible Optionen für die Arbeitnehmerinnen er~

öffnen kann (vgl. HOHENBERGER/MAIER/SCHLEGELMILCH, 198&). Re-zogen auf Gleichstellungszielsetzungen zeigen jedoch· die· Ent~·

wicklungen in Schweden, d.h. in einem Land, in dem die Aus~·

weitung der Teilzeitarbeit als erster Schritt einer berufli~·

eben Gleichstellung von Männern und Frauen begriffen wurde, daß Teilzeitbeschäftigung nicht dazu beigetragen hat, die Ar-beitsteilung innerhalb der Familien zu verändern. Die Forde-rung nach einem 6-Stunden-Tag für alle Arbeitnehmer, die in Schweden zuerst erhoben wurde, geht auf die Erfahrung zurück,

daß erst eine allgemeine Reduzierung der täglichen Arbeits-zeit die Chance einer beruflichen und familiären Gleichstel-lung für Männer und Frauen eröffnet. Die starke Expansion der Teilzeitstellen in Schweden bis 1985 (etwa 50 % aller Be-schäftigten des öffentlichen Dienstes arbeiten inzwischen we-niger als 35 Stunden) hat zudem dazu beigetragen, daß die Zahl derjenigen wächst, die unfreiwillig teilzeitbeschäftigt sind, da in bestimmten Bereichen nur noch Teilzeitbeschäfti-gungen angeboten werden. Erst unlängst hat die schwedische Regierung an private und öffentliche Arbeitgeber appelliert, das Angebot an Vollzeitarbeitsplätzen wieder zu erhöhen (vgl.

INTERNATIONALE CHRONIK 29).

Obwohl Teilzeitarbeit in der gegenwärtigen Situation für vie-le Frauen eine Option zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellt, ist eine generelle Ausweitung der Teilzeitarbeit als Mittel zur Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit nur be-dingt geeignet. Allerdings gibt es einen erheblichen staatli-chen Handlungsbedarf im Bereich der arbeits- und sozialrecht-lichen Absicherung von (bestehenden) Teilzeitbeschäftigungen, da Teilzeitbeschäftigung erhebliche Probleme einer eigenstän-digen Altersversorgung schafft. Eine ausreichende Alterssi-cherung auch für Personen, die aus Gründen der Arbeitsplatz-knappheit, unfreiwilliger Unterbeschäftigung oder sozial er-wünschter Nichterwerbstätigkeit (wie Kindererziehung) Versi-cherungslücken aufweisen, kann durch eine andere Berechnungs-grundlage der Rentenhöhe erreicht werden. Das sogenannte Ge-ringfügigkeitsprinzip in der Renten-, Kranken- und Arbeitslo-senversicherung, das die Zunahme sozial ungeschützter, pre-kärer Beschäftigungsverhältnisse ermöglicht hat, müßte aufge-geben werden. Jeder Beschäftigte sollte der Sozialversiche-rung unterliegen und Ansprüche auf ihre Leistungen haben. Ein Modell dafür könnte die Orientierung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozial Versicherung an der betrieblichen Lohnsumme sein, was eine von der Arbeitszeitstruktur unabhängige Finanzierung der Sozialversicherung ermöglicht und auf Seiten der

Arbeit-geber und Arbeitnehmer die Anreize für eine sozialversiche-rungsfreie Beschäftigung aufhebt. Durch das Beschäftigungs-förderungsgesetz von 1986 wurden Teilzeitbeschäftigte ar-beitsrechtlich den Vollzeitbeschäftigten gleichgestellt, al-lerdings läßt das Gesetz zu viele Ausnahme zu und stellt in-sofern nur eine Mindestnorm dar. Auch die Tarifvertragspar-teien sind aufgefordert, die bestehenden Ungleichbehandlungen von Teilzeitbeschäftigten (z.B. im Bereich der betrieblichen

Zusatzleistungen) aufzuheben.

4.5 Verkürzung der Lebensarbeitszeit

Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit mit Hilfe einer gesetz-lichen Vorruhestandsregelung, die bei Wiederbesetzung des Ar-beitsplatzes aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit finanziell gefördert wird, war der einzige Bereich im Rahmen der Arbeitszeitpolitik, in dem die Bundesregierung bisher ak-tiv war. Vorruhestandsregelungen sehen im Kern eine Reduzie-rung des Arbeitskräfteangebotes vor und zielen auf eine per-sonelle Umverteilung des Arbeitsvolumens zwischen Älteren und Jüngeren. Sie sind damit kein Instrument zur Erhöhung der Be-schäftigtenzahl, sondern ein Mittel zur intergenerativen Ar-beitsumverteilung (vgl. auch Kapitel 2.4).

Als Alternative zur Wochenarbeitszeitverkürzung eingeführt, sieht das Vorruhestandsgesetz von 1984 (befristet bis Ende 1988) vor, daß sich die Bundesanstalt für Arbeit (BA) d.ann finanziell an den Kosten eines Vorruhestandes beteiligt, wenn der Arbeitsplatz mit einem Arbeitslosen oder Auszubildenden wiederbesetzt wird und der Vorruheständler vom Arbeitgeber mindestens 65 % seines vorherigen Bruttolohns bezieht.

Die Erwerbsbeteiligung älterer Männer und Frauen war schon vor 1984 rapide gesunken (bei den 60 bis 64jährigen Männern ging die Erwerbsquote von 72,9 % (1970) auf 43,6 % (1982),

bei den 55 bis 59jährigen Männern im gleichen Zeitraum von 87,8 % auf 82,2 % zurück). Bei den Frauen nahm die Erwerbsbe-teiligung zwischen 1970 und 1982 in der Altersgruppe 55 bis 59 Jahre von 35,7 % auf 39,9% zu, in der Altersgruppe 60 bis 64 Jahre von 20,2% auf 13,3% ab (vgl. KÜHLEWIND, 1986).

Schon vor dem Vorruhestandsgesetz schieden also eine ganze Reihe älterer Arbeitnehmer I innen aus dem Erwerbsleben aus, etwa durch den Bezug von Frührenten oder vorgezogenem Alters-ruhegeld (für Frauen und Schwerbehinderte ab 60 Jahren, 60-jährige Arbeitslose nach mindestens 12monatiger Arbeitslosig-keit, flexible Altersrente bei 63 Jahren etc.).

Erklärungen für den rapiden Rückgang der Erwerbsbeteiligung Älterer liegen auf unterschiedlichen Ebenen: in der

betrieb-lichen Personalpali tik, die zu einem Abbau der Beschäfti-gungsmöglichkeiten für Ältere geführt hat, im strukturellen Wandel, der tendenziell Ältere benachteiligt (BERGLIND, 1981), in der fast hoffnungslosen Situation älterer Arbeits-loser, die schon mit Anfang fünfzig generell zu den schwer zu Vermittelnden gezählt werden-und einen hohen Anteil an allen Langzeitarbeitslosen stellen, und im erheblichen moralischen Druck, der auf ältere Arbeitnehmer/innen ausgeübt wird, den jungen Arbeitslosen "Platz zu machen". Natürlich spielen auch individuelle Wünsche und die Tatsache, daß ein erheblicher Teil Älterer unter gesundheitlichen Einschränkungen leidet, eine Rolle, so daß der Ausstieg aus dem Erwerbsleben von vie-len Älteren durchaus gewünscht wird (vgl. FRIEDMANN/WEIMER, 1980, SCHETTKAT, 1987a).

Ging man 1984, bei Verabschiedung des Vorruhestandsgesetzes, noch davon aus, daß das Potential für eine solche Regelung mindestens 750.000 Arbeitnehmer/innen zwischen 58 und 63 Jah-ren beträgt und daß davon ca. 50 % ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers nutzen würden, so kann heute festgesteilt werden, daß die Inanspruchnahme des Vorruhestandes hinter den Erwartungen zurückblieb. Dies liegt zum Teil daran, daß auch

1986 nur für etwa ein Drittel der Betroffenen entsprechende Tarifverträge abgeschlossen wurden (der große Bereich des Öf-fentlichen Dienstes hat z.B. bisher keine Regelung). In eini-gen Tarifverträeini-gen finden sich einschränkende Klauseln wie z. B. Einspruchsrechte des Arbeitgebers, Überforderungsklau-seln zugunsten der Betriebe, Vorruhestandsbeginn erst mit 58 1/2 Jahren und bei einer bestimmten Dauer der Betriebszu-gehörigkeit. Daneben spielt die für Arbeitnehmer und Arbeit-geber geringere finanzielle Attraktivität der Vorruhestands-regelung gegenüber anderen Formen der "Frühverrentung" eine große Rolle bei der Inanspruchnahme: Nur in wenigen Tarifver-trägen (wie beispielsweise im Baugewerbe) erhalten die Vorru-heständler mehr als 70 % des letzten Bruttoentgeltes; alle Vorruhestandsleistungen, die die Summe von 36.000 DM im Jahr übersteigen, müssen versteuert werden; die Vorruheständler müssen darüber hinaus SO % der Beiträge zur Renten- und Kran-kenversicherung von ihrer Vorruhestandsrente bez.ahlen. Im Einzelfall stellt ein Ausscheiden aus dem Betrieb .im Rahmen einer Sozialplanregelung und die Inanspruchnahme einer vorge-zogenen Altersrente für Arbeitnehmer einen finanziellen Vor-teil dar.

Auch für Arbeitgeber sind andere Formen der Frühverrentung finanziell attraktiver als die Vorruhestandsregelung: So muß der Arbeitgeber bis zum frühest möglichen Beginn eines Ren-tenanspruchs, maximal bis zum 65. Lebensjahr, Vorruhestands-geld bezahlen, und selbst dann, wenn er den Arbeitsplatz wie-derbesetzt und einen 35%igen Zuschuß zu diesen Aufwendungen von der BA erhält, entstehen durchschnittliche Kosten von 80.000 DM pro Arbeitnehmer, der den Vorruhestand in Anspruch nimmt (vgl. KÜHLEWIND, 1986). Wesentlich attraktiver scheint für Unternehmen nach wie vor die Nutzung der sogenannten 59er-Regelung, die bei einer Entlassung von Arbeitnehmern über 58 Jahren vorsieht, daß diese mit 60 Jahren nach minde-stens 12 Monaten Arbeitslosigkeit eine vorgezogene Rente be-ziehen können. Durch die Regelung des § 105c AFG von 1986,

daß Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind, Arbeitslosen-geld auch dann beziehen können, wenn sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen, ist die Inanspruchnahme der 59er-Regelung weiter erleichtert worden (vgl. SEI TZ, 1986).

Außerdem hat die BA schon in den vergangenen Jahren darauf verzichtet, bei einer Inanspruchnahme der 59er Regelung von den Arbeitgebern· das gezahlte Arbeitslosengeld und die von ihr gezahlten Bei träge zur Sozialversicherung zurückzufor-dern; eine Regelung, die 1983 eingeführt wurde, um eine Inan-spruchnahme der 59er-Regelung zur betrieblichen Personalan-passung zu verhindern. Mit der 8. Novelle zum AFG wird diese Rückzahlungspflicht nun auch gesetzlich weitgehend wieder aufgehoben.

Auch wenn die sehr hoch angesetzten Erwartungen hinsichtlich der Inanspruchnahme des Vorruhestandsgesetzes nicht erfüllt wurden, so hat diese Regelung zu einer erheblichen Entlastung des Arbeitsmarktes beigetragen, da ein Teil der freigeworde-nen Arbeitsplätze wieder besetzt wurde. Die Wiederbesetzungs-quote variierte zwar stark zwischen den Branchen, sie liegt jedoch mit etwa 60% über den Erwartungen (vgl. KÜHLEWIND, 1986). 1985 und 1986 wurden jeweils über 22.000 Arbeitslose mit Zuschüssen der BA eingestellt, wobei die BA davon aus-geht, daß neben diesen direkten Beschäftigungseffekten auch indirekte entstanden sind (so z.B. Einstellung von nicht-Zu-schuß-berechtigten Personen, Einstellungen auf anderen Ar-beitsplätzen, ausgelöst durch den vorzeitigen Ruhestand). Die

IAB schätzt die Entlastungswirkung der Vorruhestandsregelung für 1986 unter Berücksichtigung dieser Effekte auf 35.000 Personen (BACH/KüHLER/ SPITZNAGEL, 1986), für 1987 auf etwa 45.000 Personen (KÜHL, 1988).

Wenn die Vorruhestandsregelung nun zum Jahresende 1988 wieder abgeschafft wird, so bedeutet dies das Aufgeben eines be-schäftigungspolitisch durchaus wirksamen Instruments, das vor allem deshalb weniger in Anspruch genommen wurde als

erwar-tet, weil es nicht in allen Branchen eingesetzt wurde (vgl.

INTERNATIONALE CHRONIK 32).

Der Vorschlag, die Vorruhestandsregelung durch eine Teilren-ten-/Teilzeit-Regelung für ältere Arbeitnehmer zu ersetzen, basiert im wesentlichen auf zwei Überlegungen: Die Diskussion über den Übergang von der Berufstätigkeit in die Rente wurde in den letzten Jahren völlig vom Ziel der Entlastung des Ar-beitsmarktes beherrscht. Frühere Erkenntnisse über rlie Pro-blematik eines plötzlichen Übergangs in die Rente scheinen ebenso verdrängt wie Hinweise darauf, daß bei der gegenwärti-gen Konstruktion endgültige Entscheidungegenwärti-gen über den Ausstieg aus dem Erwerbsleben getroffen werden müssen, daß Menschen erhebliche Einkommenseinbußen erleiden und daß die Zugangs-voraussetzungen zu Rente und Vorruhestand nach bisheriger Be-rufsbiographie und Geschlecht ungleich verteilt sind (vgl.

SCHETTKAT, 1987 a). Nicht nur diese Argumente, auc.h die finan-zielle Situation der Rentenversicherung zwingt dazu~ über ein neues Modell des Übergangs in die Altersrente nachzudenken.

Gemeint sind flexible Formen des Übergangs aus dem Arbeits-leben in den Ruhestand, die eine Verbindung von Teilzeitar-beit und Teilzeit-Rente zulassen.

Am Beispiel der schwedischen Teilrentenregelung soll dieses Prinzip erläutert werden: Seit 1976 haben in Schweden Arbeit-nehmer (seit 1980 auch Selbständige) zwischen 60 und 65 Jah-ren die gesetzlich verankerte Möglichkeit, eine Teilzeitbe-schäftigung mit einer Teilrente zu kombinieren. Voraussetzung ist, daß sie mindestens fünf Monate während des letzten Jah-res und mindestens zehn Jahre vor dem Alter von 55 Jahren er-werbstätig waren. Die Arbeitszeit muß um mindestens 5 Stunden wöchentlich reduziert werden, aber mindestens noch 17 Stunden betragen. Die Teilzeitarbeit wird mit dem bisherigen Lohn vergütet, während die Teilrente 65 % (seit 1981 50 %, seit 1. 7.1987 wieder 65 %) der Einkommensdifferenz beträgt. Die Teilrente muß versteuert werden, was angesichts der starken

Steuerprogression dazu führt, daß die Teilrentenempfänger bei einer Reduktion der Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden etwa 80 % des vorherigen Nettoeinkommens erhalten. Die schwedische Teilrente wird durch Arbeitgeberbei träge in Höhe von 0, 5 % der Lohn- und Gehaltssumme finanziert. Bis 1981 nahmen etwa 25 Prozent der Berechtigten diese Möglichkeit des gleitenden Übergangs in den Ruhestand wahr, nach 1982 sank die Inan-spruchnahme, was u.a. auf die Reduzierung der Teilrente zu-rückgeführt wird. Die durch die Teilzeitbeschäftigung erfolg-te Reduktion individueller Arbeitszeierfolg-ten führerfolg-te zu Neuein-stellungen, diese jedoch entsprachen nur etwa 50 % der redu-zierten Arbeitszeiten (GINZBURG, 1985).

Es zeigt sich allerdings, daß die Teilrente in Schweden nicht so sehr die Entscheidung zwischen Ruhestand und Erwerbstätig-keit, als vielmehr die Wahl zwischen Vollzeit- und Teilzeit-arbeit beeinflußt hat. Wesentlich für die relativ hohe Inan-spruchnahme sind zwei Faktoren: Zum einen ist das Versor-gungsniveau im schwedischen Teilrentenmodell relativ hoch, zum anderen besteht offenbar kein gravierender Mangel an Teilzeitarbeitsplätzen für ältere Arbeitnehmer (vgl. INTERNA-TIONALE CHRONIK 32). Allerdings gerieten auch in Schweden Teilrentensysteme in Konkurrenz zu anderen Formen der Früh-verrentung: Arbeitslose im Alter von 60 bis 64 Jahren können

Es zeigt sich allerdings, daß die Teilrente in Schweden nicht so sehr die Entscheidung zwischen Ruhestand und Erwerbstätig-keit, als vielmehr die Wahl zwischen Vollzeit- und Teilzeit-arbeit beeinflußt hat. Wesentlich für die relativ hohe Inan-spruchnahme sind zwei Faktoren: Zum einen ist das Versor-gungsniveau im schwedischen Teilrentenmodell relativ hoch, zum anderen besteht offenbar kein gravierender Mangel an Teilzeitarbeitsplätzen für ältere Arbeitnehmer (vgl. INTERNA-TIONALE CHRONIK 32). Allerdings gerieten auch in Schweden Teilrentensysteme in Konkurrenz zu anderen Formen der Früh-verrentung: Arbeitslose im Alter von 60 bis 64 Jahren können

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