Deutsches Ärzteblatt
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20. September 2013 A 1747 PHARMAKORESISTENTE EPILEPSIEKeine Chance für neue Wirkstoffe
Etwa jeder dritte Epilepsiepatient wird unter der Behandlung mit den verfügbaren Antikonvulsiva nicht anfallsfrei. Ein Therapiefortschritt wird jedoch durch
die – von Experten als inakzeptabel kritisierten – Auflagen des G-BA behindert.
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er Gemeinsame Bundesaus- schuss (G-BA) hat innerhalb von zwölf Monaten zum zweiten Mal einem neuen Antikonvulsi- vum den Zusatznutzen abgespro- chen (1, 2). Als Konsequenz dar- aus haben beide Hersteller ihre Präparate außer Vertrieb gesetzt:Reti gabin (Trobalt®, Glaxosmith- kline) Mitte 2012, Perampanel (Fycompa®, Eisei) ab Ende 2013.
Fachärzte sehen diese Entwicklung mit Sorgen. Kritisiert wird die Vor- gabe des G-BA, dass für neue An- tikonvulsiva der Beweis für einen Zusatznutzen gegenüber Lamotri- gin und Topiramat erbracht werden muss. Dies sei gar nicht möglich, da nach Markteinführung nur die Daten der Zulassungsstudien vor- liegen, die jedoch diese Fragestel- lung nicht adressierten. Zudem handelte es sich bei den (wie von EMA und FDA vorgegeben) rekru- tierten Populationen um Patien- ten mit chronischen Epilepsien, die auf eine Vielzahl von Therapie- versuchen nicht respondiert hatten und trotz Behandlung mit zwei oder drei Antikonvulsiva unter et- wa zehn fokalen Anfällen im Mo- nat litten.
Ein Drittel der Patienten ist derzeit therapieresistent
Kritisiert wird zudem, dass der G-BA nur die direkten Kosten be- rücksichtige. Dabei seien die durch eine (refraktäre) Epilepsie verur- sachten indirekten Kosten (wieder- holte Krankenhausaufenthalte, häu- fige Arbeitsunfähigkeit, Frühver- rentung) weitaus höher als die Kos- ten für Antikonvulsiva.Die Tragweite des Problems ver- deutlichte Dr. med. Eugen Trinka, Universitätsklinik für Neurologie in Salzburg, anhand einiger Eckda- ten: Bei etwa einem Drittel der Epi-
lepsiepatienten lassen sich die An- fälle mit dem gegenwärtig verfüg- baren Armamentarium von Anti- konvulsiva nicht kontrollieren (3).
Etwa die Hälfte kann operiert wer- den, ist aber in der Regel auch da- nach weiterhin auf Medikamente angewiesen. Nicht anfallsfreie Pa- tienten sind nicht nur massiv in ih- rer Lebensqualität eingeschränkt, sondern haben auch eine um drei bis zehn Jahre reduzierte Lebenser- wartung (4).
Jedes neue Antikonvulsivum bedeutet eine neue Chance
Die seit mehreren Jahrzehnten rela- tiv konstanten Zahlen zum Anteil refraktärer Patienten rechtfertigen jedoch keinen therapeutischen Ni- hilismus. Jede neue Substanz birgt eine neue Chance auf Anfallsfrei- heit. Das belegen systematische Untersuchungen britischer und is- raelischer Arbeitsgruppen. Die Mo- difikation der Therapie durch Zuga- be von zuvor noch nicht ausprobier- ten Antikonvulsiva führte bei 15 bis 20 Prozent der zuvor langjährig pharmakoresistenten Patienten zur Anfallsfreiheit.Aus der klinischen Erfahrung her - aus wird vermutet, dass die Kombi- nation von Substanzen mit un - terschiedlichen Wirkmechanismen von Vorteil sein könnte. Gerade das zeichnet die beiden „Newcomer“
aus. Ihr pharmakodynamisches Pro- fil unterscheidet sich von allen anderen bisher verfügbaren Anti- konvulsiva. Große Hoffnung setzt Prof. Dr. med. Bernhard Steinhoff, Ärztlicher Direktor der Klinik für Erwachsene am Epilepsiezentrum Kork in Kehl-Kork, auf das Peram- panel. Der nichtkompetitive Ant - agonist des AMPA-Rezeptors (Al- pha-Amino-2-Hydroxy-5-Methyl-4) ist das erste spezifisch antiglut -
amaterge Antikonvulsivum. „Dar - auf warten wir seit Jahrzehn- ten“, betonte Steinhoff. „Wir wis- sen nicht, ob Perampanel eine Revolu tion ist. Aber wie sollen wir das herausfinden, wenn wir durch B-GA und AMNOG daran gehin- dert werden?“
Steinhoff hat in seiner Klinik eine Warteliste von Patienten mit schwer behandelbaren fokalen Epi- lepsien. Davon hat er inzwischen 100 add on zur Basistherapie mit in der Regel zwei (47 Prozent) oder drei (31 Prozent) anderen An- tikonvulsiva auf Perampanel ein- gestellt. 45 dieser Patienten wur- den inzwischen über einen Zeit- raum von sechs Monaten oder län- ger nachverfolgt. Sieben Patienten (16 Prozent) sind seit mindes- tens drei Monaten anfallsfrei, bei 14 weiteren (31 Prozent) kam es zu einer mindestens 50-pro zentigen Reduktion der Anfallshäufigkeit.
Unerwünschte Ereignisse wurden von 62 Prozent der Patienten be- richtet – am häufigsten Somno- lenz und Schwindel –, sie führten aber nur bei fünf Patienten zum Behandlungsabbruch (5). Selbst wenn auf Dauer nur zehn Prozent dieser Patienten anfallsfrei blie- ben, sei das eine sehr gute Erfolgs- rate, kommentierte Steinhoff die Daten. Denn schließlich seien das alles schwer kranke Menschen mit langjährig therapieresistenten An-
fällen.
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Gabriele Blaeser-Kiel
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Literatur im Internet:www.aerzteblatt.de/lit3813
Fachpresse-Roundtable „Innovative Antiepileptika:
Wie beeinflussen gesundheitspolitische Entschei- dungen die optimale Versorgung der Patienten?“
bei der 8. Gemeinsamem Jahrestagung der Deut- schen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie, in Interlaken/Schweiz, Veranstalter:
Eisai GmbH
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20. September 2013LITERATURVERZEICHNISS HEFT38/2013, ZU:
PHARMAKORESISTENTE EPILEPSIE
Keine Chance für neue Wirkstoffe
Etwa jeder dritte Epilepsiepatient wird unter der Behandlung mit den verfügbaren Antikonvulsiva nicht anfallsfrei. Ein Therapiefortschritt wird jedoch durch die – von Experten als inakzeptabel kritisierten – Auflagen des G-BA behindert.
LITERATUR
1. www.g-ba.de/informationen/beschlues se/1480
2. www.g-ba.de/informationen/beschlues se/1664
3. Brodie MJ, et al.: Patterns of treatment re- sponse in newly diagnosed epilepsy. Neuro- logy 2012; 78: 1548–54.
4. Trinka E, et al.: Cause-specific mortality among patients with epilepsy: results from a 30-year cohort study. Epilepsia 2013; 54:
495–501.
5. Geithner J, et al.: Poster P06 bei der 8. Ge- meinsamem Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie, Interlaken/Schweiz 2013