Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 17|
26. April 2013 A 807 TRANSPLANTATIONSMEDIZINDer Neuanfang ist ein Balanceakt
Wie häufig wurde die Warteliste manipuliert? Könnten Ärzte wegen solcher Verstöße künftig strafrechtlich belangt werden? Die Transplantationsmedizin ist im Umbruch. Es wird lange dauern, bis das System zur Ruhe kommt.
N
och sind die Untersuchungen der Transplantationszentren durch die Prüfungs- und Überwa- chungskommissionen bei der Bun- desärztekammer (BÄK) nicht ab - geschlossen. Aber der Trend für die 24 Lebertransplantationsprogram- me, mit denen die systematischen Prüfungen im Sommer 2012 nach Bekanntwerden schwerer Regelver- stöße begonnen haben, ist klar:„Der ganz überwiegende Teil der Zentren, an denen Lebern trans- plantiert werden, arbeitet korrekt“, erklärte Prof. Dr. jur. Hans Lilie, Universität Halle, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) auf Anfrage.
Lilie ist Vorsitzender der Ständi- gen Kommission Organtransplantati- on (StäKO) bei der BÄK. „Wir sehen bei den Prüfungen hervorragend ar- beitende Teams mit sehr guten Funk- tionsraten der Transplantate und ho- hen Überlebensraten der Patienten“, sagte Lilie. „Die Zentren allerdings, die manipuliert haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Mit einer Veröffentlichung der Ergebnis- se der Kommissionen sei Anfang Sommer dieses Jahres zu rechnen.
Weites Spektrum an Verstößen
In den bisherigen Untersuchungen sind Verstöße festgestellt worden, die das Ziel hatten, Patienten auf der Warteliste nach vorn rücken zu lassen: Manipulationen von Labor- werten durch Umbeschriftung von Blutproben oder durch Zugabe von Urin und anderen Substanzen, es gab falsche Angaben zur Dialyse – alles, um die Dringlichkeit zur Lebertransplantation zu erhöhen. Es geht aber auch um nicht richtlinien- konforme Indikationen, darunter Anmeldungen von Alkoholkranken auf die Warteliste zur Lebertrans- plantation, obwohl sie noch keine sechs Monate abstinent waren.Zugleich steht am Landgericht Göttingen die Entscheidung dar - über an, ob ein in Untersuchungshaft sitzender Transplantationschirurg aus Göttingen angeklagt werden soll.
„Es wird etwa Mitte Mai eine Ab- schlussentscheidung fallen“, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe zum DÄ. Er ist Sprecher der Staats - anwaltschaft Braunschweig, die die Ermittlungen federführend leitet.
Es wäre ein Pilotprozess, der auf die Transplantationsmedizin vermut- lich nachhaltige Wirkung hätte. Kä- me es zur Anklage, stünde die Justiz erstmals vor der Aufgabe zu entschei- den, ob ein Arzt, der sich zugunsten von Patienten über die Warteliste hin- wegsetzt, den Tod anderer Patienten billigend in Kauf nimmt. Im Raum stehen Vorwürfe der Körperverlet- zung und des versuchten Totschlags (siehe Interview in diesem Heft).
Die Organvermittlungszentrale Eurotransplant (ET) kann den Kreis der Patienten, die durch die Regel- verstoß-Verdachtsfälle übergangen worden sind, identifizieren. „Ob Patienten konkret geschädigt wur- den, ist möglicherweise schwer zu rekonstruieren“, teilte Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Direktor von ET, mit. Nicht auszuschließen sei, dass ein übergangener Patient im konkreten Fall nicht transplantabel gewesen wäre oder sich das Spender- organ für ihn nicht geeignet hätte.
Mit zahlreichen Strukturverän- derungen wird nun versucht, Fehl- verhalten künftig besser vorzubeu- gen und Vertrauen in die Transplan- tationsmedizin wiederzugewinnen.
Für die Transplantationszentren be- deutet dies mehr externe und inter- ne Kontrollen, neue Vorgaben zu Entscheidungs- und Handlungsab- läufen, eine detailliertere Doku- mentation der Prozesse. Bei derzeit sinkenden Organspenderaten und
hohem Zeit- und Kostendruck ist das für die Ärzte ein Balanceakt.
Mit Kontrollen und Sicherheits- vorkehrungen sei umgehend auf die bekanntgewordenen Unregelmäßig- keiten reagiert worden, sagte Lilie:
im Sinne des gesetzlichen Auftrags, Chancengleichheit und Gerechtig- keit einzuhalten.
Gute Abstimmung erforderlich
Eine Herausforderung ist die Koor- dination von Aktivitäten. Die Deut- sche Gesellschaft für Innere Medizin und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie hätten eine Taskforce ge- bildet, um Transparenz und Erfolg der Transplantationsmedizin zu er- höhen und Richtlinien und Standards für die Vergabe und den Umgang mit Organen zu erarbeiten, heißt es in einer Pressemitteilung. Für die Er- stellung der Richtlinien zur Organ- transplantation aber ist seit langem die BÄK vom Gesetzgeber beauf- tragt. Über StäKO und die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) könnten schon bisher alle Sachkun- digen und Patientenvertreter Einfluss auf die Anpassung und Verbesse - rung von Richtlinien nehmen, ist die Rückmeldung von StÄKO und DTG.Die Aktivitäten müssten abgestimmt werden. Für Aufgaben wie diese ist bei der BÄK im März die Geschäfts- stelle Transplantationsmedizin ein - gerichtet worden. Sie ist zuständig für die StäKO. In gemein samer Träger- schaft mit der Deutschen Kranken- hausgesellschaft und dem GKV- Spitzenverband betreut sie auch die Prüfungs- und Überwachungskom- mission und die Vertrauensstelle Transplantationsmedizin.
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Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Vertrauensstelle Transplantationsmedizin, Bundes- ärztekammer, Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin;
Telefon: 030/400 456 664; vertrauensstelle_ trans plantationsmedizin@baek.de